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Xiaomi SU7: Erster Test

Keine Premiere wurde so frenetisch gefeiert wie die des Xiaomi SU7. Denn Tech-Gigant Xiaomi hat geschafft, woran Apple gescheitert ist: Es hat sein erstes Auto auf die Straße gebracht.


In den Läden stehen sie Schlange, die Orderbücher laufen über und selbst auf der Messe muss man eine halbe Stunde warten, bis man sich den Xiaomi SU7 näher anschauen darf. Doch auf der Straße dreht sich danach keiner um – dabei hat der Verkauf erst vor ein paar Wochen begonnen und selbst in Peking ist der Wagen noch ein Exot.Allerdings einer, der in der Masse untergeht. Denn was den Xiaomi ausmacht, das ist seine Geschichte, und nicht seine Gestaltung, die irgendwo zwischen Porsche Taycan und Tesla Model S rangiert und im ewigen Summen der Stromlinie -Limousinen verrauscht.Xiaomi, das ist der drittgrößte Handy-Hersteller der Welt und China mit smarten Produkten von der Drohne bis zum Saugroboter als Begleiter durchs digitale Leben so allgegenwärtig wie Apple bei uns. Und während die Konkurrenz in Cupertino gerade ihre Autopläne amtlich beerdigt hat, will Xiaomi-Chef Lei Jun nicht weniger als unter die fünf größten Autohersteller der Welt aufsteigen. Und das in nicht einmal 20 Jahren. Natürlich schwillt den Chinesen da vor Stolz die Brust und die Neugier wächst.

Xiaomi SU7 wenig smart

Befriedigen kann der vermeintliche Elektroschocker diese aber – zumindest gegenüber einer Langnase wie mir – nur eingeschränkt. Denn dafür, dass Xiaomi ein Smartphone-Gigant sein will, ist das Auto bislang ziemlich wenig smart. Den großen Bildschirm haben alle und für die Hinterbänkler gibt es sogar nur zwei Steckplätze für Tablets – natürlich auch von Xiaomi.xiaomi su7: erster test

Dafür, dass Xiaomi ein Smartphone-Gigant sei will, ist das Auto bislang ziemlich wenig smart.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDDass der Appstore prall gefüllt ist mit Hunderten Dienstprogrammen und dass sich das Auto mit allen anderen smarten Devices aus dem Xiaomi-Katalog verknüpfen lässt – geschenkt. Und auch der Autopilot, in Dauerstau von Peking viel hilfreicher und deshalb auch beliebter als in dem bisschen Stopp-and-Go bei uns, fährt noch ziemlich holprig und zudem nur unter wirklich günstigen Umgebungsbedingungen. Fehlt mal für einen Meter die Fahrbahnmarkierung, steigt er zum Beispiel gleich aus. Und der mit einem Blinkertippen eingeleitete, automatisierte Spurwechsel dauert so lange, dass sich die meisten Lücken da längst schon wieder geschlossen haben.Das weiß auch Xiaomi und hat nicht umsonst alle Steuergeräte online geschaltet – so lernt der Robofahrer regelmäßig dazu und bekommt mit jedem Update mehr Autonomie. Und zumindest dem großen Rivalen Tesla ist Xiaomi trotzdem voraus: Aus Angst vor Spionage durfte Elon Musk die Kameras an seinen Autos nämlich bis vor ein paar Tagen nicht freischalten und konnte sein Full Self Driving deshalb nicht anbieten.xiaomi su7: erster test

Xiaomi hat geschafft, woran Apple gescheitert ist. Der Tech-Gigant hat sein erstes Auto auf die Straße gebracht.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDWährend die Smart Skills des SU7 bis dato also ernüchtern und sich der Reiz nur durch die Integration in die riesige Produktvielfalt des Techkonzerns erschließt, überrascht die Limousine dafür allerdings mit ein paar Details, die eher aus der alten Autowelt kommen – liebevollen Design-Lösungen wie den hübsch inszenierten Schrauben in Cockpit, dem wie ein Modellauto geformten Zündschlüssel mit der Unterschrift des Chefs oder der vom Bentley Continental inspirierten Walze hinter dem Lenkrad, die erst nur die Silhouette des Autos zeigt und nach dem Anlassen zum Display für Tacho & Co wird.

Fahrverhalten des Xiaomi SU7 überzeugt

Und vor allem überzeugt das Fahrverhalten der Stromlinienlimousine: Das Auto ist bocksteif und gut an der Fahrbahn angebunden, die Lenkung hat Gefühl und beim Wechsel der Drive Modes mit dem Taycan-Schalter im Lenkrad ändert sich nicht nur die Beleuchtung. Sondern das Auto spannt tatsächlich die Muskeln an, schärft die Sinne, reagiert direkter und fährt zackiger. Zwar ist der Xiaomi lange noch nicht so engagiert wie ein BMW oder gar ein Taycan – aber aus der Flut der meist arg beliebig abgestimmten China-Stromer sticht er damit angenehm als Fahrerauto heraus. Dann kann man sich auch ein paar Patzer beim pilotierten Fahren leisten.xiaomi su7: erster test

Vor allem überzeugt das Fahrverhalten der Stromlinienlimousine.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDDabei mangelt es auch den Mitfahrern nicht an Komfort. Selbst in der zweiten Reihe. Denn Xiaomi nutzt die fünf Meter besser als Porsche, hat die Achsen drei Meter weit auseinandergerückt und so genügend Platz auch für lange Beine geschaffen. Und wer erst einmal unter dem Dachholm durchgetaucht ist, der kann auch unter dem Panoramaglas aufrecht und bequem bewegen sitzen. Dazu gibt es nicht nur hinten reichlich Staudamm, sondern auch einen ordentlich Frunk.

Einstiegsmodell mit 300 PS

Schließlich hat Xiaomi seinen Erstling ganz zeitgemäß auf eine Skateboard-Plattform gestellt, die sie selbst entwickelt haben und bei BAIC produzieren lassen. Es gibt sie in drei Versionen. Das Einstiegsmodell fährt mit einem 300 PS und 400 Nm starken Motor an der Hinterachse und nutzt einen 400 Volt-Akku mit 74 kWh, der im laxen China-Zyklus für knapp 700 Kilometer reicht. Alternativ gibt’s mit der gleichen Technik auch einen 94 kWh-Akku für 830 Kilometer.xiaomi su7: erster test

Der Xiaomi SU7 beeindruckt und enttäuscht zugleich.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDDie Top-Version sattelt dann noch einmal richtig drauf: Es gibt einen zweiten Motor, eine Systemleistung von 673 PS und 838 Nm, und einen neuen Akku, der dann mit 800 Volt Betriebsspannung arbeitet. Er hat eine Kapazität von rund 101 kWh und soll für etwa 800 Kilometer reichen. Vor allem aber kitzelt diese Version den rechten Fuß und verspricht ein Temperament wie im Taycan. Nicht umsonst gelingt der Spurt von 0 auf 100 damit in spürbar weniger als drei Sekunden und das Spitzentempo liegt bei 265 km/h. Das ist schneller als Nio & Co und deutlich mehr als die Polizei erlaubt. Schließlich gilt in China maximal Tempo 120.

Rechtfertigt das den China-Hype?

Er sieht gut aus und fährt auch so, und das Datenblatt wirkt imposant – aber rechtfertigt das den Hype, den China gerade um das Auto macht? Dafür muss man um die Bedeutung Xiaomis wissen, die ähnlich groß ist wie die von Apple. Und man muss wissen, dass Xiaomi eher Aldi ist als Audi – und für gute Qualität zu günstigen Preisen steht. Und spätestens dann wird ein Schuh draus. Denn los geht es für den SU7 bei umgerechnet knapp 28.000 Euro, womit er noch einmal zehn Prozent billiger ist als das Model 3, das er um 30 Zentimeter überragt und schon in der Basisversion in jeder Hinsicht aussticht – mit zehn Prozent mehr Reichweite und deutlich mehr Tempo.Und selbst das Top-Model kostet mit knapp 39.000 Euro gerade mal ein Drittel des Taycan in China – und da reden wir vom Basismodell und nicht vom Turbo. Kein Wunder also, dass sie Schlange stehen im Xiaomi Store, dass sich die Bestellungen langsam dem Sechsstelligen nähern und dass die Lieferzeiten mittlerweile bei mehr als einem Jahr liegen. Auch das ist sicher ein Grund, weshalb sich Xiaomi-Chef Lei noch keine Exportaussage hat entlocken lassen. Denn solange sie ihm das Auto daheim aus den Händen reißen, muss er es in Europa oder den USA nicht gegen Tesla oder Porsche in den Markt drücken.

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