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Smart #3: Stadtauto chinesisch gedacht

Der Smart #3, der im Frühjahr nach Deutschland kommt, stößt in neue Dimensionen vor. Was Größe und Leistung, aber auch den Preis anbetrifft.

Das ideale Stadtauto muss dem beschränken Verkehrsraum europäischer Städte gerecht werden, seine Passagiere sicher befördern und sich dem gelebten, laufender Veränderung unterlegenen Lifestyle von Stadtmenschen anpassen können. So die Vorstellungen vor 30 Jahren. Sie führten 1998 zu einem 250 cm kurzen Kleinwagen mit austauschbaren Anbauteilen, der zwei Passagieren im Sicherheitskäfig so viel Bewegungsfreiheit wie in einer Mercedes C-Klasse vorn bietet, hinter den Sitzlehnen aber jäh abbricht. Das Ergebnis war der Smart fortwo und spätere EQ, made by Mercedes-Benz.

Tatsächlich überzeugte seine geringe Verkehrsfläche in eng bebauten europäischen Metropolen. So wurde Rom über Jahre hinweg zur Smart-Hauptstadt. Doch in den Flächenländern USA und China ging das Konzept nicht auf. Zum knappen Innenraum kamen zwei weitere Nachteile: Durch den 181 Zentimeter kurzen Radstand erzeugten Lastwechsel gewöhnungsbedürftige Nickbewegungen der Karosserie, die an den Ritt auf einem galoppierenden Pony erinnerten. Und zum Gegenwert eines fünfsitzigen VW Golf war der Zweisitzer einfach zu teuer.

smart #3: stadtauto chinesisch gedacht

Stadtauto für die Kleinfamilie Nominell wächst der neue, 4,40 Meter lange „Smart by Geely“ zum Fünfsitzer aus. Auch großgewachsene Personen finden hinten ausreichend Platz und Kopffreiheit.

Auch mit Hilfe zahlreicher Derivate schaffte es die Marke Smart deshalb nicht, in die Gewinnzone zu fahren. Schleichend verlor Mercedes-Benz das Interesse und übertrug dem aufstrebenden chinesische Unternehmen Geely – des Daimler-Großaktionärs Li Shufu – in 2019 die Verantwortung für Smart. Und Geely erfindet nun das Stadtauto neu. Als Kooperationspartner halten die Stuttgarter zwar noch an den Markenrechten fest und mischen wohl auch beim Design mehr oder weniger mit. Mercedes-Benz China Designchef Joel Baek soll es offiziell verantworten. Aber Smart wird am Firmensitz in Hangzhou nun chinesisch gedacht. Was das heisst, erfahren wir nach dem smart #1 nun im neuen SUV Coupé #3, der im Frühjahr nach Deutschland kommt.

„Smart by Geely“

Die oberste Doktrin lautet jetzt: Das Stadtauto für China muss zumindest eine Kleinfamilie transportieren können. Im chinesischen Alltag kann diese durchaus 6 bis 7 Personen umfassen, wie wir bei vielen Besuchen im Reich der Mitte beobachten konnten. Nominell wächst der neue „Smart by Geely“ zum Fünfsitzer aus. Und er bedient das nach westlichen Wertvorstellungen geradezu zwanghafte Bedürfnis junger Chinesen nach ständiger Unterhaltung im städtischen Stop-and-Go Verkehr mit einer Vielzahl von Konnektivitäts-Merkmalen.

smart #3: stadtauto chinesisch gedacht

Im Zeichen des Sterns Als Kooperationspartner halten die Stuttgarter zwar noch an den Markenrechten fest und mischen wohl auch beim Design mehr oder weniger mit. Mercedes-Benz China Designchef Joel Baek soll es offiziell verantworten.

Die technischen Zutaten nimmt Geely kostengünstig aus dem Regal. So überbauen die Smart-Modelle die hauseigene, skalierbare Elektro-Plattform SEA (Sustainable Experience Architecture), die auch von den Geely-Tochtermarken Volvo, Polestar, Zeekr und Lotus genutzt wird. Bisher entstanden sind das 4,27 Meter lange Kompakt-SUV smart #1 mit femininen Zügen – und als zweiter Schuss nun die auf 4,40 Meter Länge gestreckte Coupé Variante #3, für die maskuline Formen ausgelobt werden.

Brabus gibt nur den Namen

Mit 1,57 Meter baut das 4,40 Meter lange Coupé mit abströmender Dachpartie sieben Millimeter flacher als der #1. Hier und dort lässt die Karosserie etwas die Muskeln spielen. Doch es ist mehr das Feintuning fahrdynamischer Eigenschaften, das diesen Smart in Richtung Sportlichkeit spreizt. Wir fahren die für europäische Strassen ausgelegte Topversion #3 Brabus in der Nähe des Geely Entwicklungszentrums in Hangzhou Bay in der Provinz Zheijiang und können bestätigen: So sportlich bewegen ließ sich noch kein Smart zuvor. Und das, obwohl Brabus für das Auto nur noch seinen guten Namen hergibt, selbst keine Hand mehr an Antrieb oder Fahrwerk anlegt.

smart #3: stadtauto chinesisch gedacht

Maskulines Muskelspiel Während der smart #1 mit femininen Zügen daherkommt, sind im deutschen Designstudio für den auf 4,40 Meter Länge gestreckten #3 maskuline Formen ausgelobt worden. Was immer das bedeutet.

Verantwortlich dafür zeichnen die gegenüber dem #1 leicht veränderten Abmessungen, ein abgesengter Schwerpunkt und die mehr hecklastige Kraftverteilung der allradgetriebenen Brabus-Version. Mit 2,79 Metern wuchs sein Radstand zwar nur um vier Millimeter. Als längster seiner Klasse bietet er aber erstaunliche Bewegungsfreiheit im Interieur. Sie stützt ein lichtes Raumempfinden unterm riesigen, zu 99 Prozent UV-Strahlen absorbierendes Glasdach. Hier sitzen ungeachtet des acht Zentimeter niedrigeren Dachverlaufs selbst 1,82 Meter grosse Passagiere im Fond aufrecht und freuen sich über beachtliche Beinfreiheit.

Schneller Gepard ersetzt schlauen Fuchs

Darüber hinaus gefällt das mit dem #1 eng verwandte Interieur mit mächtiger Mittelkonsole, zentralem Tablett und schmalem Cockpit-Display durch hochwertige Anmutung. Die Konnektivitätsvielfalt ist – zum Gefallen chinesischer Kunden – noch einmal gewachsen. Die Bedienungshilfe im Zentraldisplay übernimmt ein laufstarker Gepard. Als Avatar ersetzt er den schlauen Fuchs aus dem #1. Und auch ein Head-up Display wird verbaut.

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Silberfisch Das mit dem #1 verwandte Interieur mit mächtiger Mittelkonsole, zentralem Tablett und einem schmalen Cockpit-Display hat eine hochwertige Anmutung. Die Konnektivitätsvielfalt ist zum Gefallen chinesischer Kunden nochmals gewachsen.

Der tiefere Schwerpunkt und die etwas breitere Spur des smart #3 durch bis zu 20 Zoll grossen 245/45-Räder stützen den Fahrspass im Bergstrassen-Gekräuse westlich von Ningbo. Wenngleich kein Kart-, so kommt doch echtes GTI-Feeling auf. Europäer werden die sehr gute Fahrstabilität lieben. Komfortverwöhnte chinesische Kunden eher weniger. Doch für sie stehen ja gemütlichere #3 Varianten bereit.

Beschleunigung wie im Porsche 911 GT3

Die Systemleistung beider E-Motoren im smart #3 Brabus beträgt üppige 315 kW (428 PS) und 543 Nm Drehmoment. Sie erlaubt wahre Raketenstart im – ja, richtig gelesen – Launch Modus. Wie im Verbrenner-Auto hält man den #3 Brabus mit dem linken Fuss auf der Bremse zunächst fest, gibt mit dem rechten Vollstrom und lässt dann das Bremspedal zurückschnellen. In nur 3,6 Sekunden reisst uns die immerhin 1.890 Kilo schwere Fuhre dann auf 100 km/h. Hand aufs Herz: Wir bewegen uns damit auf Porsche 911 GT3-Niveau (0-100 km/h in 3,4 Sekunden)! Und jetzt bitte tief durchatmen: Den Pulsschlag treibend lässt sich ein mehrstufiger Soundgenerator zuschalten. Im Brabus-Modus untermalt er die Beschleunigungsorgie mit einem kernigen Verbrennersound.

smart #3: stadtauto chinesisch gedacht

Deutsche Kunden im Visier „Wir möchten insbesondere deutsche Kunden mit der direkteren Lenkung und strafferen Federungskennlinie des #3 ansprechen“: Smart-Entwickler Jia Xing im Gespräch mit unserem Autor.

Doch es muss durchaus nicht wild zugehen: In den alltäglich genutzten Fahrmodi Eco und Standard treibt uns ausschliesslich die Hinterachse an. Nur bei forscher Fahrweise in den Modi „Sport“ und „Brabus“ bestromt das Traktionsmanagement auch die Vorderräder. Im Unterschied zum allradgetriebenen #1 teilt es der #3 Hinterachse spürbar mehr Kraft zu als der Vorderachse, was man als sportlichen Mitlenk-Effekt aus Kurven heraus nutzen kann. „Wir möchten insbesondere deutsche Kunden mit der direkteren Lenkung und strafferen Federungskennlinie des #3 ansprechen“, begründet der für Funktionalität und Produktdefinition bei Smart verantwortliche Direktor Jia Xing die fahrdynamisch anspruchsvolle Gesamtabstimmung.

66 kWh-Akku wie im Smart #1

Bestromt werden die E-Motoren übrigens vom gleichen 66 kWh großen CATL-Akku im Unterboden wie im #1. Auch die Ladeleistung wird mit unveränderten 150 kW angegeben. An der chinesischen Schnellladesäule ging’s für uns allerdings nur mit maximal 58,8 kW voran. Um die Batterie von 51% auf 95% nachzuladen, vergingen darüber rund 50 Minuten.

smart #3: stadtauto chinesisch gedacht

Theoretisch bis zu 150 kW An der chinesischen Schnellladesäule ging’s für uns allerdings nur mit maximal 58,8 kW voran. Um die Batterie von 51% auf 95% nachzuladen, vergingen darüber rund 50 Minuten.

Vom smart #3 Brabus lernen wir, wie die neu gegründete Stadtauto-Marke ihr Image spreizen möchte. Wir erwarten deshalb, dass ein kommender smart #2 die beiden Komfort und Sport betonten Varianten durch eine weniger hoch motorisierte und mehr Energie sparende Ausführung mit kleinerer Batterie ergänzt. Zu einem Zweisitzer wird diese aber sicherlich nicht schrumpfen. Denn Mikro-EVs werden in China bereits ab weit unter 10.000 Euro angeboten. Das sind Niederungen, in denen der Smart Markenwert verbrennen würde. Gilt es doch, ihn mit Restbeteiligung von Mercedes-Benz so hoch zu halten wie möglich. Über üppige Preise allein wird das natürlich nicht klappen. Die Produktqualität muss überzeugen.

Ambitionierter Verkaufspreis

Schon jetzt stehen die Smart-Preisschilder ab 289.900 RMB (umgerechnet 36.700 Euro) für den #3 Brabus in chinesischer Kritik. In Europa, wo ab Jahresende Bestellungen entgegen genommen werden, dürften Preise deutlich über 43.000 Euro auch die Schmerzgrenze hiesiger Kunden tangieren. Sich in Bescheidenheit zu üben, könnte eine Lektion für Geely sein, um aus den Fehlern von Smart by Mercedes-Benz zu lernen.

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