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Autofahren im Alter: "Ich will nicht beim nächsten Mal ein Kind erwischen"

Fürs Autofahren kann man in Deutschland nicht zu alt sein – zumindest offiziell. Drei Geschichten über die Frage, wann man aufhören muss

Wann man den Autoschlüssel an den Nagel hängt, kann man in Deutschland freiwillig entscheiden. Vor allem Männer zweifeln selten an ihrer Fahrtüchtigkeit.

Sollten über 70-Jährige nur noch Auto fahren dürfen, wenn sie beweisen können, dass sie noch fahrtüchtig sind? Das schlägt die EU vor. Wir haben Seniorinnen, Senioren und Angehörige nach ihren Geschichten und ihrer Meinung gefragt. Fast 500 Menschen haben uns geschrieben.

In den Antworten fällt auf, dass gerade Männer nicht so schnell an ihrer Fahrtüchtigkeit zweifeln. Viele Angehörige sehen das anders. Sie machen sich Sorgen um die Sicherheit von Opa. In der Familie ist das Thema oft ein Tabu, denn wie bringt man dem Vater, aber auch der Tante oder der Oma bei, dass sie sich besser nicht mehr hinters Steuer setzen sollten? Die Betroffenen ahnen zwar oft schon, dass sie besser nicht mehr fahren sollten, aber wollen oder können aufs Autofahren nicht verzichten, um ihren Alltag zu bestreiten. Aus den Einsendungen haben wir drei Perspektiven ausgewählt.

“Ab und zu übersehe ich ein Verkehrsschild und fahre zu schnell”

Gerd Förch ist 80 Jahre alt und fährt nach wie vor Auto.

Gerade ist mein Auto zur Reparatur, da bekomme ich ein Gefühl dafür, wie ein Leben ohne wäre. Ich muss Nachbarn bitten, mir Lebensmittel mitzubringen. Das ist für ein paar Tage okay, aber langfristig ginge das nicht. Ich nutze das Auto ja nicht nur zum Einkaufen, sondern auch, um Kontakte zu pflegen, oder wenn ich mal in die 15 Kilometer entfernte Stadt will.

Wir sind vor 15 Jahren hier in Nordwestmecklenburg aufs Dorf gezogen. Seitdem ist das Auto extrem wichtig für uns, es gibt keine Alternative. Regulär fahren nur zwei Schulbusse, morgens hin und am Nachmittag wieder zurück. Zu anderen Zeiten gibt es einen Rufbus, den muss ich allerdings schon drei Tage vorher bestellen. Dafür bin ich nicht der Typ. Neulich habe ich ein E-Bike ausprobiert, aber schnell entschieden, dass mir das zu unsicher ist. Gerade in einem Dorf, wo es gar keine Radwege gibt. Ich wäre sogar bereit, mal ein Taxi zu nehmen, aber damit das hierherkommt, muss ich auch noch die 15 Kilometer Anfahrt bezahlen.

Ich spreche mit meiner Frau darüber, wie lange ich noch mit dem Auto fahren sollte. Es gibt ab und zu Situationen, wo ich zu schnell fahre, weil ich ein Verkehrsschild übersehe. Und neulich bin ich bei Rot über eine Ampel gefahren. Aber im Allgemeinen fühle ich mich noch sicher hinterm Steuer. Trotzdem achte ich darauf, dass meine Frau bei längeren Strecken neben mir sitzt und aufpasst. Lange Fahrten auf der Autobahn versuche ich zu vermeiden. Ich merke, dass der Verkehr anstrengender und hektischer geworden ist. Aber ich bin noch nicht so weit, dass ich sage, ich fahre nicht mehr.

Viele ältere Menschen behaupten, dass sie nicht schlechter fahren als früher. Aber wenn ich regelmäßig in der Zeitung lese, dass wieder ein 80-Jähriger in einen Zaun gefahren ist, kann das ja nicht stimmen. Man will seine Einschränkungen nicht wahrhaben. Und oft fehlt den alten Menschen auch ein Korrektiv. Insofern wären verpflichtende Hör- und Sehtests sicher eine sinnvolle Anpassung. Doch dann muss man den Senioren im ländlichen Bereich auch Alternativen zum eigenen Auto anbieten.

Wenn ich nicht mehr Auto fahren kann, stellt sich die Frage, ob wir hier wohnen bleiben können. Vielleicht kann meine Frau, die etwas jünger ist, noch ein paar Jahre fahren, aber im schlechtesten Fall müssen wir hier dann wegziehen.

Eva Maier* ist 70 Jahre alt und hat vor zwei Jahren ihren Kleinbus verkauft.

Ich bin immer sehr gerne und viel Auto gefahren. Mein Mann konnte froh sein, wenn er auch mal ans Steuer durfte. Wir hatten jahrelang ein Wohnmobil, mit dem wir mit Hund und Kindern in den Urlaub gefahren sind. Doch in den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass Autofahren immer anstrengender wurde. Zunächst fiel es mir nur nachts auf, doch dann musste ich auch tagsüber höllisch aufpassen, weil meine Augen schlechter wurden. Ich konnte sicher einiges durch meine große Fahrpraxis ausgleichen, aber manche Situationen kann man eben nicht vorhersehen.

Nach einem Familienfest vor zwei Jahren habe ich beim Rückwärtsausparken nachts im Regen ein anderes Auto gestreift, das war für mich ein Warnsignal. Ich wollte nicht, dass ich beim nächsten Mal einen Hund oder ein Kind erwische. Dann war ich beim Augenarzt, der hat eine Wucherung am Sehnerv diagnostiziert. Das konnte man behandeln, doch der Arzt hat mir gesagt: “Ich kann es nicht verbieten, aber Sie sollten nicht mehr Auto fahren.” Nach diesem Gespräch habe ich meinen Kleinbus verkauft.

»Ich habe jetzt einen elektrischen Roller mit drei Rädern, der Tempo 25 fährt. Das ist eine andere Art von Freiheit.«

Eva Maier*

Zum Glück war ich kurz vorher aus dem ländlichen Raum nach Mönchengladbach gezogen. Hier brauche ich eigentlich kein Auto: Ich komme zu Fuß zum Einkaufen, zu Ärzten und zum Bahnhof. Wenn ich Freundinnen besuchen will, die ländlich wohnen, frage ich meine Tochter, die nebenan wohnt, ob sie mich fährt, oder nehme mir ein Taxi. Natürlich ist es ein Verlust an Lebensqualität, dass man nicht mal eben so losfahren kann, aber im Alter geht eben manches nicht mehr. Da muss man sich anpassen.

Ich habe mir ein E-Trike gekauft, das ist ein elektrischer Roller mit drei Rädern, der maximal Tempo 25 fährt. Damit fahre ich ein paar Kilometer zu Familienbesuchen oder mal zum Baumarkt. Das macht Spaß, es ist eine andere Art von Freiheit. Und man kann damit auch fahren, obwohl man nicht mehr so gut gucken kann.

Ich fände es gut, wenn man in Deutschland, wie es auch in anderen Ländern üblich ist, in regelmäßigen Abständen die Fahrtüchtigkeit beweisen müsste, mit medizinischer Untersuchung und Fahrprüfung. Dann aber nicht nur Seniorinnen, sondern alle Autofahrer. Schließlich gibt es viele Menschen, die nicht gut fahren.

“Es ist das letzte bisschen Selbstbestimmung, das meine Eltern haben”

Renate Randow*, 59 Jahre alt, blickt mit Sorge auf die Einkaufsfahrten ihrer Eltern.

Mein Vater ist fast 90 Jahre alt, hört fast nichts mehr und kann sich kaum bewegen – und fährt trotzdem noch Auto. Immerhin sitzt meine Mutter daneben, wenn sie fahren. Lange dachte ich, das ist gut, vier Augen sehen mehr als zwei. Seit Kurzem wissen wir: Meine Mutter ist fast blind.

Meine Eltern wohnen in einem 15.000-Einwohner-Städtchen. Sie gehen nicht mehr ins Theater oder ins Kino, sie sind immer zu Hause. Außer an dem einen Tag in der Woche, an dem sie einkaufen gehen. Ihre Freunde sind entweder dement, werden gepflegt oder sie sind tot. Die, die noch da sind, leben wie Gefangene im eigenen Haus. Einkaufen ist das wöchentliche Highlight meiner Eltern. Für uns Kinder ist das Fluch und Segen zugleich. Wir freuen uns, dass sie noch rauskommen, machen uns gleichzeitig aber auch Sorgen. Unsere Horrorvorstellung ist, dass jemand zu Schaden kommt.

»Größere Unfälle gab es noch nicht, aber das Auto hat ein paar Dellen.«

Renate Randows 90-jähriger Vater fährt noch Auto

Früher haben sie immer donnerstags eingekauft, heute geht es nur noch an den Tagen, an denen mein Vater sich fit genug fühlt. Wenn meine Eltern einkaufen fahren, sieht das so aus: Mein Vater schleppt sich aus dem Haus in die große Garage. Früher standen dort drei Autos, jetzt ist nur noch die Mercedes-A-Klasse übrig. Er fährt das Auto raus, meine Mutter steigt ein. Sie fahren eine Strecke, die man in nicht mal drei Minuten gehen könnte. Aber mein Vater kann kaum mehr gehen und meine Mutter hat Angst, eine viel befahrene Straße überqueren zu müssen. Da wagen sie lieber das Abenteuer Autofahren. Bisher gab es keine größeren Unfälle, der Herrgott fährt mit ihnen. Aber das Auto hat mittlerweile ein paar Dellen, die vor ein paar Jahren noch nicht da waren. Mein Vater parkt immer direkt neben den Einkaufswagen. Hat er die erst erreicht, kann er sich prima festhalten, ein perfekter Rollator-Ersatz.

Ihre Haushaltshilfe würde für sie einkaufen, aber das wollen sie nicht. Es ist das letzte bisschen Selbstbestimmung, das sie haben. Mein Bruder hat schon vor einiger Zeit gesagt, das sei nicht mehr zu verantworten. Meine Eltern haben das sogar eingesehen und überlegt, welches der Enkelkinder das Auto bekommen würde. Ihr Fazit war dann: Irgendwann geben wir das Auto ab, aber jetzt noch nicht. Ich habe mit meinem Vater noch nie wirklich über das Thema gesprochen, aber reden ist mittlerweile eh schwer, weil er kaum mehr hört.

Der Radius meiner Eltern hat sich über die vergangenen Jahre immer mehr eingeschränkt, bis vor zwei Jahren sind sie noch einen Ort weiter zu einer besonders angesagten Metzgerei oder zum Biomarkt gefahren. Das geht jetzt nicht mehr. Jeden Tag müssen meine Eltern von einer anderen lieben Gewohnheit Abschied nehmen. Wenn mein Vater das Fahren endlich lassen würde, wäre ich einerseits erleichtert, andererseits aber auch traurig. Es wäre ein Schritt, der offenbart, wie es um ihn steht. Solange er noch fahren kann, kann es ja nicht so schlimm nicht sein, oder?

*Namen auf Wunsch der Erzählenden geändert. Die echten Namen sind der Redaktion bekannt.

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