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Wann fahren Elektro-Lkw auf die Überholspur?

Auf der Messe IAA Transportation von Hannover standen elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge schon im Mittelpunkt. Auf der Straße machen sie sich aber noch rar. Die Produkte sind zwar da, doch es fehlen die Kunden. Nach Expertenmeinung wird sich das aber ändern. Auch der FC Bayern will dabei sein.

wann fahren elektro-lkw auf die überholspur?

eTruck von MAN vor der Allianz-Arena: Hier soll ein großer Ladepark für Akku-Brummis entstehen. MAN

Die “IAA Transportation” (17. bis 22. September 2024) gilt als internationale Leitmesse für Nutzfahrzeuge und Logistik. Doch in diesem Jahr war sie für die Branche auch so etwas wie eine Leidmesse. Denn die Lkw-Hersteller leiden unter Absatzschwund. Sie bekommen die Auswirkungen der schwächelnden Wirtschaft zu spüren. Güter, die nicht verkauft werden, brauchen keinen Transport und damit auch keine Laster. MAN beispielsweise meldet für das erste Halbjahr 2024 einen Auftrags-Rückgang um 26 Prozent sowie ein Absatz-Minus von 12 Prozent. Auch die Zahlen von Daimler Truck sehen im Vorjahresvergleich nicht gut aus, von Januar bis Juli haben die Schwaben 14 Prozent weniger Lastwagen und Busse verkauft.

Strenger Marschplan von der EU

Der schlechte Geschäftsgang trifft die Lkw-Bauer just zu einer Zeit, in der sie eigentlich hohe Investitionen in die Transformation ihrer Produkte hin zu mehr Klimafreundlichkeit treffen müssen – und die wirtschaftlich oft ebenfalls lädierten Kunden sollen die neuen Öko-Laster ausgerechnet jetzt kaufen. Schwere Nutzfahrzeuge werden für mehr als ein Viertel der im EU-Straßenverkehr anfallenden CO2-Emissionen verantwortlich gemacht, am gesamten Treibhausgasausstoß tragen sie nach Ansicht der Europäischen Union sechs Prozent. Deshalb sollen die Hersteller – ausgehend von 2019 – bis 2030 den CO2-Ausstoß ihrer neu zugelassenen Fahrzeuge um 45 Prozent senken, bis 2035 um 65 Prozent und bis 2040 um 90 Prozent. Eine große Aufgabe. “Die Emissionen aus dem Straßenverkehr steigen, und wir müssen diesen Trend umkehren”, sagte Anfang 2024 die damals amtierende EU-Kommissarin für Klimapolitik, Wopke Hoekstra; die Einigung werde “Lkw und Busse weniger umweltschädlich machen, die Emissionen senken und die Luftqualität in der gesamten EU verbessern”.

Für die Lasterfabrikanten bedeutet das, dass sie auf mehreren Hochzeiten tanzen müssen. Den Diesel aus den Augen zu verlieren, können sie sich noch nicht leisten, gleichzeitig gilt es eben, Milliarden in die Entwicklung alternativer Antriebe zu stecken. Hier kristallisiert es sich zunehmend heraus, dass batterieelektrische Technik gegenüber der lange favorisierten Wasserstoff-Brennstoffzelle das Rennen macht. So gut wie alle großen Hersteller von Volvo, DAF, MAN und Scania bis hin zu Daimler Truck, Iveco oder Renault haben inzwischen Akku-Lkws vorzuzeigen. Und auf der IAA Transportation hat sich die Branche dafür gebührend gefeiert. “Mit großem Engagement, hohen Investitionen und beeindruckenden Innovationen” werde die Transformation vorangetrieben, lobte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), und Manfred Daum – scheidender Chef von Daimler Truck – betonte, dass sein Unternehmen die “Vision für den nachhaltigen Transport der Zukunft schon vor Jahren vorgestellt” habe, die Messe stehe “nun ganz klar im Zeichen der Umsetzung”.

Deutschland führt

Tatsächlich sind die Produkte zunehmend schon da – nicht aber die Kunden. Den Zahlen des europäischen Verbands der Automobilhersteller (ACEA) ist zwar zu entnehmen, dass in Europa die Neuzulassungen von Elektro-Lkw zuletzt deutlich gestiegen sind, im ersten Halbjahr 2024 hat der Zuwachs 51,6 Prozent betragen. 53 Prozent an diesem Plus trägt Deutschland und ist damit führend, gefolgt von den Niederlanden und Frankreich. Doch gerade in Osteuropa ist von einem Aufwärtstrend nichts zu spüren. Und ganz generell handelt es sich bei fast 96 Prozent der Laster noch um Diesel, keine zwei Prozent zählen zur Elektro-Garde. Auch in den Verkaufsbilanzen der Hersteller führen die dicken Stromer bislang nur eine marginale Randexistenz, bei Daimler, MAN und Scania beispielsweise liegt ihr Anteil am Absatz deutlich unter einem Prozent.

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E-Laster kosten viel Geld, im Vergleich zu einem Diesel-Brummi muss die zwei- bis dreifache Kaufsumme aufgebracht werden. Und dabei dürfe nicht vergessen werden, “dass man einen Pkw mit dem Herzen kauft, einen Lkw aber mit dem Taschenrechner”, wie DAF-Chef Harald Seidel gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte.

Superstarkes Laden während der Ruhepause

Auch die begrenzte Reichweite und eine unbefriedigende Ladeinfrastruktur lassen die Kundschaft zögern. Einen Lkw mit Strom zu versorgen ist nicht trivial. Es braucht Ladestationen mit viel Platz, vor allem aber fehlen derzeit noch die starken Megawatt-Charger (MCS), an denen mit bis zu 1200 Kilowatt geladen werden kann und die es den Lkw-Fahrern und -Fahrerinnen ermöglichen, während ihrer nach viereinhalb Stunden ohnedies vorgeschriebenen 45-minütigen Ruhepause Strom zu beziehen. Bislang wird hauptsächlich das sogenannte Depot-Laden praktiziert, das über Nacht auf den Betriebshöfen stattfindet und bedingt, dass der Laster sich nur in einem engen, regionalen Radius bewegt, nicht aber auf die Fernstrecke geht.

Es sei “unerlässlich, dass Politik, Energiebranche und Industrie gemeinsam den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur voranbringen”, mahnt Karin Rådstrom, designierte Nachfolgerin von Martin Daum auf dem Chefsessel von Daimler Trucks. Aktuell hat der Bund ein Vergabeverfahren für den Aufbau eines Lkw-Schnellladenetzes angeschoben, in den nächsten Jahren sollen deutschlandweit an rund 130 (unbewirtschafteten) Raststätten Ladeparks für E-Brummis entstehen, bewirtschaftete Anlagen, so der Plan, werden folgen.

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Auch andere Initiativen gibt es bereits: An der ideal an einem Autobahndrehkreuz gelegenen Münchner Allianz-Arena beispielsweise ist schon der öffentliche Startschuss für einen großen Ladepark gefallen, an dem täglich bis zu 500 elektrische Lkw und Busse Megawattladen können, unter anderem der erste eReisebus des FC Bayern, den MAN dem Verein in der Saison 2025/26 übergeben will.

Mercedes-Truck mit 500 Kilometern Reichweite

Auf das extrem starke MCS-Laden wird auch der neue Mercedes eActros 600 vorbereitet, den Daimler Trucks auf der IAA Transportation in den Mittelpunkt gestellt hat hat. Drei Batteriepakete mit einer Gesamtkapazität von 621 kWh sollen eine maximale Reichweite von 500 Kilometern ermöglichen, voll beladen, also unter Berücksichtigung von 40 Tonnen Gesamtzuggewicht. Läuft alles nach Plan, startet die Serienproduktion Ende November 2024. Allerdings wird der eActros in Wörth am Rhein parallel neben den Diesel-Lkw vom Band laufen. Auf diese Weise kann die Fertigung flexibel an eine möglicherweise schwankende Nachfrage angepasst werden. MAN geht ähnlich vor. Die Vorsichtsmaßnahme macht Sinn. Denn wie ungut es enden kann, Werke komplett auf Elektroautos umzustellen, zeigt sich aktuell am Beispiel Volkswagen, wo aufgrund des eingebrochenen Kundenzuspruchs bekanntermaßen die Schließung ganzer Produktionsstätten im Raum steht.

Optimistische Prognose

Auch wenn schwere Elektro-Lkw derzeit noch kaum im Straßenbild zu sehen sind, beurteilen Fachleute die Perspektive dennoch optimistisch. Bis 2030, so schätzt die zur Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC gehörende Unternehmensberatung Strategy&, wird weltweit mehr als jeder fünfte Lkw und Bus batterieelektrisch fahren, 2040 könnten es bereits 90 Prozent sein.

Strom günstiger als Diesel

Hinter dem Aufwärtstrend stehen nach Ansicht der Experten verschiedene “Treiber”. Auf der einen Seite seien Reichweitensprünge auf bis zu 900 Kilometer zu erwarten, außerdem verdreifachte Ladegeschwindigkeiten und nicht zuletzt schärfere CO2-Vorschriften, die in bestimmten Bereichen auch Fahrverbote für konventionell angetriebene Brummis auslösen können. Die andere Seite ist die wirtschaftliche: Die Preise für den elektrischen Antriebsstrang dürften sinken, vor allem aber zeichnet sich perspektivisch ein deutlicher Vorteil bei den Gesamtkosten ab. Denn in Sachen Wartung erfordern Elektro-Lkw niedrigere Aufwendungen als dieselbetriebene, von der Streckenmaut sind sie befreit. Idealerweise beziehen sie Strom über die betriebseigene Photovoltaikanlage. Und kommerzieller Strom wiederum ist nicht überall so teuer wie in Deutschland – gerade auf ihren Auslandsreisen können Elektro-Brummis mitunter billiger “tanken” als ihre dieselbetriebenen Brüder.

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