Caravaning

Von Quedlinburg bis auf die Insel Rügen - Einsteiger-Tour im VW California

Für den Fotografen Udo Bernhart ist es die erste Campingtour in seinem Bulli. Er nimmt uns mit in den Nordosten von Deutschland. Auf seiner Route liegen viele schöne Orte und Campingplätze.

von quedlinburg bis auf die insel rügen - einsteiger-tour im vw california

Die Endstation der Reise in Richtung Nordosten: Molenfeuer von Sassnitz auf der Insel Rügen.

Einfach spontan sein, losfahren, sich treiben lassen, ohne vorher groß zu planen … wer träumt davon nicht? Die Pandemie hat das Reiseverhalten der Menschen verändert. Ziele im eigenen Land sind hip, und Reisen mit dem Wohnmobil erfreuen sich größter Beliebtheit. Unterwegs mit Wohnmobil, Fahrrad und Kamera – von einer solchen Reise habe ich schon immer geträumt. Wie so oft im Leben kam mir der Zufall zu Hilfe.

2019 bekam ich den Auftrag, einen DuMont-Bildatlas über Island zu fotografieren. Die Planung einer solchen Reise sowie die Reservierung der Unterkünfte im Voraus ist eine Mammutaufgabe, die einerseits sehr zeitaufwendig ist und andererseits später bei der Reise sowohl Spontanität als auch Flexibilität einschränkt. Also entschloss ich mich, mir einen Allrad-Bulli zu kaufen. Als das Auto dann da war, machte Island Coronabedingt die Grenzen dicht, und das Projekt wurde auf Eis gelegt.

Entdeckungen im Nordosten

Aus Island wurden “Besondere kleine Städte in Deutschland”, und so kam es zu meiner Camper-Einsteiger-Tour mit dem VW California in den Nordosten Deutschlands. Erstes Ziel ist die Altstadt der Welterbestadt Quedlinburg im Harz. Mein besonderes Interesse gilt der historischen Altstadt mit ihren verwinkelten, mit Kopfstein gepflasterten Gassen, schmucken Plätzen und Fachwerkhäusern, dem Schlossberg mit der romanischen Stiftskirche und dem Münzenberg gegenüber. Im Tal dazwischen liegt der Brühl-Park und die Kirche St. Wiperti.

Um nahe am Geschehen zu sein, fahre ich den Park- und Stellplatz Marschlinger Hof mitten in der Altstadt an. Natürlich sind an einem Nachmittag im August alle Stellplätze schon belegt. Also stelle ich mich notgedrungen mit meinem Bulli auf den einzigen noch freien Parkplatz, ziehe für fünf Euro ein 24-Stunden-Ticket und mache mich mit meiner Kamera auf den Weg. Die erste kurze Nacht als Camper-Rookie verbringe ich also nicht wie ursprünglich geplant in wilder Natur auf Island, sondern auf einem ruhigen Stadtparkplatz in Sachsen-Anhalt. Den ich dann früh am Morgen, als es noch ruhig ist, in Richtung Teufelsmauer verlasse.

Die bizarren Felsrippen die unwirklich, fast mystisch auf einer Länge von 20 Kilometern aus dem Boden ragen, sind imposanter und größer als erwartet, beflügeln die Fantasie und erscheinen genau richtig für einen ausgedehnten Morgenspaziergang. Wie eine riesige Mauer trennt die Sandsteinwand die Landschaft. Auf den Sandböden unter den Harzklippen, die Adler- oder Cäsarfelsen heißen, blühen seltene Pflanzen wie das Berg-Sandglöckchen, Kartäuser-Nelke und Sand-Thymian. Ich bin begeistert und überrascht von so viel wilder Natur, und fast fühle ich mich, obwohl mitten in Deutschland, in einen der spektakulären Nationalparks der USA versetzt.

Ein toller Ausblick am Morgen

Noch am gleichen Tag fahre ich weiter Richtung Müritz zum größten Binnensee Deutschlands. Der Campingpark Kamerun, den ich ansteuere, liegt in der Stillen Bucht am Nordufer der Müritz und ist riesig. Allein das Einchecken hat etwas vom Schlangestehen an der Kasse in einem großen Supermarkt. Ich habe Glück und ergattere einen Stellplatz direkt am Seeufer, mit Strom und Wasseranschluss.

Für mich eine Premiere: Das Anschließen mit den verschiedensten Adaptern und Steckern klappt auf Anhieb, und hier kann ich auch das erste Mal mein Aufstelldach ausfahren. So hat meine kleine Einzimmerwohnung volle Stehhöhe mit Blick auf die Binnenmüritz – wie cool! Aber was ist das? Da fährt einer sein Wohnmobil auf den Steg und von dort auf eine schwimmende Plattform. Seecamper nennt sich das Gefährt, welches das Wohnmobil zum Hausboot werden lässt. So kann man vom Wohnmobilpark Kamerun mit seinem eigenen Camper oder Wohnwagen eine kleine mehrtägige Schiffsreise auf der Mecklenburgischen Seenplatte machen.

Über einen sehr schönen, direkt am Wasser liegenden Weg ist es nicht weit in das Zentrum von Waren. Ein Bilderbuchstädtchen, das über dem malerischen Stadthafen auf einer kleinen Anhöhe zwischen Tiefwarensee und Binnenmüritz liegt. Die Altstadt mit ihren liebevoll restaurierten Fachwerkhäusern und den beiden Kirchen St. Marien und St. Georgen, dem Alten und Neuen Rathaus am Neuen Markt lädt zum Flanieren ein und lässt Urlaubsgefühle aufkommen.

Spontan entscheide ich mich, einen Tag länger zu bleiben, umrunde mit dem Rad den Tiefwarensee. Schöner kann Radeln nicht sein. Der unbefestigte, knapp zehn Kilometer lange Naturweg, idyllisch am Wasser gelegen, ist herrlich zu fahren, und weil’s so schön ist, radle ich noch auf einen Abstecher in den Müritz-Nationalpark.

Er gehört mit seinen Wäldern, Mooren und Seen zu den schönsten im ganzen Bundesgebiet, und gerne könnte man sich auf der Mecklenburgischen Seenplatte auch Wochen aufhalten. Für mich die größte Überraschung auf dieser Reise, und sicher komme ich mit etwas mehr Zeit wieder.

Unterwegs in Wismar

Mein nächstes Ziel ist die Hansestadt Wismar. Am Westhafen finde ich mit etwas Glück einen kleinen Stellplatz. Zu Fuß nur 15 Minuten vom Stadtzentrum entfernt – ideal. Ein offensichtlich selbsternannter Platzwart und Dauercamper weist mich ein und erklärt mir genau, wie das hier auf dem Platz funktioniert und wann man am besten zum Duschen geht.

Mein erster Kontakt mit der Kulturerbe-Stadt lässt mich staunen. Wismar besitzt mit seinen mächtigen Backsteinkirchen, dem großen Marktplatz mit der Wasserkunst, dem Alten Schweden am Fürstenhof, den sorgsam restaurierten Bürgerhäusern einen der besterhaltenen und schönsten mittelalterlichen Stadtkerne Europas.

Die Altstadt hat sich bis heute den Charme einer Hansestadt aus der Blütezeit des 14. Jahrhunderts erhalten. Es macht großen Spaß, sich die einzelnen Sehenswürdigkeiten zu erlaufen und zu fotografieren. Der Bulli dient nur als stadtnaher Schlaf- und Arbeitscontainer.

An der Küste angekommen

In einer ganz anderen Welt befindet man sich nur eine Autostunde entfernt im ältesten Seebad der Ostseeküste, in Heiligendamm. Hier steht Strandkorb an Strandkorb, alle mit dem Rücken gegen den frischen Wind. Hinweisschilder wie “Nichtraucherstrand” lassen mich schmunzeln. Der Ostsee-Grenzturm Börgerende, der weit sichtbar über die Stranddüne ragt, erinnert an DDR-Zeiten.

Einst diente er der Grenzbrigade Küste als Beobachtungsturm. Früher waren es 27, aber nur zwei davon hat man nach der Wende stehen lassen. Im Windschatten der Stranddüne strampeln ganze Kolonnen von Radfahrern in Richtung Heiligendamm. Die hellen klassizistischen Bauten entlang der Strandpromenade sind mondän, weltberühmt und werden auch “Weiße Stadt am Meer” genannt.

Hier hat Europas Adel im letzten Jahrhundert die Sommerferien verbracht. 2007 trafen sich hier Staats- und Regierungschefs zum G8-Gipfel. Die Verbindung eines Aufenthalts am Meer in frischer Seeluft mit ausgedehnten Spaziergängen durch üppige Buchenwälder und Moorheilbäder sowie Ostseewasser garantiert damals wie heute ausgezeichnete Heilerfolge und macht das Seeheilbad zu einem wahren Gesundbrunnen. Heute noch gilt Heiligendamm als Wiege der Thalasso-Therapie.

Wer einen Abstecher zur Klosteranlage in Bad Doberan machen möchte, bedient sich am besten der Schmalspurbahn namens “Molli”. Seit mehr als hundert Jahren transportiert sie dampfend und schnaufend Badegäste und Touristen zwischen Bad Doberan und dem Seebad und ist nebenbei ein ganz besonderes Eisenbahnerlebnis.

Mein VW-Bus steht im Ferien-Camp Börgerende, einen Steinwurf von der Ostsee entfernt, auf einem gepflegten Campingplatz mit modernen Sanitäranlagen, Restaurant, Sauna und Ferien-Atmosphäre, die keine Wünsche offenlässt. Die gute Lage bietet kurze Wege zum Strand und garantiert mildes, angenehmes Meeresrauschen rund um die Uhr. Ein Platz, an dem man gerne bleiben möchte. Mich aber treibt es weiter in die nordöstlichste Ecke Deutschlands – dem Ende meiner Reise.

Im Inselfieber

Zwei Superlative: Über Deutschlands größte Schrägseilbrücke, die sich über den Strelasund spannt, geht es auf Deutschlands größte Insel, Rügen. Mich zieht es in den Nordosten auf die kleine Halbinsel Jasmund. In der Nähe von Lohme und nur drei Kilometer vom Königsstuhl entfernt gibt es einen kleinen Naturcampingplatz im Wald. Ein Platz, der mir mehr das Gefühl vermittelt, auf einer Alm in Südtirol zu sein als am Meer. Es ist alles sehr einfach, der Platzwart schrullig und das Buchen der Frühstücksbrötchen für den nächsten Tag beim Einchecken Pflicht, vorausgesetzt man möchte bleiben.

Die zehn Kilometer hinunter nach Sassnitz fahre ich mit dem Rad über gepflasterte, holprige Straßen. Von oben treffe ich auf die 250 Meter lange Fußgänger-Hängebrücke, die vom Lenin-Denkmal direkt hinunter zum Hafen führt. Die einseitig aufgehängte Brücke ist das Wahrzeichen der Stadt und wird von den Sassnitzern gerne als “Balkon mit Meerblick” bezeichnet.

Von hier hat man einen weiten Blick auf die Ostsee, den Stadthafen mit Außenmole, dem U-Boot HMS Otus und dem Museum für Unterwasserarchäologie sowie Fischerei- und Hafenmuseum. Unten am Hafen tummeln sich ganze Scharen von Touristen, und es braucht viel Geduld, um sich ein leckeres Fischbrötchen zu ergattern.

Ich habe Glück mit dem Wetter, das Meer ist ruhig, ideale Bedingungen für eine Wanderung entlang der Kreideküste. Direkt am Wasser unter den weißen Felsen entlang. Es geht vorbei an abgestürzten Bäumen, angeschwemmten Holzresten. Der Strand ist voll von Steinen in allen Größen und Formen, und immer wieder trifft man auf Menschen, die auf der Suche nach Bernstein den Strand umgraben. Für mich wird es eine der schönsten Küstenwanderungen, die ich je gemacht habe, und am liebsten wäre ich die zehn Kilometer bis zum Königsstuhl gelaufen. Aber mein Rad wartet in Sassnitz, und deswegen muss ich auf halbem Weg umkehren.

Zurück geht es über einen neuen, zwölf Kilometer langen, gerade erst eröffneten, sehr schönen Radweg. Über den Höhenrücken der Stubnitz führt er durch dichte Buchenwälder vorbei an Kesselmooren, wo Mehlschwalben, Kreideeulen und Eisvögel nisten, bis zum Nationalparkzentrum Königsstuhl. Auf der kleinen Aussichtsplattform, der Victoriasicht, endet meine Reise in Deutschlands Nordosten. Der Blick auf die Reste der Wissower Klinken zeigt mir in eindrucksvoller Weise die stete Veränderung der Küste Rügens.

Das Fazit

In nur einer Woche Camperurlaub habe ich viel Unterschiedliches erlebt und dazugelernt. Dort zu bleiben, wo es einem gerade gefällt, ist ein Privileg. Das Angebot an gut ausgestatteten und einladenden Camping- und Stellplätzen ist in Deutschland groß. Sogar während meiner Reise in der Hochsaison im August, wo so gut wie alles ausgebucht war und eine Vorreservierung in den meisten Fällen nicht möglich war, habe ich die Erfahrung gemacht, dass man zwischen zehn und elf Uhr vormittags immer spontan einen Platz finden kann.

Der Nordosten Deutschlands ist voll von schönen Orten, die dazu einladen, das Land kreuz und quer zu bereisen und sich an immer neuen, unbekannten Plätzen niederzulassen. Das Reisen im Wohnmobil ermöglicht es zudem, Land und Leute intensiver kennenzulernen, ohne auf eine vorherige Hotelbuchung angewiesen zu sein.

Nie hätte ich gedacht, dass eine Recherchereise mit dem Bulli, Fahrrad und Kamera so entspannt und unkompliziert sein kann.

Wer ist Udo Bernhart?

Aus Südtirol stammt der freie Fotograf und Fotojournalist, er lebt aber seit über 40 Jahren in Frankfurt am Main, von wo aus er zu seinen Auftragsorten auf der ganzen Welt reist. Die Bilder und Reportagen von Udo Bernhart werden in nationalen und internationalen Magazinen und Büchern veröffentlicht und in Fotoausstellungen gezeigt, unter anderem in der renommierten Leica-Fotogalerie.

1996 erhielt er die Auszeichnung für die beste Einzelausstellung durch den Deutschen Verband für Fotografie. Udo Bernhart ist außerdem Autor von über 100 Bildbänden und Reiseführern. In seinem umfangreichen Archiv finden sich Fotografien von Alaska bis Feuerland und von Kamtschatka bis zur Osterinsel.

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