©Â Foto: Volvo
“S” wie Schweden, mit diesem Typencode rollte das anfangs in England gebaute Sportcoupé Volvo 1800 S ab Sommer 1963 in Göteborg vom Band. Erst in schwedischer Qualität startete der formvollendete Sportler eine märchenhafte Karriere, die im “Schneewittchensarg” 1800 ES kulminierte.
60 Jahre Volvo 1800 S
Volvo 1800 S mit zweitem Leben
Dann das Desaster: Aus Kostengründen ließen die Göteborger den P1800 bei Jensen bauen, aber der englische Sportwagenspezialist ließ es an Feinschliff fehlen, alle Autos mussten aufwändig nachgebessert werden. Deshalb startete das Sportcoupé erst im Sommer vor 60 Jahren in sein zweites, langes Leben: als Volvo 1800 S, mit einem “S” für schwedische Qualität. Mit dem Traumwagenstyle der schnelllebigen 1950er noch die Avantgarde der 1970er aufmischen: Der Volvo 1800 S mutierte zum Kultsportwagen und als sensationeller “Schneewittchensarg” 1800 ES ab 1971 zum Pionier des modernen Shootingbrake.
Noch weiter gingen drei Volvo Concept-Cars aus den Jahren 2013/2014, die sowohl den 1800 S als auch den 1800 ES zitierten: “Die Volvo 1800er Modelle sind echte Ikonen, bekannt für ihre wunderschönen Formen und Details. Wir nutzen diese feinen Reminiszenzen an unsere glorreiche Vergangenheit, um eine Zukunft zu kreieren, in der klare Schönheit zu einem anerkannten Teil der Volvo-Identität wird”, führte der damalige Volvo-Designchef Thomas Ingenlath aus. Was er damit meinte, zeigte Ingenlath 2017 als neu ernannter Polestar-Chef mit dem Polestar 1, dem ersten eigenständigen Modell der schwedischen Elektromarke. Der Polestar 1 transferierte die Konturen der Concept Cars und damit des 1800 S in die Gegenwart.
Volvo EX30
Volvo 1800 S mit großen Rädern
Auch Volvo lässt den Spirit des 1800 bis heute weiterleben: Robin Page, im Jahr 2021 Designchef bei Volvo, erläuterte damals, dass der bis heute angebotene Elektro-Crossover C40 ebenfalls Bezug nimmt auf das Coupé-Profil des 1800 S. Angeblich sollen sogar Designcharakteristika des für Volvo ikonischen 1800 im neusten SUV-Entwurf der Schweden erkennbar sein, zeigt sich der Volvo EX30 doch wie sein legendärer Vorfahre mit großen Rädern, relativ viel Radstand und fast gleich langen Überhängen vorn wie hinten zugunsten ausgewogener Proportionen.
Volvo EX30 (2023)
Volvo 1800 S im Guiness Buch
Bei Aston Martin wiederum waren sie beeindruckt vom Potential des Volvo Sportscars, testeten den 1800 sogar mit einem 2,5-Liter-Vierzylinder, der fulminante 110 kW /150 PS freisetzte. Ambitionen zur Serienfertigung in Kooperation mit Volvo zeigten die Briten jedoch nicht, anders als Facel Vega. Das französische Luxuslabel vertraute beim Modell Facellia auf die zuverlässigen B18B-Vierzylinder, die sich im 1800 S weltweit bewährten.
So gewann der Volvo im südlichen Afrika den Ruf eines fast unzerstörbaren Bushracers, während der Amerikaner Irv Gordon das Knacken der Drei-Millionen-Meilen-Marke (4,8 Millionen Kilometer) in einem roten 1800 S mit einem Eintrag ins “Guinness Book of Records” feierte. “In Schweden leben Volvos und Menschen länger”, lautete eine Volvo-Werbung aus den 1960ern, die speziell die Amerikaner faszinierte. Ein Volvo 1800 kannte keine “Planned Obsolence” durch rasche Designwechsel, wie sie Detroiter Produkte kennzeichneten.
Kleine Aktualisierungen wie modifizierte Kühlergrills, die Einführung eines 2,0-Liter-Vierzylinders (B20B) im Jahr 1968 und eine Benzineinspritzung im Folgejahr genügten, um den Sportler attraktiv zu halten. Als schließlich doch tiefgreifende Eingriffe erforderlich waren, verwandelte sich das Coupé 1971 in den Shootingbrake 1800 ES, der trotz hoher Preise vor allem bei US-Kunden verfing. Hinter seiner riesigen, rahmenlosen Glasklappe mit glänzendem Griff fand sich Platz für die feine Golfausrüstung, die hier wie in einer Vitrine zur Schau gestellt wurde. Für diesen “Flying Trunk” (Fliegenden Kofferraum) zahlten die Amis bereitwillig mehr Geld als für einen Porsche 911. Sogar über 26.000 Mark verlangte Volvo in Deutschland für die gläserne Lichtgestalt, die schon während ihrer zweijährigen Bauzeit als “Schneewittchensarg” Kultstatus erreichte.
Welche Bedeutung der in gut 8.000 Einheiten gebaute Volvo 1800 ES in der Oldtimerszene hat, erläutert Experte Martin Heinze von der Bewertungsorganisation Classic Analytics: “Als Volvo Anfang der siebziger Jahre den 1800 ES vorstellte, war die Nische der Sportkombis eigentlich noch gar nicht richtig erfunden, deutsche Käufer fremdelten daher etwas mit dem Gesamtkonzept, anders die aufgeschlossenen Amerikaner, in deren Land ein großer Teil der Produktion exportiert wurde. Gute Exemplare des ‚Schneewittchensargs‘ kosten heute etwa 28.700 Euro.”