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Top-Chemiker entlarvt Mythen über E-Fuels: Keine echte Alternative zu E-Autos

top-chemiker entlarvt mythen über e-fuels: keine echte alternative zu e-autos

Top-Chemiker entlarvt Mythen über E-Fuels: Keine echte Alternative zu E-Autos

In den vergangenen Wochen gab es eine Menge Aufregung um die Frage, sollen beziehungsweise können denn die sogenannten E-Fuels in Kombination mit dem Verbrennungsmotor eine sinnvolle Alternative zu Elektrofahrzeugen sein und werden sie den Verbrennungsmotor „retten“ können.

Dabei wurden eine Menge von Hoffnungen und Erwartungen geäußert, insbesondere seitens des Bundesverkehrsministeriums in Berlin. Diesen wurde dann prompt von Wissenschaftlern und anderen Stellen vehement widersprochen.

Wodurch kommt diese Kontroverse zustande? Lasst uns versuchen, einige Dinge zu beleuchten, andere klarzustellen und Perspektiven aufzuzeigen. Zuerst aber die Frage:

E-Fuels sind brennbare Flüssigkeiten, die als Treibstoffe (englisch „fuel“) eingesetzt werden und die unter Zuhilfenahme von elektrischem Strom aus dem CO₂ in der Atmosphäre und Wasserstoff (H₂) erzeugt werden können. CO₂ muss dazu unter Zuhilfenahme von elektrischem Strom aus der Atmosphäre abgeschieden werden. Wasserstoff gewinnt man durch die sogenannte Elektrolyse, also einer elektrischen Spaltung von Wasser.

Die beiden Gase bringt man in einer chemischen Syntheseanlage zur Reaktion und erhält dann als Erstes den Alkohol Methanol. Dieser kann dann entweder direkt verwendet werden, oder man setzt ihn in weiteren chemischen Prozessschritten zu Kerosin und Diesel um. Das ist dann ein eigenes Produkt und nicht zu verwechseln mit dem im aktuellen Benzin beigemischten Anteil von Biokraftstoff, der aus Pflanzen stammt.

Die einzelnen Prozessschritte sind recht energieaufwendig. Dadurch werden zur Herstellung eines Liters E-Diesel insgesamt etwa 23 bis 27 kWh Strom benötigt. In den für 100 Kilometer Fahrt benötigten 5 bis 6 Litern Kraftstoff stecken damit 110 bis 160 kWh elektrischer Energieaufwand. Mit dieser Energiemenge kann ein Elektroauto je nach Größe und Verbrauch 700 bis 1000 Kilometer weit fahren. Beim Elektroauto kommen circa 75 Prozent der Energie aus der Windanlage am Rad an, beim Verbrenner mit E-Fuel sind es etwa 10 bis 13 Prozent. Der Rest geht als Wärme in die Umgebung verloren. Aufgrund dieses Umstands ist es wenig wahrscheinlich, dass E-Fuels, die in unseren Breiten hergestellt werden, gegenüber einem elektrischen Antrieb konkurrenzfähig sein werden, da immer ein 6- bis 8-Faches an Strom aufgewendet – und bezahlt – werden muss.

Das Verfahren selbst wurde vor knapp 100 Jahren in Deutschland entwickelt, damals erzeugte man die Grundstoffe aus Kohle und Wasser – die sogenannte Kohleverflüssigung war geboren, das Produkt nannte sich „Leuna-Benzin“. Heute wird an diesem bereits recht gut entwickelten Prozess weitergeforscht mit dem Ziel, ihn zu optimieren und die Anlagentechnik weiterzuentwickeln.

Häufig wird hervorgehoben, dass man für E-Fuels die bisherige Tankstelleninfrastruktur nutzen könnte. Das ist prinzipiell richtig, allerdings muss man sich bis 2035 möglicherweise auf ein recht ausgedünntes Tankstellennetz einstellen. Gerade hat der erste Betreiber von 1300 Tankstellen in Deutschland, TotalEnergies, seinen Rückzug vom Geschäft mit Flüssigkraftstoffen angekündigt und will in Zukunft nur noch E-Ladesäulen und eventuell Wasserstofftanksäulen in Verbindung mit gemütlichen Cafés und Erlebnisshops anbieten. Es ist wahrscheinlich, dass weitere Anbieter folgen werden, da der Verkauf von Diesel und Benzin wenig lukrativ geworden ist.

In Diskussionen wird oft auch die Erwartung geäußert, dass man jetzt einfach nur mal E-Fuels befürworten müsse – dann seien die auch in zwei oder drei Jahren für jedermann verfügbar. Und insbesondere könne man auf diese Weise die sogenannte Bestandsflotte „klimaneutral“ machen. Wie realistisch dies ist, zeigt der folgende Abschnitt.

In der Bundesrepublik ist derzeit geplant, bis 2030 so viel E-Fuel herzustellen, dass damit ein (!) Airbus auf der Strecke Hamburg–München regelmäßig betrieben werden kann. Damit lässt sich also bis auf weiteres keine Pkw-Bestandsflotte versorgen. Die Hoffnungen ruhen deshalb eher auf der Produktion der Kraftstoffe in Weltgegenden, in denen häufig die Sonne scheint oder der Wind weht. Die größte Anlage weltweit befindet sich deshalb auch im windreichen Haru Oni in Patagonien in Chile und wurde kürzlich in einer ersten Ausführung in Betrieb genommen. Sie soll bis 2030 um den Faktor 4200 vergrößert werden und bis dorthin 550 Millionen Liter E-Fuel pro Jahr erzeugen.

Das erscheint viel, entspricht aber nur circa 1 Prozent des deutschen Kraftstoffbedarfs, welcher im Moment etwa 50 Milliarden Liter pro Jahr beträgt. Wenn wir dann noch in Betracht ziehen, dass auch andere Länder Bedarf haben, bräuchte man etwa 5000 bis 7000 solcher Anlagen, um die Bedarfe zu decken – und um damit einen merklichen Klimaeffekt zu erzielen. Wo diese Anlagen stehen und wann die in Betrieb gehen sollen, ist nicht bekannt. Der Ausbau in Haru Oni stockt derzeit, denn die lokalen Behörden haben keine Genehmigung für die Errichtung der Windkraftanlagen erteilt. Außerdem gibt es noch keine Anlage zur CO₂-Abscheidung, weshalb das CO₂ für den Prozess derzeit in einem Tankwagen angeliefert wird. Dieses wurde allerdings nicht aus der Luft gewonnen.

Generell scheint die CO₂-Abscheidung aus der Luft ein Kernproblem darzustellen. Die derzeit größte Anlage zur „direct air capture“ (DAC), also zur direkten Abscheidung von CO₂ aus der Luft, produziert aktuell 4000 Tonnen CO₂ pro Jahr. Die oben genannten 550 Millionen Liter E-Fuel in Haru Oni erfordern aber eine Abscheidung von 600.000 Tonnen CO₂ aus der Luft, also 150 dieser Anlagen. Zurzeit ist unklar, wann diese aufgebaut und in Betrieb gehen werden.

Wenn man vor diesem Hintergrund noch in Betracht zieht, dass große Reeder wie Maersk aus Dänemark ihre neue Flotte bereits auf den Betrieb von E-Methanol vorbereiten und dass auch Flugzeuge mit E-Fuel versorgt werden müssen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass bis 2035 nennenswerte Mengen an E-Diesel oder E-Benzin für die deutsche Pkw-Flotte bereitstehen werden.

Von der Politik werden E-Fuels immer wieder als „klimaneutral“ beworben. Klimaneutral ist aber keine der aktuellen Antriebsformen. Weder der aktuelle Verbrenner noch das E-Auto noch das Wasserstoffauto – und auch nicht der Verbrenner, der mit E-Fuels betrieben wird. Hauptgrund dafür ist die sehr aufwendige Herstellung des synthetischen Kraftstoffs, mit der eine Menge Treibhausgasemissionen verbunden sind.

Aktuelle Studien, darunter die der International Council on Clean Transportation (ICCT),  kommen zum Ergebnis, dass ein Klimavorteil erst dann eintritt, wenn der Strom zur Herstellung von E-Fuels mindestens 80 Prozent Grünstrom enthält. Weiter liegen die Treibhausgasemissionen eines Verbrenners mit E-Fuels etwa um ein Drittel über denen eines E-Autos. Das E-Auto ist deshalb derzeit die Lösung, die über den Lebenszyklus des Fahrzeugs gerechnet mit Abstand die wenigsten Treibhausgase erzeugt.

Auf den Straßen werden durch den Weiterbetrieb des Verbrenners – auch mit E-Fuels – weiterhin Abgase, Ruß und Stickoxide ausgestoßen und die Städte bleiben laut und voller Vibrationen. Dies ist ein echter Nachteil gegenüber dem vollelektrischen Pkw, der nahezu lautlos, ohne Vibrationen und ohne Schadgase auszustoßen, durch die Stadt gleitet. Der Wasserverbrauch in der Atacama-Region geht laut dem chilenischen Minenministerium, welches die Wasserrechte vergibt, an folgende Abnehmer: zu 80 Prozent in die Kupfererzproduktion (BHP Biliton und Zalivar), zu 10 Prozent in die Lithiumproduktion (SQM und Albemarle) und zu 10 Prozent an die Hotels am Atacamasee.

Für die Produktion von sechs Kilogramm Lithium in einem Autoakku werden circa 3000 bis 4000 Liter Wasser benötigt. Die gleiche Menge benötigt man für die Herstellung von einem T-Shirt, einer halben Jeans, von 250 Gramm Rindersteak, zehn Avocados oder 20 Tassen Kaffee.

Der sogenannte CO₂-Rucksack bei der Batterieherstellung sinkt gerade dramatisch, da praktisch alle Hersteller mit erneuerbarer Energie produzieren. Bei Tesla zum Beispiel beträgt der Rucksack eines aktuellen Models S noch circa 9000 Kilometer. Die restlichen 791.000 Kilometer der Garantie fährt man dann mit circa einem Drittel des CO₂-Ausstoßes eines Verbrenners.

Fazit: Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation und den bisher bekannten Plänen erscheint es wenig realistisch, dass bis 2035 eine Menge an E-Fuels bereitgestellt werden kann, die eine Pkw-Bestandsflotte mit einem Kraftstoff versorgt, welcher massiv Treibhausgasemissionen einspart. Eine für jedermann kostengünstige und vor allem – schnell verfügbare – klimafreundliche Mobilität wird es damit nicht geben.

In der Zwischenzeit sinken die Preise für vollelektrische Fahrzeuge und bereits heute liegen die Gesamtkosten eines E-Autos mittlerer Größe bereits nach drei Jahren unter denen eines Verbrenners. Die Kaufpreise der E-Autos werden weiter sinken, die ersten Modelle mit 400 Kilometer Reichweite werden bereits ab diesem Jahr für unter 20.000 Euro auf den Markt kommen. In Anbetracht der sehr dynamischen Entwicklung bei den E-Fahrzeugen erscheint es deshalb unwahrscheinlich, dass es Mitte der 2030er-Jahre außerhalb einiger Nischen noch einen größeren Kundenstamm für Verbrenner geben wird.

E-Fuels wird es geben, diese werden allerdings größtenteils für Anwendungen gebraucht, bei denen eine Elektrifizierung wenig wahrscheinlich ist wie zum Beispiel im Schiffsfrachtverkehr oder bei Flugzeugen auf Interkontinentalflügen. Deutschland tut gut daran, diesen Trend anzuerkennen und eine der Stärken der deutschen Forschungs- und Entwicklungslandschaft – die Entwicklung hocheffizienter Verfahrenstechnik für große Anlagen – voranzutreiben und die Ergebnisse zu exportieren. Dadurch können auch wir von den E-Fuels profitieren.

Prof. Dr. Maximilian Fichtner ist Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm, Professor für Festkörperchemie an der Universität Ulm, Sprecher des Exzellenzclusters „Energiespeicherung jenseits von Lithium“ und Leiter der Abteilung Energiespeichersysteme am Karlsruher Institut für Technologie.

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