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Lucid Air Dream (2022): Teslas Alptraum ist sparsam und schnell

Wir fuhren die Elektro-Limousine vom Ex-Tesla-Entwickler in der Dream-Edition in den USA ausführlich Probe. Der Model-S-Konkurrent hat 1.111 PS, verbraucht aber dennoch wenig und bietet viel mehr Komfort als Tesla.

lucid air dream (2022): teslas alptraum ist sparsam und schnell

Lucid Air Dream

Es ist kein großes Geheimnis, dass sich Lucid-Chef Peter Rawlinson und Tesla-Chef Elon Musk nicht sonderlich mögen. Als Rawlinson 2012 kurz vor der Fertigstellung des ersten Model S als leitender Ingenieur Tesla verlässt, ist er voller Motivation bei einem eigenen Auto alles noch besser zu machen. Musk dagegen ist not amused und schreibt sogar in einem späteren Tweet, Rawlinson hätte mit der Entwicklung des Model S nicht viel zu tun gehabt. Das Model S holt 2013 den renommierten Titel “Car oft the Year” der Zeitschrift Motor Trend. ,

Während Tesla zum Elektroauto-Superstar heranwächst, arbeiten der Brite Rawlinson und sein Team mit dem deutschen Entwicklungschef Eric Bach an ihrem Auto. Immer wieder dringen Gerüchte zu den Fähigkeiten des künftigen Air nach draußen, aber wie Byton und Co. zeigen, ist das noch keine Garantie, dass es wirklich irgendwann mal losgeht. Die Entwicklung zieht sich.

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“Jetzt haben wir seine Aufmerksamkeit”

Doch es geht los, und wie: 2022 holt der Lucid Air den Titel “Car oft he Year”. Elon Musk schmollt und Rawlinson konstatiert: “Jetzt haben wir seine Aufmerksamkeit.” Damit der Lucid Air Aufmerksamkeit bekommt, braucht er keinen Titel. Stell ihn einfach irgendwo in den USA auf einen Parkplatz und schon wird er mit seinem glatten in Eureka Gold-Lack getauchten Blade Runner-Look die Blicke auf sich ziehen. Manche sehen im breiten Lichtband der Front sogar Ähnlichkeiten zum Visor von Geordi la Forge aus Startrek – irgendwas mit Zukunft eben. Vor allem ist das Design im schönsten Sinne amerikanisch und wie auch beim Mercedes EQS stark von der Aerodynamik getrieben. Dessen Weltrekord cw-Wert von 0,20 erreicht der Lucid Air zwar nicht, aber seine 0,21 liegen ebenfalls exzellent im Wind. Wahrscheinlich ist die aerodynamisch ebenso wichtige Stirnfläche sogar kleiner als die 2,5 m² des EQS. Der Air greift in die volle Luftwiderstands-Trickkiste: glatter Unterboden mit mächtigen Luftleitfinnen, air curtains, definierte Abrisskanten, Außenspiegel mit Strömungskanten und zwei Luftaustritte an der Fronthaube, um die Einbuchtung der Lichtleiste windmässig vom Segel zum Gleiter zu machen.

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Geringe Fahrwiderstände sind bei Lucid oberste Entwicklungspriorität. Die 520 Meilen oder 837 km, die der Lucid Air Dream in der Range-Edition laut der amerikanischen Umweltschutzbehörde (Enviromental Protection Agency, kurz EPA) aus seinem riesigen 118 kWh-Akku holt, sind für Rawlinson eher Marketing als Notwendigkeit. Für ihn zählt die Effizienz. Wir dürfen zum Test die 1.111 PS starke Performance-Version mit den 21-Zoll-Felgen fahren. Laut EPA erreicht sie 117 km weniger Reichweite als die Range-Version auf 19 Zöllern. Allein die Radwahl – ob 19 oder 21 Zoll – bringt über Aerodynamik und Rollwiderstand rund zehn Prozent an Reichweite. Beim Gewicht gibt Lucid offiziell weniger als 2,4 Tonnen an. Ungefähr so viel wie ein Porsche Taycan, aber weniger als ein EQS.

Extravaganter Innenraum

Die Tür des Lucid öffnet sich über die inzwischen kaum vermeidbaren, aber unpraktischen versenkbaren Türgriffe und gibt den Blick auf den imposanten Innenraum frei. Eine extravagante in Alpaka-Stoff, offenporiges Holz, Leder, Glas und Alu gepackte Interieur-Landschaft gegen die ein Tesla Model S selbst mit Yoke-Lenkrad eher wie eine edle Studentenbude wirkt. Keine Frage: Lucid spart nicht beim Luxus. Freilich fallen schon nach wenigen Sekunden die ersten kleinen Unstimmigkeiten bei den Passformen und Fugen auf, doch unser Testwagen ist laut Lucid noch “pre production”. Bei der Bedienung gibt er sich erfrischend normal, mit einem großen Touch-Instrumententräger sowie elektrisch klappbarem Bedientablett auf der einen und konventionellen Tasten für Klima, Lautstärke und Lüftung auf der anderen Seite. Der Innenraum wirkt luftig, was auch von der weit über die Köpfe gezogenen, getönten Panorama-Frontscheibe unterstützt wird. Im Fond sitzt es sich sogar besser und mit mehr Beinauflage als in einem EQS. Dem hat der Air Dream auch den riesigen Frunk mit über 200 Liter Volumen voraus. Im Heck gibt es dann nochmal 456 Liter besonders breit beladbaren Kofferraum – da gibt es in der Klasse auch größere.

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Die Fahrt geht los, der Bordcomputer ist genullt. Wir werden den Akku in der kurzen Zeit nicht leerfahren können, aber sowohl eine Verbrauchs-, wie Reichweiten- und Ladetempo-Prognose sind drin. Vollmundig hat uns Lucid ein Auto angekündigt, mit einem Handling wie der Porsche Taycan und Komfort wie der EQS. Is‘ klar, denken wir. Auf Luftfederung verzichtet der Air Dream ironischerweise, dafür gibt es adaptive Dämpfer. Und die machen ihren Job top: Im weichsten der drei Fahrmodi “Smooth” gleitet der Lucid sanft, mit etwas Querfugen-Holzigkeit der Sportreifen über die – sorry – miserablen amerikanischen Straßen. Er lenkt knackig ein, bleibt lange neutral und der niedrige Schwerpunkt kaschiert fahrdynamisch geschickt das hohe Gewicht. Jeder festere Druck aufs Fahrpedal drückt uns amtlich in die Sitze und mit jeder Meile mehr wird die gelungene Kombi aus Sportlichkeit und Komfort präsenter. Wir fahren zum Los Angeles Crest, einer gewundenen Bergstraße mit sensationellem Ausblick, aber vor allem ein Eldorado für passionierte Autofahrer.

2,5 Sekunden bis Tempo 100

Im Modus Sprint greift der Perfomance-Lucid dann vollends an, die vollen 1.111 PS aus den zwei jeweils nur 74 kg schweren Permanentmagnet-Synchronmotoren an Vorder- und Hinterachse sind jetzt am Start und die Dämpfer straff. Damit zwirbelt der fünf Meter Stromer so agil, stabil und wankarm um die Kurven, dass tatsächlich ein Taycan als Gegner realistisch erscheint. Ist klar! Ein Porsche-Fahrer wird sich auf hohem Niveau beschweren, dass die Lenkung noch präziser und mitteilsamer sein könnte, aber insgesamt ist die Kombi aus Sportlichkeit und Komfort sehr gelungen. Ein Tesla Model S Plaid legt zwar beim Handling mit seiner straffen Abstimmung und dem Torque Vectoring noch eine Schippe drauf, wirkt aber rumpelig im Vergleich zum sanften Lucid-Gleiter.

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Die Werksangabe des Lucid von Null bis 60 mph liegt bei 2,5 Sekunden. Nach amerikanischer Messung. Die ist nicht direkt mit der europäischen vergleichbar: 60 mph sind nur 97 km/h und die Amis messen mit leichtem Anrollen (Rollout) und nicht aus dem Stand. Theoretisch ergibt das eher drei Sekunden auf 100 km/h. Doch wir klemmen praktisch das Messgerät an die Frontscheibe und messen bei 63 Prozent Akkustand und angewärmten Pirelli P Zero nach: In 3,2 Sekunden schießt der Lucid auf 100. Das mag Beschleunigungs-Fanboys und professionelle Online-Kommentatoren etwas enttäuschen, Realisten sind dagegen ob des Drucks begeistert. Der übrigens erst bei rund 270 km/h zum Erliegen kommt.

Mercedes ist Hauptkonkurrent – nicht Tesla

Es wird Zeit für die Rückfahrt und noch ein paar Worte zur Effizienz. Rawlinsons-Team hat hier im Detail gearbeitet. Den Elektromotoren wurde das ineffiziente Drehmoment-Zittern (Rastmomente) bei niedrigen Drehzahlen ausgetrieben, die Bremsbacken minimal weiter von der Scheibe entfernt damit es kein unerwünschtes Schleifen gibt. Die 900-Volt-Architektur der Samsung-Batterie sorgt für mehr Spannung und weniger Strom, was die ohmschen Verluste deutlich senkt. Der Inverter arbeitet mit besonders effizienten Silizium-Karbid-Transistoren – wie Hyundai oder Tesla und die Sportreifen wurden von Pirelli auf noch niedrigeren Rollwiderstand getrimmt. Dazu kommt eine Rekuperationsverzögerung die mit bis zu 0,3 g deutlich spürbar ist, wenn man vom Fahrpedal geht.

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Was fehlt, ist die Wärmepumpe. Die ist derzeit noch nicht integriert, Rawlinson hält sie aber für enorm wichtig, um bei tiefen Temperaturen effizient zu fahren. Auch die teilautonomen Fahrfunktionen des sogenannten Dream Drive sind noch nicht fertig, aber hier wird sich Lucid wohl keine Blöße vor Tesla geben. Doch Stopp, für Rawlinson ist nicht Tesla der Hauptkonkurrent, sondern Mercedes. Die Spitze an Elon hat er im Interview mit auto motor und sport gesetzt.

An der Ladestation angekommen zeigt der Bordcomputer einen Verbrauch von 21,7 kWh/100 km seit dem letzten Laden und 18,4 kWh auf unserer Strecke an. Das ist nicht nur absolut gesehen sparsam, sondern für einen Über-1.000-PS-Wagen sogar sensationell gut. Freilich im eher gemächlichen amerikanischen Verkehr. An der Ladesäule zieht er mit einem per Knopfdruck vorgewärmten Akku bei 26 Prozent Ladestand 260 kW und lädt mit über den Ladestand stetig abfallender Leistung in 13 Minuten rund 43 kWh Energie nach. Genug für circa 220 km Reichweite (mit Ladeverlusten). Das ist schnell, aber nicht ultraschnell, denn mehr als 300 kW Ladeleistung gibt es bei sehr niedrigem Ladestand. Fehlt noch die Reichweite und die beträgt bei unserer ersten Fahrt je nach Bordcomputer-Angabe ziemlich ordentliche 540 bis 640 km. Das mag weniger als die offiziellen 720 km sein, aber dieses Schicksal teilt sich der Lucid mit vielen Elektroautos. Was er wirklich vergleichbar draufhat, muss der Elektroauto-Supertest zeigen. Den wird es geben, denn noch 2022 wird Lucid einen Showroom in München eröffnen.

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