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IVOTY-Fahrbericht Ford Transit Custom: Im Anfang war der Stromer

Ford zündet die nächste Stufe der Van-Offensive: Der neue Custom ist ein gefälliges Fahrzeug, das mehr Praktikabilität, besseres Handling und Konnektivität mit modernem Antrieb verbindet. Der BEV kommt leider erst nach Diesel und PHEV. Wir fuhren im Rahmen des „International Van of the Year“ den Diesel Probe.

ivoty-fahrbericht ford transit custom: im anfang war der stromer

(erschienen bei LOGISTRA von Johannes Reichel)

Im Anfang war der BEV – und doch kommt die vollelektrische Variante des komplett neuen Ford Transit Custom, Bestseller aller Van-Klassen in Europa, jetzt nicht als erstes, sondern erst als letztes, nach Diesel und PHEV, im Sommer 2024. Umweltbewusste City-Logistiker müssen sich daher noch gedulden. Dabei könnte das Setup aus E-Motor unterm Heck (100 und 160 kW), 64 kWh-Akku, 125-kW-DC- und 11-kW-AC-Lader und einem Radius von 337 Kilometer für die meisten Gewerke und Anwendungen genügen. Auch die Anhängelast von 2,3 Tonnen kann sich gegenüber dem Diesel (2,5-2,8 to) sehen oder ziehen lassen. Eine Wärmepumpe ist zudem Serie, ein Pro-Power-Stromanschluss für externe Verbraucher ebenfalls erhältlich.

Wer jetzt vor dem Neukauf in der boomenden Kompaktvanklasse steht und keine Fern-Schnell-Schwer-Anwendungen hat, der sollte vielleicht noch warten, wenn es ein Ford sein soll – und kein Stellantis-Van, Maxus eDeliver3/7, Mercedes eVito oder Renault Trafic E-Tech. Das macht klar: Die Konkurrenz hat nicht geschlafen und es bestand dringender Handlungsbedarf für Ford. Klar war auch: Es muss eine „Multienergieplattform“ (O-Ton Ford) sein, so wie es Stellantis beim Kompaktvan vorexerziert hat. Ford setzt von den Varianten noch einen drauf – und ergänzt zwischen Diesel und Stromer einen Teilzeit-Elektriker in Form des Plug-in-Hybrid, dessen Technik man vom beliebten Kuga PHEV übernimmt (2,5 l Atkinson Benziner, 11,8 kWh-Akku, 56 km EV-Reichweite, 3,7 kW AC Lader).

Beim PHEV bleibt ein Fragezeichen

Nachdem in Deutschland die Prämie sinnvollerweise gestrichen wurde, würden wir dem PHEV aber keine allzu große Zukunft mehr prophezeien. Technologisch war es ohnehin ein Irrweg, der sich für die Umwelt nie auszahlte. Es gebe aber eine Kundschaft, die noch nicht bereit sei für reine E-Mobilität, meint Ford-Pro-Europa-Chef Hans Schep. Die bewege sich im Alltag meist elektrisch, benötige aber gelegentlich Langstreckentauglichkeit. Der technisch verwandte Kuga PHEV kratzt hier an der 600-km-Marke, kombiniert dann aber hohen Stromverbrauch mit hohem Benzinverbrauch (ADAC 27 kWh/100 km & 7,4 l/100 km).

Echte Langstreckler wählen da doch lieber einen ehrlichen Diesel, der auf dem bekannten 2,0-Liter-EcoBlue-Aggregat basiert und im Zusammenspiel mit der um 13 Prozent verbesserten Aerodynamik der nun unter zwei Meter gedrückten Neuauflage bis zu sechs Prozent sparsamer laufen soll. Bei unserer ersten Tour über 110 Kilometer Autobahn, Landstraße und Stadt schafften wir im Bordcomputer eine 7,0 l/100 km. Tags drauf bei reiner Autobahnfahrt waren es über 85 Kilometer 8,2 l/100 km. Keine Sensation, aber doch ein ordentlicher Ford-Schritt. Mit 55-Liter-Tank reicht das auch schon für fast 800 Kilometer in der Reichweitenanzeige. Eine 70-Liter-Tankoption eröffnet dann auch wirklich ferne Nonstop-Fahrten.

Hohe Reichweite als Plus des Diesel

Das ist klar die größte Stärke des Diesel gegenüber dem Stromer. Wobei hinzugefügt sei, dass die wenigsten gewerblichen Anwender solche Reichweitenbedarfe haben. 80 Prozent fahren unter 200 Kilometer pro Tag, so die Statistik. Und mittels Schnelllader genügt eine halbstündige Pause, um die Speicher des BEV von 10 auf 80 Prozent zu bringen. 82 Kilometer Radius gewinnt man so in zehn Minuten, werben die Ford-Leute.

Einstweilen Zukunftsmusik. Der Diesel mit 150 PS (wahlweise 110, 136 und 170 PS, 310/360/390 Nm) bringt den mit 400 der möglichen bis zu 1.327 Kilo strammer Nutzlast (3,2 Tonner L1) gut, aber eben konventionell und mit dem üblichen Nackeln und Nageln über die Vorderräder (oder erstmals wahlweise Allrad) in Fahrt, wenn man ihn nicht abwürgt, weil die Kupplung ziemlich fix zuschnappt. Er zieht auch aus niedrigen Drehzahlen gut durch, mit dem üblichen Geleit an Vibrationen und Brummen. In Teillast beträgt er sich wie gehabt ganz manierlich, aber bleibt stets brummend präsent, auch bei Autobahntempo 120 km/h tritt der Selbstzünder nicht komplett in den Hintergrund.

Handschalter hat man fast schon vergessen

Und das, obwohl die ersten Serienfahrzeuge des Custom zumindest noch ordentlich Windgeräusche direkt an den Türen und von den Spiegeln aufwiesen. Hier ist vielleicht noch Feinschliff gefragt. Ein Stromer ist in jedem Fall leiser und fühlt sich nach Zukunft an, das ganze Diesel-Gefrickel hat man ja schon fast vergessen … Im Stromer hinfällig ist auch die Schaltkonsole, mit der sich die sechs Gänge beim noch immer wegen der Kosten beliebten Handschalter immerhin butterweich sortieren lassen. Wahlweise übernimmt das im Verbrenner eine 8-Gang-Automatik.

Das Handling und die ganze Anmutung des Fahrzeugs sollte mehr „Pkw-artig“ werden, was als gelungen bezeichnet werden darf. Durch die Notwendigkeit, für den BEV einen Heckantrieb unterbringen zu müssen, blieb den Ingenieuren nur eine Einzelradaufhängung hinten übrig. Das sorgt für deutlich geschmeidigeres Abrollen und Anfedern des früher eher etwas harschen Transporters. Zusammen mit der um glatte 30 Prozent gesteigerten Steifigkeit der Karosse entsteht ein kompaktes, handliches und recht geschmeidiges Fahrgefühl, die Agilität steht einem größeren Pkw kaum nach. Wobei die leichtgängige Lenkung etwas mehr Gefühl für die Fahrbahn vermitteln könnte.

Zeitgemäße Ausstattung: Schlüssellos glücklich

Die Bremse spricht sehr spitz an, zudem fällt der Wechsel vom Gas eher schwer, weil das Bremspedal etwas zurückversetzt und nicht auf einer Ebene ist. Zeitgemäß ist die elektronische Parkbremse, die man erst suchen muss und dann mittig findet. Modern ist auch der schlüssellose Start, wobei der Startknopf nicht sehr intuitiv am Rahmen des Infotainments platziert wurde.

Apropos Ebene: Wert legten die Ingenieure auf einen ebenen Boden in der Kabine, der zudem spürbar niedriger liegt. Entsprechend leicht fallen Einstieg und Durchstieg, trotz Schaltbox, wobei die Fahrer- und Beifahrertür weiter öffnen dürfte. Zudem sitzt man nicht mehr so Trucker-mäßig hoch, sondern eher wie im Van. Auch sonst gibt es gut Platz, manierliche Materialien mit für ein Nutzfahrzeug ansprechender Optik, die Sitze sind etwas weich und konturlos geraten, die Ablagen sinnvoll und klug.

Wer Handy oder Tablet gerne im Blick hat, der kann einen AMPS-Konsolenhalter im Cockpit installieren. Ansonsten verschwindet das Schlaufon tief unten in einem Schacht in der Mittelkonsole, der immerhin wahlweise induktiv hinterlegt ist, USB-Anschlüsse beherbergt. Und sowieso erlaubt der mit einem 5G-Modem ausgestattete Custom die Anbindung per AppleCar-Play und Android-Auto kabellos.

Kluge Staufächer, klappbares Lenkrad

Clever ist das lange obere Handschuhfach, das durch die Verlegung des Beifahrerairbags ins Dach möglich wird und etwa einen Labtop sicher verwahrt. Und wem der mittlere Klappsitz mit Tischchen nicht genügt, der kann das komplett nach oben neigbare Lenkrad nutzen, das mittels Aufsatz ebenfalls zum Tisch mutieren kann. Leider ist das zu weich gepolsterte, im Ford-Marketingsprech „Squircle“ genannte Volant dadurch rechteckig gestaltet, nicht gerade ein Handschmeichler.

Dafür ist das serienmäßig 13-Zoll-Infotainment Sync4 besser integriert, das bei unseren Fahrten eine präzise Echtzeitnavigation inklusive einer Stauumfahrung durch Lüttich ablieferte und alle möglichen Grafiken und Infos liefert. Statt eines Tachos gibt es jetzt ebenfalls ein 12-Zoll-Display, das leider etwas matschig auflöst, aber alle Infos liefert. Ob etwa das Tempo digital schneller zu erfassen ist, als analog, sei dahingestellt. Man kann sich ja noch vertrauensvoll an Alexa wenden, das Amazon-System ist ebenfalls standardmäßig als Sprachassistenz an Bord.

Tiefergelegt: Unter zwei Meter Scheitelmaß

Die Tieferlegung des Transit auf 1,97 Meter hat natürlich im Laderaum auch ihre Vorzüge: Den entert man nun deutlich gut zehn Zentimeter tiefer und damit leichter, zudem wuchs die Raumeffizienz: Von 5,8 bis 9,0 Kubikmeter Volumen reicht die Spanne in zwei Radständen und diversen Varianten wie Kasten, Doka-Kasten, Multicab (L-förmiger Laderaum mit zwei Sitzen im Fond) oder eben Kombi bzw. dem nobleren Tourneo. Der gestreckte Radstand trägt hier auch seinen Teil bei. Wahlweise ermöglicht eine Durchlade Fracht von bis zu 3,05 Meter Länge statt 2,39 Meter. Allerdings wuchs die Gesamtlänge auch auf 5,05 Meter, die Breite auf stattliche 2,03 Meter ohne die gut dimensionierten Spiegel. Zum Ausgleich speckte der Custom ab: Bis zu 100 Kilo soll er leichter sein, 1.780 Kilo bringt die leichteste Version auf die Waage, was wiederum der Nutzlast dient.

Durch die update-fähige 5G-Anbindung sollen auch alle Ford Pro Telematikdienste zur Verfügung stehen. Und vor allem soll sich mittels vorbeugender Wartung die „Downtime“ des Fahrzeugs drastisch reduzieren lassen. Schon heute reduzierte man in Europa durch die Ford Liive genannte Fahrzeugzustandsüberwachung 300.000 Ausfalltage im Jahr 2022 oder um 60 Prozent, wirbt LCV-Chef Schep für das Konzept.

Selbstverständlich ist eine Fahrzeug-bezogene App, mit der die Fahrer selbst ihr Mobil und die wichtigsten Daten wie Verbrauch, Ölstand, Reifendruck oder Bremsbelagverschleiß im Blick behalten. Die Flottentelematik kann dann noch mehr und registriert etwa auch den Fahrstil, die Fahrzeuglokalisation oder Diebstahlversuche. Für Anbindung sorgt man übrigens auch bei den Aufbauherstellern: Das sogenannte Upfit Integration System soll die die Nachrüstung und nahtlose digitale Integration ins Infotainment von zusätzlichem Equipment wie Leuchten oder Kühlaggregate erleichtern.

Exit Warnung gegen Dooring-Unfälle

Bei der Fahrerassistenz fasst Ford den Begriff etwas weiter. Erstmals gibt es eine sehr nützliche „Exit Warnung“, die per LED in den Spiegeln vor nahenden Radfahrern oder Autos warnt, wie auch die Notbremse natürlich Radler oder Fußgänger erkennt. „City-friendly“ soll der Custom sein. Stand der Dinge und Serie sind dann der recht gefühlvoll regelnde aktive Spurassistent, der intelligente Tempomat mit Verkehrszeichenerkennung oder die Einparkhilfe am Heck. Auf teilautomatisches Niveau kommt der Custom dann mit der ebenfalls zuverlässig regelnden adaptiven Abstandsautomatik, Totwinkelwarner inklusive Spurwechselwarnung oder der Querverkehrswarner mit Notbremse und die 360-Grad-Rückfahrkamera.

Eine ganz lebenspraktische Assistenz kommt dann im Sommer 2024: Der Delivery Assist ist eine frei programmierbare Bündelung von Funktionen, die etwa automatisch die Fenster und Fahrertür schließen, den Warnblinker einschaltet, die (wahlweise elektrische) Schiebetür öffnet und so weiter … Bei der Rückkehr kann man dann schlüssellos entern und starten. In Summe soll man sich pro Stopp 20 Sekunden Zeit sparen, so die Verantwortlichen. Abgerundet wird das neue Van-Paket durch ein zeitgemäßes 40.000er-Intervall auf zwei Jahre, sodass der Kunde mit dem Custom Diesel gut arbeiten und rechnen kann, auch wenn es (noch) kein Stromer ist.

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