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„Gran Turismo“: Der Stoff, aus dem die Rennfahrer-Träume sind

Rasanter Rennfahrerfilm

„Gran Turismo“: Der Stoff, aus dem die Rennfahrer-Träume sind

„gran turismo“: der stoff, aus dem die rennfahrer-träume sind

GRAN TURISMO: Archie Madekwe als Jann Mardenborough.

Bei aller Werbefilmästhetik ist „Gran Turismo“ ein auf wahren Ereignissen basierendes, handwerklich ausgezeichnet gemachtes Motorsport-Drama mit guten schauspielerischen Leistungen.

Frankfurt – Die besten Filmgeschichten schreibt immer noch das Leben. So auch beim wirklich rasanten Rennfahrerfilm „Gran Turismo“. Anders als viele Motorsportler kann der am 9. September 1991 im nordostenglischen Darlington geborene Jann Mardenborough keine langjährige Erfahrung bei Kartrennen nachweisen. Zwar fuhr er zwischen acht und elf Jahren auf einer Kartbahn im walischen Cardiff, doch nach Schließung der Strecke fehlte seiner Familie das Geld, um sein Faible für Hochgeschwindigkeit auf vier Rädern fortzusetzen. 2011 nahm er dann an der 2008 gegründeten GT Academy teil, einem Wettbewerb des japanischen Automobilherstellers Nissan und des Tokioter Elektronikriesen Sony. In vier Phasen – darunter befinden sich virtuelle Autorennen auf der PlayStation, aber auch reales Rennfahrertraining im „Race Camp“ – wird dort ein Sieger gekürt, dem der Einstieg in den professionellen Motorsport ermöglicht wird. Der damals erst 20-jährige Jann Mardenborough setzte sich bei diesem Wettbewerb gegen 90.000 Teilnehmer durch. Als Titelprämie ließ ihn Nissan beim 24-Stunden-Rennen von Dubai starten. Dabei erzielte er den dritten Platz in seiner Klasse. Der Rest ist der Stoff, aus dem die Kinoträume sind …

„Gran Turismo“ ist ein mitreißender, schauspielerisch ausgezeichneter Film

Auch wenn sich der südafrikanische „District 9“-Regisseur Neill Blonkamp und seine Drehbuchautoren Zach Baylin und Jason Hall reichlich künstlerische Freiheiten beim Erzählen des Wirklichkeit gewordenen Märchens herausnehmen, ist ihnen ein mitreißender, schauspielerisch ausgezeichneter Film gelungen, der alte wie junge Freunde des Motorsports begeistern wird: Der ehemalige Profi-Fußballer Steve Mardenborough (Djimon Hounsou) kümmert sich mit Nachdruck darum, dass sein jüngerer Sohn Coby (Daniel Puig) der Durchbruch gelingt. Dessen älterer Bruder Jann (Archie Madekwe) gilt hingegen selbst in seiner eigenen Familie als Außenseiter. Er hat die Uni abgebrochen, um stattdessen den ganzen Tag in seinem Zimmer vor einem Lenkrad zu hocken und auf der PlayStation für die Rennsport-Simulation „Gran Turismo“ zu trainieren. Unverhofft kann er dann im realen Leben sein Talent unter Beweis zu stellen: Der etwas windige, aber doch leidenschaftliche Nissan-Marketing-Manager Danny Moore (Orlando Bloom) hat sich nämlich die Idee der GT Academy ausgedacht: Bei dieser können sich Gamer und Gamerinnen virtuell durch das Spielen von „Gran Turismo“ qualifizieren, um dann zu „echten“ Rennsportler:innen ausgebildet zu werden. Jann, der eigentlich viel zu groß für einen Rennfahrer ist, hat keine Chance – und nutzt sie!

Erstaunlicherweise war seine Lebensgeschichte für die Filmadaption der megaerfolgreichen Videospiel-Reihe „Gran Turismo“ nicht erste Wahl. Die Produzenten Michael De Luca und Dana Brunetti wurden 2013 zuerst mit dem Projekt beauftragt und hatten anderes im Sinn. Zu diesem Zeitpunkt war die Spieleserie mit über 70 Millionen verkauften Einheiten das erfolgreichste Franchise von PlayStation. Noch im selben Jahr verpflichteten die längst von Sony geschluckten Columbia Pictures Alex Tse als Drehbuchautor, während sich Kevin Spacey als Produzent der Verfilmung anschloss. Dieser bekam dann bekanntlich andere Probleme, als Missbrauchsvorwürfe jüngerer Schauspielerkollegen gegen ihn bekannt wurden. Im Jahr 2015 wurde der Regieposten mit Joseph Kosinski („Tron Legacy“, „Oblivion“) prominent besetzt, ehe Jon und Erich Hoeber als neue Drehbuchautoren engagiert wurden. Anfang 2018 äußerte sich der „Gran Turismo“-Schöpfer Kazunori Yamauchi schließlich, dass die Entwicklung der Filmadaption nicht vorankomme. Vier Jahre später startete Sony, dessen Vize-Chef Yamauchi ist, nach dem überwältigenden Erfolg der Videospielverfilmung von „Uncharted“ einen neuen Anlauf. Man erinnerte sich an Jann Mardenborough. Zum Glück muss man sagen!

Bei „Gran Turismo“ wird anno 2023 viel Wert auf Charakterzeichnung gelegt

Bei aller Werbefilmästhetik, die im Gegensatz zu Greta Gerwigs letztendlich doch albernen „Barbie“-Streifen auf jegliche Selbstironie verzichtet, legt man bei „Gran Turismo“ anno 2023 erstaunlich viel Wert auf Charakterzeichnung: „Midsummar“-Newcomer Archie Madekwe ist kein strahlender Held, sondern ein sensibler und reflektierter junger Mann, der sich mit dem Hören von ätherischen Enya-Songs beruhigt. Deshalb flüchtet er zunächst in die (Schein-)Welt des virtuellen Motorsports und auch bei der Eroberung eines Mädchenherzens (Maeve Courtier-Lilley als Audrey) lässt er sich viel Zeit. Ein angenehmer Kontrast zu der Hochgeschwindigkeit, mit welcher der Film ansonsten vorprescht. Auch der Konflikt mit seinem von Djimon Honsou verkörperten Vater wird glaubhaft dargestellt. Dieser hat Angst, dass sein ältester Sohn eines Tages wie er als Arbeiter auf einer Mülldeponie endet, wenn er sich in Tagträumen verliert. Umso ergreifender ist im letzten Drittel die Versöhnung zwischen den beiden kurz vor dem 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

Komplex wird die Beziehung zu Mardenboroughs/Madekwes von David Harbour („Stranger Things“, „Hellboy – Call of Darkness“) eindrucksvoll interpretierten Mentor und Rennleiter Jack Salter herausgearbeitet. Er, der nach einem tragischen Unfall den Rennfahrer-Helm an den Nagel hängte und sich bescheiden nur noch „Mechaniker“ nennt, fordert viel von seinem Zögling, baut ihn aber auch behutsam wieder auf, als ihm auf dem Nürburgring selbst ein folgenreiches Malheur passiert: 2015 hebt Mardenboroughs Fahrzeug bei einem Rennen der VLN Langstreckenmeisterschaft im Streckenabschnitt „Flugplatz“ ohne Fremdeinwirkung ab und wird beim Aufprall auf den Reifenstapel über den Fangzaun katapultiert. Dabei kommt ein Zuschauer ums Leben. Er selbst ist fast unverletzt. Wer jetzt vielleicht denkt, dass dies ein dramaturgischer Kunstgriff ist, irrt: Diesen schrecklichen Unfall, bei dem noch zwei weitere Menschen verletzt wurden, gab es wirklich. Auch die Schattenseiten des Rennfahrer-Daseins zeigen Blonkamp und Co. also ungeschönt. Der von Orlando Bloom zuerst dauergrinsend, mit zunehmender Spielzeit aber immer differenzierter gespielte Marketing-Manager öffnet dem geschockten Madekwe die Augen: „Rennfahren ist eben ein verdammt gefährlicher Beruf!“

„Gran Turismo“ ist handwerklich exzellent gemacht

Noch vor dem Schauspieler- und Drehbuchautorenstreik in Hollywood sprach der Verfasser dieser Zeilen mit dem britischen Weltstar aus „Herr der Ringe“ und „Piraten der Karibik“, der in den letzten vier Jahren als Inspektor Rycroft Philostrate mit der Amazon-Fantasy-Neo-Noir-Reihe „Carnival Row“ neue Pfade betrat. Auf die Frage, wo er am liebsten mitwirken würde, bei Kino-, Fernseh- oder Streaming-Produktionen, antwortete Bloom nonchalant: „Lange Zeit war das Fernsehen der kleine Bruder des Kinos. Das hat sich nun auch durch die Streaming-Dienste gewandelt. Ich spiele da mit, wo mir die Drehbücher am besten gefallen.“ Da kann sich der erklärte Natur- und Tierschützer bei „Gran Turismo“ nicht beschweren, obwohl der Motorsport die Umwelt natürlich extrem belastet. Jedenfalls kann man seine Rückkehr auf die große Leinwand als gelungen bezeichnen. Auch das ehemalige Spice-Girl Gari Halliwell Horner gefällt als mitfiebernde Mutter von Mardenborough. Lediglich die Inszenierung von „Gran Turismo“-Erfinder und Sony-Vize Kazunori Yamachi – gespielt von Takehiro Hira – als gottgleiches Genie ist fragwürdig.

„gran turismo“: der stoff, aus dem die rennfahrer-träume sind

FR-Autor Marc Hairapetian mit Orlando Bloom, der im Rennfahrer-Film„Gran Turino“ den Marketing-Manager Danny Moore spielt, in Berlin.

Zudem ist „Gran Turismo“ – mehr noch als „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“ mit Christian Bale und Matt Damon – handwerklich exzellent gemacht: Die Filmaufnahmen begannen am 12. November 2022 in Ungarn und wurden nur eineinhalb Monate später abgeschlossen. Bewusst wollte man kein CGI-Feuerwerk im Stile von „Fast &Furios“ abfackeln, sondern auf realistischere Action im Stil von „Top Gun: Maverick“ setzen. Deshalb wurde auf Rennstrecken in der ganzen Welt gedreht, darunter auf dem Hungaroring nahe Budapest. Hauptdarsteller Archie Madekwe sollte unbedingt seinen Nisan GT-R für den Film selbst fahren. Und deswegen musste er in Vorbereitung auf die Dreharbeiten innerhalb eines Monats seinen Führerschein machen. Es kam dann ein Aufnahmesystem zum Einsatz, bei dem mit bis zu zwanzig Kameraautos, Kamerakräne und Drohnen zeitgleich benutzte. Allein in und an den Rennwagen waren bis zu zehn Kameras platziert, darunter drei umgebaute Venice-2-Kameras direkt im Cockpit. Zur visuellen Darstellung des Videospielcharakters verwendete Kameramann Jacques Jouffret („The Purge“, „Bloodshot“) aus der Spieleserie bekannte Einstellungen. Zum Drive von „Gran Turismo“ trägt der elektronisch pulsierende Soundtrack von Lorne Balfe bei. Außerdem finden dynamische Hardrock-Songs von Black Sabbath und zur Entschleunigung eingangs zitierte New-Age-Klänge von Enya Verwendung. Der wirkliche Clou ist allerdings der Einsatz des echten Jann Mardenborough als sein eigenes Stunt-Double. Das macht tatsächlich mehr Sinn als ein „Grüß Gott“-Cameo-Auftritt. Wetten, dass sich Archie Madekwe bei ihm etwas abgucken konnte? (Marc Hairapetian)

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