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Wie können Stranded Assets bei der Ladeinfrastruktur vermieden werden?

Ein Gastbeitrag von Robert de Leeuw

Unternehmensinsolvenzen sind ein Albtraum für alle Betroffenen. Die jüngsten schlechten Nachrichten rund um die Insolvenz des Schnellladesäulen-Hersteller Tritium sind da keine Ausnahme. An dieser Stelle soll es aber nicht um persönliche Schicksale gehen. Sondern um das Schicksal der von Tritium verkauften Ladesäulen. Sind die verkauften Lader jetzt „Stranded Assets“, also verlorene Investitionen?

Als das belgische Unternehmen PowerDale Mitte 2023 Konkurs anmelden musste, wurden wir gefragt, ob es denn möglich sei, EVerest, die Open-Source-Technologie für Ladestationen auf den betroffenen Ladesäulen zu installieren. Mit der Insolvenz von Tritium fragen sich deren Kunden ebenfalls, ob mit der Pleite auch die gekaufte Hardware nutzlos ist – oder ob es Möglichkeiten gibt, das Schicksal Stranded Asset abzuwenden.

Problem fehlende Software-Updates

Schauen wir uns zunächst an, was passiert bzw. passieren kann, wenn ein Hersteller für Ladestationen Konkurs anmelden muss. Unser besonderes Interesse gilt der Software, die auf den Ladestationen des insolventen Herstellers läuft. Nach einer Pleite wird ein Unternehmen normalerweise als Ganzes oder in Teilen verkauft. Das Unternehmen, welches das geistige Eigentum an der Software erwirbt, könnte sie nutzen, um den Kunden auch künftig Dienstleistungen anzubieten.

Für die ehemaligen Kunden des insolventen Herstellers ist dieses Szenario zunächst ein Glücksfall. Schließlich könnte das Unternehmen auch einfach verschwinden. Aber dem ersten Aufatmen folgt die Frage nach dem Umfang des Supports, den die neuen Eigentümer anbieten – und natürlich, zu welchem Preis sie das tun. Je nachdem, wie hoch die Investitionen und der Aufwand für die neuen Eigentümer sind, kann das teuer oder teurer werden.

Welche Optionen haben aber die ehemaligen Kunden? Werden die gekauften Ladesäulen nicht mehr mit neuen Funktionen versorgt, kann das bedeuten, dass sie neue Versionen wichtiger Kommunikationsprotokolle für das Laden nicht mehr unterstützen. Ein Beispiel ist die ISO 15118-20. Heute mag es noch vertretbar sein, dass Ladestationen die Norm nicht unterstützen. Aber schon bald könnte die Unterstützung zwingend notwendig sein, um wettbewerbsfähige Ladestationen zu betreiben.

Doch nicht nur neue Protokollversionen können zum Problem werden. Schließlich kommen ständig neue E-Autos auf den Markt. Und mit ihnen potenzielle Fehler in der Software, die das Laden an den von Aktualisierungen abgeschnittenen Ladesäulen unmöglich machen. Anders gesagt: Ohne Aktualisierungen gibt es keine kontinuierliche Verbesserung der Interoperabilität.

Die folgende Tabelle zeigt, welche Auswirkungen Software-Updates verschiedenen Umfangs auf Ladestationen haben:

wie können stranded assets bei der ladeinfrastruktur vermieden werden?

Problem: Proprietäre Management-Protokolle

Einige Hersteller nutzen anstelle des offenen Open Charge Point Protocol (OCPP) eine eigene Lösung. Entscheiden sich CPOs oder Ladestationsbetreiber für eine solche Ladestation, sind sie zu jeder Zeit vom Hersteller abhängig. Denn diese Ladestationen funktionieren in der Regel nur über die Cloud-Dienste des Herstellers.

Geht der Hersteller pleite und der Cloud-Service vom Netz, funktioniert die Ladestation nicht mehr. Deshalb hört man oft den Tipp, keine Ladestationen ohne OCPP-Unterstützung zu kaufen.

Problem: Verlust der Maintenance-Cloud

Immer mehr Hersteller von Ladestationen gehen dazu über, mittels einer eigenen Maintenance-Cloud eine zweite Verbindung zu ihren Geräten bereitzustellen. Dies ermöglicht es den Herstellern, Informationen zu Leistung und Zustand ihrer Hardware abzurufen. So können sie den Kunden bessere Garantien abgeben, zum Beispiel bzgl. der Verfügbarkeit.

Eine Maintenance-Cloud ist an und für sich eine gute Idee. Aber sie muss richtig umgesetzt werden. Schlecht umgesetzte Ideen können böse Überraschungen bereithalten: Funktionieren die Ladestationen nicht ohne die Maintenance-Cloud, funktionieren sie vermutlich nicht, wenn der Hersteller pleite geht. Deshalb ist der dringende Rat: sicherzustellen, dass die Ladestationen auch ohne eine Hersteller-spezifische Maintenance-Cloud funktionieren.

Problem: Fehlende Ersatzteile und technische Unterstützung

Fehlende Ersatzteile und technische Unterstützung sind keine Probleme, die durch ausbleibende Software-Updates entstehen. Bei einer Unternehmensinsolvenz aber können beide ebenfalls viele Unannehmlichkeiten mit sich bringen.

CPOs und Ladestationsbetreiber wollen Hardware, die sie über einen langen Zeitraum betreiben können. Dafür optimieren sie ihre Leistung und planen die Wartung ihrer Geräte. Aber in Sachen Ersatzteile müssen sie sich auf den Hersteller verlassen können.

Für wichtige Komponenten muss unter anderem bekannt sein:

  • wie hoch der jederzeit verfügbare Bestand ist,
  • wie lange im Voraus über das Auslaufen eines Produkts informiert wird,
  • ob auch bei einer Insolvenz Ersatzteile verfügbar sein werden.

Um die Auswirkungen einer Insolvenz zu minimieren, sollte ein Recht auf Reparatur in den Verträgen festgehalten sein. Außerdem empfiehlt es sich, im Falle einer Unternehmensinsolvenz auf den Quellcode zugreifen zu können, um zumindest theoretisch auf alternative Ersatzteile zurückgreifen zu können.

CPOs und Ladestationsbetreiber sollten außerdem sicherstellen, dass ihr technische Personal in der Lage ist, Fehler auch dann ohne technischen Support des Herstellers beheben zu können.

Open Source verringert das Risiko bei einer Unternehmensinsolvenz

Unternehmen, die anstelle einer individuellen Software auf Open Source setzen, können die Kosten für die Firmware-Entwicklung, die Time-to-Market und die Wartungsaufwände erheblich senken. Natürlich steht es Unternehmen frei, sich für einen kommerziellen Stack zu entscheiden. Doch damit hat das Unternehmen keine Kontrolle über die eingesetzte Firmware.

Das Unternehmen verwendet schließlich die Software eines Drittanbieters und muss sich auf dessen Roadmap verlassen, was die Einführung neuer Funktionen oder Auslieferung von Fehlerbehebungen etc. verlangsamen kann.

Und natürlich kann auch ein Softwareanbieter pleite gehen – ganz im Gegensatz zu einem Open-Source-Projekt. Ein Open-Source-Projekt mit einer engagierten Community überlebt den Ausfall eines oder auch mehrerer Mitglieder.

Open Source ist immun gegen Unternehmensinsolvenz

Meldet ein Hersteller Konkurs an, kann eine auf Open Source basierende Firmware einfacher gewartet werden als eine kundenspezifische Lösung. In einem Open-Source-Projekt steckt das Know-how einer weltweiten Entwickler-Community. Unternehmen haben die Chance, aus diesem Pool das benötigte Personal zu rekrutieren.

Ein Open-Source-Projekt für Ladestationen ist EVerest. Die Technologie ist ein kompletter Software-Stack, der alle Protokolle und Funktionen für eine Ladestation bereitstellt. EVerest bietet Treiber für gängige Hardware und mehr als 80 Prozent der Features, die zum Betrieb einer Ladestation benötigt werden.

Je nach eingesetzter Hardware können die für einzelne Komponenten benötigten Treiber kundenspezifische Produkte sein. Aber typischerweise steckt der größte Anteil an „Custom Code“ einer Ladestation in der individuellen Bedienoberfläche des Betreibers. Für eine Ladestation ohne Display könnte EVerest mehr als 90 Prozent des benötigten Codes „out of the box“ bereitstellen.

Schauen wir uns das folgende Szenario genauer an: Hersteller B kauft eine Ladestation von Hersteller A. Beide Hersteller nutzen EVerest. In diesem Fall wird es für Hersteller B viel einfacher sein, die Software zu harmonisieren und sich um die alten Produkte von Hersteller A zu kümmern.

Hersteller B könnte eine neue Firmware für die Ladestation von Hersteller A entwickeln, welche die Hardware-Unterstützung von Hersteller A mit den Alleinstellungsmerkmalen und der eigenen Ladestationen kombiniert.

Deshalb der Tipp: CPOs, die bei ihren Ladestationen auf „Nummer sicher“ gehen wollen, sollten sich absichern, dass sie auf den Quellcode der Software zugreifen können, der ihre Ladestationen antreibt. Denn dann können sie im Falle einer Insolvenz andere Partner für die Wartung ihrer Ladestationen suchen und finden.

Kann EVerest auf Ladestationen eines insolventen Herstellers installiert werden?

Kommen wir zurück auf die eingangs gestellte Frage: Kann EVerest auf Ladestationen eines insolventen Herstellers installiert werden? Für CPOs und ihre vom Dasein als Stranded Asset bedrohten Ladestationen kann die Antwort die letzte Rettung sein. Leider lässt sich diese Frage nicht eindeutig beantworten. Denn entscheidend ist, ob der insolvente Hersteller helfen kann (oder will), indem er den Zugriff auf die verwendete Software bereitstellt.

Deshalb ist es wichtig, dass in Fällen einer Unternehmensinsolvenz der Zugriff auf Software und Firmware vertraglich geregelt wurde – auch wenn im Falle eines Konkurses alle Vereinbarungen nichtig sein können. Aber der Zugriff auf den Code vereinfacht unter Umständen das Portieren von EVerest auf die verwendete Hardware. Und darin liegt die beste Chance, dem Worst-Case-Szenario der Stranded Assets zu entkommen.

Über den Autor: Robert de Leeuw, Technical EVangelist bei Pionix, ein erfahrener Software-Entwickler/-Architekt und ein anerkannter Experte im Bereich EV Charging. Er war beispielsweise maßgeblich an der Entwicklung der Protokolle OCPP (Open Charge Point Protocol) und OCPI (Open Charge Point Interface) beteiligt.

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