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Fahrbericht Hyundai Ioniq 5N: Auf zum Elefantentanz

Albert Biermann ist ein Spezialist für dynamische Automobile. Erst machte er den Boliden der BMW M GmbH Beine, um dann bei Hyundai das Pendant mit dem Buchstaben „N“ wie Namyang (der Ort von Hyundais Entwicklungszentrum) und eben der Nordschleife des Nürburgrings, von der die Asiaten fast schon besessen sind. Die ersten sportlichen Modelle des koreanischen Autobauers wie der i30 N oder der i20 N waren für Biermann letztendlich nur Business as usual, eine Anwendung der in München angehäuften Kompetenz. Doch bei einem Elektromobil wie dem Ioniq 5 mit einem Gewicht von gut zwei Tonnen schaut die Sache schon anders aus. „Es ist, als wenn man einen Elefanten zum Tanzen bringt“, beschreibt Biermann schmunzelnd die Herausforderung.

Abgesehen vom Gewicht hat ein Elektroauto aber auch Eigenschaften, die der Agilität förderlich sind. Die Batterie sorgt für eine Grundsteifigkeit der Karosserie, von der die Ingenieure, die mit Automobilen mit Verbrennungsmotor zu tun haben, nur träumen können. Ganz ohne Nachbesserungen geht es dennoch nicht: Die Techniker nutzen Hilfsrahmen vorne und hinten und stärkere Motor- und Batteriehalterungen, um die Seitensteifigkeit zu erhöhen. Insgesamt 42 zusätzliche Schweißnähte und 2,1 Meter Strukturklebstoffe optimieren die Torsionssteifigkeit der Karosserie. Das ist auch nötig, um die Kraft des 5N ordentlich auf die Straße zu bringen.

Power ist bei einem Stromer ohnehin kein Problem. Das ist auch bei Hyundais Top-Modell Ioniq 5N so. Der Allradantrieb setzt sich aus zwei E-Maschinen zusammen mit 166 kW (226 PS) vorne und 282 kW (383 PS) hinten. So schrauben die Techniker die Leistung auf 448 kW (609 PS). Holt man per Boost alles aus dem Antriebsstrang heraus, sind es sogar 478 kW (650 PS) und eine Drehzahl von 21.000 Umdrehungen. Dazu einen traktionsfördernden E-Allrad sowie ein elektronisches Differenzial – und fertig ist die Laube.

Möchte man meinen. Bei einem Elektromobil ist es mit dem Aufdrehen des Inverters jedoch nicht getan. Das Thema Reproduzierbarkeit spielt gerade bei dynamischen Elektromodellen eine große Rolle. „Was helfen die vielen PS, wenn das Auto schon nach einer Runde auf der Rennstrecke schlappmacht“, stellt Albert Biermann eine berechtigte rhetorische Frage.

„Wenn wir kein rennstreckenfähiges Auto schaffen, können wir aufhören“

Also haben die Ingenieure viel Aufwand in die Kühlung des Antriebsstrangs sowie der Akkus gesteckt und unter anderem weitere Kühler installiert. Dazu gibt es einen neben einem Ausdauer- auch einen speziellen Rennstrecken-Modus, der die Batterietemperatur in einem Wohlfühlfenster von 20 bis 30 Grad hält. „Wir müssen zwei Hochgeschwindigkeitsrunden unter acht Minuten auf der Nordschleife schaffen“, macht Albert Biermann klar und ergänzt: „Wenn wir kein rennstreckenfähiges Auto schaffen, können wir aufhören!“

fahrbericht hyundai ioniq 5n: auf zum elefantentanz

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Das ist mal eine Ansage. Doch wer glaubt, dass der Ioniq 5N ein kompromissloses Track Tool ist, irrt gewaltig. „Wir hören auf unsere Kunden“, erklärt Till Wartenberg, verantwortlich für die Submarke N. Herausgekommen ist eine rollende Playstation mit einer gehörigen Prise BMW M GmbH, wie man an den Fahrmodi-Kurzwahltasten am Lenkrad sieht. So weit, so gut, aber der Ioniq 5N bietet ein überbordendes Füllhorn an Einstellungsmöglichkeiten, die den Nutzer (von Fahrer kann man in diesem Zusammenhang kaum mehr sprechen) fast erschlagen. Von der Gaspedalkennlinie über das Links-Bremsen bis hin zur manuellen Kraftverteilung des Allradantriebs und einem Drift-Programm ist alle drin und konfigurierbar.

Die Techniker haben nicht zu viel versprochen

Wir gehen den Hyundai Ioniq 5N von oben an. Sprich auf dem Korean International Circuit, einer Formel-1-Rennstrecke, auf der Sebastian Vettel den Rundenrekord hält. Schnell wird klar: Die Techniker haben nicht zu viel versprochen. Man kann den Ioniq 5N richtig fliegen lassen, auch wenn man in Kurven das Gewicht und eine Untersteuerneigung spürt. Aber das ist vermutlich gewollt, da der Bolide so leichter zu beherrschen ist. Wer ein tänzelndes Heck will, schiebt den Antriebskraftregler ganz nach hinten und schon ist quer das neue geradeaus. Der Spaßfaktor ist immens, da der Power-Koreaner immer beherrschbar bleibt und im Falle des Falles das ESP eingreift, auch wenn dieses deaktiviert ist. Da die Verteilung vollvariabel ist, kann man die Heckschleuder nach Gusto austarieren.

Der Ioniq 5N ist ein Elektrosportler für die Verbrenner-Fraktion, die oft genannten Petrol Heads. Die E-Maschine vorne ähnelt einem Otto-Motor und dazu gibt es – wer’s braucht – auf Wunsch V8-Sound auf die Ohren. Die Verbrennungsmotor-Symphonie klingt ziemlich echt. Damit das traditionelle Fahrerlebnis komplett ist, haben die Techniker Schaltpunkte eines Achtgang-Doppelkupplungsgetriebes implementiert. Das ist für Vertreter der Verbrenner-Fraktion sicher eines der Highlights des Ioniq 5N, wenn der virtuelle Verbrennungsmotor sägend kreischt und man mit dem vermeintlichen Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe per Schaltwippen die Gänge hineinschnalzt. Begleitet von einem merklichen Ruckeln. Wer’s braucht… Die Beschleunigung ist ohnehin Hyper-Car verdächtig: Nach 3,4 Sekunden erreicht der Ioniq 5N die 100 km/h Marke und stürmt weiter bis 260 km/h.

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Dennoch ist der Elektro-Sportler für ein reines Rennstrecken-Spaßmobil eine Spur zu weich abgestimmt. Das zahlt sich dafür auf öffentlichen Straßen aus, dort ist der Ioniq 5N absolut alltagstauglich. Die Batterie hat eine Kapazität von 84 Kilowattstunden, was für eine WLTP-Reichweite von rund 450 Kilometern gut ist. Dank der 800-Volt-Technik schafft der Hyundai eine maximale Ladeleistung von 350 kW. Damit sind die Akkus innerhalb von 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent gefüllt. Spannend ist auch die Rekuperation (bis zu 0,6 g), die sogar auch beim ABS-Eingriff funktioniert, allerdings dann nur bis 0,2 g.

Einen Norm-Verbrauch gibt Hyundai noch nicht an. Wir benötigten auf unserer Testfahrt laut Bordcomputer 21,6 kWh/100 km, was angesichts des Gebotenen völlig ok ist. Das gilt übrigens auch für den Preis, der bei rund 75.000 Euro liegen dürfte. Ab Februar 2024 steht der Ioniq 5N beim Händler.

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