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Exporte aus China: Niemand hat die Absicht, Schutzzölle zu erheben

China exportiert staatlich subventionierte Billigprodukte nach Europa. Die EU erwägt Schutzzölle, doch deutsche Autokonzerne haben Bedenken. Und der Kanzler: schweigt.

exporte aus china: niemand hat die absicht, schutzzölle zu erheben

Bereit zum Export: chinesische Autos im Hafen von Taicang

Als Olaf Scholz am dritten Tag seiner China-Reise in Peking landet, wartet auf dem Rollfeld eine schwarze Limousine auf ihn. Das Auto, mit dem der Bundeskanzler vom Flughafen ins Regierungsviertel kutschiert wird, um Chinas Staatschef Xi Jinping und Premierminister Li Qiang zu treffen, ist kein deutsches, sondern ein chinesisches Modell: ein Hongqi L5. Die Staatskarosse der Volksrepublik ist bekannt für ihren klobigen Retro-Look. Retro ist auch ihr Antrieb: kein Elektroauto, sondern ein klassischer Verbrenner.

Dass solche Details in den deutsch-chinesischen Beziehungen derzeit kein Nebenaspekt sind, liegt an Chinas expansiver Industriepolitik und den Abwehrstrategien der Europäischen Union. Vor allem E-Autos, Solarzellen und Batterien verkaufen chinesische Unternehmen derzeit auf den Weltmärkten, zu staatlich subventionierten Preisen, mit denen die Produzenten in den Abnehmerländern kaum konkurrieren können. In Brüssel denkt man derzeit immer lauter über Abwehrmaßnahmen nach, über Schutzzölle, die den angeblich unfairen Preisvorteil der Chinesen ausgleichen sollen. Das wiederum kommt in Peking nicht gut an. Als Scholz in den Hongqi steigt, weiß er, dass das Thema in seinen Gesprächen mit der chinesischen Führung weit oben auf der Tagesordnung stehen wird.

China stellt nicht nur mehr Waren her als jedes andere Land der Welt, sondern manchen Rechnungen zufolge sogar mehr als die neun nächstplatzierten Länder zusammengenommen. In manchen Industriezweigen hat diese globale Dominanz inzwischen besonders drastische Ausmaße erreicht. Im Bereich Fotovoltaik etwa könnte China mit seinen Fabriken die weltweite jährliche Nachfrage nach Solarzellen im Alleingang sättigen – und zwar nicht zu 100, sondern zu etwa 250 Prozent. Auch Chinas Windradwerke reichen aus, um den kompletten Weltbedarf zu decken. Das Land kann dreimal so viele Batterien herstellen, wie in China nachgefragt werden, auch Chinas Autokonzerne haben genug Kapazitäten, um pro Jahr bis zu 50 Millionen Autos herzustellen – etwa doppelt so viele, wie im Land verkauft werden. Würden Chinas Autohersteller ihre Werke voll auslasten, könnte statt der derzeit rund fünf Millionen exportierten Neuwagen leicht das Vierfache in die Welt verschifft werden.

Kaum ein Hersteller ist profitabel

Welche Hoffnungen die chinesische Führung auf diese neuen Industrien setzt, zeigte sich im März beim Nationalen Volkskongress, der jährlichen Sitzung der chinesischen Volksvertretung. Premierminister Li Qiang propagierte dort die Industriebereiche E-Autos, Fotovoltaik und Akkus als Ausweg aus Chinas Wachstumsflaute. Entsprechend pumpt die Regierung weiter riesige Investitionssummen in den Fabrikausbau – obwohl die Industrien in China eigentlich längst am Anschlag operieren. Kaum ein Hersteller ist profitabel, viele verscherbeln ihre Produkte unter Wert. Verschärft wird das Problem von der trüben Wirtschaftslage: Die Chinesen sind nicht in Kauflaune, sie konsumieren zurückhaltend, in der Volksrepublik kränkelt die Nachfrage. Für die Produzenten steigert das den Anreiz, ihre Ware zu Ramschpreisen ins Ausland zu verschiffen.

Dort aber werden die chinesischen Billigprodukte zunehmend als Problem wahrgenommen. Zwar freut sich mancher über die unschlagbar günstigen Produkte aus Fernost, die in vielen Ländern der Welt derzeit die Energiewende vorantreiben. Allerdings geschieht das auf Kosten heimischer Hersteller, die mit den chinesischen Preisen nicht konkurrieren können. Die Folge ist eine schleichende Deindustrialisierung: Je stärker Chinas Exportmacht wird, desto schwächer steht das produzierende Gewerbe in den Abnehmerländern da. “Chinas Exportschwemme bedroht die Industrie in vielen Ländern”, sagt Jürgen Matthes vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft, “auch hierzulande”.

Viele Länder wehren sich bereits dagegen. Nicht nur die USA, auch Brasilien, Mexiko und die Türkei schirmten ihre Märkte zuletzt mit Zollhürden gegen subventionierte Exporte aus China ab. Auch in Brüssel denkt man darüber immer lauter nach. “Die EU kann nicht der einzige Markt sein, der für chinesische Überproduktion offen bleibt”, sagte im Vorfeld von Scholz’ China-Reise EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

Bereits im vergangenen September kündigte von der Leyen an, Chinas Subventionspolitik unter die Lupe nehmen zu wollen. Sollte das Prüfverfahren zu dem Schluss kommen, dass China geltende Handelsbestimmungen unterläuft, könnte die EU Schutzzölle einführen. “Wenn wir feststellen, dass diese E-Autos illegal subventioniert wurden, werden wir Gegenmaßnahmen ergreifen”, bekräftigte kurz vor Scholz’ Aufbruch nach China EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager bei einer Rede in Washington.

Deutsche Autobauer fürchten um chinesischen Absatzmarkt

Wenig begeistert sind von diesen Plänen die deutschen Autobauer. Europäische Schutzzölle könnten ihnen zwar kurzfristig in ihren Heimatmärkten nützen. Aber in den Konzernzentralen von Wolfsburg bis Ingolstadt befürchtet man chinesische Gegenmaßnahmen, die den Deutschen auf dem wichtigen chinesischen Markt in die Quere kommen könnten. Entsprechend besorgt äußerte sich im Vorfeld der Scholz-Reise Hildegard Müller, Chefin des Verbands der Automobilindustrie: “Das aktuelle Geschäft mit China sichert hier in Deutschland eine große Zahl von Arbeitsplätzen”, erklärte sie im Gespräch mit der Welt am Sonntag. Ähnlich dürften das die Konzernbosse sehen, die Scholz nach China begleiten, allen voran Mercedes-Chef Ola Källenius und BMW-Boss Oliver Zipse.

Der Kanzler ist bei seiner Reise einerseits angehalten, neben Deutschlands Interessen auch die der EU zu vertreten. Andererseits weiß er um die Bedenken der Autokonzerne. Nebenbei kann er auch seine Koalitionspartner nicht verprellen, mit denen er erst im vergangenen Jahr eine gemeinsame, auf fairen Wettbewerb pochende China-Strategie ausgearbeitet hat. Was vorab aus Regierungskreisen über die Zielsetzungen der China-Reise bekannt wurde, klang eher so, als setze man im Kanzleramt darauf, die EU-Debatte nach Möglichkeit zu verschleppen und die Einführung von Zöllen hinauszuzögern. Man könne Chinas Billigexporte nicht ignorieren, hieß es, aber das europäische Prüfverfahren müsse “hohen Standards genügen” und “sich an internationalen Handelsverträgen orientieren”. Vollherzige Unterstützung hört sich anders an.

Als Scholz am Dienstagnachmittag gemeinsam mit Chinas Premierminister Li Qiang vor die Presse tritt, holt Letzterer zu einer Breitseite gegen die EU-Pläne aus: Er wolle sich “zur Theorie der Überkapazität äußern, die zuletzt sehr beliebt war”. Es folgt eine längliche Lektion, die deutlich macht, wie schlecht man in Peking auf die Vorwürfe aus Brüssel zu sprechen ist. Alle Länder, erklärt Li, hätten nun einmal höhere Kapazitäten in den Industriezweigen, in denen sie stark seien. Subventionen seien eine weltweit gängige Praxis, nicht nur in China. Die Förderpolitik der Volksrepublik entspreche den Standards der Welthandelsorganisation. Und wenn die Weltwirtschaft ihre Klimaziele verwirklichen wolle, brauche es nach Ansicht der Internationalen Energieagentur nicht weniger, sondern mehr Solartechnik und Elektroautos. Am Ende zitiert Li dann noch den deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, den er wie einen Freihandelslobbyisten klingen lässt: “Tauschen wir unsere Gaben aus und entzünden wir Lichter.”

Und Scholz? Positioniert sich in China ebenfalls als Freund des freien Wettbewerbs. Das Wort “Schutzzölle” geht ihm während der Reise kaum über die Lippen. In einer Diskussion mit Studierenden der Shanghaier Tongji-Universität betont er zwar, “dass der Wettbewerb fair bleiben muss”, dass es “kein Dumping, keine Überproduktion” geben sollte. Aber als der Kanzler bei der Abschlusspressekonferenz kurz vor dem Rückflug nach Deutschland direkt auf mögliche Schutzzölle der EU angesprochen wird, verweist er nur noch einmal auf die Kraft des Wettbewerbs und das Regelwerk der Welthandelsorganisation. Die Chinesen dürfte es freuen. Die mitreisenden Konzernchefs aus Deutschland nicht minder.

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