Speichertechnik

Diesseits der Wunder: Die fünf wichtigsten Batterietrends

diesseits der wunder: die fünf wichtigsten batterietrends

Reichweite, Ladeleistung, Kosten: Die Traktionsbatterie bleibt das wichtigste Bauteil im Elektroauto. Der Fortschritt ist in den aktuellen Modellen spürbar, und trotzdem sind in den kommenden Jahren weitere Verbesserungen elementar. Was passiert in der Wirklichkeit statt nur im Labor?

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Die Revolution bleibt aus. Erfolgsmeldungen aus der Batterieforschung sind bei näherer Betrachtung lediglich aufgeblasene Teilergebnisse, die neue Gelder ins jeweilige Institut führen sollen. Die Zahl der Wundergläubigen, die eine drastische Neuerung bei der Zellchemie erwarten, ist inzwischen gering.

Gut dagegen ist, dass sich die Eigenschaften der Traktionsbatterien in Elektroautos kontinuierlich verbessern. Evolution statt Revolution, das ist die Welt der Traktionsbatterien. Schritt für Schritt. Meistens ist es die Reichweite, die ein Stück wächst. Aber auch die Ladegeschwindigkeit steigt häufig. Eigentlich ist alles auf dem Weg in die richtige Richtung – und trotzdem bleiben Fragen offen.

Ein Batteriesystem, in dem viele einzelne Zellen ein Arbeitskollektiv bilden, soll alles können: Es soll viel elektrische Energie speichern. Am liebsten auf wenig Bauraum (volumetrische Energiedichte) und bei wenig Gewicht (gravimetrische Energiedichte). Die Sicherheit muss auch bei einem Crash so groß wie möglich und das Risiko des thermischen Durchgehens so gering wie möglich sein. Und besonders in den Fahrzeugsegmenten von der Kompaktklasse abwärts sind die Kosten extrem wichtig. Es geht ums Geld und immer wieder ums Geld.

Unsere Übersicht der wichtigsten fünf Trends:

1. LFP wird zu LMFP erweitert

Tesla hat den Anfang gemacht: Die ursprünglich Model 3 Standard Range Plus genannte Basisausführung hat den Namenszusatz verloren und LFP-Zellen bekommen. Das Kürzel LFP steht für Lithium-Eisenphosphat. Eine Zellchemie, die in jeder Hinsicht robust ist: Die Zyklenfestigkeit ist hoch, und der gefürchtete „Thermal Runayway“ unwahrscheinlich. Auch die Fertigung ist unproblematisch – und preisgünstig, weil teure oder kritische Metalle wie Nickel und Kobalt nicht gebraucht werden.

Der Nachteil ist die geringe Energiedichte. Ein Model 3 mit LFP-Zellen hat eine Normreichweite von 491 Kilometern. Ein Model 3 Long Range Dual Motor mit einer vorwiegend Nickel-basierten Kathodenmischung kommt dagegen auf 602 km. Angesichts des Mehrpreises von 9.000 Euro greifen viele Käufer aber gerne zur LFP-Version.

Die Kombination aus kostengünstigen LFP-Zellen für Einstiegsversionen und klassischen NMC-Zellen für Premium-Varianten ist bei vielen Autoherstellern zu finden; besonders bei jenen, die direkt mit China assoziiert sind, weil LFP-Zellen dort zuerst etabliert wurden und weit verbreitet sind.

Wie krass die Auswirkungen sind, lässt sich an einem simplen Vergleich zeigen: Ein Volkswagen ID.3 mit 58 kWh und 429 km WLTP-Reichweite kostet mindestens 39.995 Euro. Die Serienausstattung lässt Wünsche offen. Volkswagen hat es versäumt, einen ID.3 mit weniger Reichweite für weniger Geld anzubieten. Der ID.3 mit 45 kWh ist nur in Kleinserie im Flottenbetrieb wie etwa im Carsharing zu finden, für normale Kunden nicht.

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Volvo zeigt mit dem EX30, was bei Volkswagen fehlt: Der Einstiegspreis liegt bei 36.590 Euro. Über 3.400 Euro Preisunterschied, der ausstattungsbereinigt noch etwas größer ist, können im C-Segment aka Golf-Klasse kaufentscheidend sein. Zwar liegt die gesetzliche Werksangabe für die Reichweite wegen der LFP-Zellen bei nur 340 km. Angesichts eines Endpreises, der für Private nach Förderung in diesem Jahr unter 30.000 Euro liegen kann, dürften aber einige Kunden zugreifen.

Tesla hat es vorgemacht, und Tesla macht weiter: LFP wird – wahrscheinlich zum Ende dieses Jahres – zu LMFP erweitert. Der Einbau von Mangan in die Struktur ist anspruchsvoll, erhöht aber die Energiedichte. Im Elektroauto (zuerst im Model 3 Highland, dann im Model Y Uniper) ist von zehn Prozent mehr Reichweite bei stagnierenden Kosten auszugehen.

Zulieferer wird Weltmarktführer CATL sein. Die Zellspannung von LMFP- ist höher als bei LFP-Zellen. Eine Schwäche ist aber die geringere Lade- und Entladeleistung. Die Frage ist allerdings, ob das im Alltag spürbar und wie groß dieser Abstrich tatsächlich ist. Unser Tipp: Tesla wird das Batteriesystem wie immer gekonnt steuern. Und andere Hersteller werden folgen – übrigens auch Volkswagen, wenn man den Ankündigungen der Power Days glauben darf.

2. Siliziumbeimischung an der Anode

Die Debatte über die Details der Kathodenmischung – was ist besser, NCA oder NMC955? – verstellt die Sicht auf das große Verbesserungspotenzial an der Anode. Hier kommt nahezu ausschließlich Grafit zum Einsatz. Grafit ist sehr schwer und drosselt die Ladegeschwindigkeit. Außerdem wird es nahezu ausschließlich in China aufbereitet. Wer es schafft, dieser Grafitanode immer mehr Silizium beizumischen, kann als Ergebnis auf eine stark verbesserte Energiedichte sowie eine höhere C-Rate (=Ladegeschwindigkeit, siehe Punkt 5) blicken.

diesseits der wunder: die fünf wichtigsten batterietrendsDer Porsche Taycan und der Audi e-tron GT haben bereits eine Siliziumbeimischung im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Branchenkreise gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent mittelfristig machbar sind. Das Problem: Solche Anoden verändern ihr Volumen beim Laden und Entladen, sie vergrößern sich und schrumpfen. Die Werkstoffforschung arbeitet daran, die daraus entstehenden Hindernisse zu beseitigen. Es gibt allgemeine Zuversicht, dass das funktioniert.

Batteriezellen mit einer Grafitanode und Siliziumbeimischung können auf konventionellen Fertigungslinien produziert werden. Sie haben die Fähigkeit, bei den Eigenschaften in die Nähe von Solid-State-Batterien zu kommen, sagen Fachleute. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts werden sich solche Batteriezellen zunehmend verbreiten – und sie sind realistischer als Solid-State-Batterien.

3. Solid-State-Batterien

Solid-State-Batterien oder auf Deutsch Festkörperbatterien sind eines der größten Schlagworte in der Branche. Einen radikalen Vorteil hat der Ersatz des flüssigen durch einen festen Elektrolyten, wenn es gelingt, einen tatsächlich festen Elektrolyten mit einer Anode aus rein metallischem Lithium zu verbinden: Bei den Eigenschaften könnten sowohl die Energiedichte als auch die Leistung exzellent sein.

Aber: Reines Lithium ist hoch reaktiv. Es ist darum schwierig in der Handhabung und der Produktion. Die Frage aus der Perspektive der Autoindustrie ist, ob es sich finanziell lohnt, hier einen sehr hohen Aufwand zu betreiben.

Es gibt nur sehr wenige Anbieter, die offen an der Kombination aus tatsächlich festem Elektrolyten und metallischer Lithiumanode arbeiten. Quantumscape ist einer davon. Volkswagen ist an Quantumscape beteiligt.

diesseits der wunder: die fünf wichtigsten batterietrendsViele Unternehmen deklarieren stattdessen Semi-Solid-State-Batterien unter dem Label „Solid-State“. Die Begriffe sind nicht trennscharf geschützt. Halbfeste Elektrolyte können weiche Pulver oder Gele sein. Sie haben ein gewisses Potenzial, die Eigenschaften von Batteriezellen etwas zu verbessern, zum Beispiel die Betriebssicherheit, aber sie bieten nicht die Voraussetzung für eine Anode aus reinem Lithium.

Der härteste Konkurrent von Solid-State-Batterien sind konventionelle Zellen mit der unter Punkt 2 genannten Beimischung von Silizium an der Anode. Sollte es trotzdem jemandem gelingen, eine dauerhaltbare Solid-State-Batterie mit einer reinen Lithiumanode und echtem Festelektrolyten zur Serienreife zu bringen, wäre das ein Durchbruch. Der ist zurzeit leider nicht absehbar.

4. Natrium statt Lithium

Viele Menschen interessieren sich weniger für das obere Ende des technisch Denkbaren, sondern mehr für das untere des real Machbaren. Es gibt ums Geld. Um Bezahlbarkeit. Und hier machen Batteriezellen Hoffnung, die auf Natrium statt Lithium setzen.

BYD aus China wird noch in diesem Jahr den Kleinstwagen Seagull optional mit Natrium-Ionen-Zellen ausrüsten. Die Materialien, die bei dieser Chemie eingesetzt werden, unterscheiden sich deutlich von dem, was heute üblich ist. Die grundsätzliche Funktionsweise aber ist gleich.

Natrium statt Lithium ist günstiger. An der Anode kommt so genannter amorpher Kohlenstoff (Hard Carbon) und nicht Grafit zum Einsatz. Den Werkstoffentwicklern ist es offenbar gelungen, wichtige Schwächen wie den Kapazitätsverlust beim allerersten Laden abzumildern. Branchenriesen wie CATL, die ebenfalls Natrium-Ionen-Batterien bauen werden, würden sonst ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

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Zum Vergrößern klicken. Quelle: ZSW

An der Kathode können zum Beispiel Farbstoffe wie Preußisch Weiß (CATL) verbaut werden. Prof. Dr. Markus Hölzle, Materialspezialist am ZSW in Baden-Württemberg, schätzt dass die Kosten einer Kilowattstunde auf Systemebene bei 80 Euro liegen. Zum Vergleich: LFP-Zellen kommen nach der Analyse von Hölzle auf 118 Euro und NMC811-Zellen auf 146 Euro.

Wegen der sehr geringen Energiedichte sind Natrium-Ionen-Zellen vor allem in Konkurrenz zu LFP-Zellen zu sehen. Hier ist Natrium nochmals schwächer als LFP. Dem entgegen stehen aber auch große Vorteile, die über die Kosten hinausgehen: So haben Natrium-Ionen-Zellen viel bessere Kälteeigenschaften, und die Dauerhaltbarkeit ist nochmals höher.

Die Chancen sind aktuell noch zurückhaltend zu bewerten. Die Kritik an der geringen Energiedichte erinnert stark an die Frühzeit der LFP-Zellen: Sie wären eigentlich nur als Pufferspeicher für Solarenergie in Wohnhäusern geeignet, hieß es über LFP-Zellen. Bis Tesla kam. So ähnlich könnte es bei Natrium-Ionen-Zellen laufen.

5. Die C-Rate steigt

Auf jedem Chart der Autoindustrie zur Batterieentwicklung ist die C-Rate als Vergleichsmaßstab zu finden. 1C bedeutet, dass der Ladehub von 0 auf 100 Prozent eine Stunde dauert. Übersetzt für zehn auf 80 Prozent (das ist, was meistens angegeben wird), sind 1C also 42 Minuten.

Die C-Rate dient dazu, die Ladegeschwindigkeit von Traktionsbatterien mit unterschiedlichem Energieinhalt zu vergleichen. Die maximale Ladeleistung dagegen ist ein Einzelwert, der zwar durchaus Rückschlüsse zulässt, aber nicht aussagekräftig genug für die Praxis ist.

Die meisten Elektroautos im Kompaktsegment brauchen rund 30 Minuten, um von zehn auf 80 Prozent zu laden. Das entspricht 1,4C. Und die e-GMP von Hyundai schafft das in 18 Minuten und erreicht damit gut 2,3C. Das ist die Spitze dessen, was Endkunden heute niederschwellig kaufen können.

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Bis 2030 aber sollen die C-Raten auf 4 oder 5 steigen. So stellen es die Charts der Autoindustrie dar. CATL ist schneller: Kürzlich hat der chinesische Weltmarkführer das Qilin-System vorgestellt, dass sowohl mit LFP- als auch mit NMC-Zellen bestückt werden kann. CATL reklamiert zehn (!) Minuten für den Ladehub von zehn auf 80 Prozent, was 4C bedeutet. Die Produktion soll 2023 anlaufen.

Das technische Mittel, um das zu erreichen, ist eine drastische Erhöhung der Kühl- und Heizleistung im System. Geht es den Zellen gut, können sie ihr Optimum leisten. Selbstverständlich muss sich auch CATL gefallen lassen, dass diese Werksangabe später im Elektroauto überprüft wird. Wir sind jetzt schon neugierig auf die Realität, die auf dem Papier so vielversprechend ist.

Ein erstklassiges Batteriesystem ist also die ideale Ergänzung zu guten Zellen. Klar. Und 800 Volt Spannung sind ein weiteres Mittel: Wenn eine Ladesäule maximal 500 Ampere anbietet und das Elektroauto auf 400 Volt ausgelegt ist, ist eben bei 200 kW Schluss. Ein 800-Volt-System kann theoretisch das Doppelte – hier setzen Batteriesystem und Zellchemie die Grenze, die zurzeit bei rund 270 bis 300 kW im Serienauto liegt.

Die dritte Möglichkeit, die C-Rate zu erhöhen, ist die Verbesserung der Anode. Zum Beispiel durch eine Siliziumbeimischung an der bisher reinen Grafitanode.

Einige Elektroautobesitzer vermuten, dass es nicht notwendig ist, die C-Rate weiter zu erhöhen. Für jene, die grundsätzlich zu Hause laden, stimmt das auch. Es ist schonend, langsam zu laden. Unterwegs aber wird das Gegenteil gebraucht: Die DC-Infrastruktur wird beim Hochlauf der Elektromobilität immer wieder an Grenzen stoßen; auf zu wenig freie Flächen für die Ladeparks etwa. Schon jetzt lässt sich feststellen, dass die manchmal gähnend leeren DC-Parks am Sonntagnachmittag oder zum Ferienbeginn überfüllt sind. Queuing!

Eine hohe C-Rate führt dazu, dass die Ladeplätze schneller wieder geräumt werden. Ein Fortschritt, an dem kein Weg vorbeiführt, wenn die Elektromobilität hochskaliert werden soll.

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