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China schlägt Oxford: Der Brexit bremst Grossbritanniens Autobauer aus

china schlägt oxford: der brexit bremst grossbritanniens autobauer aus

Produktion beim Autohersteller Jaguar Land Rover, der zu Tata gehört: Früher war Grossbritannien das Tor zu Europa. Chris Ratcliffe / Bloomberg

Es gibt kaum ein Thema, das die konservative Regierung in Grossbritannien so gern vermeiden möchte wie den Brexit. Aber das will nicht gelingen, weil der EU-Ausstieg, den die Tories selbst aus der Taufe gehoben haben, das Land entscheidend prägt – und selten zum Guten. Die jüngste Brexit-Debatte wurde von einer der wichtigsten Industrien Grossbritanniens angestossen: Automobilhersteller fordern Änderungen an dem Freihandelsabkommen mit der EU, das seit dem Austritt aus der Zollunion und dem Binnenmarkt gilt, der Anfang 2021 vollzogen wurde.

Der elektrische Mini kommt aus China statt aus Oxford

Branchenweit 800 000 Arbeitsplätze stünden auf der Insel auf dem Spiel, erklärte Andy Palmer, der ehemalige Chef von Aston Martin, in der vergangenen Woche gegenüber der BBC. Palmer stiess in dasselbe Horn, zu dem kurz zuvor der Autobauer Stellantis in einer Stellungnahme gegenüber dem Parlament gegriffen hatte. Die Stellantis-Gruppe vereint Marken wie Citroën, Peugeot, Fiat und Vauxhall (Opel); sie ist der global viertgrösste Autoproduzent.

Autobauer könnten die Produktion verlagern und aufhören, auf der Insel zu investieren, warnte Stellantis – und verwies auf den Konkurrenten BMW, der die elektrische Version des britischen Kultautos Mini ab 2024 nicht länger in Oxford, sondern in China herstellen lässt. Die Mini-Tochter war im vergangenen Jahr mit 186 000 produzierten Wagen der drittgrösste Autoproduzent auf der Insel, nach Nissan und Jaguar Land Rover.

Dass BMW ausgerechnet die Produktion der elektrisch angetriebenen Minis verlagert, ist kein Zufall. Zwar dürfen dank dem Brexit-Freihandelsabkommen Fahrzeuge, die in Grossbritannien montiert wurden, zollfrei in die EU exportiert werden. Doch dafür muss ein gewisser Teil der Wertschöpfung auf der Insel oder in der EU erbracht worden sein. Diese Vorschriften werden für elektrische Fahrzeuge strenger: Ihre Wertschöpfung muss schon heute zu 40 Prozent auf der Insel oder dem Festland stattgefunden haben. Ab 2024 werden es 45 Prozent sein, bei der Batterie sogar 60 Prozent. Ab 2027 wird die Latte noch höher gelegt.

Es fehlen die Batteriefabriken

Schon beim Abschluss des Freihandelsabkommens vermuteten Experten, dass diese Ursprungsregeln zum Problem für den Standort Grossbritannien werden könnten. Auf der Insel gibt es keine grossen Batteriefabriken. Nur Nissan betreibt dafür ein kleines Werk in Sunderland und investiert dort in ein zweites. Hoffnungen auf die Gründung weiterer Produktionsstätten haben sich bisher nicht erfüllt. Dem Startup Britishvolt, das ambitionierte Pläne für ein Werk in Nordengland hegte, ging im Januar das Geld aus. Autokonzerne investieren lieber auf dem EU-Festland oder im günstigeren Asien.

Die in Grossbritannien ansässigen, meist ausländischen Autobauer sehen sich nicht in der Lage, die verschärften Vorschriften für die Wertschöpfung ab 2024 zu erfüllen. Damit droht ihnen bei Ausfuhren in die EU ein Zoll von 10 Prozent. Das wäre sehr unangenehm: Acht von zehn produzierten Fahrzeugen wurden im vergangenen Jahr exportiert, davon fast fünf in die EU. Der Standort hatte seine Grösse erst durch die Rolle als Tor zum Kontinent insbesondere für japanische Produzenten erlangt.

London müsse mit Brüssel einen Aufschub der Ursprungsregeln bis 2027 aushandeln, fordert die britische Branche. Unterstützt wird sie vom europäischen Autoverband (ACEA) und auch vom deutschen Verband der Automobilindustrie (VDA). Premierminister Rishi Sunak sagte, Downing Street führe mit der EU einen Dialog. Er hoffe auf eine Lösung. Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch, wie Sunak eine Brexit-Anhängerin, behauptete derweil, die Probleme hätten nichts mit dem EU-Ausstieg zu tun.

Der Brexit verstärkt andere Probleme

Doch wie so oft ist der Brexit zwar nicht das alleinige Problem, macht aber andere Probleme schlimmer. Die Unsicherheit nach dem Brexit-Volksentscheid im Jahr 2016 hielt Firmen von Investitionen ab. Seit 2021 herrscht zwar Sicherheit, und es fallen keine Zölle oder Mengenbeschränkungen im Güterhandel mit der EU an. Aber die unvermeidlichen Zoll- und Zulassungsformalitäten haben für erhebliche Kosten und bürokratischen Aufwand gesorgt, der Grossbritannien gegenüber einem Standort innerhalb des Binnenmarktes teurer und damit unattraktiver macht – sofern die Insel dies nicht durch andere Qualitäten ausgleicht.

Bisher ist ihr das kaum gelungen. Im Jahr 2021 ging Stellantis noch davon aus, die schärferen Vorschriften ab 2024 erfüllen zu können und weiter an den Standorten in Ellesmere Port und Luton mit 5000 Beschäftigten zu produzieren. Für die Batterien setzte der Konzern allerdings auf das Festland: Er hat in ein Joint Venture mit dem europäischen Batteriehersteller ACC und drei Gigafabriken in Frankreich, Deutschland und Italien investiert. Auch aus China sollten weiter Batterien importiert werden.

Dabei musste stets spitz gerechnet werden, denn der Transport der schweren Batterien ist teuer. Nun geht die Rechnung nicht mehr auf. Gestiegene Rohstoffpreise, Lieferkettenprobleme und höhere Logistikkosten beim Transport auf die Insel würden zum Problem, heisst es in der Stellungnahme gegenüber dem Parlament. Die schärferen Regeln für den EU-Export müssten ausgesetzt werden, bis eine ausreichende Infrastruktur zur Batterieproduktion in Europa bestehe.

Eine Industrie im Abwärtssog

Die britische Autobranche kann einen weiteren Rückschlag nicht gebrauchen: Die Produktion von Personenwagen in Grossbritannien schrumpft seit 2016, dem Jahr des Brexit-Referendums. Damals betrug sie 1,7 Millionen Fahrzeuge. Im Jahr 2022 waren es nur noch 775 000, ein abermaliger Rückgang um einen Zehntel zum Vorjahr. Jüngste Gründe waren der Halbleitermangel und Lieferkettenprobleme, aber auch die Schliessung von zwei Produktionsstätten. So hat der japanische Hersteller Honda die Insel inzwischen aufgegeben. Der Anteil vollelektrischer oder hybrider Fahrzeuge an der Produktion betrug bereits fast einen Drittel – und steht nun auf der Kippe.

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