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Auto China: Billigparadies oder Monsterwelle?

auto china: billigparadies oder monsterwelle?

Auto China: Billigparadies oder Monsterwelle?

„Langsam ist das neue Schnell“ ist das Credo, das beim chinesischen Export-Weltmeister Chery zelebriert wird, der noch dieses Jahr nach Österreich kommt. Doch mit vornehmer Zurückhaltung hat das nichts zu tun: Chinas Autoindustrie (flankiert von BMW, Mercedes und dem VW-Konzern) versammelt sich gerade in Peking auf der plötzlich wichtigsten Automesse der Welt und es hat was von der Ruhe vor dem großen Sturm. Dabei ist es hier alles andere als ruhig. Und mit langsam ist es auch so eine Sache.

Die acht Messehallen quellen geradezu über vor Autoneuheiten – vor allem großen – und gefühlt Millionen von Menschen, die sich über die bis auf den letzten Quadratzentimeter ausgenutzten Stände schieben. Das Gegenteil von dem trostlosen Bild, das Automessen mittlerweile bei uns abgeben, wir erinnern uns mit Schaudern an Genf vor zwei Monaten.

Unzählige Automarken, von denen wir noch nie gehört haben, die wir auch nicht lesen können. Rund 150 soll es derzeit in China insgesamt geben und es kommen immer weitere dazu. Viele werden jedoch wieder verschwunden sein, kaum dass wir die Schriftzeichen durch den Google-Übersetzer gejagt haben. Doch die meisten Auftritte hier sind ernsthaft und aus europäischer Sicht beängstigend, das Entwicklungstempo ist immens, dank nahezu unbegrenzter billiger Manpower. Und Geld vom Staat.

Was jetzt? Schnell oder langsam? Das ist für Europäer offenbar genauso schwer zu verstehen wie die Horden an Influencerinnen im Schulmädchen-Look, die extrem schlanken, weiß geschminkten Frauen, welche im Live-Chat über die Produkte streamen, und andere, die grundsätzlich in kurzen Röckchen und Kleidchen vor Kameras posieren. Es wirkt, als hätten sie in China normal- und übergewichtige Menschen aussortiert. Ältere auch.

Bei uns dauern Entwicklungen länger, trotzdem wird – von Markt- und Führungsdruck getrieben – teilweise gehudelt und Autos unfertig auf den Markt geschickt (wie das etwa bei VW ID.3 und Golf 8 der Fall war). Anschließend dauert es Jahre, bis man Fehler ausmerzt (wie die unbeleuchteten Touchslider oder auch die Software bei VW, um im Kleinen zu bleiben). Dafür gehen Menschen irgendwann in Pension und nicht Straßen kehren. Die strahlende Welt in China hat auch eine Kehrseite.

Doch die bleibt den meisten verborgen. Gesehen werden die Gewinner. Und die billigen Autos. VW hat die Marktführerschaft an BYD verloren, der ID.7 ist krachend gescheitert, jetzt will man mehr „in China für China“ bauen und hat 2,5 Milliarden Euro in den neuen Partner Xpeng (gesprochen Schaupong) investiert. Derzeit kämpfen die großen Deutschen unisono mit miserabel ausgelasteten Fabriken.

Auf dem wichtigsten Markt der Welt legen die Einheimischen das Tempo vor, und das nicht nur, weil plötzlich alles elektrisch laufen soll.

Rekord-Diesel kommt aus China

Hat da jemand gesagt, die Chinesen können nur Elektro, beim Verbrenner macht uns keiner was vor? Die Elektrifizierung fördert natürlich den automobilen Aufschwung von Chinas Industrie, aber seit Neuestem sitzt auch die Diesel-Krone auf einem chinesischen Haupt: Das Unternehmen Weichai Power hat einen Dieselmotor mit dem 53,09 Prozent Wirkungsgrad konstruiert – ein Quantensprung gegenüber den sonst üblichen 42 Prozent.

Am anderen Ende der Autoantriebstechnik hat CATL auf der Auto China eine LFP-Batterie vorgestellt, die 1000 Kilometer Reichweite bieten soll, von denen 600 im besten Fall in nur zehn Minuten nachgeladen werden können.

Verbrenner bleiben auch in China aktuell, wenn auch – wegen strikter Zulassungsbeschränkungen – immer weniger ohne zusätzlichen Stecker: Jedes zweite elektrifizierte Auto, das in China zugelassen wird, ist aktuell ein Plug-in-Hybrid. Solche mit mehr als 100 km Reichweite boomen. Da können die Europäer nicht mithalten, vor allem nicht bei den Stückzahlen.

Schöne neue Welt?

Anders als früher findet man kaum noch Kopien bekannter Marken auf der Messe, stattdessen jede Menge Fahrzeuge, mit gefälligem bis teilweise sogar aufsehenerregendem Design. Vom Grand Tourer von Denza über Robocar, den Ferrari-Monza-SP2-Abklatsch von BYD-Tochter Fangchengbao oder das Geschoss von MG und, ja, bis zum Xiaomi SU7, dem ersten Auto eines Handy-Herstellers, das auch bei genauer Betrachtung nicht nur einen guten Eindruck hinterlässt, sondern mit 75.000 fixen Bestellungen bereits bis weit in den Herbst ausverkauft ist (Hersteller BAIC hat mit mangelnder Auslastung kein Problem).

Autos mit dem Namen iCar gibt es auch, die stammen aber nicht von Apple, sondern sind Offroader aus dem Hause Chery.

Was tatsächlich auffällt: Kleine Autos sind selten. Viel mehr als der Nammi EV1 oder der BYD Seagull findet man nicht. Das deckt sich mit dem Straßenbild in Peking.

Eine klare Tendenz geht auch in eine Richtung, die man im Westen fast komplett aufgegeben hat: Vans gibt es hier jede Menge, viele davon luxuriös, alle geräumig. Ob Renault irgendwann bereuen wird, den Namen Espace für ein SUV vergeudet zu haben?

Klar gibt es auf der Messe Skurrilitäten zu sehen wie die Limousine von Hongqi, die direkt aus einem Batman-Comic stammen könnte, Dongfengs Antwort auf Teslas Cybertruck oder das Flugauto von Xpeng. Das meiste ist aber am Puls der Zeit, und die scheint gegen die etablierten Marken zu laufen.

Alles erst der Anfang

Wir wissen nicht, wann die große Flut aus China zu uns kommt, aber wir wissen, sie wird mächtig. Das ist ähnlich wie auf der Auto China, wo es schwer ist, Informationen zu bekommen, weil die Standbesatzungen nicht darauf ausgerichtet sind, westlichen Besuchern auf Englisch Auskunft zu geben. Wozu auch? So bleibt vieles unklar, und doch gilt es für chinesische Konzerne immer noch als Auszeichnung, es in Europa „geschafft“ zu haben.

Genau das hat Chery vor, die Nummer drei in China und der größte Autoexporteur des Landes. Dafür hat der Konzern mit Sitz in Wuhu eigens zwei neue Marken gegründet: Omoda und Jaecoo. Und das erst vor einem Jahr. Mittlerweile sind sie in 40 Ländern vertreten, 160.000 Autos wurden bereits verkauft, in einem ehemaligen Nissan-Werk in Barcelona laufen die Autos vom Band. Man kann ahnen, was da insgesamt auf uns zurollt. BYD und MG bildeten in Österreich die Vorhut, Omoda und Jaecoo wollen im Spätsommer starten. Und das ist alles erst der Anfang. Hoffentlich bleiben uns die billigen Bissen nicht im Hals stecken.

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