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„Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen“

Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer über die Konkurrenz aus China, die Zukunft der Elektromobilität – und des Diesel-Plug-in Hybrid.

Die deutschen Autohersteller stehen unter Druck: Das Geschäft mit Elektroautos entwickelt sich in Europa nicht so dynamisch wie erhofft, zudem drängen immer mehr Anbieter auf den Markt mit hochwertigen Produkten zu günstigeren Preisen als sie von den Platzhirschen angeboten werden. Zu spüren bekommen sie es auch und noch stärker auf dem größten Automobilmarkt der Welt, in China. Dort galten Luxusfahrzeuge von Audi, BMW und Mercedes für die aufstrebende Mittel- und Oberschicht lange als Prestigeobjekte. Inzwischen gilt es als schick, sich in Fahrzeugen aus heimischer Produktion zu zeigen. „Für die deutschen Hersteller sind die Ergebnisse alarmierend“, sagt Willy Wang, Managing Direktor von Berylls Strategy Advisors, in einer Studie über den chinesischen Automarkt.

Wir kann ein deutscher Premiumhersteller wie Mercedes darauf reagieren? Wir sprachen darüber mit Mercedes-Entwicklungsvorstand Markus Schäfer.

Markus Schäfer hat bei den Schwaben eine Bilderbuchkarriere hingelegt. 1990 kam der inzwischen 59-jährige Diplom-Ingenieur als Trainee zu Daimler-Benz. Er startete im Karosseriebau und bekleidete später verschiedene Positionen in der Produktplanung, ehe er 1997 Projekt- und Werksleiter für das Montagewerk in Ägypten wurde. 2002 zog es Markus Schäfer in die USA, wo er die Leitung der technischen Abteilung im Werk Tuscaloosa, Alabama, übernahm. Im Jahr 2010 wurde er zum Präsidenten und CEO von Mercedes-Benz U.S. International ernannt – und schon drei Jahre später unter dieter Zetsche zum Produktionschef von Mercedes-Pkw. Seit 2019 ist er im Vorstand der Mercedes-Benz Group für Entwicklung und Einkauf zuständig. Seit 2021 bekleidet er zusätzlich das Amt eines Chief Technology Officers der Mercedes-Benz AG.

„wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen“

„Externe Faktoren können wir nicht kontrollieren“ Entwicklungsvorstand Markus Schäfer hält trotz der aktuellen Nachfrageschwäche an der Strategie fest, die Modellpalette von Mercedes-Benz zügig zu elektrifizieren. Fotos: Mercedes-Benz

Herr Schäfer, Mercedes setzt auf eine duale Modellpalette mit einer klaren Trennung von Verbrennern und Stromern. BMW hingegen hat sich für eine Hybridarchitektur entschieden – die Münchner setzen auf Plattformen, die sowohl mit elektrischen wie konventionellen Antrieben bestückt werden können. Stehen Sie heute noch zu Ihrer Strategie?

Für uns war immer klar, dass Flexibilität ein Muss ist. Vor einer Handvoll Jahren konnte niemand vorhersagen, wie schnell die Verbraucher die neuen Antriebsformen annehmen würden. Wir können gute Produkte liefern, gute Technologien mit ansprechendem Design. Aber externe Faktoren können wir nicht kontrollieren. Dazu gehören die Ladeinfrastruktur für Elektroautos, politische Fördermaßnahmen und finanzielle, auch Störungen der Lieferketten durch Pandemien. Deshalb haben wir eine Fertigungsstruktur definiert, die es uns ermöglicht, sowohl Verbrenner als auch Batterieautos auf denselben Montagelinien zu bauen. Wir haben auch unser Bestes gegeben, um Batterieautos mit niedrigem Verbrauch, hohen Reichweiten und kurzen Ladezeiten anzubieten – den Mercedes EQE und Mercedes EQS. Dennoch müssen wir weiterhin an unseren Kostenstrukturen arbeiten. Denn Batterieautos sind in der Herstellung immer noch teurer als solche mit Verbrennungskraftmaschinen.

„Wir werden niemals Kompromisse bei der Qualität machen.“

Wie gehen Sie dabei vor?

Indem wir alle Hebel in Bewegung setzen, die uns zur Verfügung stehen. Auf der Produktseite geht es darum, die Komplexität zu reduzieren. Wir müssen noch mehr Module zwischen unseren über 40 Modellen teilen, dazu eine zielgerichtete Beschaffung betreiben und unseren globalen Einkaufsplan neu ausrichten, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Aber wir werden niemals Kompromisse bei der Qualität machen – die ist das Fundament unserer Marke. Der größte Kostenblock beim Elektroauto sind die Batterie und der E-Motor. Deshalb fließt ein großer Teil unserer Forschung in die Teams, die an der Entwicklung neuer chemischer Verfahren arbeiten, um in Zukunft kostengünstigere Traktionsbatterien zu bekommen. Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen. Das ist auch der Grund, warum wir in Kürze unser größtes und sehr fortschrittliches Batterielabor in Stuttgart eröffnen werden.

Wie lange werden Sie noch Gelder in die Entwicklung der Verbrennungskraftmaschinen investieren? Und wie lange wird der Diesel-Plug-in Hybrid noch in Ihrem Portfolio bleiben?

Wir werden unsere Verbrennungsmotoren weiterentwickeln, aber es wird in Zukunft weniger Varianten davon geben. Wir haben ein zentrales Kompetenzteam zusammengestellt, das alle Antriebsstränge vom Diesel bis zum Zwölfzylinder-Benziner betreut. Und das Team wird auch nach Inkrafttreten der Abgasnorm EU7, der wahrscheinlich kommenden chinesischen 7er-Regelung sowie der neuen kalifornischen Norm ACC2 noch aktiv sein. Die Welt der Vorschriften wird sich weiterentwickeln – aber unsere Motoren werden es auch. Jeder Verbrennungsmotor von uns wird elektrifiziert, mindestens zum Mildhybrid. Und dann haben wir natürlich auch noch den Plug-in Hybrid. Wir haben derzeit keine Pläne, unseren Diesel-Plug-in E300de so bald auslaufen zu lassen.

„wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen“

Concept CLA-Class Die auf der IAA in München gezeigte Studie gab einen Vorgeschmack auf das erste Elektroauto von Mercedes auf der neuen MMA-Plattform. Auszeichnen soll es sich durch eine hohe Effizienz des Antriebs und eine entsprechend große Reichweite von bis zu 750 Kilometer, aber auch kurze Ladezeiten. Der Anlauf der Serienproduktion ist für 2025 geplant.

Chinesische Hersteller arbeiten emsig an der Feststoffbatterie, die Ende des Jahrzehnts in Serie gehen könnte. Wird die Technologie einen Wendepunkt bringen, dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen?

Wir arbeiten intensiv in zwei Richtungen. Zum einen arbeiten wir mit zwei sehr fähigen Partnern – einem in den USA und einem in Südostasien – an Feststoffbatterien. Und wir beschäftigen uns intensiv mit Lithium-Ionen-Batterien der nächsten Entwicklungsstufe mit einem höheren Siliziumanteil an den Anoden. Beide Forschungsrichtungen werden zu Stromspeichern mit einer höheren Energiedichte und damit auch einem geringeren Gewicht führen. Es handelt sich um zwei konkurrierende Entwicklungen, die in beiden Fällen Potenzial haben. Aber unsere Feststoffbatterie befindet sich noch in einem frühen Stadium der Entwicklung. Sie funktioniert gut im Labor und man kann sie für einige Zyklen einsetzen. Aber in Kundenhand muss sie natürlich Tausende und Abertausende von Kilometern mit höchster Zuverlässigkeit arbeiten und kontinuierlich schnelle Ladevorgänge bieten. Ich glaube nicht, dass wir mit unserer Feststoffbatterie zu spät dran sind, ganz im Gegenteil. Sie wird, wenn sie fertig ist, mit jedem Anbieter auf der Welt konkurrieren können.

„Es lohnt sich nicht, 800-Volt-Technologie nur um ihrer selbst willen anzubieten.“

Alle Elektroautos von Mercedes nutzen bislang eine 400-Volt-Architektur. Porsche und Audi, aber auch die Koreaner, setzten bereits auf die 800-Volt-Technik, die wesentlich kürzere Ladezeiten erlaubt. Warum hinken Sie da hinterher?

Es lohnt sich nicht, 800-Volt-Technologie nur um ihrer selbst willen anzubieten, aber die  öffentliche Ladeinfrastruktur dafür noch nicht bereit ist. Was wirklich für den Kunden zählt, ist die Ladezeit. Wir haben in unserem Unternehmen Lösungen für das aktuelle 400-Volt-Ladegerät im EQS gefunden, die ein erstklassiges Ladeerlebnis bieten. Und wir werden dieses schon bald noch besser machen. Auch mit Blick auf ein globales Engagement für 800-Volt-Ladeinfrastrukturen. Kurzum: Ich glaube nicht, dass wir mit unseren geplanten 800-Volt-Autos zu spät auf den Markt kommen, sondern zum genau richtigen Zeitpunkt.

Timing ist ein gutes Stichwort. Die Chinesen erneuern ihre Modellpalette in wesentlich kürzeren Abständen als die Europäer, schon nach etwa 2,5 Jahren statt in vier bis fünf Jahren wie bei uns. Müssen Sie da nicht auch die Schlagzahl erhöhen?

Es gibt definitiv so etwas wie eine „China-Geschwindigkeit“. Wir sind schon seit langem mit Forschung und Entwicklung in China vertreten und werden unsere Aktivitäten dort in naher Zukunft auch intensivieren. In den vergangenen zwei Jahren haben wir die Zahl unserer Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung schon fast verdoppelt. Um die Modellentwicklung auf Zyklen von 2,5 Jahren verkürzen zu können, müssen wir im gleichen Ökosystem wie unsere chinesischen Wettbewerber arbeiten – in Deutschland können wir das nicht. Und wenn wir erst einmal in dieser Position sind, gibt es keinen Grund mehr, das „China-Tempo“ nicht zu erreichen.

Beim elektrischen Konzeptauto EQXX haben Sie intensiv mit dem Formel-1-Team in Brixworth zusammengearbeitet, um die Entwicklung zu verkürzen. Werden wir solche Kooperationen künftig häufiger sehen?

Ich werde die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Mercedes-Benz teilweise in eine separate Einheit verlagern, die immer noch in Sindelfingen angesiedelt ist und mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung in China und anderen ‚Schnellbooten‘, die wir im Unternehmen haben – wie beispielsweise der Abteilung für Antriebsstrangentwicklung in Brixworth. Wir waren zweimal Formel-E-Weltmeister, wir haben unsere Kompetenz in der Entwicklung von E-Motoren und Batterien bewiesen. Es gibt keinen Grund, warum wir die nicht in unserem besten Interesse nutzen sollten. Beim EQXX haben wir so den Antriebsstrang in einem Ausmaß optimiert, wie es in Stuttgart wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Im nächsten Schritt werden wir den Antriebsstrang in die künftigen Fahrzeuge der MMA-Plattform einbauen. Den Anfang macht der neue CLA.

Im Augenblick schwächeln in Deutschland und Europa die Verkäufe von Elektroautos ein wenig, dafür zieht die Nachfrage nach Plug-in Hybride hier und in China wieder an. Beeinflusst das Ihre Produktplanung?

Eigentlich nicht. Wir haben vor einiger Zeit unsere langfristigen Investitionspläne in Bezug auf Plattformen bekannt gegeben. Die jüngsten Marktentwicklungen haben diese nicht verändert. Langfristig ist es die richtige Strategie, auf Elektrofahrzeuge zu setzen. Und auch wenn die Marktakzeptanz von Region zu Region unterschiedlich ausfällt, gibt es keinen Grund, daran etwas zu verändern. Wir investieren zehn Milliarden Euro in die Entwicklung von Elektroautos fließen und werden nicht mehr viele neue Autos mit Verbrennungsmotoren vorstellen. Die E-Autos werden immer besser und für die Kunden attraktiver werden, auch werden sich die Preisunterschiede kontinuierlich verringern. Da sollte dann die Wahl für ein Elektroauto leicht fallen.

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