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Mitten in der Krise droht den deutschen Autobauern der CO₂-Schock aus Brüssel

Neuwagen dürfen 2025 im Schnitt deutlich weniger CO₂ ausstoßen. Die neuen Vorgaben fallen ausgerechnet in eine Phase, in der sich E-Autos kaum verkaufen. Volkswagen fordert nun Erleichterungen, prallt damit aber ab. Den Autobauern bleiben drei teure Möglichkeiten, um Strafen abzuwenden.

mitten in der krise droht den deutschen autobauern der co₂-schock aus brüssel

„Das Ziel für 2025 ist nach unserer Einschätzung zu ehrgeizig“, sagt ein VW-Sprecher picture alliance/dpa/dpa-ZB/Hendrik Schmidt

Die Rechnung aus Brüssel droht hoch zu werden. Bis zu 15 Milliarden Euro an Strafen müssen Europas Autohersteller an die EU-Kommission überweisen, wenn sie im kommenden Jahr die strengeren CO₂-Ziele verfehlen. So sagt es Renault-Chef Luca de Meo, zugleich Präsident der europäischen Autolobby Acea. Die Summe entspricht einem Sechstel des Vorsteuergewinns der Branche im vergangenen Jahr. Aber da lief es noch sehr gut für die Autoindustrie.

Inzwischen hat sich die Lage geändert. Der Markt ist eingebrochen, die Gewinne sinken. Volkswagen steckt in einer tiefen Krise, droht in Deutschland mit betriebsbedingten Kündigungen und Standortschließungen. Die Marke VW verdient nicht mehr genug, um nötige Investitionen finanzieren zu können.

Milliardenschwere Strafen wegen verfehlter CO₂-Ziele wären eine zusätzliche Belastung. Um die Vorgaben zu erfüllen, müsste der Konzern auf einen E-Auto-Anteil von 25 Prozent bei seinen Verkäufen kommen. Aktuell erreicht er in Europa nur zehn Prozent.

Während Politiker in Deutschland gern über das Verbrennerverbot im Jahr 2035 diskutieren, über Sinn oder Unsinn von Elektroautos, liegen die Sorgen der Manager zeitlich viel näher. „In der aktuellen Situation ist das Thema Flottengrenzwerte im Jahr 2025 das drängendste Problem für uns“, sagt ein hochrangiger Lobbyist in Brüssel. Ausgerechnet in einer wirtschaftlich kritischen Phase klafft eine Lücke zwischen den gesetzlichen Vorgaben und dem Elektro-Anteil bei den Neuwagen.

Volkswagen verlangt Erleichterungen von Brüssel. „Neben dem Setzen ehrgeiziger Ziele müssen auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese realisiert werden können“, sagt ein Sprecher. Die gestaffelten CO₂-Ziele müssten überprüft und angepasst werden. „Das Ziel für 2025 ist nach unserer Einschätzung zu ehrgeizig, gemessen daran, wie sich die Elektromobilität aktuell in Europa entwickelt. Wir müssen am Langfristziel 2035 festhalten, gleichzeitig brauchen wir realistisch gestaffelte Ziele auf dem Weg dorthin.“

Neuwagen in Europa dürfen derzeit im Schnitt 115 Gramm CO₂ je Kilometer ausstoßen. Ab 2025 sollen es 94 Gramm sein, ab 2030 weniger als 50 Gramm. Und ab 2035 soll die Grenze bei null liegen – das wäre das Ende von Verbrenner-Fahrzeugen. Die Werte sind per Gesetz vorgeschrieben.

Von Änderungen hält die Brüsseler Politik wenig. „Wir sind für Technologieoffenheit, Fahrzeuge, die nur mit klimaneutralen Kraftstoffen wie etwa E-Fuels fahren, müssen auch nach 2035 erlaubt bleiben“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. „An den Zielen sollten wir jedoch festhalten.“

Die Schwierigkeiten von VW müsse man sehr ernst nehmen. „Die Politik auf allen Ebenen hat hier sicher eine Verantwortung, aber ein Teil der Probleme ist auch hausgemacht“, meint Liese. „Eine Aufweichung oder Abschaffung der Klimaziele ist aus meiner Sicht nicht die richtige Antwort.“

Interesse daran, die Flottenregulierung aufzuschnüren, gibt es weder unter den Abgeordneten noch in der Kommission oder bei den Mitgliedstaaten. Die Debatte um die Zukunft des Verbrenners, hört man in EU-Kreisen, sei ein deutsches Phänomen.

Immerhin sieht das Gesetzespaket zum Verbrennerausstieg einen „Review“ für das Jahr 2026 vor. Die Regierung von Italien fordert, diese Überprüfung auf das kommende Jahr vorzuziehen und die 2025er-Regeln ebenfalls zu ändern. Der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) will das seit Freitag auch.

Bundesverkehrsministerium weniger streng

Die Bundesregierung lehnt diese Forderung ab. Sinn des „Reviews“ sei es, den Fortschritt bei der Erreichung der Ziele zu bewerten, sagt ein Sprecher des zuständigen Bundesumweltministeriums auf Anfrage. Das sei erst nach Abschluss des jeweiligen Zieljahres möglich, für die nächste Stufe also erst nach 2025. Bei früheren Zielwerten hätten die Hersteller „ihre Erfüllungslücke erst jeweils im Zieljahr geschlossen“ und nicht vorzeitig.

Das sei „den allermeisten Herstellern weitestgehend gelungen“, obwohl die Lücken in der Vergangenheit teils größer waren als jetzt. „Wir vertrauen darauf, dass die deutsche Automobilindustrie auch dieses Mal ihre Verlässlichkeit und technologische Kompetenz unter Beweis stellt und die Zielwerte erreichen wird“, heißt es weiter aus dem Ministerium von Steffi Lemke (Grüne).

Im Bundesverkehrsministerium sieht man das nicht so streng. Es sei es wichtig, „dass die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Mobilität nicht mit sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen einhergeht“, sagt eine Sprecherin von Minister Volker Wissing (FDP). Die Vorgaben müssten in der Praxis umsetzbar sein.

Außerdem müsse man „sicherstellen, dass der Industrie möglichst viele Optionen zur Erreichung der vorgegebenen Ziele zur Verfügung stehen“, ergänzt sie mit Verweis auf die von Wissing durchgesetzten Ausnahmen für Autos, die ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen betrieben werden. Diese wird es 2025 aber noch nicht zu kaufen geben.

Drei Szenarien drohen den Autoherstellern für das kommende Jahr: Erstens müssen sie E-Autos mit hohen Rabatten in den Markt drücken, zweitens den Verkauf großer Verbrenner einschränken. Drittens können sie sogenannte CO₂-Credits von Konkurrenten kaufen, etwa vom US-Hersteller Tesla. Hilft das alles nicht, bleiben am Ende die Strafzahlungen. „Das sind ausschließlich Möglichkeiten, die mit hohen Kosten verbunden sind“, klagt der Brüsseler Lobbyist, obwohl zugleich hohe Investitionen nötig wären.

Dass in der Politik vieles nicht zusammenpasst, hat gerade der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, in seinem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas festgestellt. „Der Automobilsektor ist ein Paradebeispiel für die mangelnde Planung der EU, die eine Klimapolitik ohne eine Industriepolitik anwendet“, heißt es darin.

China sei „in der Elektroauto-Technologie in praktisch allen Bereichen eine Generation voraus“, so Draghi. „Die europäischen Unternehmen verlieren bereits Marktanteile, und dieser Trend könnte sich noch beschleunigen.“ Als Lösung schlägt er einen „industriellen Aktionsplan“ vor.

In der Industrie würde man sich freuen, wenn die EU zumindest die Widersprüche in der Regulierung lösen würde. So werden CO₂-Emissionen in Produktion und Lieferkette je nach Gesetz unterschiedlich gemessen. Die schlechteste Methode aus deutscher Sicht: Für den „CO₂-Rucksack“ von Batterien soll künftig zählen, wie schmutzig der Strom im Herstellungsland im Durchschnitt ist.

Ein Nachteil für Deutschland mit seinem CO₂-lastigen Strommix. Doch der Bundesregierung scheint dieses Problem nicht so wichtig zu sein. Forderungen, in Brüssel auf eine Änderung hinzuwirken, sind bisher verhallt.

Stefan Beutelsbacher ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet über die Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik der EU. Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.

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