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Volkswagen in Berlin zeigt Ikonen des Designs: Blick auf eine neue Ausstellung

volkswagen in berlin zeigt ikonen des designs: blick auf eine neue ausstellung

Die 1960er gucken auf die 1980er: hier ein Porsche 911, dort Lagerfeld und MTV. Ganz links das ikonische Model Twiggy.

Der junge Amerikaner, Typ College-Sportskanone und also Herzensbrecher, ist sichtlich schockverliebt. „Imagine you have the keys to this“, sagt er laut mit unverkennbarem drawl. Stell dir vor, du hast die Schlüssel dafür. Während seine zwei Freunde weiterziehen in der Ausstellung, lehnt er sich in die Hightech-Hörnische mit Musikbeispielen aus den 1970ern (Songs von Queen, Abba, Bowie, Nina Hagen und City) und guckt versonnen auf das Hinterteil des sonnengelben Lamborghini Countach LP 400. Von so einem Blick kann selbst ein Gemälde Caspar David Friedrichs nur träumen.

Der Supersportwagen von 1973 steht links hinter dem Haupteingang der mysteriöserweise DRIVE benannten Hauptstadt-Dependance der Volkswagen Group an der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße. Und Situationen wie die eben beobachtete ich mehrfach bei meinen zwei Besuchen in der Ausstellung „Iconic“. Tatsächlich könnte diese Schau die unterschätzteste des Berliner Sommers 2024 sein.

Ein Trip durch die letzten acht Dekaden des Autodesigns und der Produktkultur wird hier geboten; die Nachkriegsära als Abfolge der Formen, Materialien und der populären Musik, jeweils ausgehend von einem ikonischen Fahrzeug aus dem Volkswagen-Konzern. Die maskuline Moderne des 20. Jahrhunderts wird dabei nicht bloß zelebriert, sondern in ihren Epochenkontext gestellt. Was bei jenen, die zumindest einige der Dekaden sehenden Auges durchlebt haben, immer wieder Aha-Momente auslöst.

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Seit 2011 Chefin für internationales Kulturengagement beim VW-Konzern: Benita von Maltzahn.

„A Timeless Journey of Culture, Society and Mobility“, so der Untertitel der Ausstellung, schlägt eine dialektische Volte. Einerseits sind die ausgewählten Wagen so besonders, dass einige tatsächlich ihrer Zeit enthoben scheinen, so etwa ein früher Porsche 911 (zu dem gleich mehr). Andererseits ist hier der Lauf der Zeit selbst – wie er Stile prägt und immer wieder unseren Blick auf die Welt rundum verändert – das eigentliche Thema. Was einen beim Promenieren durch die Schau gern mal nostalgisch stimmt.

„Das war eine Hauptidee der Ausstellung: Diese Objekte zusammenzubringen, weil sie sich in ihrer Entstehungszeit auch gegenseitig beeinflusst haben“, sagt Benita von Maltzahn, die mir zusammen mit ihrer kuratorischen Teammitarbeiterin Anja Kress eine Tour durch die Ausstellung gab. Als Global Head des Kulturengagements von Volkswagen gehört von Maltzahn zu jenem Kreis von Berliner Kulturmanagerinnen, ohne deren weitsichtiges Netzwerken und Überzeugungskraft die Kunst- und Museumsszene der Stadt eine sehr viel trübere wäre. (Man frage nur Klaus Biesenbach oder die beiden Direktoren des Museums Hamburger Bahnhof.)

Allwöchentlich zwischen Berlin und Wolfsburg pendelnd, verantwortet die energische Charlottenburgerin nicht nur alle weltweiten Sponsoringaktivitäten und das Fellowship-Programm des Konzerns, sondern auch jene Ausstellungsbeteiligungen von New York über Doha bis Shenzhen, die die Fahrzeuge der diversen Konzernmarken in den kulturellen Zeitgeist einklinken.

In „Iconic“ geht dieses Konzept, in dem sich Kunstförderung, Vermittlung kultureller Bildung und Image-Marketing verbinden, voll auf. Umgeben von zugleich entstandenen Technikobjekten, Möbeln und Kunst werden ikonische Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern nicht nur aus technischer Perspektive gewürdigt, sondern auch als ästhetische Leistungen und Treiber des sozialen Fortschritts. Strategisch nur logisch angesichts der viel jüngeren globalen Konkurrenz, ob aus Asien, den USA oder sonst woher, die den alteingesessenen deutschen Automarken zusetzt.

Apropos: Jedem, der ein paar Jährchen älter ist als der Lamborghini-Bewunderer von vorhin, gibt die Schau außerdem viele Anlässe zu individuellen Reminiszenzen. Als Babyboomer oder Babyboomerin besucht man sie am besten mit ein, zwei gleichaltrigen Freund:innen, denn solche Momente der Erinnerung wollen geteilt werden. Nehmen wir nur den Bereich, wo es um die 1990er geht: Als visuelle Version einer Proustschen Madeleine dienen hier ein Audi TT Coupé mit Steampunk-Details aus matt gebürstetem Chrom an der Karosserie und im Innenraum.

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Lanciert 1963: ein früher Porsche 911 aus der konzerneigenen Sammlung in der Schau.

Gleich daneben steht der Flakon von Calvin Kleins CK One-Parfum (mit Chrom-Verschlusskappe), ein Motorola-Handy zum Aufklappen, ein „ThinkPad“ von IBM von 1995, eine Sony-Playstation und Alessis spinnenartig hochbeiniger Zitronenpresse von 1990, alle mit wunderbar konzisen Erklärtexten. Als Fußnote für Design-Buffs hängt an der Wand dahinter dann noch jenes Papierset einer italienischen Bar, auf dem Philippe Starck die allerersten Entwürfe für seine unpraktische, aber eben ikonische Küchenskulptur skizziert hatte.

Zurück zum Lamborghini Countach. Aus mittlerer Distanz im Profil betrachtet, verbindet sich dessen kantiges Design mit Brian Duffys Porträts von David Bowie für das berühmte Albumcover von „Aladdin Sane“, auf dem der Sänger einen farbig glitzernden Makeup-Blitz im Gesicht trägt. Auf dem Bildschirm daneben läuft der Boxkampf von George Foreman und Muhammad Ali 1974 in Kinshasa, der als „Rumble in the Jungle“ in die Sportgeschichte einging und Ali zum Weltstar machte. Er in weißen Satinshorts, Foreman in Shorts aus rotem Nickistoff, als zwei ineinander verkeilte „Raging Bulls“ im Boxring.

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1964 born in GDR: das Kleinkraftrad 51/1F, berühmt als „Schwalbe“, vor einem Audi.

Und sieh an: Die 1970er wirken auf einmal nicht hippiemäßig friedensbewegt, sondern auf naive Art aggressiv. Nahm damals nicht auch das globale Bankensystem unheimlich an Fahrt auf, rüsteten sich nicht bereits die Wall-Street-Banker für den Boom der 1980er? Die keilförmige Karosserie aus dem Designstudio Bertone und der attackierende Stier im Lamborghini-Emblem scheinen genau das zu erzählen.

Auf den insektenfühlerhaft spindeligen Metallscheibenwischer des Countach antwortet gleich daneben eine genauso mattschwarze Tischleuchte „Tizio“ aus dem Jahr 1972. Der deutsche Designer Richard Sapper entwarf sie in seinem Münchner Büro für die italienische Leuchtenfirma Artemide, ganz zu Beginn des großen Austauschs zwischen deutschen Designern und italienischen Produzenten, der europäische Stilgeschichte schrieb. In Architektenlofts und auf den Schreibtischen von Modedesignern sollte sie zu einem der prägenden Designdinge des ausgehenden 20. Jahrhunderts werden, was auch ich als junge Stiljournalistin merkte. Ob München, Hamburg oder Mailand, wo auch immer ich hinkam, um ein Interview zu führen: Diese Lampe war schon da.

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Optimistische 50er: ein „Brezel-Käfer“ (benannt nach der Rückfensterform) mit Arne Jacobsens „Egg Chair“. Auf dem Bildschirm läuft das „Wunder von Bern“ von 1954, flankiert von Pollock-Kunst und James Dean als Verkörperung eines neuen Männertyps.

Zentrale Designobjekte entfalten ihre Kraft oft erst in den Dekaden nach ihrer Entstehung, auch diese Lehre nimmt man mit aus der „Iconic“-Schau. Ein Beispiel ist der Braun-Taschenrechner mit kleinem Photovoltaik-Element zum Aufladen durch Licht: Benita von Maltzahn und ich hatten ihn beide voll Stolz um die Jahrtausendwende im MoMA-Store in New York erstanden und verwenden ihn nach wie vor. Der Text in der Vitrine verrät, dass Dieter Rams ihn bereits 1976 entworfen hat. Das überrascht dann doch, selbst wenn man um Rams’ Rolle für das Apple-Produktdesign weiß.

Wenn es in dieser Ausstellung ein gar-nicht-so-geheimes Zentrum gibt, dann ist es wohl der kirschrote Porsche 911. Seinem Entwurfsjahr 1963 entsprechend ist er bei den flotten 60ern verortet. Nach dem Käfer und dem Bulli von VW, in deren Silhouette und Materialität (vor allem innen) noch die erzwungene Austerität der Nachkriegszeit steckt, erscheint der 911er hier als das letzte Fanal der klassischen Moderne im Autodesign. Bei ihm fand noch einmal alles zusammen: das „Weniger ist mehr“ Mies van der Rohes, die wie vom Wind selbst geformte Streamline-Kontur einer Brancusi-Skulptur, die dynamische Harmonie aus jeder Perspektive.

Das ganze, elegante Glück der automotiven Reduktion vor dem Manierismus der Felgen und Scheinwerfer, vor dem Rokoko der Lichtkanten, mit dem heutige Autoflanken dynamisiert werden sollen. Bei deren Anblick man halt leider oft denkt: Auf den CAD-Renderings der Entwerfer muss das besser ausgesehen haben als jetzt auf der Straße, im harschen Tageslicht der Realität.

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Die knalligen 60er − mit (links) der Neuen Nationalgalerie und Verner Pantons zungenförmigem Freischwinger.

Etwas fällt besonders positiv auf in der Ausstellung: Wie nonchalant sie Bezüge zu Berlin herstellt, etwa mit Fotos und einem Architekturmodell zur Neuen Nationalgalerie, und wie selbstverständlich sie auch die kulturelle Welt des deutschen Ostens einbezieht. In Bildern von Plattenbaufassaden (Anja Kress: „Uns ging es um das serielle Bauen als Zeitphänomen – gab es im Osten, gab es Westen, überall auf der Welt“) oder auch bei einem Teeservice aus Jenaer Glas, entliehen aus der Sammlung des Leipziger Grassi-Museums. „Entworfen hat es die DDR-Gestalterin Ilse Decho“, sagt Anja Kress. „Ihr Auftrag damals lautete, Wilhelm Wagenfelds Bauhaus-Design neu zu interpretieren für die DDR.“

Neben dem E-Bike von Porsche (eine Kooperation mit Rotwild), das hier in die Gegenwart überleitet, ist das zweite Zweirad in der Schau eine „Schwalbe“ von Simpson, also ein Kleinkraftrad aus DDR-Produktion. Und in der fünf Songs zählenden Playlist der Hörnische für die 1980er taucht neben Wham, Madonna und Michael Jackson auch die DDR-Band Karat auf.

Übrigens hat auch die Fortbewegung der Zukunft hier ihren eigenen Space. In Form eines hallenartigen „Immersive Room“, auf dessen enormen Leinwänden die Pixel zu Sphärenklängen dahinstieben und die Städte der Zukunft als Zellorganismen in die Höhe wachsen. Was die Berliner Agentur Flora&faunavisions da im Auftrag des Volkswagen-Konzerns kreiert hat, wirkt so, als hätte man sich in Wolfsburg längst auch der Mobilität im Luftraum zugewandt. Wir dürfen gespannt sein.

Verlässt man die Ausstellung dann endlich, zum Platzen gefüllt mit frischen Gedanken zum verschlungenen Lauf der Stilwelt, erblickt man links eine Wand, die aus der Ferne betrachtet ein buntes Federkleid trägt. Es ist ein papierenes Patchwork aus Post-its, auf denen sich schon jetzt Besucher aus aller Welt verewigt haben. „What’s your icon?“ steht animierend über den Zettelblöcken und Stiften, die zum Votum-Abgeben einladen. Die Besucher der Schau ließen sich nicht lang bitten, das zeigt ein Blick über diese wirklich eindrucksvolle Wand. Erwartbares wie „Rihanna“ und „Taylor Swift“ wurde da notiert, Länder wie „Norway“ oder „Polska“ tauchen auf und, nicht weiter überraschend, eine erstaunliche Zahl von Katzenskizzen. Aber auch „Jesus Christ“ und „Franco, my husband“ oder „Me!“ und „Oma Mary“ samt gekritzeltem Herz.

„Kurt Cobain“ überrascht in diesem Zusammenhang nur kurz. Bis einem einfällt: Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ gehört natürlich zur Playlist für die 1990er in der Ausstellung. Und natürlich werden auch einige Automobile genannt: „VW Golf Country“, „911 aus 1969“ und ein krakelig entschlossenes „Lamborghini“. Womit wir wieder beim Anfang unserer Tour wären. Einfach reingehen, Neues erfahren, in Erinnerungen schwelgen − und staunen.

Die Ausstellung ICONIC ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet, Eintritt frei. DRIVE. Volkswagen Group Forum, Friedrichstraße 84/Ecke Unter den Linden.

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