Nutzfahrzeug

Interview mit Dirk Fröhlich von ADAC Truckservice über Unfallhilfe bei E-Lkw

interview mit dirk fröhlich von adac truckservice über unfallhilfe bei e-lkw

Die Bergung von Elektro-Nutzfahrzeugen stellt Pannenhelfer vor spezielle Herausforderungen. Der ADAC Truckservice hat daher einen neuen Kundendienst eingerichtet und ein Leuchtturm-Netzwerk aus spezialisierten Bergeexperten aufgebaut. Unsere Autorin Nicole de Jong hat mit dem ADAC-Truckservice-Geschäftsführer Dirk Fröhlich über fachkundiges Bergen und die vom ADAC entwickelten Standards gesprochen.

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Herr Fröhlich, der ADAC hat einen Pannenservice für E-Lkw eingerichtet. Sind denn schon viele E-Nutzfahrzeuge in Deutschland unterwegs?

Im Transporter- und Bussektor sind elektrifizierte Flotten im täglichen Verkehr unterwegs – mit steigender Tendenz. Auch im Baumaschinensektor sind bereits viele Fahrzeuge mit E-Antrieb im Einsatz. Die E-Mobilität bei schweren Lkw lernt allerdings gerade erst Laufen. Aktuell ist die Zahl von E-Trucks noch sehr überschaubar, schwere Nutzfahrzeuge mit E-Antrieb fahren in der Regel noch im Testmodus. Wir gehen davon aus, dass sich das ab 2024 deutlich ändern wird, denn alle Hersteller planen, schwere Lkw in hohen Stückzahlen in den Markt zu bringen. Wir schätzen, dass nächstes Jahr jeder namhafte Hersteller 500 bis 1.000 Einheiten verkaufen wird.

Das heißt, Sie sind schon gut vorbereitet auf das, was da kommt. Was genau umfasst Ihr Service und welches sind die Anforderungen an eine professionelle Bergung?

Wir unterscheiden zwischen Pannen- und Unfallhilfe. Bleibt ein Fahrzeug beispielsweise aufgrund eines Reifenplatzers liegen, müssen unsere Pannenhelfer im Prinzip auch nur den Reifen wechseln. Kann ein Fahrzeug infolge eines technischen Problems nicht weiterfahren oder erleidet einen Unfall, muss viel mehr beachtet werden.

Was heißt das?

Wir haben speziell für E-Nutzfahrzeuge eine exklusive Hotline eingerichtet, die an 365 Tagen 24/7 besetzt ist. Die Mitarbeiter dort nehmen die relevanten Daten auf: also Fahrzeugtyp, wo es steht und wer der Fahrer ist. Sie fragen nach, ob beim Reifenplatzer auch das Radgehäuse zerstört wurde oder die Batterie oder Teile davon etwas abbekommen haben. Der Verunfallte bekommt von uns eine SMS, darüber versendet er seinen genauen Standort und übermittelt Fotos vom Schaden. Bevor die Spezialisten losfahren, rufen Sie den Fahrer an, um offene Fragen zu klären. Es ist ganz wichtig, dass die Einsatzkräfte vor Ort die Situation gut einschätzen können, um aus der Gefährdungslage abzuleiten, was zu tun ist. Sie agieren herstellerübergreifend und nur sie können erkennen, ob der Energiespeicher beschädigt ist.

Sie stellen über Ihr Leuchtturm-Netzwerk sicher, dass die ausgebildeten Experten sofort an den Pannenort oder die Unfallstelle geschickt werden. Wie lange dauert das?

Wir versprechen, dass diese innerhalb von 45 Minuten dort sind. Sicherlich kann man aufgrund der Verkehrslage nicht immer ausschließen, dass es staubedingt auch mal länger dauert, aber in der Regel sind unsere Helfer spätestens nach einer Stunde am Pannen- oder Unfallort. Unsere Zielvorgabe lautet, dass das Fahrzeug beispielsweise bei einem Reifenschaden spätestens nach zwei Stunden weiterfahren kann. Unser Service ist flächendeckend angelegt und wir sind hier in Deutschland nicht nur führend, sondern absoluter Vorreiter. Übrigens nutzen auch Feuerwehr und Polizei die Hotline, um durch den Elektroexperten des ADAC Truckservice eine Sacheinschätzung der Situation vor Ort zu bekommen.

Wie viele Partner umfasst das Netzwerk und wo sind diese angesiedelt?

Inzwischen sind es 27 Regionalpartner, die alle mindestens zwei Batterieexperten als Bergeleiter haben und gut miteinander vernetzt sind. Das heißt, selbst wenn bei einem Partner aktuell kein Batterieexperte zur Verfügung steht, dauert es durch die Verteilung der Partner über ganz Deutschland maximal eine Stunde, bis ein Experte aus einer anderen Werkstatt zur Stelle ist. Die meisten Werkstätten liegen in der Nähe von Autobahnen, vor allem in Ballungsgebieten.

Welches sind die Besonderheiten von verunfallten E-Lkw gegenüber herkömmlich angetriebenen Trucks?

Mögliche Schäden sind nicht sofort sichtbar. Tritt bei einem herkömmlich angetriebenen Lkw Kraftstoff aus, ist das zu sehen und zu riechen. Bei einem E-Nutzfahrzeug kann nur ein Profi am Einsatzort einschätzen, ob und wie schwer ein Akku im Falle eines Unfalls beschädigt ist. Dieser gerät nicht immer sofort in Brand, ein beschädigter Akku kann mitunter erst Tage nach dem Unfall Feuer fangen. Auch ein gelöschter Akku kann sich nochmal entzünden. Das Fahrzeug zu fluten, ist allerdings Unsinn, da es dabei komplett zerstört und zum Gefahrgut wird. Denn wenn die Batterie mit Wasser in Berührung kommt, entsteht eine chemische Reaktion. Unsere Experten entfernen also, wenn nötig, den Akku vom Fahrzeug, lagern ihn fachgerecht in zertifizierten Boxen, sodass von ihm keine Gefährdung mehr ausgeht, und führen ihn dann sofort dem Recycling zu.

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Ist es schon zur Bergung von E-Lkw gekommen? Wenn ja, was war los?

Schwere Zugmaschinen hatten wir bislang noch nicht, weil diese momentan noch in der Pilotierungsphase sind. Bergungen von brennenden Fahrzeugen gab es bisher vorwiegend im Transporter- und Busbereich. Praktisch war es dabei jeweils nur nötig, den Energiespeicher zu sichern. Kürzlich fing beispielsweise ein Hybridbus durch einen technischen Defekt Feuer, dabei wurde die Hochvoltanlage komplett zerstört. Der zuständige Leuchtturm-Partner hat sofort seinen Batteriefachkundigen geschickt, der die Sachlage beurteilt und die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet hat. Nachdem alle Kabelverbindungen am Energiespeicher demontiert waren, wurde der Speicher mit einem Kran abgehoben, in einen Gefahrgut-Transportbehälter verpackt und zum Entsorger gebracht. Danach konnte das Fahrzeug herkömmlich geborgen, sprich abgeschleppt werden.

Welche Herausforderungen gehen aus Pannenhelfer-Sicht mit dem Hochlauf von E-Lkw einher?

Wir haben ganz klar eine große Verantwortung und sind überzeugt, dass Sicherheit und Fachwissen vor allem bei Unfällen künftig eine viel größere Rolle spielen. Die Zeiten, in denen Lkw durch halb Europa geschleppt werden, weil die Reparatur anderswo billiger ist, sind unserer Auffassung nach vorbei, da die Gefährdungslage bei havarierten E-Nutzfahrzeugen viel größer ist. Gefahren gehen nicht nur von der elektrischen Spannung aus, sondern auch durch die generelle Brand- und Explosionsgefahr durch brennbare Gase und Toxine. Ein Mobilitätsnetz für E-Trucks aufzubauen, ist eine Herkulesaufgabe, auch weil es bislang noch keine Standards und viel zu wenig Praxiserfahrung gibt. Wir beschäftigen uns daher permanent mit der Materie und erarbeiten zurzeit die erforderlichen Standards.

Was sind das für Standards und wie weit sind Sie damit?

Wir haben beispielsweise festgelegt, welche Ausbildung und Schutzausstattung Batterieexperten haben müssen und dass der Transport von Batterien nur in bestimmten, zertifizierten Behältern erfolgen darf. Wir haben weiterhin festgeschrieben, dass Fahrzeuge nicht geflutet werden dürfen. Und wir haben in Kategorien von 1 bis 7 abgestuft Fahrzeugzustände beschrieben und die jeweilige Vorgehensweise als Entscheidungshilfe für die Batterieexperten definiert. Ausstattung und Entscheidungsmatrix gilt für alle Leuchttürme gleich. Wir sind mit der Definition unserer Standards also schon sehr weit. Um ihre Qualität zu sichern, haben wir ein RAL-Gütezeichen beantragt. Wir wollen, dass alle Pannenhelfer in Zukunft nach diesen Standards vorgehen. Egal, wer sich dann mit dem Thema Bergung von E-Lkw befasst – er wird sehr von unserer guten Vorarbeit und unseren umfassend gesammelten Erfahrungen profitieren.

Sie haben Ihr Personal für die Pannen- und Unfallhilfe mit E-Nutzfahrzeugen umfangreich geschult. Was haben die Helfer gelernt?

Tatsächlich besteht hier ein sehr großer Bedarf an Aus- und Weiterbildung. Die normale Qualifizierung unserer Pannenhelfer reicht dafür nicht aus. Wir unterrichten unsere künftigen Batteriefachkundigen an vier Tagen in Vollzeit in unserer eigens entwickelten Schulung. Diese enthält beispielsweise die Arbeit an einem realen Nfz-Energiespeicher, der komplett zerlegt wird, damit sie lernen, wo mögliche Probleme liegen können. Das gesamte Fahrzeug wird dabei als elektrische Anlage betrachtet. Vermittelt werden Kenntnisse, mit denen die angehenden Experten einschätzen lernen, wann ein Fahrzeug im elektronischen Sinne sicher ist.

Wie viele Mitarbeiter haben die Schulung absolviert?

Bislang haben wir mindestens 54 Personen in Vollzeit geschult. Zudem durchläuft jeder Pannenhelfer und Monteur der Leuchtturmpartner die sogenannte Qualifizierung „Fachkundiger Bergen und Transport inklusive 1S“, die zu einer ersten Lagebeurteilung vor Ort berechtigt. Rund 300 Mitarbeiter der Leuchtturmbetriebe haben diese Schulung bereits absolviert, perspektivisch werden es rund 1.000 sein.

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Welches Equipment müssen auf E-Nutzfahrzeuge spezialisierte Werkstätten vorhalten?

Alle verfügen über Mess- und Prüftechnik, um feststellen zu können, in welchem Zustand der Energiespeicher ist. Sie halten eine Schutzausrüstung vor, die aus spezieller Kleidung, Helm mit Visier, Handschuhen und Stiefeln besteht. Die Partner verfügen über eine große Zahl an Bergungsbehältern für die Energiespeicher und sind durch die enge Zusammenarbeit im Netzwerk auch in der Lage, sich gegenseitig mit Behältern auszuhelfen. Immer mehr Betriebe nutzen die sogenannte Moditech Rescue-App, die Auskunft darüber gibt, in welchem Fahrzeug die Batterie wo und mit welchen Anschlüssen verbaut ist. Das ist vor allem dann nützlich, wenn das Fahrzeug durch einen Unfall deformiert ist.

Wie sind die ADAC-Abschleppfahrzeuge ausgestattet?

Einige der Partnerwerkstätten haben bereits spezielle Abschleppfahrzeuge zur Bergung von E-Nutzfahrzeugen im Einsatz, die sämtliche Werkzeuge sowie Mess- und Prüftechnik sowie die entsprechende Schutzkleidung und Bergungsbehälter an Bord haben. Bislang sind das noch Prototypen, aber es ist davon auszugehen, dass immer mehr Leuchttürme mit solchen Fahrzeugen nachziehen.

Sind auch schon Wasserstoff-Lkw in Deutschland im Einsatz und bereiten Sie sich auch auf deren mögliche Pannen vor?

Auch Wasserstoff-Lkw befinden sich noch in der Pilotphase, werden aber unserer Ansicht nach ein Nischenprodukt bleiben. Es zeichnet sich eher ab, dass sich Batterie-elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge durchsetzen – und vor allem in Ballungsgebieten eingesetzt werden. Da Wasserstoff-Lkw aber denselben elektrischen Antriebsstrang benutzen, wird sich bei der Pannen- und Unfallhilfe im Vergleich zum E-Nutzfahrzeug in der methodischen Vorgehensweise vermutlich nicht viel ändern.

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