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Elektroautos: CATL und andere versprechen mehr als 1000 Kilometer Reichweite

Chinas Autoindustrie ruft auf der Messe in Peking zur Rekordjagd. Mehrere Hersteller versprechen E-Autos, die mit einer Akkuladung 1000 Kilometer fahren können. Was da dran ist – und was das soll.

elektroautos: catl und andere versprechen mehr als 1000 kilometer reichweite

Elektroautos: CATL und andere versprechen mehr als 1000 Kilometer Reichweite

Unter 1000 Kilometer machen sie es nicht mehr. Die chinesischen Auto- und Batteriehersteller rufen auf ihrer Hausmesse in Peking zur weiteren Rekordjagd. In den vergangenen Jahren haben sie die Reichweite ihrer Fahrzeuge schon teils drastisch gesteigert, jetzt wollen sie die Lade-Schallmauer durchbrechen.

Die vierstellige Zahl betonte der führende Batteriekonzern CATL in einer Präsentation seines neuen Akkumodells »Shenxing Plus«. Damit könne man etwa von Peking nach Nanjing im mittleren Osten Chinas ohne Ladestopp fahren. Und wenn doch mal einer nötig würde, wäre der dank superfixem Laden schnell vorbei: Eine entsprechend leistungsfähige Ladesäule vorausgesetzt, ließe sich pro Sekunde genug Strom für einen weiteren Kilometer Fahrt ins Auto bringen. Damit, so das Unternehmen, beginne eine »neue Ära«. Elektrisches Fahren werde fürs allgemeine Volk verfügbar – und zwar mit Hochleistung, die sich für lange Reisen eigne, nicht bloß fürs urbane Pendeln.

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Nicht mehr nur angekündigt, sondern bereits in der Produktion sind zwei Oberklasseautos mit 1000-Kilometer-Versprechen. Sie sollen noch vor der Jahresmitte auf den chinesischen Markt kommen, von IM Motors und Nio. Nio-Chef William Li hatte bereits im Dezember eine spektakuläre PR-Show in einer Limousine mit dem neuen Superakku vorgeführt. Per Livestream übertragen, fuhr er gut 14 Stunden lang ohne Zwischenladen von Shanghai ins südostchinesische Xiamen. 1044 Kilometer, die magische Marke war gebrochen.

Domäne des Diesels

Der Zweck der ermüdenden Übung? Zeigen, dass »Elektrizität weiter ist als Öl«, wie es bei Nio heißt. Die E-Mobilität hat viele offensichtliche Vorteile gegenüber Verbrennungsmotoren: die bessere Klima- und Umweltbilanz, den effizienteren Einsatz von Energie, in immer mehr Fällen auch geringere Kosten.

Eine Domäne bleibt aber besonders dem Dieselantrieb, die vor allem für Viel- und Schnellfahrer interessant ist: Sie müssen selten tanken und sind schnell damit fertig. In dieser Disziplin scheinen die Macher von Elektroautos trotz aller Fortschritte kaum gewinnen zu können – versuchen es aber trotzdem.

Der Sinn immer höherer Reichweiten lässt sich allerdings leicht hinterfragen: Kaum jemand fährt regelmäßig so lange Strecken, niemand sollte sie ohne Pause durchfahren. Und das dichte Netz an Ladeinfrastruktur, das derzeit in vielen Ländern mit hohem Aufwand errichtet wird, würde dadurch praktisch überflüssig.

Zwischen Marketing-Gag und Technologiekompetenz

Irgendwo zwischen »Marketing-Gag« und »Zeigen von Technologiekompetenz« sieht der Batterieforscher Christoph Neef, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe, die aktuellen Ankündigungen. »Wer benötigt denn wirklich ein Auto mit 1000 Kilometern Reichweite?«, fragt Neef. Der für Langstreckenfahrer relevantere Sprung dürfte der von 400 auf 800 Kilometer sein – »und den haben wir schon heute«.

Kritisch wird der Fokus auf Reichweite gesehen, weil er vorwiegend mit immer größeren und immer schwereren Batteriepaketen erkauft wurde: Einfach mehr Batteriezellen ins Auto packen, damit gewinnt man Speicherkapazität, ergo Reichweite. Inzwischen sind E-Autos in der Regel wuchtiger als vergleichbare Verbrenner, sie werden gar zum Haupttreiber des Trends zum steigenden Fahrzeuggewicht. Das belastet nicht nur die Straßen unnötig stark und erhöht das Risiko schwerer Unfälle. Es sorgt auch für einen höheren Verbrauch kritischer Rohstoffe, die für die Akkuproduktion nötig sind, und schmälert die Umweltvorteile des Elektroantriebs. Kleinere Akkus wären für die meisten Autofahrer sinnvoller, lautet das Fazit einer aktuellen Studie des International Council on Clean Transportation.

Es gibt jedoch auch rationalere Methoden, die Autos weiter fahren zu lassen. Und da zeigen die Chinesen tatsächlich Technologiekompetenz.

Premiere mit Feststoffakku

Die Autos von IM Motors und Nio dürften zu den ersten zählen, die mit einer revolutionären neuen Akkutechnik ausgerüstet sind. Statt eines flüssigen Elektrolyten, durch den die Energie zwischen Plus- und Minuspol fließt, werden zumindest teilweise feste Stoffe als Elektrolyt verwendet. Laut Nio können die Zellen der (Semi-)Feststoffbatterie Energie dichter packen als alle anderen serienmäßig hergestellten Autobatterien: 360 Wattstunden Speicherkapazität pro Kilogramm Zellgewicht, bisherige Lithium-Akkus erreichten selten mehr als 250 Wattstunden pro Kilogramm. Daraus folgt, dass bei gleichem Gewicht mehr Reichweite möglich ist (oder gleiche Reichweite mit geringerem Gewicht).

Solche Feststoffbatterien gelten seit Jahren als das nächste große Ding, vor allem für eine bessere Leistung und noch größere Sicherheit als bei herkömmlichen Lithium-Ionen-Akkus. Technisch stieß die Entwicklung aber immer wieder auf Hindernisse, erst neuerdings meldeten etablierte Autokonzerne wie Volkswagen oder Toyota »Durchbrüche«. Toyota will mit Feststoffakkus Reichweiten von 1000, später gar 1200 Kilometern und Ladezeiten um zehn Minuten erreichen – aber erst 2027 oder 2028 auf den Markt kommen.

Mehr Evolution als Revolution

Was CATL präsentiert, ist hingegen mehr Evolution als Revolution. Der Batterieriese hat schlicht die herkömmliche Technik immer weiter optimiert, mit neuen Produktionsverfahren etwa die Zellen direkt zu einem Batteriepaket verbunden (Cell-to-Pack) statt in mehreren Modulen, was Gewicht spart. Mit diesem Konzept kommt die Firma nicht zum ersten Mal auf 1000 Kilometer: Schon die »Qilin«-Batterie, die seit dem vergangenen Jahr in mehreren Autos verbaut wird, bietet ähnliche Werte.

Das Besondere an der Pekinger Messeneuheit »Shenxing Plus«: Dabei handelt es sich um einen Lithium-Eisenphosphat-Akku (LFP), eine eher für Massenmodelle verwendete Technik. Gegenüber den bisher gängigen Materialmischungen wie Nickel-Mangan-Cobalt (NMC) senkt LFP die Kosten, aber auch die Leistung. Wenn die mit »Shenxing Plus« verbundenen Versprechen zutreffen, ergäbe sich die ideale Verheißung für Autokäufer: billig, und trotzdem technisch mit an der Spitze.

1000-Kilometer-Auto kommt als 620-Kilometer-Auto an

Allerdings sollten die 1000 Kilometer nicht unbedingt für bare Münze genommen werden – vor allem, weil Autos im realen Betrieb auf der Straße regelmäßig mehr Energie verbrauchen als unter auch noch so realitätsnahen Testbedingungen. Dabei ist der in Europa vorgeschriebene Standard WLTP noch strenger als die chinesische Messmethode CLTC. Die dort gemachten Angaben erleichtern also auf dem Papier höhere Reichweiten.

Oder einfach beim Verbrauch sparen

Man könnte mit der vorhandenen Technik noch mehr leisten, wenn man wollte. Etwa die Fahrzeuge selbst so trimmen, dass sie weniger Energie verbrauchen und daher mit der gleichen Menge weiter kommen. Dieses Sparkonzept trieb Mercedes-Benz mit dem Konzeptfahrzeug EQXX auf die Spitze, ein etwas anderes 1000-Kilometer-Auto. Den damit verbundenen Verzicht auf Komfort wollte die deutsche Premiummarke ihren Kunden jedoch bisher nicht zumuten. Immerhin einen »Technologietransfer« des EQXX verspricht Mercedes mit der 2023 gebotenen Vision Concept CLA Class, aus der tatsächlich bald ein Serienfahrzeug werden soll. Reichweite: über 750 Kilometer.

Trotz aller Bemühungen: Geht es um die reine Reichweite, ist der Diesel schwer zu schlagen. Der aktuelle VW Passat Variant 2.0 TDI Business DSG käme rechnerisch mit einem Verbrauch von 4,9 Litern Diesel pro 100 Kilometer und einem 66 Liter großen Tank 1347 Kilometer weit. Der neue Toyota Land Cruiser Prado mit einem 150 Liter fassenden Dieseltank könnte sogar mehr als 1700 Kilometer schaffen. Besonders sparsame Rekordfahrer wollen mit Diesel schon über 2600 Kilometer weit gekommen sein.

Um da heranzukommen, müssen selbst die E-Riesen aus China noch schummeln. Der dortige Automarktführer BYD, groß geworden als Batteriespezialist, verspricht zwar ein neues Antriebssystem für Autos, die 1800 Kilometer weit kommen. Dabei handelt es sich aber um einen Plug-in-Hybrid: mit einem Verbrenner, der einen zusätzlichen Elektroantrieb zu Hilfe nimmt.

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