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Sachsen ringt um das Elektroauto

sachsen ringt um das elektroauto

Elektrische Gegenwart: In Zwickau wird der ID.3 von Volkswagen montiert.

Es gibt wenige Orte, an denen die Schwierigkeiten und Widersprüche der deutschen Autoindustrie so offen zutage treten wie in Sachsen. In Chemnitz, wo der Volkswagen -Konzern ein Motorenwerk betreibt, brummt das Geschäft. In Extraschichten schrauben Beschäftigte Drei- und Vierzylinder-Ottomotoren zusammen, klassische Verbrennerantriebe, die derzeit wieder stark nachgefragt werden. Ganz anders in Zwickau, rund 40 Autominuten südwestlich: Dort hat VW ein Fahrzeugwerk komplett auf Elektroautos umgestellt und kämpft jetzt mit niedriger Auslastung, weil E-Modelle wie der kompakte ID.3 oder der Stadtgeländewagen ID.4 sich nicht gut verkaufen. Viele befristet Beschäftigte müssen gehen.

Vor der Landtagswahl im September ist der Umgang mit Sachsens wichtigstem Wirtschaftszweig, der Autoindustrie, zum Politikum geworden. Ministerpräsident Michael Kretschmer pocht darauf, dass der Verbrennungsmotor eine Zukunft haben soll, etwa mit klimaneutral hergestellten Kraftstoffen, den E-Fuels. Die CO2-Vorgaben der Europäischen Union, die in ihrer aktuellen Form vom Jahr 2035 an auf ein Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsantrieb hinauslaufen, hält er für falsch. „Technologieoffenheit und Innovationen haben Deutschland in der Vergangenheit stark gemacht“, sagt Kretschmer im Gespräch mit der F.A.Z. „Darauf müssen wir weiter setzen. Wir sollten uns nicht selbst Knüppel zwischen die Beine werfen.“

AfD gegen „hochsubventionierte, grüne Planwirtschaft“

Kretschmer ist damit auf Linie seiner Partei, der CDU, während Wirtschaft und Bevölkerung mit Blick auf die E-Mobilität gespalten sind wie in wenigen anderen Bundesländern. Der VW-Konzern, der auch im ostfriesischen Emden ein ganzes Werk auf Batterieautos umstellt, plädiert dafür, an der EU-Vorgabe für das Jahr 2035 festzuhalten. Nur die Zwischenziele in den Jahren davor mit schrittweise sinkender CO2-Obergrenze will VW entschärft sehen, um die Indus­trie auf dem Weg zum Verbrenner-Aus zu entlasten. Auch viele Autozulieferer in Sachsen drängen die Regierung, sich dafür einzusetzen, dass der grobe Zeitplan bestehen bleibt. Die Unternehmen hätten investiert und brauchten Planungssicherheit, sagt Max Jankowsky, Präsident der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, in deren Region viele Zulieferer sitzen. „Es wäre ein Irrweg, jetzt zurück zum Verbrenner zu gehen.“

Der BMW -Konzern, der in Leipzig neben Fahrzeugen mit Diesel- und Benzinantrieb die elektrische Variante seines Modells Mini Countryman herstellt, will sich dagegen nicht allein auf Batterieantrieb festlegen. Die Bevölkerung in Sachsen sieht E-Mobilität ebenfalls kritisch. Hohe Preise treffen in Ostdeutschland auf eine Kaufkraft, die noch immer unter dem Durchschnitt des Westens liegt. Auch deshalb haben nur etwa 1,5 Prozent aller Autos auf den Straßen im Freistaat einen reinen Elektroantrieb, während der Anteil in Ländern wie Hamburg, Hessen oder Baden-Württemberg schon mehr als doppelt so hoch liegt. Auch der Anteil der E-Autos an den Neuzulassungen von zuletzt knapp 14 Prozent ist im Bundesdurchschnitt gering.

Konkurrenz aus China

Die EU hatte ihre CO2-Vorgaben im vergangenen Frühjahr beschlossen. Ursprünglich war geplant, die Regeln im Jahr 2026 noch einmal zu überprüfen. Doch angesichts der derzeitigen Schwäche der E-Mobilität will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Realitätstest möglicherweise vorziehen auf die Zeit direkt nach der Europawahl im Juni. CDU und CSU haben in ihrem Wahlprogramm schon angekündigt, das Verbrennerverbot rückgängig machen zu wollen. Auch die Europäische Volkspartei (EVP) fordert, dass Ingenieure, nicht Politiker, über die beste Technologie entscheiden sollten, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen. Das Thema trifft in Sachsen eine Branche, die für 30 Prozent des Industrieumsatzes steht und rund 100.000 Menschen beschäftigt. Vor allem wegen des VW-Werks Zwickau kommt jedes vierte Batteriefahrzeug aus deutscher Herstellung aus dem Freistaat.

Die AfD, die in Umfragen über 30 Prozent der Stimmen erreicht, wettert schon seit Monaten gegen „hochsubventionierte, grüne Planwirtschaft“. Auch Kretschmer will die Stimmung aufgreifen. „Die überzogenen politischen E-Auto-Ziele und Vorgaben aus Berlin und Brüssel belasten unsere Unternehmen und unsere Wirtschaft“, sagt er. „Und sie machen uns gleichzeitig abhängiger von China. Das kann nicht unser Ziel sein.“ Aus der Volksrepublik kommen Vorprodukte wie Batteriezellen, deren Produktion in Europa erst am Anfang steht.

Die Abhängigkeit von China treibt Kretschmer auch mit Blick auf die Solarindustrie um, die in Sachsen stark vertreten ist und die mit ihren Forderungen nach Unterstützung im Kampf gegen Billigimporte aus der Volksrepublik an der Ampelkoalition in Berlin abgeprallt ist. „Wenn klar ist, dass es da um Marktverzerrungen geht und wir ständig über Resilienz reden, ist es nicht zu verstehen, warum das nicht in einem begrenzten, vernünftigen Umfang gemacht wird“, sagt der Ministerpräsident.

Er meint damit den Resilienz-Bonus, von dem europäische Hersteller wie der Schweizer Solarmodulproduzent Meyer Burger profitieren sollten. Das Instrument stieß vor allem in der FDP auf Ablehnung und ist deshalb nicht im mittlerweile verabschiedeten Solarpaket der Bundesregierung enthalten.

Meyer Burger hat deshalb seinen Produktionsstandort im sächsischen Freiberg geschlossen. Andere Hersteller wie Heckert Solar aus Chemnitz oder Solarwatt aus Dresden haben ebenfalls angekündigt, ihre Produktion in Sachsen zurückzufahren. Kretschmer sieht die Verantwortung dafür nicht nur in Berlin. „Dass es nicht möglich ist, so etwas zu klären, als Wirtschaftsraum mit 450 Millionen Einwohnern, macht mich einigermaßen sprachlos“, sagt er über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und China.

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