Bugatti

Bugatti Chiron

Bugatti Chiron Super Sport: schnellster Straßensportwagen der Welt

Bugatti bittet am Weltraumbahnhof zu einer Begegnung der dritten Art und zündet seine schärfste Rakete. Im Schatten des Space Shuttle darf der Chiron Super Sport zeigen, was wirklich in ihm steckt.


Es Ist morgens um sechs, und im Credential Office des Kennedy Space Center ist die Hölle los. Denn das Raumfahrt-Business boomt, und spätestens seit Elon Musk mitmischt, hebt hier in Florida jeden vierten Tag eine Rakete ab. Kein Wunder also, dass sie hier schon in den Morgenstunden Schlange stehen. Heute allerdings geht es nicht in den Orbit, sondern mein Flug bleibt auf Höhe null. Denn Bugatti will endlich mal wieder beweisen, wozu der Chiron in der Lage ist.


1600 PS und 440 km/h machen den Tiefflieger aus Molsheim zum schnellsten Straßensportwagen der Welt, und weil man das nicht einfach auf jeder x-beliebigen Straße ausprobieren kann, stehe ich jetzt hier am Schalter des Credential Office. Pass, Visum, Führerschein und schnell noch ein Foto, dann bekomme ich meinen offiziellen Ausweis und werde so zum Kollegen von Männern wie Buzz Aldrin oder Neil Armstrong, die von hier aus ihre Mission zum Mond angetreten haben. Wobei zu hoffen bleibt, dass ihnen die morgendliche Prozedur hier am Counter erspart geblieben ist. Aber ich will ja auch nicht zur Startrampe, sondern nur zur Landebahn, die offiziell ganz undramatisch “Launch and Landing Facility” heißt. Seit der Landung des letzten Space Shuttle wird sie von der privaten Space Florida betrieben und hat von der IATA das Kürzel TTS bekommen. bugatti chiron super sport: schnellster straßensportwagen der welt

Rekordfahrer Pierre-Henri Raphanel gibt Autor Thomas Geiger die letzten Anweisungen für die Raserei.

Bild: James Lipman
Also rein in den Bus und ab durchs Gate, vorbei am “Vehicle Assembly Building”, in dem sie schon die Saturn-Raketen für die Mondlandung montiert haben, und am sogenannten Crawler, der die Raketen von dort aus zur Startrampe bringt. Das Gebäude, in dem es ein eigenes Wetter und bisweilen sogar Gewitter gibt, hat die mit 139 Metern höchsten Tore und zählt mit rund 3,7 Millionen Kubikmeter Rauminhalt zu den größten Hallen der Welt. Und natürlich ist auch der Crawler unerreicht: Zwei Kettenläufer von jeweils 40 mal 35 Metern, angetrieben von 16 E-Motoren mit zusammen 6093 PS, machen ihn mit insgesamt über 5500 Tonnen Gewicht zur größten selbst fahrenden Landmaschine der Welt.

1600 PS für 3,8 Millionen Euro

Das Größte, das Stärkste, das Mächtigste – kleiner haben sie es nicht am – Achtung, noch ein Superlativ – berühmtesten Weltraumbahnhof der Welt. Und schon das wäre Grund genug für den Ausflug mit dem Bugatti. Schließlich ist auch er ein Superlativ unter den Straßenautos. Schon das, nun ja, Basismodell hat 16 Zylinder, 8,0 Liter Hubraum, 1500 PS, 1600 Nm und kostet knapp drei Millionen Euro. Der Super Sport setzt mit 1600 PS und 3,8 Millionen Euro noch mal einen drauf. Vom irrwitzigen Design mit dem um 23 Zentimeter verlängerten Heck ganz zu schweigen. Es gibt unter den Straßenautos keine Kategorie, in der dieser Spitzentrumpf nicht sticht. Kein Wunder also, dass er am Ende dieser Busfahrt ganz selbstbewusst unter dem Space Shuttle parkt – einem weiteren Rekordhalter hier im Kennedy Space Center. Denn auch wenn sich die Raumfahrer schwertun mit so schnöden Kategorien wie PS und Nm, wirkt selbst der Super Sport vergleichsweise handzahm gegen den Raumgleiter, der von flüssigem Wasserstoff und einer Mischung aus Ammoniumperchlorat mit einem Schub von 30,16 Meganewton in den Orbit geschossen und dabei mit anfangs 0,5 und dann bis zu 3,0 g  beschleunigt wird. bugatti chiron super sport: schnellster straßensportwagen der welt

3,2,1 – Lift-off: Mit irrwitzigem Schub beschleunigt der Chiron an der Startlinie – und selbst die längste Landebahn wird plötzlich ziemlich kurz.

Bild: James Lipman
Aber warum wir wirklich hier sind und nicht auf irgendeiner Rennstrecke, das ist die riesige Rollbahn, die sie hier für am Ende insgesamt 78 Landungen des Space Shuttle in die Sümpfe hinter dem Strand von Florida betoniert haben: 91 Meter breit und fast einen halben Meter dick, ist sie 4,6 Kilometer lang – die beiden Auslaufzonen von jeweils gut 300 Metern noch nicht mitgerechnet. Das macht sie zu einer der zehn längsten Landebahnen der Welt – und zur idealen Testumgebung für den Höllenritt im Chiron.

Feuerwehr und Notarzt in Alarmbereitschaft

Getestet wird hier allerdings nur in adäquater Kleidung. Wenn schon keinen Raum-, dann gibt’s für mich deshalb jetzt wenigstens einen maßgeschneiderten Rennanzug und wie vor jedem Raketenstart ein Mission Briefing. Das könnte allerdings kaum einfacher sein. Denn viel mehr als das Lenkrad festhalten und Gas geben muss ich gar nicht, wenn ich zum ersten Mal in meinem Leben die 400 km/h knacken will. “Und keine Angst”, ruft mir Johnny Bohmer noch hinterher, der hier für Bugatti als Chef der Agentur JBPG das organisiert, was offiziell als “Straight Line Aerodynamic Testing” geführt wird. Die Feuerwehr und der Notarzt sind in Alarmbereitschaft, genau wie die Rettungstaucher. “Denn wer hier abfliegt, der landet schnell in einem der vielen Tümpel, in denen es vor Alligatoren nur so wimmelt.” Auch Pierre-Henri Raphanel übt sich in beruhigenden Floskeln, während mir die brandfeste Wolle des Anzugs so langsam am Rücken zu kleben beginnt und ich nicht weiß, ob es die Vorfreude ist, die Nervosität, die Angst oder einfach nur das schwüle Frühlingswetter, was mir den Schweiß in Strömen laufen lässt. bugatti chiron super sport: schnellster straßensportwagen der welt

Nur nicht lenken! Das Wichtigste beim Rekordversuch: Lenkrad gerade halten.

Bild: James Lipman
Raphanel ist der vielleicht furchtloseste Beifahrer der Welt und wahrscheinlich auch der beste. Schließlich hat er erst im Veyron und dann im Chiron schon Tausende Probefahrten begleitet und junge Milliardäre genau wie alte PS-Profis überall auf der Welt vertraut gemacht mit dem Boliden, der meist Beauty ist und mit einem zu festen Fußtritt schnell zum Biest wird. Und jetzt sitzt er auch neben mir, als es auf die Einführungsrunde geht. 150 Meilen pro Stunde oder umgerechnet 240 km/h – was einen in den USA überall sonst direkt in den Knast bringt, fühlt sich hier nach Kriechfahrt an, und der Chiron braucht da nicht viel mehr als Standgas. Auch die 320 km/h danach sind eher eine vertrauensbildende Maßnahme denn eine Herausforderung. Ein Verkehrsflieger reckt bei diesem Tempo schon die Nase gen Himmel, doch der Chiron fährt so unbeirrt, dass man wahrscheinlich sogar die Hände vom Lenkrad nehmen könnte. Je weiter der Tacho klettert, desto mehr beruhigt sich deshalb mein Puls, und Raphanel schaut zufrieden.

Keine Zeit für Zweifel

Dass er vor dem nächsten Lauf dann trotzdem aussteigt, weil kein Gehalt der Welt dieses Risiko rechtfertige, mag für ihn zwar wie ein guter Scherz klingen, lässt mein Selbstvertrauen allerdings wieder zusammenfallen wie ein Kartenhaus im Blast der Space-X-Rakete, die sich ein paar Meilen weiter gerade zum Start bereit macht. Doch für Zweifel ist jetzt keine Zeit mehr. Schließlich gibt es vor der Fahrt noch ein paar Punkte auf der Checkliste abzuarbeiten, und der Countdown hat längst begonnen. Zwar ist der Chiron genau für solche Extreme konstruiert, doch einfach aufs Gas treten und schauen, was passiert, ist nicht. Weil sich die Entwickler ihrer Verantwortung sehr wohl bewusst sind, haben sie eine entsprechende Sicherheitsschleife eingebaut. Die beginnt mit einem zweiten, erschreckend schmucklosen Schlüssel, den ich links vom Fahrersitz einstecken und einmal drehen muss, um den Top-Speed-Modus zu aktivieren. bugatti chiron super sport: schnellster straßensportwagen der welt

Der größte, der stärkste, der teuerste: Kein Pkw-Motor ist so imposant wie der W16 des Bugatti Chiron.

Bild: James Lipman
Während die Elektronik noch einmal alle Systeme checkt und den Reifendruck abruft, sehe ich im Spiegel, wie sich hinter mir der riesige Spoiler flach macht, und spüre, wie sich das Auto noch mal um ein paar Millimeter tiefer auf den Asphalt duckt. Dann ist der Chiron scharf – und wenn ich jetzt nicht im Zweifel kurz auf die Bremse tippe oder mehr als ein paar Grad am Lenkrad drehe, sind in der Theorie 440 km/h drin. Raphanels Kollege Andy Wallace hat bei einer Rekordfahrt sogar 490 km/h geschafft und den Super Sport wieder auf Platz eins ins Guinness-Buch gebracht. Ich hingegen komme bei meinem ersten Lauf “nur” auf 375 km/h, weil zwischendurch ein Reifensensor Alarm schlägt und den Vortrieb kappt. Beim zweiten Mal reicht der Druck im Tank nicht mehr aus. Zwar schwappen noch immer über 50 Liter Sprit hinter meinem Rücken, und selbst wenn der W16-Motor bei Vollgas die vollen 100 Liter in acht Minuten leer saugt, sollte ich damit bis ans Ende von Runway 15/33 kommen.

Houston, we don’t have a problem

Denn so durstig der Dampfhammer sein mag, ist das kein Vergleich zum Space Shuttle, das beim Start binnen zwei Minuten rund 100 Tonnen Treibstoff verbraucht, nach acht Minuten dafür aber auch ein Tempo von 27.000 km/h erreicht. Doch sicher ist sicher, sagt die Software und zwingt den Chiron einmal mehr in den Notlauf – 380 km/h sind jetzt das Maximum. Und es fühlt sich verdammt komisch an, wenn das plötzlich zu wenig ist. Houston, do we have a problem? “Nein haben wir nicht”, sagt Raphanel, der hier auf Zuruf die Mission Control übernimmt und einfach noch mal schnell zum Tanken fährt. Und genau wie bei so vielen Raketen hier im Kennedy Space Center wird mein Start einfach verschoben und der Countdown nach dem Mittagessen neu gestartet. bugatti chiron super sport: schnellster straßensportwagen der welt

Genug ist nie genug; Mit den 400 km/h ist der Chiron noch lange nicht am Ende. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 440 km/h.

Bild: James Lipman
Und diesmal passt alles perfekt zusammen. Die Sensoren signalisieren Zustimmung, Mission Control reckt den Daumen, und während in meinem Kopf Elton Johns “Rocket Man” gegen den 16-Zylinder in meinem Nacken anbrüllt, schießt der Chiron über den Beton und lässt sich weder von dem dicken weißen Streifen der Landebahnmarkierung irritieren noch von dem Seitenwind, der zwischen den wenigen Büschen immer mal wieder aufgewacht. 60.000 Liter Luft pro Minute blasen die vier Turbos jetzt in die Zylinder, die Kurbelwelle rotiert mit über 7000 Touren, und jede Sekunde verschwinden bald 100 Meter Betonband unter den vier angetriebenen Rädern. Und trotzdem behält Elton John recht, wenn er von einer “long long time” singt. Denn selbst wenn ich noch nie so schnell gefahren bin wie heute, hat sich eine halbe Minute noch nie so lange angefühlt. Und so gewaltig der Bugatti anfangs anschiebt, wenn er in 2,4 Sekunden von 0 auf 100 beschleunigt, die analoge Nadel nach 5,8 Sekunden über die 200 und nach zusammen 12,1 Sekunden über die 300 km/h wischt, dauern die offiziell 28,6 Sekunden bis 400 km/h hintenraus eine gefühlte Ewigkeit. Und trotzdem würde die Landschaft da draußen längst auf Fast Forward schalten und zu einer grünen Tapete verschwimmen, wenn es denn hier in den Sümpfen von Florida irgendetwas gäbe, an dem der Blick Halt finden könnte.

400 km/h tatsächlich geknackt

“Nicht auf den Tacho schauen”, hat mir Raphanel eingehämmert, “sondern immer auf die weiße Linie rechts von dir.” Doch je näher die Ziellinie kommt, desto größer wird die Versuchung, den Blick doch einmal zu senken – und desto beruhigender die Erkenntnis, dass die Digitalanzeige tapfer klettert. 380, 390, 395, und noch immer ein paar Hundert Meter bis zur Flagge. Draufbleiben, draufbleiben, reintreten, fester reintreten und noch einmal tief einatmen, dann sind die 400 km/h tatsächlich geknackt, und kurz darauf fliegen links und rechts die Fahnen vorbei, die den Bremspunkt markieren – und mit ihm die gefährlichste Phase der Fahrt. Denn jetzt bloß nicht in Panik geraten und voll in die Eisen steigen, sonst reißt es an mir wie an den Space-Shuttle-Piloten, wenn der Orbiter den Bremsfallschirm rauswirft. Nur dass die für solche Extrembelastungen monatelang trainiert haben. Deshalb langsam, aber stetig Druck aufbauen und zusehen, wie irrwitzig Energie in Hitze aufgeht, die von den pizzatellergroßen Carbonscheiben aus den Radhäusern flirrt, während sich hinten der Flügel formatfüllend ins Bild schiebt. Und dabei dann auch mal ganz legal auf den Tacho schielen, der längst schon wieder in den Komfortbereich gefallen ist. 380, 360, 340, 320, 300 km/h – da fühlen sich auch Laien am Lenkrad wieder wohl. Nur gut, dass auf der kleinen Zusatzanzeige in der Mittelkonsole das maximale Tempo jeder Fahrt gespeichert wird und ich mir die Zahl jetzt noch einmal ganz genau anschauen kann: 400 km/h stehen da, und ich brauche die gesamten fünf Kilometer Rückweg, bis das in meinem Bewusstsein ankommt. Und dabei schleiche ich doch gerade mit 180 km/h und brauche deshalb mehr als doppelt so lang wie auf dem Hinweg. Während der Bugatti nach diesem Höllenritt mit knisternden Bremsscheiben wieder auf Betriebstemperatur herunterkühlt, muss meine Abkühlung noch etwas warten. Schließlich sind wir auf einer “Active Runway”, und dort herrscht Alkoholverbot. Raphanel zuckt daher mit den Schultern und deutet die Champagnerdusche nur an. Doch wichtiger als der Schaumwein ist ohnehin sein Schulterklopfen, mit dem er mich aufnimmt in den “Club 400”, jenen genauso imaginären wie elitären Club all jener PS-Profis, die tatsächlich einmal schneller als 400 km/h gefahren sind. Und das sind nicht viele, raunt mir Raphanel verschwörerisch zu, während meine Brust immer breiter und mein Rücken immer aufrechter wird:  zwei, drei Dutzend Bugatti-Kunden vielleicht, ein paar Ingenieure, eine Handvoll Guinness-Buch-Piloten und ein paar Rennfahrer, die sich nicht mit solch langsamen Serien wie der Formel 1 abgeben. Natürlich braucht es mehr Mut, sich auf eine riesige Röhre voller Treibstoff schnallen und in den Weltraum schießen zu lassen. Aber nachdem allein die USA schon mehr als 300 Astronauten ins All gebracht haben, ist mein Club ganz sicher der exklusivere. Ich hoffe, das wissen sie beim nächsten Mal auch vorn am Credential Office.

TOP STORIES

Top List in the World