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Autoriese in der Krise: Im VW-Konzern brennt es an allen Ecken

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Vier Ringe in Flammen: In Brüssel protestieren Audi-Beschäftigte gegen die Schließung ihres Werks.

Die Woche hatte gerade erst begonnen, als in Brüssel die ersten Proteste hochkochten. Beschäftigte des Audi -Werks, die zur Frühschicht anrückten, fanden sich am vergangenen Montag vor verschlossenen Toren wieder. Das Management hatte sie kurzerhand ausgesperrt, eine Eskalation im Streit um den schwach ausgelasteten Standort in der Gemeinde Forest im Süden der belgischen Hauptstadt.

Wenige Tage zuvor hatten Beschäftigte die Autoschlüssel von 200 elektrischen Audi Q8 entwendet, die auf dem Werksgelände auf ihre Auslieferung warteten. Seitdem wird vor der Fabrik protestiert. Auf der Straße brennen Reifen. Für Anfang kommender Woche ruft der belgische Gewerkschaftsbund FGTB zu einer Großkundgebung auf dem Place du Luxembourg mitten im Europaviertel auf.

In Brüssel hat der VW -Konzern längst in die Wege geleitet, was er nun auch in Deutschland androht: Die Schließung eines ganzen Werks. Auch bei der Tochtergesellschaft Audi sind die Kosten zu hoch. Der Stadtgeländewagen Q8 verkauft sich nicht gut, und viele Fabriken sind schwach ausgelastet. Jörg Schlagbauer, Betriebsratsvorsitzender der Audi AG, erklärte in den vergangenen Tagen seine Solidarität mit den Wolfsburger Kolleginnen und Kollegen. Er geißelte die „konfrontative Art“, mit der das VW-Management jetzt am Stammsitz durchgreifen wolle und sprach von einer „neuen Qualität der Auseinandersetzung“.

Gleichzeitig erinnerte er daran, dass Audi schon vor Jahren mit dem Abbau von Arbeitsplätzen und Produktionskapazität begonnen habe. Die Marke mit den vier Ringen, da sind sich Gewerkschaft und Audi-Führung einig, hat die wichtigsten Schritte gemacht oder zumindest schon beschlossen.

Eine veraltete Modellpalette von Audi, Probleme des Sportwagenherstellers Porsche – und Marktanteilsverluste des ganzen VW-Konzerns in China: All das spielt eine Rolle, wenn man verstehen will, warum sich ausgerechnet jetzt die Ereignisse am Stammsitz des Konzerns in Wolfsburg überschlagen. Dort lebt die Stammmarke mit dem VW-Logo schon lange über ihre Verhältnisse. Wegbrechende Gewinne in China legen die Schwierigkeiten jetzt schonungslos offen, genau wie die Umbrüche am Automobilmarkt, die auch die Premiummarken treffen.

„Auch Audi und Porsche haben mit ihren Gewinnen lange die Probleme überdeckt, die es an anderen Stellen im Konzern gab“, sagt Daniel Schwarz von der amerikanischen Investmentbank Stifel. „Doch das hat sich geändert.“

Bewährungsprobe für Oliver Blume

So steht der VW-Konzern vor einer Bewährungsprobe, die das ganze Konglomerat mit seinem Dutzend an Marken betrifft. Seit zwei Jahren steht Oliver Blume an der Spitze des Konzerns, er führt ihn parallel zum Sportwagenhersteller Porsche. Nun müsse Blume beweisen, dass das globale Konstrukt mit seinen mehr als 100 Fabriken in knapp 30 Ländern überhaupt noch „steuerbar“ sei, wie es ein Manager ausdrückt. Scheitere er, werde der Kapitalmarkt endgültig das Vertrauen verlieren, nachdem der Aktienkurs schon lange auf niedrigem Niveau verharrt. Es wäre ein Debakel für Europas größten Autokonzern und den wichtigsten Arbeitgeber in Deutschland.

Klar ist schon jetzt: Es wird erst noch schlechter werden, bevor es besser wird. Die Analysten der DZ Bank gehen davon aus, dass der VW-Konzern spätestens mit Vorlage seiner Zahlen für das dritte Quartal abermals den Ausblick für das Gesamtjahr 2024 senken wird. Die Nachfrage in Europa geht zurück, vor allem Elektroautos verkaufen sich schlechter als erhofft. Und die jüngste Ergebniswarnung des Wettbewerbers BMW habe gezeigt, dass auch in China die Probleme der deutschen Autoindustrie „noch größer werden“, sagt ein Börsenfachmann. Die gekappte Prognose der Münchner hatte in dieser Woche alle Autoaktien weiter nach unten gezogen.

Am Stammsitz von Audi in Ingolstadt hatten sich Management und Betriebsrat schon im Jahr 2019 darauf verständigt, bis 2025 rund 9500 Stellen abzubauen. Nach vielen Verzögerungen ist eine Modelloffensive angelaufen, mit der Audi-Chef Gernot Döllner wieder dem Markenslogan „Vorsprung durch Technik“ gerecht werden und zu Mercedes und BMW aufschließen will – etwa mit dem elektrischen SUV Q6, dessen Verkauf gerade angelaufen ist. Ein Effizienzprogramm soll die zuletzt schwache Rendite von etwas mehr als vier Prozent verbessern und Audi wieder zu einer Ertragsperle machen. Aber das Ziel von 13 Prozent ist in weiter Ferne.

Kündigung der Beschäftigungsgarantie

Auch die Marke VW in Wolfsburg hatte schon vor Jahren Einsparungen beschlossen. Doch passiert ist zu wenig. Jetzt hat das Management die Beschäftigungsgarantie für 120.000 Mitarbeiter an fünf Standorten in Niedersachsen und im hessischen Kassel gekündigt, was Entlassungen im großen Stil möglich macht. Beteiligte auf Arbeitnehmerseite halten es für wahrscheinlich, dass das Management früher oder später eine harte Rechnung aufmacht: Entweder 20.000 bis 30.000 Stellen werden abgebaut, einschließlich solcher Mitarbeiter, die über Modelle wie Altersteilzeit oder Abfindungen ausscheiden oder das Unternehmen im Zuge des bisherigen Sparprogramms schon verlassen haben.

Oder mindestens ein Standort in Niedersachsen, Hessen oder in Ostdeutschland muss schließen. Stellenabbau in dieser Größenordnung wird seit Jahren diskutiert. Zuletzt war der frühere VW-Chef Herbert Diess mit dem Versuch gescheitert, die Kosten deutlich zu senken.

Das Management weist nun alle „Spekulationen“ zurück. Es gehe darum, Kostenziele zu erreichen und nicht, eine bestimmte Zahl von Mitarbeitern abzubauen, wird betont. Ohnehin sei es viel zu früh, um über den genauen Umfang von Eingriffen zu spekulieren, bevor überhaupt die Verhandlungen über einen neuen Haustarif begonnen hätten. Auch die Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats, Daniela Cavallo, hat schon deutlich gemacht, dass Werksschließungen, Entlassungen und Tarifeinschnitte mit ihr nicht zu machen sind. VW stehe vor „heftigen Problemen“, aber Schuld sei nicht die Belegschaft, sondern eine verfehlte Modellpolitik, sagte sie. Es gebe im Konzern zu viele „Marken-Egoismen“, viele Abstimmungswege seien „ein einziges Chaos“.

Die Kosten müssen sinken

Auch den Verweis auf die renditestärkere Schwestermarke Škoda, die in Tschechien günstiger produziert als die Marke VW, hält man in Wolfsburg seit jeher für unfair. Die habe schon immer von Vorleistungen der Kernmarke profitiert, etwa in der Entwicklung technischer Baukästen, auf denen nicht nur VW-Autos, sondern auch Modelle von Škoda basierten, ebenso wie Autos der spanischen Volumenmarken Seat und Cupra oder Teile der Audi-Modelle.

Blume und sein Finanzvorstand Arno Antlitz haben indes unmissverständlich klargemacht, die Kosten eindämmen zu wollen. Im ersten Halbjahr war die Rendite der Stammmarke auf 2,3 Prozent weiter abgerutscht, weit unter den 6,5 Prozent, die sie bis 2026 schaffen soll. Vor Beschäftigten hat Antlitz zudem auf den Mittelzufluss verwiesen, eine wichtige Steuerungsgröße im Unternehmen. Nach Investitionen, so rechnete er laut Teilnehmern vor, habe der Netto-Cashflow in der Marke im ersten Halbjahr mit 600 Millionen Euro im Minus gelegen. Für Antlitz ein Warnsignal: „Wir geben in der Marke seit geraumer Zeit schon mehr Geld aus, als wir einnehmen.“

Lage bei Porsche hat sich geändert

Für den VW-Konzern als Ganzes kommt hinzu, dass sich die Lage des kleinen, aber traditionell hochprofitablen Sportwagenherstellers Porsche verändert hat. Seit dessen Börsengang im Herbst vor zwei Jahren gibt es keinen Gewinnabführungsvertrag mehr, der dafür sorgt, dass automatisch die Schecks von Stuttgart nach Wolfsburg gehen. Stattdessen schüttet Porsche eine Dividende aus, von der VW im Umfang seiner Beteiligung profitiert: 75,4 Prozent. Die Frage, wie viel Geld ausgeschüttet wird, gehört aus Sicht von Aktionärsschützern zu den Interessenkonflikten, denen nicht nur VW- und Porsche-Chef Blume mit seiner Doppelrolle ausgesetzt ist. Auch die Aktionärsfamilien Porsche und Piëch üben in beiden Unternehmen direkten Einfluss aus und sitzen in den Aufsichtsräten, ohne dass ihre Ziele transparent sind. Am Kapitalmarkt fürchten viele, dass die Familien die finanziellen Interessen des Sportwagenherstellers, der ihren Namen trägt, gegenüber VW priorisieren. In Aufsichtsratskreisen wird das bestritten.

Porsche kämpft vor allem in China mit sinkenden Absatzzahlen und hat damit Schwierigkeiten, dass im Luxus-Segment elektrische Fahrzeuge noch kaum gefragt sind. Damit ist unklar, wie lange der Sportwagenhersteller noch in beide Antriebsarten investieren muss.

Wegen Schwierigkeiten eines Zulieferers hat das Unternehmen vor wenigen Wochen seine Gewinnziele für 2024 gesenkt und rechnet jetzt nur noch mit einer operativen Umsatzrendite zwischen 14 und 15 Prozent. Um das langfristige Ziel von 20 Prozent nicht völlig aus den Augen zu verlieren, sollen zum einen die Forschungs- und Entwicklungskosten und zum anderen die Vertriebskosten sinken. Zwar verspricht Blume, dass Porsche schon nächstes Jahr wieder höhere Renditen einfährt. Aber die schwache Nachfrage in vielen Märkten belastet auch Porsche.

In den Büros des Stuttgarter Gesamtbetriebsrats haben die Arbeiternehmervertreter die Entwicklung in Wolfsburg genau verfolgt. „Betroffen“ mache einen die Situation, man stehe „solidarisch“ mit den Beschäftigen von VW zusammen, heißt es dort. Bei Porsche gibt es eine Standortsicherung, die bis 2030 gilt.

„Eine Kündigung ist nicht vorstellbar“, sagt Harald Buck, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats bei Porsche und Mitglied im Aufsichtsrat des VW-Konzerns, der F.A.Z. „Dies wäre nicht nur ein betriebswirtschaftlicher Irrweg, sondern auch ein Angriff auf die Belegschaft.“ Gleichzeitig macht er deutlich, dass die Mitarbeiter in Stuttgart schon immer „Flexibilität bewiesen“ hätten und sich mit dem Management auch auf schwierige Themen verständigen konnten.

Ein Manager drückt es so aus: Porsche habe fortlaufend an seinen Kosten gearbeitet, seine „Produktarbeit“ gemacht und komme jetzt mit vielen neuen Modellen. Auch Audi habe Weichen gestellt, um sich aus der Krise zu arbeiten. Die Marke VW hingegen müsse viele Dinge nachholen, die über Jahre liegengeblieben seien.

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