Alfa Romeo

Oldtimer

Zeitreise: Alfa Romeo Montreal – Die Zähmung der Bestie

Bei unserer heutigen Zeitreise blicken wir auf ein ganz besonderes Auto von Alfa Romeo zurück, den Montreal.

„Ein Auto ist erst dann wirklich schön, wenn dich der Anblick seiner Linien und Formen dermaßen fasziniert, dass du nicht und nicht einsteigen willst“, so eine mögliche Definition von Schönheit, frei nach der Röhrl’schen Formel für Geschwindigkeit, die da lautet: „Ein Auto ist erst dann schnell genug, wenn man morgens davorsteht und Angst hat, es aufzuschließen.“

zeitreise: alfa romeo montreal – die zähmung der bestie

Alfa Romeo Montreal (c) Stefan Gruber

Und, ist er nun schön genug, der Montreal? Nun, den Reaktionen der Menschen in vorbeifahrenden Autos oder an Tankstellen zufolge, eindeutig ja, hat er doch den Bist-du-deppert-is-der-scheee-Faktor, der sich in dieser Intensität nur sehr selten attestieren lässt. Zu verdanken ist die hinreissende Formensprache der Karosserie dem erst kürzlich verstorbenen Designer Marcello Gandini, dessen Zeichenstift damals, im Jahr 1966, noch gut angeheizt war vom Lamborghini Miura.

Der Maestro selbst war von der Serienumsetzung des Montreal übrigens gar nicht so angetan, er sei im Vergleich zu seinem Prototypen „groß, bucklig und geschwollen“, wie er in einem Interview mit einem italienischen Onlinemedium wenige Jahre vor seinem Ableben verlauten ließ, aber das war wohl eine späte Abrechnung mit frühen Auftraggebern, die es gewagt hatten, am Federstrich des Genius herumzupfuschen.

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Alfa Romeo wollte, nein musste, den Prototypen, der bei der Weltausstellung des Jahres 1967 in Montreal präsentiert wurde, modifizieren, und der Grund dafür ist noch heute Anlass zur hellsten Freude eines jeden Montreal-Besitzers. Doch dazu später.

Die frohe Kunde über die Einladung zur Expo 1967 erreichte Alfa Romeo mit solcher Wucht und versehen mit einer so knappen Deadline, dass man sie sogleich durch die Hintertür an den Hofcoutourier Bertone weiterreichte.

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Nun, Bertone seinerseits vergatterte den damals in seinem Sold stehenden Gandini flugs zum Karosserieentwurf, was heute undenkbar und in den Erinnerungen Gandinis gleichsam essenziell für den Erfolg war: „Wir waren frei, es gab keine endlosen Treffen mit irgendwelchen Marketingmenschen, die ohnehin keine Ahnung haben.

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Viele hässliche Autos, die später kamen, waren beeinflusst von 1.000 Meinungen“. Bertone konnte also zeitgerecht zwei in Weiß gehaltene Prototypen liefern, und um diese nicht mühsam für den Transport herumschieben zu müssen, hängte man bei Alfa Romeo kurzerhand den bewährten 1,6 Liter-Vierzylindermotor der Giulia hinein. Ecco, finito.

Am Weg zum Serienmodell

Die solchermaßen entstandenen Vorzeigestücke gaben nicht nur Anlass für mediales Entzücken, sondern auch für reichlich Spekulationen, denn die gänzlich flache Motorhaube hätte keinen großen Motor unter sich beherbergen können, während zwei selbstbewusste Auspuffrohre am Heck die Hoffnung auf einen solchen nährten und die jeweils 7 Luftschlitze hinter den Türen Pulver für wilde Träume von einem Mittelmotor waren.

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Zurück in Mailand spürte man wohl, dass man mit einem 1600er-Motor in dieser Karosserie keinen Stich machen werde, schickte noch einen Prototypen mit dem Zweilitermotor auf die Teststrecke in Balocco, und dann sprach Alfa-Präsident Giuseppe Luraghi ein Machtwort. „Baut’s was G’scheites“, tönte er wohl sinngemäß und spannte ein paar Jungs zusammen, die heute allesamt im Olymp der ganz Großen ihrer Zunft wohnen.

Charlo Chiti, damals Chef der Rennabteilung Autodelta, packte seinen höchst erfolgreichen Rennmotor des Tipo 33/2 in den Kofferraum und lieferte an Alfa-Chefingenieur Orazio Satta Puliga, der gemeinsam mit Giuseppe Busso Hand anlegte, um die Bestie für den Straßenbetrieb etwas zu zähmen.

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Bleiben wir noch kurz bei der Bestie, denn ihre Geschichte ist in den Annalen von Alfa Romeo ziemlich einzigartig. Nino Vaccarella, Rolf Stommelen, „Nanni“ Galli, Andrea de Adamich zeigten bei Rennen wie den 24 Stunden von Daytona, den 1.000 Kilometern am Nürburgring, Zeltweg, Imola und den 24 Stunden von Le Mans im Alfa Tipo 33 der Konkurrenz, wo der Bartl den Barolo herholt.

Und in der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1971 wurden sogar drei Gesamtsiege eingefahren: Targa Florio, Brands Hatch und Watkins Glen. Später geigte dann auch Arturo Merzario mit dem Tipo 33/3 ziemlich auf, das ist übrigens der Mann mit dem etwas auffälligen Cowboyhut. Er hat 1976 Niki Lauda am Nürburgring aus dem brennenden Ferrari befreit, und dann kannst du dein Leben lang so ziemlich jeden scheußlichen Hut aufsetzen, und es ist okay.

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Der Alfa Tipo 33 war selbstredend auch bei der Targa Florio, und da vor allem in den Händen des Lokalmatadors und dreifachen Gesamtsiegers Nino Vaccarella, eine ziemlich unschlagbare Waffe. Den sonst eher unauffälligen Schulleiter aus Palermo konnte keiner biegen, wenn, tja wenn da 1972 nicht ein Teamkollege namens Helmut Marko aufgetaucht wäre und in einem völlig befreiten Moment mit 33:41 Minuten einen Rundenrekord aufgestellt hätte, der bis zur Einstellung des Rennens 1977 nicht unterboten werden sollte. Der Doktor blickte damals übrigens noch in Stereo und hatte solchermaßen wohl den rechten Blick für die Ideallinie.

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Puliga und Busso bohrten den V8 von 1.955 auf 2.593 Kubikzentimeter auf und reduzierten die Kompression von 10,7 auf 9,0:1, um so mehr Drehmoment und Laufruhe zu erzielen. Die Lucas-Benzineinspritzung wich einer aus dem Hause Spica, hier hatte man schon gute Erfahrungen mit anderen US-Exportmodellen, wie dem Duetto, gemacht.

Auch die Zündanlage durfte etwas schlanker ausfallen, und am Ende standen ziemlich exakt 200 PS bei 6.500 Umdrehungen an, was bei der Präsentation des metallic-grünen Vorserienmodells am Genfer Automobilsalon im März 1970 für einigen Wirbel sorgte.

Der Alfa Romeo Montreal im Detail

Du betrittst den Montreal durch die gefühlt zwei Meter breite Fahrertüre, und dann hast du genau zwei Optionen: Du kannst das Gesäß der Schwerkarft überlassen und die eintretende Fallbewegung mittels eines gut trainierten linken Oberschenkels halbwegs würdig verzögern oder, Hinterteil voraus, Platz nehmen und die Beine quasi im Damensitz unters Cockpit hieven. Du wirst dich je nach Anzahl der Beobachter für eine der beiden Varianten entscheiden, aber Achtung: beim Betreten des Montreal ist man nur sehr selten gänzlich unbeobachtet.

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Die Armaturen sind, mit der Schalterleiste in der Cockpit-Mitte und den riesigen Tacho- und Drehzahlmesser-Einheiten, irgendwo zwischen Flugzeug, Boot und Raumschiff angesiedelt. Man fühlt sich also wahlweise wie Kapitän Lindberg, Cook oder Kirk. Die Opulenz der ganzen Inszenierung lässt schon erahnen, dass sich das Leben in diesen Tagen voll und prall angefühlt haben muss und man gerne mit beiden Händen zugegriffen hat.

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Den Zündschlüssel nach rechts gedreht, und dann beginnen die beiden Benzimpumpen im Heck dermaßen ambitioniert ihre Arbeit, dass dir ihr martialisches Klackern deutlich signalisiert, jetzt passiert Ernsthaftes. Der Motor ist, no na, der Quell aller Freude im Montreal. Er beginnt seinen Dienst mit einem dumpfen Grollen, das in ein turbinhaftes Geräusch übergeht und einem hungrigen Fauchen endet, acht Zylinder bei knapp 7.000 Touren sind soundmäßig schwer zu toppen.

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Dass die Erste links unten sitzt, will gelernt sein, und dann braucht das Hirn auch noch einige Zeit, um zu akzeptieren, dass ganz rechts oben nicht das Ende der Vorwärtsbewegung, sondern erst der vierte Gang zuhause ist. Doch mit der Zeit spielt sich das ein, und die Erste – richtig, links unten – wird wirklich nur zum Anfahren benötigt.

Das Fahrwerk ist wohl eines der meist bemängelten, und dazu ist Folgendes zu sagen: So schlecht, wie vor allem deutsche Magazine in den 70ern ihre heimischen Konkurrenten verteidigen wollten, ist es mit Sicherheit nicht.

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Klar, die rund 1.000 Kilo der Giulia-Derivate (Spider und GT) hatten leichteres Spiel damit als der um 350 Kilo üppigere Montreal, aber die 200 PS bzw 240 Nm Drehmoment geben schon eine zusätzliche Option: Gas, wo andere bremsen, und dann geht die Fuhre wieder recht behände durch die Kurve. Und da gilt beim Montreal in Kurven noch deutlicher also sonst wo: Wer bremst, verliert. Du wirst keine Serpentinen räubern, denn das weite, kurvige Geläuf ist das bevorzugte Habitat, schließlich ist die Lenkung mit 3,5 Umdrehungen eher lang ausgelegt.

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Wer nicht allzu viele Strafmandate kassieren will, bewegt sich auf Landstraßen im hohen dritten Gang, wobei das Vom-Gas-Gehen, untermalt von einigen Fehlzündungen genauso süchtig macht, wie das Orgeln in die Region um 6.000 Touren.

Gut Ding braucht Weile

Zufälligerweise ist unser Fotoauto im Besitz des Autors, und deshalb sei noch kurz die Geschichte der Restauration angeschnitten. Schon der Kaufprozess, der sich über drei Jahre hinzog, war ein zarter Hinweis darauf, dass hier ganz sicher nichts schnell passieren wird. Also wurden weitere drei Jahre für die Fertigstellung eingeplant, man soll ja nicht hudeln.

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Und dann passieren Dinge, die man sich in den kühnsten Träumen nicht hätte ausmalen können. Exemplarisch sei an dieser Stelle die Geschichte der fehlenden Chromleiste unter der Heckscheibe erzählt. Fehlende Chromleisten sind immer schlecht, beim Montreal sind sie ein Desaster, weil auch die unendlichen Weiten des Internetzes nur ganz selten welche ausspucken.

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Dann, endlich, ein Hinweis aus Norwegen. Man ist sich schnell mit dem Verkäufer über alle Modalitäten einig, doch leider, Olaf arbeitet auf einer Bohrinsel und kommt erst wieder in einigen Wochen auf’s Festland, wo die begehrte Leiste wartet. Noch ein paar Wochen später ist endlich D-Day, der Paketbote läutet. Mit viel Geschick wurde die Leiste in zwei ineinander verkeilte PET-Flaschen montiert, ich bin beeindruckt von so viel probatem Hausverstand.

Doch leider: Olaf hat das andere Rechts gemeint, und so hatte ich nun zwei linke und noch immer keine rechte Chromleiste. Also alles wieder retour, und klar, Olaf war wieder länger am Rigg, deshalb verging allein für eine Chromleiste ein halbes Jahr.

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Schlussendlich wurden es schlanke sieben Jahre des Restaurierens, und selbst dieser Endpunkt scheint rückblickend eher willkürlich gewählt, denn man lernt in dieser Zeit vieles, so auch Demut, und erlangt die Erkenntnis, dass „fertig“ genauso wie Glück immer nur für Momente im Leben gilt. Nichts davon dauert ewig.

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