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Wer die Norm setzt, hat die Macht

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In Nigeria verlegen chinesische Firmen Schienen. Wenn das mit chinesischer Spurbreite passiert, ist das für EU-Firmen problematisch.

Wer die Norm setzt, hat die Macht

Damit etwa ein Elektroauto überall auf der Welt geladen werden kann, braucht es globale technische Standards. Europa ist in Sachen Normung führend – noch. Denn China holt auf.

Die Bundesregierung wie auch die EU-Kommission haben sich zum Ziel gesetzt, Europas Souveränität in der Welt zu stärken. Dazu gehört auch die Erlangung oder Erhaltung einer technologischen Souveränität, also der Unabhängigkeit in strategischen Industrien. Zu diesem Zweck, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, müsse die EU globaler „Technologieführer“ werden.

Ob ein Land „führend“ ist, hängt allerdings nicht allein davon ab, ob es über die beste Technik verfügt. Sondern letztlich davon, ob sich seine Technik als weltweiter Standard durchsetzt. Und hier, bei der Setzung von globalen Standards und Normen, ist ein Wettkampf zwischen der EU, den USA und China entbrannt. Europa müsse „seine technologische Souveränität sichern und globaler Standardsetzer werden“, fordert die Kommission. Denn, so soll es dereinst Werner von Siemens gesagt haben, „wem die Standards gehören, dem gehört der Markt“.

Global wird von Millionen von Unternehmen eine Unzahl von Gütern hergestellt. Gemeinsame Standards und Normen sorgen dafür, dass die Produkte „zueinander passen“, beispielsweise das DIN-A4-Blatt in den Drucker, oder dass sie miteinander kommunizieren können, beispielsweise durch genormte USB-Computeranschlüsse.

FFP2-Maske ist nach der EU-Norm für filtrierende Halbmasken gefertigt

Zudem macht die technische Vereinheitlichung Güter vergleichbar und gewährleistet, dass sie den rechtlichen Vorgaben in allen Ländern entsprechen – auch die FFP2-Maske ist nach der EU-Norm für filtrierende Halbmasken gefertigt. Standards und Normen schaffen so erst die materielle Voraussetzung für einen einheitlichen Weltmarkt, auf dem die Anbieter konkurrieren.

Zwar können Staaten sich vor ausländischer Konkurrenz schützen, indem sie eigene Standards bei sich fixieren. Gleichzeitig aber behindern sie dadurch die Bemühungen einheimischer Unternehmen, ins Ausland zu expandieren: Wenn die Ladestecker für E-Autos oder die Leitungen für Wasserstoff-Infrastruktur global unterschiedlich sind, kann dies für die deutschen Hersteller zum Problem werden. „Nahezu alle weltweit gehandelten Produkte, ihre Herstellungsprozesse und die mit ihnen verknüpften Dienstleistungen haben einen direkten oder indirekten Bezug zu Normen“, so der deutsche Industrieverband BDI in seinem Strategiepapier zur europäischen Souveränität.

Im eigenen Land kann eine Regierung verbindliche Regeln festsetzen. Weltweit jedoch wird um diese Regeln konkurriert. „Das Setzen technischer Standards ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Schlachtfeld im Kampf um die Dominanz im Hightech-Sektor geworden“, schreibt der Politologe Tim Rühlig in einem Report für die Europäische Handelskammer in China. Dieser Kampf laufe vor allem zwischen den USA und China in den Bereichen, die die Zukunft der Wirtschaft bestimmen: Halbleiter, Mobilfunk, künstliche Intelligenz, Automatisierung, grüne Technologien, Big Date, Biopharmazeutik, Raumfahrt und andere. „Wer hier die Oberhand gewinnt, hängt entscheidend von der Fähigkeit ab, die Standards zu definieren.“

Gesetzt werden die globalen Standards von Fachleuten in internationalen Gremien wie der Internationalen Organisation für Normung (ISO), der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) oder der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC), alle auf „neutralem Boden“ beheimatet: in der Schweiz. Nationalstaaten und Unternehmen entsenden ihre Fachleute in diese Gremien, wo um die Standardisierung gerungen wird.

Peking kommt mit immer neuen und anspruchsvolleren nationalen Normen

Zwar ist Europa laut BDI nach wie vor der größte Global Player in Sachen Normung. Allerdings habe „die Volksrepublik China Normung als Instrument zur Umsetzung ihrer industrie- und handelspolitischen Interessen erkannt und verfolgt darüber hinaus geopolitische Ziele“. Einerseits ist Chinas wachsender Einfluss auf die Setzung globaler Standards schlicht seinem ökonomischen und technologischen Aufstieg geschuldet. Im Prinzip, so Insider, verfolge die Volksrepublik die gleiche Strategie wie Deutschland vor 20 bis 30 Jahren, indem sie versuche, ihre nationalen Standards als internationale zu etablieren. Im Unterschied zu den USA und Europa allerdings hat in China der Staat hier die entscheidende Rolle.

Zum einen versuche Peking, mit immer neuen und anspruchsvolleren nationalen Normen den Zugang zum chinesischen Markt zu bestimmen, so der BDI. Zum anderen „bringt China zunehmend qualifizierte und technisch anspruchsvolle Vorschläge in die internationale Normung ein“. Auch im globalen Wettbewerb schaffe China Abhängigkeiten. Mit Sorge verfolgt der BDI die gezielte internationale Verbreitung von staatlich getriebenen, nationalen Technologiestandards aus China im Rahmen der „Belt and Road Initiative“. Bauen Chinas Unternehmen etwa in Afrika Bahnverbindungen mit chinesischer Spurbreite, so könnten dadurch europäische Anbieter bei Anschlussaufträgen ausgeschlossen bleiben. Zudem wachse die Abhängigkeit Afrikas von China.

Der BDI fordert daher eine verstärkte Integration des Europäischen Normungssystems (ESS) in internationale Normenwerke. Dies sei zentral „für die strategische und technologische Souveränität Europas“ und zur Verhinderung einer „zunehmenden Implementierung von chinesischen Normen für signifikante Anteile des Welthandels“. Wenn die EU mit Drittstaaten über Marktzugänge verhandele, müssten europäische und internationale Normen in öffentlichen Ausschreibungen Bestandteil sein. Das gelte auch bei der Erarbeitung und Ratifizierung von Freihandels- und Assoziierungsabkommen.

Die Bundesregierung hört die Mahnungen der Industrie: In der nächsten Woche treffen sich Vertreter:innen aus Politik und Wirtschaft zur Einrichtung eines Strategiekreises Internationale Normung, der die Interessen der deutschen Wirtschaft in Europa stärken soll.

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