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Sachsen erfinden das Inselhopping bei der Bahn

Nur ein paar Hundert Meter Oberleitung für Hybridloks: Die Innovation der F&S-Gruppe in Dohna spart Zeit und Geld bei der Elektrifizierung. Ein Modell auch für die Strecke Dresden–Görlitz?

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Solche Akkuzüge des Herstellers Stadler werden beim Pilotprojekt der Bahn in Schleswig-Holstein abschnittsweise mit Strom „aufgetankt“. © MediaPortal der Deutschen Bahn

“Raten Sie mal, wer’s erfunden hat“, fragt Bernhard Kaluza am Telefon, nachdem die SZ jüngst über erste Oberleitungsinseln für Akkuzüge in Schleswig-Holstein berichtet hatte. Beim Pilotprojekt der Deutschen Bahn (DB) erhalten nur ein paar Hundert Meter oder Kilometer einen Fahrdraht, wo Hybridloks ihre Batterien aufladen und mit der gespeicherten Energie die übrige Strecke bewältigen – schneller und billiger als bei durchgehender Elektrifizierung.

Da es nicht um ein Hustenbonbon geht, bei dem Schweizer das Copyright reklamieren, können es hier nur Sachsen gewesen sein. Und der triumphierende Unterton beim Chef der E&A GmbH in Dohna lässt vermuten, dass die Antwort naheliegend ist.

Im Gewerbegebiet an der Autobahn Dresden–Prag lüftet Kaluza das Geheimnis. „Das Konzept für die Inseln wurde in unserer F&S-Gruppe entwickelt, und hier nimmt es auch Gestalt an“, sagt er beim Gang durch die Halle, in der Mitarbeiter in Dutzenden Schaltschränken schrauben.

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Bernhard Kaluza, Chef der E&A Elektrotechnik und Automatisierung in Dohna, agiert auch als Unternehmensberater und Sanierer. Die F&S-Gruppe, die er interimsmäßig führt, sei aber alles Andere als ein Sanierungsfall, sagt der gebürtige Nürnberger. © Matthias Rietschel

DB Energie hatte mit der Münchner Rail Power Systems GmbH (RPS) einen Rahmenvertrag geschlossen. Kernstück sind Frequenzumrichter aus Dohna. „15 Minuten Ladezeit reichen für 50 Kilometer“, erklärt der Geschäftsführer. Das Auftanken erfolge im Fahren an den Inseln, im Stand an den Bahnhöfen oder bei der Ein- und Ausfahrt. „Wir sind die Einzigen, die solche Anlagen bauen“, ist sich der Chef sicher.

Die F&S Prozessautomation GmbH und die E&A Elektrotechnik und Automatisierung GmbH bilden die F&S-Gruppe, die ihren Ursprung 1990 in Dresden hat. Die benachbarten Schwestern bieten Komplettlösungen für Energiebereitstellung, Verteilnetze, Industrie und Infrastruktur an. Auf der Referenzliste stehen zum Beispiel die Steuerung des Dresdner Abwassernetzes, Offshore-Parks in der Nordsee, die Leittechnik von Terminal II des Münchner Flughafens.

Materialbeschaffung immer schwieriger

„Die Energiewende funktioniert nicht ohne Firmen wie uns“, sagt Kaluza selbstbewusst und: „Eigentlich sind wir die nächsten 30 Jahre voll mit Aufträgen“.„Bei uns ist viel Handwerk“, erklärt Produktionschef André Kanitz die geringe Geräuschkulisse. „Wir fertigen höchstens in Kleinserien“, sagt er und zeigt auf einen Schrank für das Kraftwerk Ering-Frauenstein an der deutsch-österreichischen Grenze. Daneben steht ein Kasten, der mal einen Hochofen in Neuss steuern soll. Nebenan kann eine Anlage nicht fertiggestellt werden, weil seit September eine banale Schiene fehlt. „Früher dauerte die Materialbeschaffung 14 Tage, jetzt sechs Wochen – wenn wir die Teile überhaupt bekommen“, klagt Kanitz.

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Der Schaltschrank, in dem André Kanitz schraubt, gehört zur Ladestation für den sächsischen Testcampus der Bahn in Annaberg-Buchholz. © Matthias Rietschel

Die Dohnaer leiden nicht nur unter Materialmangel, es fehlt auch an Personal. „Wir suchen Elektroingenieure und Leute für die Fertigung“, sagt Kaluza. „Ich bin der einzige Wessi“, kokettiert der gebürtige Nürnberger. Der gelernte Kfz-Elektriker ist seit 1994 in Dresden und auch als Insolvenzberater und Sanierer unterwegs. E&A, dessen Geschäfte er seit 2021 führt, sei aber nie ein Sanierungsfall gewesen, betont der 60-Jährige. Im Gegenteil: Die Gruppe mit 110 Beschäftigten und drei Azubis sei kerngesund. F&S hatte im vorigen Jahr zehn Millionen Euro Umsatz erwartet, ein Plus von fast zehn Prozent zu 2021, E&A erwirtschaftet stabil um die drei Millionen Euro.

Andreas Kluge ist ein Akteur im 2019 gestarteten Batteriezug-Projekt. Der Ingenieur führt zu einem unscheinbaren Container hinter der Werkhalle – mit spannendem Innenleben. Er gehört zur Ladestation für Batteriezüge, die F&S mit sechs sächsischen Partnern im Erzgebirge baut. Die Ladung erfolgt mit der Landesnetzfrequenz von 50 Hz und nicht wie üblich mit 16,7 Hz Bahnfrequenz. Zur Kostenersparnis kommt noch ein Vorteil: „Der Aufbau ist sehr kompakt und für die Aufstellung kein Planfeststellungsverfahren nötig“, sagt Kluge. Die Station wird im Frühjahr am Bahnhof Annaberg-Buchholz/Süd installiert und vom Smart Rail Connectivity Campus, einem Gemeinschaftsprojekt der Stadt mit der TU Chemnitz, unter Betriebsbedingungen getestet. Danach soll sie in den Regelbetrieb gehen.

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Der unscheinbare Container hinter der Werkhalle der E&A GmbH in Dohna verbirgt in jeder Hinsicht Spannendes. Im Frühjahr wird er am Testcampus für intelligenten Schienenverkehr in Annaberg-Buchholz installiert. © Matthias Rietschel

Auch wenn es nicht die eine Alternative zum Diesel gibt, so sehen Fachleute in der Dohnaer Lösung viel Potenzial. Die Bahn legt sich zur weitergehenden Nutzung nicht fest. „Die Entscheidung für die Verwendung von alternativen Antrieben im Schienenpersonennahverkehr fällt durch die jeweiligen Aufgabenträger“, heißt es dort. Das gelte auch für Infrastrukturlösungen – egal ob Wasserstoff oder Batterie.

Für Dresden-Görlitz eher nicht geeignet

Das in Schleswig-Holstein angewandte Verfahren ist laut Versorger Sachsen-Energie „eine ebenso effektive wie sinnvolle Vorgehensweise und könnte sich möglicherweise auch für die Lausitz eignen“. Es könne vor allem für den Regionalverkehr eine Lösung sein, insbesondere für Nebenstrecken mit wenig Verkehr und kurzen Zügen – keinesfalls aber für eine Strecke wie Dresden–Görlitz. Die Trasse sei zu lang und habe einen zu engen Taktfahrplan.

Konzernchef Frank Brinkmann hatte eine Alternative für jene Linie vorgeschlagen, die sich zwischen zwei fast parallelen Starkstromleitungen von Sachsen-Energie schlängelt. Statt einer 60 Kilometer langen Bahnstromleitung zwischen Arnsdorf und Pommritz brauche es neben dem Stromanschluss der DB in Arnsdorf nur ein Umspannwerk bei Kubschütz oder Görlitz, um die Frequenz zu wandeln, sagte er 2021. Das sei zum Bruchteil der von der Bahn veranschlagten Kosten machbar – und in vier statt in zwölf Jahren. „Unser Angebot steht nach wie vor“, erklärt der Versorger.

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Sachsens Wirtschaftsministerium will zur Umsetzbarkeit „keine abschließende Einschätzung treffen“. Man habe Sachsen-Energie empfohlen, sich mit DB Netz als Eigentümerin der Infrastruktur in Verbindung zu setzen, heißt es auf SZ-Anfrage.

Sachsen Drittletzter bei der Elektrifizierung der Bahn

Beim Pilotprojekt ergänzt die Deutsche Bahn zunächst die Bahnhöfe Kiel und Büchen mit zusätzlichem Fahrdraht, danach die Stationen Tönning, Heide und Husum sowie bis zum Jahresende an der Küste auch Abschnitte auf freier Strecke. Das soll dann pro Jahr zehn Millionen Liter Dieselkraftstoff sparen. Für sein Ziel, bis 2040 klimaneutral zu fahren, plant der Konzern solche kreativen Lösungen auch in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen.

Und im Land der Schöpfer des Systems, das mit 41 Prozent elektrifizierten Bahnstrecken Drittletzter im Bund ist? „Die Bahn will in Schleswig-Holstein erst mal sehen, wie es läuft“, sagt F&S-Projektingenieur Kluge. Dass es funktioniert, daran haben er und Chef Kaluza keine Zweifel.

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