Bentley

Bentley Continental GT

Rückspiegel: Fahrbericht Bentley Continental GT (2003)

rückspiegel: fahrbericht bentley continental gt (2003)

Der erste Fahrbericht zum Bentley Continental GT erschien in der AR 29/2003 am 17. Juli 2003.

rückspiegel: fahrbericht bentley continental gt (2003)

Als das «schnellste viersitzige Coupe der Welt» bezeichnet Bentley den neuen Continental GT, der ab kommendem Spätherbst zur Auslieferung gelangen wird. Was der neue Bentley sonst noch zu bieten hat, erfahren Sie hier; die «Automobil Revue» konnte den vierradgetriebenen und 560 PS starken Hoffnungsträger der Elitemarke aus Crewe bereits Probe fahren.

Bentley hätte den ersten Fahrtermin für den fast 320 km/h schnellen GT auf eine Rennstrecke verlegen können. Oder auf die deutsche Autobahn. Aber stattdessen wählten die Verantwortlichen der Elitemarke aus Crewe ein Geläuf, das ihnen für einen «British Grand Tourer» adäquater erschien: der nördlichste Teil Schottlands. Hightech in einer der ursprünglichsten und kärgsten Landschaften Europas, inmitten von Hunderttausenden von Schafen, dazu ein Wetter so launisch wie Naomi Campbell. Die Gegensätze hätten nicht grösser sein können. Aber auch nicht stimmiger. Nichts ist ungewöhnlich am Bild des schnellsten je gebauten Strassen-Bentley, wenn er auf den gekiesten Platz vor dem Ackergill Tower in der Nähe von Wiek vorfährt. Es passt. So wie es auch beim «Urvater» des GT, dem Bentley Continental Sports Saloon von 1953, gepasst hatte.

STÜCKZAHLEN

Zum 53er-Continental bestehen nicht nur (gewollte) stylistische Parallelen, auch die Kombination von Sportlichkeit und Luxus ist in beiden Fällen unverkennbar. Doch während der Ahne sich selbst genügte und Absatzzahlen wohl eher nebensächlich waren, erwarten Bentley und der Mutterkonzern VW einen kommerziellen Erfolg und damit reichlich Stückzahlen: Zwischen 3000 und 4000 Autos jährlich müssten es schon sein. Sollte später noch eine Stufenheckversion (Saloon) hinzukommen, gefolgt von einem Convertible – noch sind das nur Planspiele -, könnte die Zahl auf die ursprünglich genannten zirka 8000 klettern.

rückspiegel: fahrbericht bentley continental gt (2003)

Um ein solches Volumen zu erreichen, musste die Fullsize- Kategorie der normalen Bentleys verlassen und die Stufe darunter angepeilt werden: Länge 4,8 statt 5,4 m, Preis über 220 000 Franken anstatt 340 000 bis knapp eine halbe Million. Klar war aber auch die Vorgabe, dass der intern MSB (Midsize-Bentley) genannte Conti jeder Zoll ein Bentley sein musste. Bei Leistung, Fahrdynamik, Design, Luxus und Handwerkskunst durften also keine Kompromisse gemacht werden.

EIGENE NISCHE?

Konkurrenten zu finden ist nicht ganz einfach: Entweder sind sie deutlich teurer (300 000 und mehr wie Ferrari 456M, Aston Martin Vanquish) oder dann günstiger (130 000 bis 200 000 Franken wie Maserati Coupe GT, Mercedes CL 600, Porsche Turbo, kommender 6er-BMW). Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn Bentley für den GT eine eigene Nische reklamiert. Allerdings funktioniert der real existierende Eliteautomarkt nicht immer so, wie ihn sich die Marketingspezialisten vorstellen. Eine erste Nagelprobe ist der Bestellungseingang, und der soll sehr gut sein.

Designer Dirk van Braeckel (er war früher für Skoda tätig und zeichnete den Fabia) schuf eine gleichzeitig hochelegante wie muskulöse Form, die zwar Elemente des Continental Saloon aus den Fünfzigern übernimmt, aber gleichwohl nicht effekthascherisch Retro daherkommt. Stilbildend beim mittelpfostenlos ausgeführten «Grand Tourer» sind die lang abfallende Heckpartie, die konturierten Kotflügel, die Doppelleuchten vorn (wobei die grössere innen liegt), die grossen Räder, der kurze Karosserieüberhang vorn. Und: Es gibt kaum Chrom. Ein Design, das aus allen Blickwinkeln überzeugt, wobei der Anblick der Heckpartie ganz besonders sinnlich ist und das Fehlen einer B-Säule die Seitenlinie atemberaubend schlicht macht.

rückspiegel: fahrbericht bentley continental gt (2003)

Der Karosserieaufbau ist nicht, wie zu Projektbeginn im Jahre 1999 vorgesehen wurde, eine Aluminium-Space-Frame-Konstruktion, sondern besteht konventionell aus Stahl. Leichtbaumaterialien kommen zwar zum Einsatz – Fahrwerk aus Alu-Komponenten, Vorderkotflügel aus Kunststoff, Hauben aus Leichtmetall -, aber heraus kam trotzdem ein rechtes Schwergewicht: Knapp 2,41 t bringt der Continental GT im Leerzustand auf die Waage. Für ein Auto aus einem Konzern, das die moderne Space-Frame-Bauweise in Grossserie eingeführt hat, ist das nicht gerade ein Ruhmesblatt.

Im Gegenzug wartet der GT mit einer beeindruckenden Verwindungssteifigkeit auf. Technik-Vorstand Dr. Ulrich Eichhorn hält beim Erklären mehr von griffigen Bildern als von abstrakten Zahlen: «Würde man am Heck einer vorn festgespannten, aber sonst frei im Raum schwebenden Continental-Karosserie einen Hebelarm von einem Meter Länge anbringen und an diesen Hebel einen weiteren GT anhängen, würde sich das Stahl-Monocoque nur gerade um die Winzigkeit eines Grades verbiegen.»

DOPPELTURBO-W12

Nimmt man die Antriebstechnik und das Fahrwerk näher unter die Lupe, kommt die Familienzugehörigkeit rasch zum Vorschein. Der Sechsliter-Zwölfzylindermotor basiert auf dem schon im VW Phaeton (und ab Herbst dieses Jahres auch im Audi A8) verwendeten W12. Durch die Adaptation einer KKK-Doppelturboanlage kletterte die Leistung von 420 auf 560 PS bei 6100/min. Da muss die Konkurrenz – vorläufig – noch leer schlucken.

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Beim Drehmoment beträgt das Plus 100 Nm (650 statt 550). Eigentlich hätte da Bentley gerne noch mehr geklotzt, und das wäre, Turbo sei Dank, motorentechnisch auch ohne weiteres möglich gewesen. Aber dem stellte sich nicht zuletzt die Belastbarkeit der Sechsstufenautomatik entgegen. Stattdessen nutzte man klugerweise die vorhandenen Reserven an Durchzugskraft aus, um dem Motor eine Bulligkeit zu geben, die es in sich hat: Das Höchstdrehmoment von 650 Nm steht im weit gespreizten Bereich zwischen 1600 und 6000/min vollumfänglich zur Verfügung.

Aus diesem Grunde hätte eigentlich ein Getriebe mit weniger Stufen ausgereicht, aber die sechs Stufen machten es einfacher, den enormen Geschwindigkeitsbereich (Spitze 318 km/h) abzudecken. Keine Überraschung für ein Hochleistungsprodukt aus dem VW-Konzern: Die Kraft wird auf alle vier Räder verteilt.

GEGENKRÄFTE

Das Fahrwerk (teilweise mit Leichtmetallkomponenten) ist vom Konzept her von Phaeton und A8 her bekannt, ebenso die Luftfederung, die allerdings für den Einsatz im Bentley nochmals verfeinert wurde.

Um mit den monströsen Kräften fertig zu werden, welche das Power-Paket freimacht, mussten auch auf der «Gegenseite» sämtliche Register gezogen werden. So ist bei den Bremsen ein neuer Rekord zu vermelden: Zwar kommen keine exotischen Materialien zum Einsatz, aber an den Vorderrädern misst der Scheibendurchmesser gigantische 40,5 cm. Zwischen Bremssattel und Radinnenseite geht gerade mal ein Finger durch. Diese Superstopper erbringen 3500 PS Bremsleistung; dagegen nehmen sich die 560 PS des W12 geradezu mickrig aus. Die elektrische Handbremse kennt man schon aus dem A8.

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Für mustergültige Stabilität auch im Höchstgeschwindigkeitsbereich besitzt der Conti GT einen automatisch (oder auf Tastendruck) ausfahrbaren Heckspoiler, der den aerodynamischen Auftrieb des Hecks beim Schnellfahren praktisch neutralisieren kann. Im Ruhezustand ist er in seiner Position am unteren Rand der Heckscheibe kaum auszumachen. Laut Ulrich Eichhorn absolvierte der «kleine» Bentley auf dem Highspeed-Kreis von Nardo in Süditalien einen 30’000-Kilometer-Dauertest, bei dem ein Durchschnittstempo von über 270 km/h realisiert wurde.

HANDCRAFTED

Keinerlei Kompromisse auch im Innenraum: feinste Leder und echte Hölzer, verarbeitet von Meistern ihres Fachs. Bei der «Benützeroberfläche», das heisst Bedienungsorgane, Armaturen usw., bleibt dem Kenner die Verwandtschaft zu Konzernprodukten nicht ganz verborgen. Allerdings erst auf den zweiten oder dritten Blick, denn die verwendeten Materialien sind durchwegs hochwertiger, und zwar sowohl optisch als auch haptisch. So trifft man zwar das Zentraldisplay mit den links und rechts davon angeordneten Tasten auch bei Audi und VW an, aber im Bentley sind sie aufwändig in Chrom gefasst. Noblesse (bzw. «Bentleyness») oblige.

rückspiegel: fahrbericht bentley continental gt (2003)

Die Firma aus Crewe bezeichnet ihre jüngste Kreation als Viersitzer: Faktisch ist der Continental GT aber ein so genannter 2+2, wenn auch einer, der die von Ferrari 456 oder Aston Martin Vanquish vorgegebenen Rahmen deutlich sprengt: Sofern die vom Sitzenden höflicherweise nicht den ganzen Längsverstellbereich ausnützen, können hinten zwei kleine Kinder auch für lange Etappen und Erwachsene mindestens für ein paar Kilometer passabel sitzen. Das Koffervolumen kann sich sehen lassen: 370 dm3 sind für einen 2+2-Sitzer beachtlich.

FAHRMASCHINE

Was wir angesichts des hohen Fahrzeuggewichts nicht erwartet hätten: Der Continental GT fährt sich wie ein reinrassiger Sportwagen. Der Antritt ist in jeder «Lebenslage» verkörperte Power pur, untermalt von einem unnachahmlichen Grollen des Zwölfzylinders (das interessanterweise von hinten zu kommen scheint). Der ZF-Sechsstufenautomat schaltet ebenso schnell wie sanft, wobei es in jedem der verschiedenen Schaltprogramme möglich ist, von Hand via Lenkradpaddel hoch- oder runterzuschalten. Es gibt keinen Grund, an den versprochenen 4,8 s für den 0-100-km/h-Sprint zu zweifeln; vom Ausloten der Höchstgeschwindigkeit waren wir in Nordschottland allerdings zu weit entfernt für Aussagekräftiges.

rückspiegel: fahrbericht bentley continental gt (2003)

Die Sitzposition ist vorbildlich, die Lenkung auch, und auf die Bremsen ist hundertprozentig Verlass. Hohe Kurvengeschwindigkeiten, weit gehend neutrales Eigenlenkverhalten (Gewichtsverteilung v./h. 57/43 %, tadelloser Geradeauslauf. Die Luftfederung sorgt für ein Komfortniveau, das es in dieser Wagenklasse bislang nicht gab; selbst in der Komfortstufe der Dämpfer kann sehr sportlich gefahren werden.

Dass auch ein Bentley nicht perfekt ist, zeigte sich, als wir nach einer Reifenpanne das Notrad aufziehen wollten: Im – ziemlich dürftigen – Werkzeugsatz fehlte just der Adapter, der für den Radwechsel nötig gewesen wäre. Text: Max Nötzli. Bilder: Bentley.

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