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Bentley Continental GT

Bentley Continental GT W12 Mulliner (2023): Auf Abschiedstour mit dem W12

Nach 20 Jahren und über 100.000 von Hand gebauten Motoren schickt Bentley den W12 in Rente. Zeit, für eine letzte Ausfahrt im Continental GT, bevor es heißt: Farewell, W12!


1-12-5-8-3-10-6-7-2-11-4-9 – was sich liest wie die Lottozahlen der letzten zwei Wochen ist die Zündfolge eines ganz besonderen Motors. Ich drücke den Startknopf, Zündung. Der Anlasser benötigt einige Umdrehungen, bevor der Sechsliter-W12 da ist. Der Kaltstart klingt kraftvoll, doch schon nach wenigen Augenblicken pegelt sich die Drehzahl ein, der Zwölfender wird flüsterleise. Ich sitze im Bentley Continental GT W12 Mulliner und heute heißt es Abschied nehmen. Abschied nehmen von einer Ikone des Motorenbaus!
Zwölf Zylinder: ein Wert, der nicht nur im Autoquartett beeindruckt. Als erstes Auto mit V12 gilt der Packard “Twin Six” aus dem Jahr 1916. Als erster deutscher Hersteller bot BMW 1987 einen V12 im 750i der Baureihe E32 an. Gut 35 Jahre später ist der Zwölfzylinder fast ausgestorben. Audi und BMW haben keinen mehr im Programm, bei Mercedes ist er dem Maybach vorbehalten und gerade erst hat Aston Martin verkündet den DB12 nur noch mit V8-Biturbo anzubieten. Der Zwölfender, einst DER Prestigemotor überhaupt ist ein Auslaufmodell. Immer strengere Abgasvorschriften und Flottenemissionen haben ihn beinahe ausgerottet. bentley continental gt w12 mulliner (2023): auf abschiedstour mit dem w12

Der W12 geht in Rente. Noch ist der Prestigemotor bestellbar, Ende 2023 wird sich das ändern.

Bild: Jan Götze / AUTO BILD
Zumindest auf die Italiener ist Verlass. Ferrari und Lamborghini halten (noch) am V12 fest, wenn auch immer häufiger mit Elektro-Unterstützung. Und dann ist da noch Bentley. 2003 präsentierte die britische Traditionsmarke den ersten Continental GT – erstmals mit dem W12. Das elegante Coupé avancierte im Nu zum Bestseller, was maßgeblich am Motor lag. Was folgte, war eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte! Dabei wurde der W12 ursprünglich nicht für Bentley entwickelt. Erstmals kam er 1997 im spektakulären VW W12 Coupé zum Einsatz, der jedoch eine Studie blieb. Erst 2001 ging der aufwendig konstruierte W12 im Audi A8 in Serie. Daneben wurde er im VW Phaeton, im VW Touareg und sogar in einem VW Golf GTI (W12-650) verbaut. bentley continental gt w12 mulliner (2023): auf abschiedstour mit dem w12

Weiß hinterlegte Ziffernblättern im digitalen Kombiinstrument haben nur die Mulliner-Versionen.

Bild: Jan Götze / AUTO BILD
Während sich Audi (2017) und VW (2011) schon vor Jahren vom W12 verabschiedeten, hielt Bentley eisern daran fest. Bis jetzt. Anfang des Jahres kam die Meldung, die unausweichlich schien. Auch Bentley schickt den W12 in Rente. Ganz freiwillig geschieht das aber nicht, denn eigentlich wird er vielmehr geopfert. Mit der Ende 2020 ausgerufenen “Beyond100″-Strategie” haben die Briten angekündigt, bis 2030 vollständig CO2-neutral werden zu wollen. Damit die Produktion bis dahin eine positive Klimabilanz aufweist, sieht der Plan ab 2026 nur noch Plug-in-Hybride oder Elektroautos vor – und ab 2030 ausschließlich vollelektrische Modelle. Harter Tobak für die Bentley-Boys.

105.000 gebaute W12 bis April 2024

Ein kleiner Trost: NOCH ist es nicht so weit. Die Produktion des W12 wird erst im April 2024 eingestellt. Bis dahin werden im Werk in Crewe voraussichtlich rund 105.000 W12 von Hand montiert wurden sein, womit er laut Bentley der erfolgreichste Zwölfzylinder der Moderne ist. Bestellbar ist der Prestigemotor noch bis Dezember 2023 in den Speed-Versionen von Bentayga, Continental GT und Flying Spur. Oder auch im Continental GT Mulliner. Mulliner? Das ist eine Submarke für alle, denen ein gewöhnlicher Bentley nicht reicht. Macht Sinn, oder? Wie sich solch ein noch exklusiverer Bentley anfühlt, konnte ich auf meiner persönlichen W12-Abschiedstour herausfinden. bentley continental gt w12 mulliner (2023): auf abschiedstour mit dem w12

Die Außenfarbe hört auf den Namen “Damson” und ist am ehesten als auberginenfarben zu beschreiben.

Bild: Jan Götze / AUTO BILD
An dieser Stelle möchte ich einen persönlichen Gruß an den Testwagen-Verantwortlichen bei Bentley loswerden und für eine Gehaltserhöhung plädieren. Der Grund: Die meisten Autohersteller konfigurieren ihre Testwagen zurückhaltend, eben massenkompatibel. Nicht so bei Bentley. Jeder Testwagen der vergangenen Jahre war super auffällig, mega exklusiv und trotzdem in sich stimmig zusammengestellt. Würde ich mir einen Bentley in auberginefarben mit grau/lila Leder und knallpinken Akzenten bestellen? Nein! Sah es überraschend gut aus? Oh ja!
Zeit, einen Blick unter die Haube zu werden. W12 steht dort auf der Motorabdeckung. Genau genommen ist das aber nicht korrekt. Im Grunde ist der W12 überhaupt kein W-Motor, sondern ein doppelter VR-Motor. Betrachtet man W-Motoren in ihrer eigentlichen Form, fallen die drei einzelnen Zylinderbänke auf. In der Theorie besitzt ein 12-Zylinder-W-Motor also je vier Zylinder, die auf drei Zylinderbänke aufgeteilt sind. Beim Bentley-W-Motor reichen zwei Zylinderbänke mit je sechs Zylindern aus. Der Volkswagen-Konzern setzt hier auf zwei zusammengelegte VR6-Motoren. Vorteil: Verglichen mit einem V12 baut der Motor etwa 24 Prozent kürzer.

Zwölfzylinder mit anfänglich 560 PS

In der ersten Ausbaustufe mit 5998 ccm Hubraum leistete der W12 bei Bentley zwischen 560 (Continental GT) und 710 PS (Continental Supersports). Was nur Wenige wissen: Zum Launch des SUV Bentayga im Jahr 2015 überarbeiten die Ingenieure den Motor grundlegend. Motorblock, Zylinderköpfe, Krümmer und die Kolben sind Neuentwicklungen, der Hubraum beträgt jetzt 5950 ccm. Ein besonderer Unterschied ist zudem die Verwendung der beiden unterschiedlichen Einspritzsysteme. Um dem Aggregat eine höhere Effizienz zu geben, besitzt der W12 eine Zylinderabschaltung, die den Zwölfzylinder zeitweise zum VR6-Motor macht. bentley continental gt w12 mulliner (2023): auf abschiedstour mit dem w12

Ehrhaben: Treffender lässt sich das Fahren in einem Bentley Continental GT lässt nicht zusammenfassen.

Bild: Jan Götze / AUTO BILD
Hinterm Steuer merke ich davon nichts. Gäbe es keinen visuellen Hinweis, würde ich nicht merken, dass der W12 in den Gängen drei bis acht bei unter 3000 U/min zum Sechszylinder mutiert. Das Fahrgefühl lässt sich perfekt in einem Wort zusammenfassen: erhaben. Auch wenn Bentley den Topspeed des 2,3 Tonnen schweren und 659 PS starken Continental Mulliner mit 335 km/h angibt und er in 3,6 Sekunden auf 100 km/h beschleunigt, ist der GT kein Auto zum Rasen. Stattdessen den “Bentley-Modus” wählen, alle Fenster (keine B-Säule!) öffnen und auf der gigantischen Drehmoment-Welle des seidigen W12 surfen. Die maximalen 900 Nm liegen schon bei 1500 U/min an und es reicht die Gewissheit, dass jederzeit mehr als genug Kraft vorhanden ist. 

In puncto Verarbeitung macht Bentley keiner etwas vor

So bleibt genug Zeit, um sich dem edlen Interieur zu widmen. In puncto Verarbeitung macht Bentley so schnell kein anderer Hersteller etwas vor. Beispiele gefällig? Die Rückseite der metallischen Türöffner ist perforiert – sieht man nicht, fühlt man aber. Jeder Knopf, jeder Schalter hat ein spezielles Finish, das Leder stammt nur von Kühen aus Nordeuropa (weniger Insekten) und jede einzelne Raute der Steppung soll aus exakt 712 Stichen bestehen. All diese liebevollen Details erzeugen dieses ganz besondere Bentley-Feeling. Ein Gefühl, das mich jedes Mal aufs Neue beeindruckt. bentley continental gt w12 mulliner (2023): auf abschiedstour mit dem w12

Den W12 erkennen Sie an den ellipsenförmigen zwei Endrohren. Der V8 besitzt vier Endrohre.

Bild: Jan Götze / AUTO BILD
Weniger beeindruckend und vielmehr furchteinflößend ist der Testwagenpreis: 314.963 Euro steht in der Preisliste. Ohne Extras kostet der W12 Mulliner 266.807 Euro und damit etwa 50.000 Euro mehr als die 550 PS starke V8-Version.

Continental GT mit V8 oder W12?

Ob sich der Aufpreis für den W12 im Wert einer Mercedes C-Klasse lohnt? Unter rationalen Gesichtspunkten natürlich nicht! Der V8 kann praktisch alles genauso gut wie der W12 – er ist ähnlich schnell, klingt sogar sportlicher und verbraucht dabei weniger. Aber seien wir mal ehrlich, Rationalität und Bentley – das passt sowieso nicht zusammen. Und in dem einen entscheidenden Punkt kann der V8 dann eben doch nicht mithalten: Prestige. Ich behaupte, einen Bentley kauft man mit dem Herz und mein Herz sagt ganz eindeutig W12. 6-12-8-22-14-32 – das sind jetzt aber wirklich Lottozahlen, bis Dezember 2023 habe ich noch Zeit!

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