Bentley

Bentley Flying Spur

Bentley Flying Spur W12 Speed im Test: Noch einmal mit Alles

Wer schnell ist, kriegt noch einen der letzten Zwölfzylinder. Wir säuseln zum Abschied ergriffen Goodbye

bentley flying spur w12 speed im test: noch einmal mit alles

Was ist das?

Es ist ein Vollbad in Wehmut. Nichts anderes. Bentleys Presseabteilung hatte nochmal einen konfiguriert. In “Anthracite Satin” mit Interior in “Beluga and Cricket Ball”. Das ist schon beim Aussprechen obere 1 Prozent. Es dürfte einer der Allerletzten sein, denn in einem knappen Monat ist auch beim fliegenden “B” Schluss mit den elitären Freuden, die ein Zylinder-Dutzend in so üppigen Mengen mit sich bringt. Der W12 säuselt opulent-würdevoll Goodbye und wir crashen die Abschiedsparty.

Zwischen uns und der Feier steht allerdings noch eine kleine Lektion in Motorengeschichte: Geschichte deshalb, weil dieses Aggregat in seiner Grundform bereits 23 Jahre alt ist. 2001 debütierte das aus zwei VR6-Motoren zusammengesetzte Aggregat im Audi A8.

Im selben Jahr zeigte Volkswagen auch seinen Mittelmotor-Sportwagen W12, der aber bekanntlich nie in Serie ging. Weitere Applikationen findet man im Phaeton W12 (2001 bis 2011) und im herrlich abstrusen Touareg W12 (2004 bis 2009). Beide brachten es in der finalen Ausbaustufe auf 450 PS und 560 Nm. Noch exotischer wurde es schließlich mit den Einzelstücken Spyker C12 La Turbie (2006) und Spyker C12 Zagato (2008). Der niederländische Sportwagenbauer steigerte die Leistung des Zwölfenders auf 500 PS und 600 Nm.

Bei Bentley ist der W12 seit 2003 im Einsatz. Dank seiner speziellen Bauform ist er 24 Prozent kürzer als ein klassischer V12. Die Briten nennen “ihre” Maschine (inzwischen ist sie ja nur noch bei Bentley im Einsatz) den “fortschrittlichsten Zwölfzylinder der Geschichte”. Die aktuelle Generation startete 2016 im Bentayga. Seit 2003 hat man laut eigener Aussage die Leistung und das Drehmoment um bis zu 27 und 38 Prozent erhöht, während die Emissionen um 28 Prozent gesenkt werden konnten. 

Natürlich haut man zum Grande Finale nochmal richtig einen raus und baut genau 18-mal den stärksten W12 aller Zeiten. Verpflanzt wird er in den von Mulliner in Handarbeit gefertigten Batur. Leistung 740 PS und 1.000 Nm. Stückpreis: Gut zwei Millionen Euro. 

Dagegen mutet unser mit Ausstattung knapp 345.000 Euro teure Flying Spur Speed ja fast schon wie ein Schnäppchen an. Quasi das letzte W12-Hurra für die breite Masse (hüstel, Duck und Weg). Mit seinen 635 PS und 900 Nm sollte selbige gerade noch leben können. Die Fahrleistungen sind trotz eines bedenklichen Lebendgewichts von nahezu 2,5 Tonnen absolut Wettkampf-tauglich. Der speedigste aller fliegenden Sporne geht in 3,8 Sekunden von 0-100 km/h und erreicht bei Bedarf (und einer hoffentlich sehr leeren Autobahn) bis zu 333 km/h Höchstgeschwindigkeit. 

Wenn Sie weniger spektakuläre Schlagzeilen bevorzugen: In Sachen Performance bietet der aktuelle Speed keinen Deut mehr als der “normale” Flying Spur W12. Dafür wäre er bei einem Flying Spur-Forumstreffen allerdings sehr leicht auszumachen. Sein Namenszusatz findet sich quasi überall. Eingestickt in die Kopfstützen, eingefräst in die Einstiegsleisten und auch am Armaturenbrett hat man ihn hinterlegt. Hier wie da in einer wahnsinnig dynamischen Schriftart, die dem flotten Modellnamen vollends gerecht wird. 

Zum Interieur brauche ich wohl nichts zu sagen, das erledigen die Bilder in der Galerie von ganz alleine. Auf der anderen Seite: Was soll der Quatsch. Natürlich sage ich was zum Interieur. Es ist absolut glorreich. In nahezu jeglicher Hinsicht. Was für eine wunderbare Abwechslung ist diese Feier der Opulenz, wo immer mehr andere Edel-Hersteller Luxus mit völliger Reduzierung und/oder der Tapezierung mit möglichst vielen Bildschirmen verwechseln.  

Dass der ein oder andere Knopf (vor allem am Lenkrad) sowie die Anzeigen im Instrumenten- und Infotainment-Bildschirm aussehen wie in einem Audi A4 von 2010, darüber sehen wir jetzt mal großzügig hinweg und widmen uns lieber der ziemlich formvollendeten Hülle. 

Außen erkennen Sie, dass alles was sonst silbern schimmert, beim Speed in Schwarz daherkommt. Das gilt auch für die ganz speziellen 22-Zoll-Räder, die Sie auf unserem Testwagen leider nicht sehen, weil: Winter. Die silbernen Ersatz-21-Zöller dürften eine der erhabeneren Kombis für die kalte Jahreszeit darstellen. Wir wollen uns nicht beschweren. 

Wie fährt er?

Vor allen Dingen, weil der weniger grippige Wintergummi eine ganz wunderbare natürliche Eigenschaft dieses elitären Kraftwagens noch besser zur Geltung bringt: Ich rede natürlich von der äußerst unterhaltsamen Hecklastigkeit, die der Allradantrieb des Spur in unserem besten Interesse zur Verfügung stellt, wenn der Untergrund etwas rutschiger und das Modus-Rädchen auf “Sport” gestellt ist. 

Mindestens 69 Prozent des fülligen Outputs fliegen dann Richtung Hinterachse. Addieren Sie die offensichtliche Fülle an Radstand und absurdeste Driftwinkel sind stets nur einen beherzten Tritt ins rechte Pedal entfernt. Dazu wäre es sicher nicht ganz verkehrt, wenn die Strecke neben rutschig auch noch abgesperrt daherkommt. 

Aber keine Sorge: Selbst wenn Sie keinen eigenen Eissee im Garten haben (oder den zweifelhaften Schneid, eine nagelneue Bentley-Limo mit stark angestelltem Hinterteil durch den örtlichen Kreisverkehr zu prügeln), kriegen Sie auch bei normalen Straßenverhältnissen kleinere aber letztlich vielleicht sogar befriedigendere Einblicke in die lebensbejahende Allrad-Abstimmung dieses 5,32 Meter langen Luxus-Brockens.

Gerade in angesprochenem Sport-Modus mit seiner etwas lässigeren ESP-Attitüde fühlt sich das Auto schön hinterradgetrieben an. Das Heck dreht sich in Biegungen willig mit ein und wenn man in 2te- oder 3te-Gang-Kurven mal etwas beherzter zu Werke geht, dann belohnt der Spur auch gerne mal mit einem Hauch von Übersteuern. Anschließend krallen sich alle vier Reifen aber einfach wieder wie die Irren in den Asphalt und katapultieren das Auto schnickschnacklos nach vorne.

Dass der Spur nicht nur die Rolle der überpotenten Landyacht spielt, sondern tatsächlich auch halbwegs überzeugend als, naja, Sportlimousine durchgeht, daran hat die Hinterradlenkung sicher ihren Anteil. Man würde ja erwarten, dass kein Gras mehr wächst, wo er auftaucht. Dass er die Straße einfach niederwalzt. Stattdessen fließt er eher mit dem Untergrund und gibt das nicht zuletzt durch die kompetent gemachte Lenkung auch sehr gut an den Fahrer weiter. 

Klar, den hakenschlagenden Dribbelkünstler wird der Chef der Flying Spur-Gang in diesem Leben nicht mehr geben. In all seinen Bewegungen liegt schon immer auch ein ordentlicher Haufen Wucht und Würde. Nichtsdestotrotz macht er deutlich mehr Spaß, als es für ein gut zweieinhalb Tonnen schweres Gefährt mit 250 Kilo Motor im Bug erlaubt sein sollte. Die Kombination aus bedingungslosem Komfort-Fokus und fahrdynamischer Involvierung ist schlichtweg beeindruckend.

Und das ist definitiv die ganz große Qualität dieses Autos. Das macht er auch besser als alle anderen in diesem Segment (auch wenn das Segment zugegebenermaßen recht überschaubar ist). Ich bin mir relativ sicher, dass der klassische Flying Spur-Kunde nicht ausschließlich Kurven räubert. Zu seinem großen Glück ist der Große in allen anderen Lagen genau der schwerelose Gleiter, den man sich ja eigentlich erwartet hätte. 

Dazu genügt es, das Fahrmodus-Rädchen auf der Mittelkonsole von “Sport” wieder zurück in die Ausgangsstellung “Bentley” oder “Comfort” zu bewegen und schon vollzieht der edle Herr einen ausgeprägten Wechsel seines Charakters. Wirklich jeder Hersteller schwadroniert ja nur all zu gerne über “die große Spreizung zwischen Komfort und Sportlichkeit” in seinen Fahrmodi. Hier ist es zur Abwechslung mal wirklich so. 

Soll ich den W12 nehmen?

Schizophrenie ist in diesem Zusammenhang sicher ein etwas unglücklicher Begriff, aber Sie verstehen vermutlich, was ich meine. Das gilt übrigens auch vollumfänglich für den scheidenden Stargast, um den es hier ja eigentlich gehen soll. 

Selbst einen Launch Control-Start hat man dem W12 ins Zentralhirn programmiert. Sollte Ihnen die Benutzung des selbigen ein bisschen zu peinlich sein – die volle Dosis Machtdemonstration kriegen Sie auch, wenn Sie einfach so ein bisschen zu aufgeregt ins formvollendete Gaspedal latschen. 

Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man in eine andere Galaxie gebeamt, während man einen richtig schweren Rucksack trägt. Man merkt die Masse, aber meine Herren geht das nach vorne. Auf einer freien Autobahn ist das Verführungspotenzial besonders groß. Da lässt man den sechslitrigen Prachtburschen vorne drin für ein paar Sekunden von der Leine und so schnell kann man gar nicht schauen, stehen 280-290 Sachen auf dem Tacho. Man spürt es ja gar nicht und so richtig hören tut man es auch nicht. 

Dass der Zwölfzylinder klanglich mal so richtig aus der Haut fährt, das werden Sie im Flying Spur Speed eher nicht erleben. Die mechanische Stereo-Anlage mit ihren zwei ovalen XL-Endrohrblenden hat keinen richtigen Party-Modus. Dafür ist der Spur selbst als “Speed” dann doch zu sophisticated. Ein stilvoll-hintergründiges Knurren beim Beschleunigen muss reichen. Gut für die Seele dazu: das dezente Wummern beim Hochschalten unter Last. 

Geht der Fuß wieder runter vom Pinsel ist augenblicklich Ruhe im Karton. Bei 120 km/h zeigt der Drehzahlmesser gerade mal gut 1.500 Touren an. Die klug eingestellte ZF-8-Gang-Automatik passt hervorragend zum ambivalenten und so unendlich geschliffenen Antriebserlebnis.  

Eine zwölfzylindrige Sensation für alle Sinne auf dem Zenit ihrer Entwicklung. Es ist schon ein Drama, dass auch dieses Kapitel jetzt zu Ende geht. Natürlich kann man argumentieren, dass der leichtere, drehzahlgierigere Flying Spur V8 S das dynamischere Gesamtpaket ist oder dass der V6 Plug-in-Hybrid … ähm nun ja … er verbraucht halt weniger. 

Aber der W12 verleiht auch diesem Auto eine Aura, eine Präsenz, eine Bedeutung, die die anderen Varianten gar nicht haben können. Zum wundervollen Flying Spur passt das für mich besser als zum Conti GT (den wir auch vor kurzem im Test hatten) oder dem Bentayga. Wenn Sie sich sputen, können Sie vielleicht noch eine Order platzieren. Für mich könnte es nur die Limousine sein.  

Bentley Flying Spur

  • Motor: Biturbo-W12 TSI; 5.950 ccm
  • Getriebeart: 8-Gang-Doppelkupplung
  • Antrieb: Allradantrieb
  • Leistung: 467 kW (635 PS) bei 6.000 U/min
  • Max. Drehmoment: 900 Nm bei 1.350 – 4.500 U/min
  • Leergewicht: 2.437 kg
  • Beschleunigung 0-62 mph: 3,8 Sekunden
  • Höchstgeschwindigkeit: 333 km/h
  • Länge: 5.316 mm
  • Breite: 1.978 mm
  • Höhe: 1.484 mm
  • Kofferraumvolumen: 420 Liter
  • Zuladung: 563 kg
  • Verbrauch: WLTP-Verbrauch: 15,0 l; Testverbrauch: min 12,0 l, max 20 l
  • Emission: 340 g/km CO2
  • Basispreis: 258.800 Euro
  • Preis des Testwagens: 345.175 Euro

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