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Rolls-Royce-Konzern in Nöten: Sorge um Panzermotoren

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Auch der Leopard 2 fährt mit einem Motor von MUT Friedrichshafen.

Der Ort, an dem sich die Verteidigungsfähigkeit Europas mitentscheidet, atmet Rüstungs- und Industriegeschichte wie wenige sonst. Von hier kamen die Zeppeline, einst standen hier die Dornier-Werke. Die Motoren für die inzwischen historischen Porsche-Traktoren wurden am Ufer des Bodensees gefertigt, der an diesem Tag Ende Januar ruhig unter dem wolkenverhangenen Himmel liegt. Ein paar Touristen schippern mit der Fähre von Romanshorn in der Schweiz nach Friedrichshafen in Deutschland. Zwei Grenzpolizisten erwarten die Fähre und picken sich einen Fahrgast heraus.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt weitgehend zerstört, weil ZF Friedrichshafen und Maybach-Motorenbau wichtige Lieferanten für die Wehrmacht waren. Maybach heißt inzwischen MTU und gehört als Rolls-Royce Power Systems zum britischen Industriekonzern Rolls-Royce , der nichts mehr mit der Automarke zu tun hat. Ein wichtiger Zulieferer für die deutschen Streitkräfte ist MTU (nicht zu verwechseln mit dem Münchner Konzern MTU Aero Engines) weiterhin.

Das Unternehmen fertigt die Motoren für alle wichtigen deutschen Panzer: den Leopard 1 und 2, den Boxer, den Marder, den Puma, selbst für die Panzerhaubitze 2000. Zu den Kunden zählen laut einem Sprecher diverse wichtige Rüstungskonzerne: KMW und Rheinmetall aus Deutschland, Hyundai Rotem und Hanwha Defence aus Südkorea, KNDS/Nexter aus Frankreich. Auch General Dynamics aus den USA, der Produzent des Abrams-Panzers, steht auf der illustren Kundenliste.

Rolls-Royce als „brennende Plattform“

Doch ausgerechnet an dieser Schlüsselstelle der deutschen Rüstungsindustrie könnte nun Ungemach drohen, heißt es in Unternehmenskreisen und aus der örtlichen Politik. Denn sollte die Bundesregierung tatsächlich irgendwann beginnen, Rüstungsgüter nachzubestellen, muss MTU die Produktion schnell hochfahren. Auch wenn das Unternehmen mit den Panzermotoren gutes Geld verdienen dürfte, ist offen, ob das gelingt.

Der Hauptgrund dafür ist die brenzlige Lage des Mutterkonzerns Rolls-Royce. Der 119 Jahre alte Konzern steht vor einem tiefgreifenden Umbau, wie der neue Vorstandschef Tufan Erginbilgic in einer internen Ansprache vergangene Woche vor Tausenden Mitarbeitern angekündigt hat. Seine Rede enthielt drastische Warnungen. Rolls-Royce nannte er „eine brennende Plattform“, die laufend Geld mit Investitionen verliere. Ein Programm zur Steigerung von Effizienz und Gewinnen sei „unsere letzte Chance“. Dies hätten Gespräche mit Investoren ergeben.

Das größte Sorgenkind ist das Kerngeschäft des Industriekonzerns: Triebwerke für die zivile Luftfahrt, die das Unternehmen vermietet. Je mehr Stunden die Flugzeugmotoren fliegen, desto mehr Geld kommt rein. Die Corona-Pandemie, als der Flugverkehr lahmgelegt wurde, brachte für Rolls-Royce große Einbußen. Die Zahlen zum Geschäftsjahr 2022 werden Ende Fe­bruar bekannt gegeben.

Auch in Friedrichshafen hat ein neuer Chef übernommen

Doch die Probleme des Konzerns sind noch älter. Analysten verweisen auf die seit Jahren chronisch schlechte Kursentwicklung. Die Rolls-Royce-Aktie hat in den vergangenen fünf Jahren fast zwei Drittel an Wert eingebüßt, nicht nur wegen der Pandemie. In den vergangenen drei Monaten hat sich der Kurs etwas erholt, weil China sich nach den Corona-Lockdowns wieder öffnete. Das hat den Langstreckenflugverkehr belebt.

Im Konzern befürchten jedoch manche, dass London Friedrichshafen ausquetscht, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Die Vorgaben des Mutterkonzerns seien nur zu erreichen, wenn man sämtliche Investitionen herunterfahre, sagt MTU-Betriebsratschef Thomas Bittelmeyer der F.A.Z. „Wenn es Panzeraufträge gibt, stehen wir mit heruntergelassenen Hosen da.“ Man verfüge über „gut gefüllte Auftragsbücher“ und stehe bereit, „zusätzlich entsprechende Aufträge von der Bundesregierung zu bearbeiten, [wir] halten uns an unsere Zusage, die Produktionskapazitäten entsprechend des Auftragsvolumens anzupassen“, teilt der Sprecher mit.

In Friedrichshafen hat, genauso wie in London, mit Jörg Stratmann kürzlich ein neuer Chef das Ruder übernommen. Beide Unternehmen prüften unter den neuen Chefs gerade ihr Geschäft und ihre Abläufe, „um die finanzielle Performance zu verbessern“, beantwortet ein MTU-Sprecher die Frage, welchen Beitrag Friedrichshafen zum Sparkurs leisten soll. Die Überprüfung basiere auf den Prioritäten des Mutterkonzerns.

Bittelmeyer, der sich schon mit Stratmanns Vorgänger öffentlich gestritten hat, trägt den Konflikt in die Öffentlichkeit. Am Montag trommelt er die Arbeitnehmerschaft zu einer Betriebsversammlung am Eingangstor zusammen. Dass man seiner Rede, in der er den beiden neuen Chefs einheizen dürfte, auch von außerhalb des Geländes lauschen kann, ist kein Zufall. Insgesamt arbeiten für MTU etwa 9000 Leute, 6000 davon in Friedrichshafen.

„England hat einen Einstellungsstopp verhängt“

Dazu muss man wissen: Die Produktion von Panzermotoren ist Handarbeit. Die Herstellungslinie für die Rüstungsgüter im MTU-Werk in Friedrichshafen ist für die Öffentlichkeit zwar tabu. Aber wie andere Großmotoren, ob für Yachten, Fähren oder Bergbau-Fahrzeuge, hergestellt werden, lässt sich in einer Halle beobachten. Und das Bild drinnen hat nichts zu tun mit den manchmal fast steril wirkenden Produktionshallen der Autoriesen. Hier laufen Männer auf einer Handvoll Produktionslinien, setzen einzelne Bauteile in die V-Zylinder-Motoren ein. Auf jeder Linie ein Motor: Am Ende kommt ein Staplerfahrer und holt den Motor ab. Und die Produktion im Panzerbereich sei eher noch kleiner und noch mehr Manufaktur, sagt ein Sprecher.

Die Produktion zu automatisieren ist schwierig. Die Stückzahlen sind zu niedrig und die Zahl der Varianten zu hoch, um die Arbeiter durch Roboter zu ersetzen. In jeden einzelnen Motor fließen viele Arbeitsstunden. Das Rüstungsgeschäft macht laut einem Sprecher etwa ein Zehntel aus.

Anfang August hat MTU angekündigt, für die Rüstungsproduktion bis zum Jahr 2031 bis zu 450 neue Mitarbeiter einzustellen und die Montagelinien auszuweiten, als Bedingung aber direkt nachgeschoben: „je nach konkreter Auftragslage“. Betriebsratschef Bittelmeyer kritisiert: „England hat einen Einstellungsstopp verhängt. Gerade suchen wir 30 Sachbearbeiter für militärische Aufträge. Ob und wann die in England freigegeben werden, ist fraglich.“ Den Einstellungsstopp dementiert ein Sprecher auf F.A.Z.-Anfrage nicht, schreibt aber: „Wo notwendig, werden wir weiterhin Mitarbeiter einstellen.“ Man habe „bereits detaillierte Pläne erarbeitet“, „um bei entsprechendem Auftragseingang schnell und flexibel reagieren zu können“.

Auf die Frage, wie viele Mitarbeiter schon eingestellt worden seien, antwortet das Unternehmen vage: „Den Aufbau der Mannschaft haben wir wie angekündigt bereits aufgenommen.“ Neue Mitarbeiter einzustellen ist in der Region jedoch gar nicht so einfach. Die Arbeitslosenquote beträgt im Bodenseekreis nur etwa 3 Prozent und liegt damit noch unter dem ohnehin niedrigen Wert von Baden-Württemberg.

MTU vor Transformation

Auch in der Politik ist die Sorge angekommen. „Die deutsche Regierung muss darauf einwirken, dass sich Erginbilgic nicht auf Kosten von Friedrichshafen saniert“, fordert der lokale Bundestagsabgeordnete Volker Mayer-Lay (CDU). Noch hoffe er, „dass die Wichtigkeit der Panzersparte auch in London gesehen wird“. Sie müsse Liquidität bekommen, statt dass Geld abgezogen werde. Doch klar ist für ihn auch: Die Firmenphilosophie in London passe nicht mehr zu den Herausforderungen. „Ich finde die aktuelle Konstruktion nicht nur glücklich. Großbritannien ist nicht mehr in der EU. Es wäre einfacher, wenn das Unternehmen in deutscher Hand wäre.“ Mayer-Lay will den Fall nun in der britischen Botschaft ansprechen.

Am Konzernsitz des Mutterkonzerns Rolls-Royce im englischen Derby sieht man die Friedrichshafener Sorgen freilich ganz anders. Die Befürchtung, dass es für die Panzermotoren-Produktion eng werde, weist ein ranghoher Manager des Rolls-Royce-Konzerns barsch zurück: „Das ist Unsinn.“ Allerdings müsse man sich auch bei MTU auf eine größere Transformation gefasst machen.

Die „alten Dieselmotoren“ seien längerfristig gesehen ein Auslaufmodell, heißt es aus Aufsichtsratskreisen von MTU. In zehn Jahren würden sie kaum noch bestellt. Es sei für Armeen teuer und logistisch schwierig, große Mengen Dieselkraftstoff für die Panzer ins Feld zu transportieren, man suche neue Lösungen. Die Armeen der Welt bereiteten sich auf neue Antriebssysteme und mehr Klimaschutz vor. Deshalb werde sich für die Motorenproduktion in Friedrichshafen in den nächsten Jahren doch einiges ändern. Zumindest in diesem Punkt dürften sich alle einig sein.

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