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Messerundgang Auto China 2024

Die Auto China sollte deutsche Hersteller ins Grübeln bringen: In Peking ordnen die alten und die neuen Mächte die PS-Welt neu. Ein Messerundgang!

In ihrer Haut möchte man heute nicht stecken: Denn was Hildegard Müller bei ihrem Rundgang über die Auto China in Beijing gesehen hat, das dürfte der Chefin des deutschen Verbands der Automobilindustrie (VDA) ordentlich auf den Magen schlagen.Nicht nur, dass die acht Hallen des Messezentrums aus allen Nähten platzen, die Pressekonferenzen bis auf den letzten Sitz gefüllt sind, die Messegäste geduldig eine halbe Stunde Schlange stehen, nur um sich manch eine Neuheit aus der Nähe zu betrachten und dass insgesamt hier schon am Pressetag mehr los ist als auf der seligen Frankfurter IAA an Publikumssamstag, vom Trauerspiel in München ganz zu schweigen. Nein, Frau Präsidentin erlebt auch den anhaltenden Bedeutungsverlust der Vorzeigebranche, die sie in der Welt repräsentiert.

Die großen Zeiten von VW, Audi, Mercedes und Co in China sind vorbei

Denn die Zeiten, in denen die Deutschen hier in ihrer vermeintlich zweiten Heimat die Publikumsmagneten waren und am ganz großen Rad gedreht haben, die sind offenbar endgültig vorbei. Ja, die schallende Ohrfeige vor Jahresfrist in Shanghai hat VW, Audi, Mercedes und Co aufgeschreckt und aufgeweckt, sie haben sich aufgerappelt und endlich mal wieder ein paar sehenswerte Schaustücke nach China mitgebracht.Doch so sehnlichst die elektrifizierte G-Klasse, der Mercedes G 580 mit EQ-Technologie, auch erwartet wurde, ist sie am Ende doch nur – und das ist auch gut so – die Elektrovariante eines seit bald fünf Jahrzehnten mehr oder minder unverändert gebauten Klassikers, die uns zudem schon seit drei Jahren Salamischeibe für Salamischeibe serviert wird.messerundgang auto china 2024

Wenn überhaupt, dann signalisiert VW unter den deutschen Herstellern den Aufbruch in Peking. Hier mit der Studie ID.Code.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDDer Audi Q6 e-tron wird nicht eben spannender und macht nichts von seiner Verspätung wett, nur weil er für China ein paar Zentimeter mehr Radstand bekommt. Und so wichtig die Neue Klasse für BMW auch sein mag, ist der Blickfang auf dem Stand eben doch ein alter IAA-Bekannter – und ein Facelift für BMW 4er und i4 jetzt auch keine Sensation.

Nur VW signalisiert den Aufbruch

Wenn überhaupt, dann signalisiert VW den Aufbruch – auch weil es die Wolfsburger als bis vor Kurzem noch ewiger Marktführer im Reich der Mitte natürlich auch am nötigsten haben. “Wir haben verstanden”, lautet die Botschaft des versammelten Vorstands und als weithin sichtbares Zeichen.Dafür enthüllen sie die Designstudie VW ID.Code, mit der sie sich mehr denn je dem chinesischen Geschmack annähern wollen – interaktive Scheinwerfer, ein Avatar als Projektion auf den Scheiben und ein Staubsauger-Roboter inklusive.Klar ist das nur eine Studie. Doch steht sie für das Versprechen vom Aufbruch, dem VW mit der jugendlichen Submarke ID.UX, mit einer neuen China-Plattform für bezahlbare Elektroautos und mit insgesamt 16 ID-Modellen bis 2030 Nachdruck geben will. Von den elektrifizierten Verbrennern und den Plug-in-Hybriden mit 100 und mehr Kilometern elektrischer Reichweite ganz zu schweigen.messerundgang auto china 2024

Xiaomi SU7: Während Apple sein iCar zu Grabe getragen hat, ist der drittgrößte Smartphonehersteller der Welt tatsächlich unter die Autobauer gegangen.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDWeil es bis dahin aber noch ein, zwei Jahre dauern wird, steigen zwei Autos zu den für die Deutschen in Peking wichtigsten Premieren auf, die, streng genommen, sogar chinesische Wurzeln haben. Denn sowohl der Mini Aceman als 4,08 Meter langer Lückenfüller zwischen Cooper und Countryman als auch der Smart #5, der als SUV von 4,75 Meter Länge und mit 100-kWh-Batterie eher das Maximum betont als das Relikt “reduce” und trotzdem schon 2025 für unter 50.000 Euro in den Handel kommen soll, sind Joint-Venture-Kinder und laufen in China vom Band, werden bei uns aber trotzdem für reichlich Wirbel sorgen.

Xiaomi SU7: Sportlimousine vom Smartphone-Hersteller

Aber das ist nicht zu vergleichen mit dem Wirbel, den der Xiaomi SU7 verursacht hat. Denn während Apple sein iCar amtlich zu Grabe getragen hat, ist der drittgrößte Smartphone-Hersteller der Welt tatsächlich unter die Autobauer gegangen und baut eine atemberaubende Sportlimousine im Stil des Porsche Taycan, die aus dem Stand weg mindestens ebenbürtig erscheint – und lange Schlangen erzeugt, hier auf der Messe und bei den Händlern, die vor der Auslieferung aktuell um bis zu 35 Wochen Geduld bitten.messerundgang auto china 2024

Der Denza Z9 GT inszeniert sich als die elegantere und modernere Alternative zum Porsche Panamera.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDUnd der SU7 ist nicht alleine. Überall stehen erstaunlich seriöse und erschreckend ähnliche Stromlinien-Limousinen, die mit hoher Ladeleistung, großer Reichweite und attraktiven Fahrleistungen punkten – vom Denza Z9 GT, der sich als die elegantere und modernere Alterative zum Porsche Panamera inszeniert, über die Luxeed-Limousinen LS7 und LS9, für die sich Exportweltmeister Cherry und Handy-Gigant Huawai zusammen getan haben, bis hin zu Autos wie von Robocar oder Skyworth, von denen bei uns noch nie jemand etwas gehört hat.Dazu gibt es jede Menge smarte und weniger smarte SUV, die nach Jahren des Raumschiffdesigns plötzlich auch ein paar Ecken und Kanten zeigen wie die stark von Suzuki Jimny und Mercedes G-Klasse inspirierten Modelle der Marke iCar oder die hardcore-Geländewagen von Dongfeng. Und immer mehr elektrische Großraumlimousinen.

Auto China: Raumgleiter wichtiger als Luxuslimos

Während sich bei uns eigentlich nur noch die Geschwisterpärchen Mercedes V-Klasse und EQV auf der einen und VW Multivan und ID.Buzz auf der anderen Seite gegen den Niedergang des Vans stemmen, laufen die Raumgleiter in China längst den Luxuslimousinen den Rang ab. Denn Platz ist im Dauerstau von Peking einfach mehr wert als Prestige und in einen Denza D9, einen Zeekr Mix oder einen Li-Motors Mega kann man einfach größere Sitze schrauben als in den dicksten Maybach – von den fenstergroßen Bildschirmen ganz zu schweigen.messerundgang auto china 2024

Bei Dongfeng haben sie sich vom Brabus Crawler inspirieren lassen. Der M-Hunter macht einen brachialen Eindruck.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDEs bleibt zwar dabei, dass viele chinesische Hersteller mit Details und Daten geizen und nach wie vor findet man oft niemanden am Stand, der englisch reden kann oder will, sodass sich Nachfragen häufig erübrigen. Doch wirken die Autos solider und die Firmen seriöser, sodass viele der Versprechungen von Reichweite, Ladeleistung und Batteriekapazität glaubwürdiger klingen als zuvor.Egal ob es sich jetzt um die ersten Batterien auf dem Weg zur Feststoffzelle mit Reichweitenversprechen von 1000 Kilometern bei der SAIC-Tochter IM handelt oder um das Comeback der Plug-in-Hybriden, die mit extra großen Akkus und ultraeffizienten Benzinern nur noch fünfmal im Jahr zur Tankstelle müssen.

In Peking gibt es immer noch Auto-Kuriositäten

Trotzdem bleibt die Mega-Messe auch ein Kuriositätenkabinett mit Dutzenden Marken, die keiner kennt und die schon wieder verschwunden sein werden, bis man ihren Namen entziffert geschweige denn gemerkt hat. Und natürlich stehen hier und da auch noch ein paar Kopien wie die des elektrischen R5 und ein paar Kuriositäten. So hat die BYD-Tochter Fangchengbao sich in den Kopf gesetzt, ein elektrisches Hypercar zu bauen und eine Mischung aus Mercedes SLR Stirling Moss und Ferrari Monza SP2 auf die Räder zu stellen.Bei Dongfeng haben sie sich vom Brabus Crawler inspirieren lassen, und natürlich steht bei Ora wieder der Ballet Cat, der die Idee des VW Käfer ziemlich unverblümt ins Elektrozeitalter fortschreibt. Die mit Abstand wildeste Vision dreht sich allerdings bei der Regierungsmarke Hongqi im Rampenlicht. Denn neben staatstragenden Limousinen und souveränen SUV stellt die “Rote Fahne” auch ein Auto aus, das gefährlich an Batman im Bentley erinnert und sogar den seligen Maybach Exelero wie einen friedlichen Kleinwagen aussehen lässt – mit drehbaren Thronsesseln im Innenraum und bald drei Meter langen Schmetterlingstüren.messerundgang auto china 2024

Die mit Abstand wildeste Vision dreht sich allerdings bei der Regierungsmarke Hongqi im Rampenlicht.

Bild: Thomas Geiger / AUTO BILDNatürlich sind solche Visionen eher Lachnummern. Doch Hochmut und Arroganz dürfen sich die Westler in China nicht mehr erlauben. Sonst wird ihnen das Lachen bald vollends im Halse stecken bleiben. Denn auch wenn sich die Deutschen aufgerappelt haben und versuchen, wieder Tritt zu fassen auf ihrem wichtigsten Markt, hat die Sache einen Haken: Die Chinesen sind in der Zwischenzeit nicht langsamer geworden, sondern haben das Tempo sogar noch einmal deutlich angezogen und ihren Vorsprung weiter ausgebaut.

Peking und Shanghai haben die IAA längst überholt

Wenn die deutschen PS-Vorstände gemeinsam mit Frau Müller oder jeder für sich mit seiner Mannschaft die Messe demnächst in Wolfsburg, Stuttgart, München oder Ingolstadt Revue passieren lassen, dann gibt es vor allem zwei Dinge, die sie sich von den Chinesen abschauen müssen: ihren Mut und ihr Tempo.Denn wenn sie da nicht bald nachlegen, dann feiern Nio, BYD, Geely und Co ihre Party in Peking oder Shanghai künftig alleine. Die Rolle der wichtigsten Automesse der Welt haben die Chinesen der IAA schon abgenommen, und sonst stehlen sie VW und Co bald gar vollends die Schau.

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