Audi

Audi Avant RS2 im Test

Rundes Jubiläum: 30 Jahre Avant RS2! Der 315 PS starke, extravagante Kombi hat ganz viel Porsche – und röhrlt wie Walters Audi.

Manchmal kommt das Beste kurz vor Feierabend. Du hast eigentlich deine Siebensachen schon ge­packt, der Chef nimmt dich noch mal kurz beiseite, Gehaltserhö­hung und so. Oder du willst den Deckel grade zahlen, die Kumpels stürmen rein, Lokalrunde und so.Irgendwann Anfang der Neun­ziger muss bei Audi das Beste auch kurz vor Feierabend gekommen sein. Die Gottheiten aus der Inge­nieursabteilung waren mit den Ge­danken schon beim Nachfolger, da platzt der Chef rein und redet über den Audi 80 und sagt: “Dem alten machen wir zum Abschied noch mal richtig Feuer.” Alle glotzen die vier Ringe an und denken an Fünfzylinder und PS ohne Ende und fragen sich: War das jetzt 'ne Gehaltserhöhung oder 'ne Lokalrunde oder beides gleichzeitig?

Einer der Stars der IAA 1993

Vor 30 Jahren wollte Audi nicht den schönsten Kombi bauen, sondern den schnellsten. Das mit der Schönheit kam erst später. Wir steigen früher ein. Der Typ in Smaragd Perleffekt, den Sie hier mit gelbem Kennzeichen der Niederlande, aber ohne Agrarhaken (Ehrenwort!) sehen, kam auf den Markt, als sein Nachfolger schon fast fertig war; Stichwort Bestes kurz vor Feierabend. Es ist ein Audi 80 der Baureihe B4, der grob gesagt eine Weiterentwicklung des Vorgängers aus den Achtzigerjahren ist, mit Grill an der Haube und neuen Hinterachsen.audi avant rs2 im test

Unter anderem auf den (roten) Bremssätteln ist der Name des technischen Kooperationspartners zu finden.

Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Ab 1991 rollt der “Facelift 80” vom Band, und jetzt schreiben wir das Jahr 1992, sie arbeiten am Nachfolgemodell mit dem inter­nen Code B5, der 1994 kommen soll. Aber der Chef will dem altern­den 80er noch mal einheizen, ge­meinsam mit den Entwicklern von Porsche und Audi-Werksfahrer Walter Röhrl den schnellsten Kom­bi auf die Räder stellen. 1993 ist dieser Fünfzylinderbolide, mit 315 PS und Platz für fünf plus Kinderkarren im Kofferraum, einer der Stars der IAA.

“Schöne Kombis hei­ßen Avant”

1994 erscheint der Nachfolger des Audi 80 na­mens A4, ein Jahr später kriegt der ein Kombiheck und den Werbe­claim “Schöne Kombis hei­ßen Avant”. Heute wissen wir: Mag sein, dass die von da an so hießen. Aber der schnellste Kombi jener Zeiten heißt RS2, und er schmeckt nach Gehalts­erhöhung und Lokal­runde. Abfahrt.Und gleich Vollbremsung. Haben wir Sie verwirrt? Na ja, ist ja auch verwirrend, was die Audis damals so getrieben haben. Erst den Audi 80 aufgemotzt, dann den A4 eingeführt und den 80er trotzdem weitergebaut, aber nicht mehr den Namen hinten draufgeschrieben, nicht mal im Prospekt, sondern überall mit dem Porsche-Logo gearbeitet. Ja, das ist verwirrend.

RS-Kombi für rund 100.000 Mark

Lesen wir lieber mal den Bei­packzettel. Wie gesagt: Avant RS2 nennen sie ihn. Nicht Audi 80 RS2, nur Avant RS2. Am 19. März 1994, einem Samstag, stellt Audi den Wagen in die Showrooms und druckt eine Preisliste, in der oben die vier Ringe stehen und darunter der Porsche-Schriftzug. Und fol­gende Zahl: 98.900 Mark. Damit wir das mal einordnen können: Im selben Jahr kostet der einfachste Audi 80 Avant als Zweiliter-Vier­zylinder-Benziner mit 90 PS genau 39.450 Mark, als Fünfzylinder mit 133 PS und Allrad 52.750 Mark. Und mit viel Technik und etwas Optik und einiger Handarbeit von Porsche eben 98.900 Mark.Wenn du so vorm Auto stehst und es nicht als das verstehst, was es ist, dann könntest du denken: Hui, Kunststoffheckblende aus dem D&W-Katalog bestellt und Kennzeichen druntergespaxt, die Porsche-Räder schrauben manche auch an den Käfer, und die Spiegel sahen beim Audi 80 doch immer anders aus, oder? Aber dann ver­stehst du den Wagen als das, was er schon zu Lebzeiten war: beim Fahren der Wahnsinn für den ers­ten Kick, beim Gucken der Kult für den zweiten Blick.

Mehr Sein als Schein!

Sie wollten in zwei Jahren 2200 Avant RS2 bauen, es sind 1994 und 1995 insgesamt 2891 geworden. So viele haben ihr Kreuzchen beim altern­den 80er in der Vollfettstufe ge­macht, obwohl sie ein paar Mona­te später auch den taufrischen A4 Avant hätten fahren können. Sie wollten alle mehr Sein als Schein.audi avant rs2 im test

Auch die Ansaugbrücke des längs eingebauten Fünfzylinders trägt den bekannten Porsche-Schriftzug.

Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Beginnen wir trotzdem beim Schein. Blinker und Nebelleuchten im vorderen Stoßfänger stammen vom Porsche 911 der Modellreihe 964. Auch das Leuchtenband soll an die Elfer-Tradition erinnern, und ganz nebenbei trugen damals alle Porsche das hintere Kennzei­chen unten. So sitzt es auch beim RS2 unten im Stoßfänger.Vom 964er hat der Audi die beiden Au­ßenspiegel geerbt, bei Porsche ha­ben sie extra noch die Spiegelfüße neu konstruiert. Die Räder im For­mat 7 x 17 Zoll mit 245er-Gummis kommen aus dem Porsche-Cup, dahinter blicken wir auf rote Bremssättel mit Porsche-Logo; die Anlage entstammt dem 968. Das RS im Logo ist eigentlich den scharfen Porsche-Typen vorbehal­ten, hier haben es die Stuttgarter dem Ingolstädter gegönnt.

Von Porsche mitentwickelt

Anfang der Neunzigerjahre brauchte Por­sche Geld, also verdingte man sich als Entwicklungsdienstleister und hatte zuvor schon den V8-Baller­wagen Mercedes 500 E aus der 124er-Familie mitentwickelt und in Zuffenhausen teilmontiert. Genau das war auch der Auftrag für den Avant RS2. Den Wahnsinn entwickeln, Vorhandenes besser und schneller machen. Und den Porsche-Audi bauen, den wir fast “Paudi” getauft hätten, was uns dann aber albern vorkam.Aber ist es albern, überall am Auto zwei Namen draufzu­schreiben nach dem Motto “doppelt hält besser”? Nee, ist es nicht, denn Audi gibt ja zu: “Der Avant RS2 ist eine Gemeinschaftsent­wicklung von Audi und Porsche. Entwicklungsbasis war der Audi Avant S2. Porsche hat die spezi­fischen RS-2-Umfänge entwickelt und den Avant RS2 insgesamt ab­gestimmt.”audi avant rs2 im test

Recaros, vorn, elektrisch verstellbar. Auf Wunsch ließen sich die Mittelbahnen mit Alcantara in Blau beziehen, unserer hat Seidenledernappa.

Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Fangen wir an beim Motor. Grundlage war der 2,2 Liter kleine Fünfzylinder, der im Audi S2 ab 1990 erst 220 und zwei Jahre später 230 PS leistete und 350 Nm Drehmoment auf die Kurbelwelle wuchtete und den Spurt auf Tem­po 100 in 5,9 Sekunden bewerk­stelligte. Wie gesagt: Das war die Basis, dann kam Porsche.Weil das Triebwerk bereits zu Walter Röhrls Rallyezeiten stand­feste 400 PS lieferte, trauten sie dem 20-Ventiler 315 PS ohne Wei­teres zu. Sie haben den Turbolader geändert, den Ladeluftkühler ver­größert, Abgasanlage und Ansaug­trakt modifiziert und ganz oben auf die Ansaugbrücke Porsche ge­schrieben, um auch jedem, der die Haube öffnet, gleich den Mund mit zu öffnen. Außerdem haben sie Motormanagement und Ven­tilsteuerzeiten feingetunt – fertig sind beachtliche 315 PS und bis zu 410 Nm Drehmoment.

Selbstversuch Power-Kombi

Wie sich das anfühlt? So als würde dich einer bei lebendigem Leib in den Flitzebogen spannen, nach hinten ziehen und ohne Vor­warnung plötzlich loslassen. Dann fliegst du kerzengerade los und überlegst unter­wegs: Ach du lie­bes bisschen, was war das denn?Ja, du spürst an­fangs ein Turboloch, das kannst du nicht verliebt weglächeln, das ist ja da. Unter 3000 Touren fährst du dieses Auto bitte wie einen Fa­milienkombi, da passiert nicht viel. Danach umso mehr. Wenn sich der Dreh­zahlmesser langsam der 3000er-Marke nähert, dann liegst du maximal gespannt im Flitzebogen. Wenn du dann auf dem Gas bleibst, dann schießt du los, es liegen zuerst 410 Nm Drehmoment an und bis 4900/min immer 400. Du gibst Gas, du schal­test, du spürst leichtes Magen­grummeln, weil dieser brachiale Bumms kein Ende nimmt. In nur 3,9 Sekunden hast du dich auf 80 km/h katapultiert, in 5,4 auf 100. IN! EINEM! KOMBI! 1994!

1994 der schnellste Kombi der Welt

Den RS2 Avant haben sie nicht kastriert wie einen stürmischen Rüden, sie haben ihn so belassen, wie er ist. Von Haus aus wild, in diesem Fall auf 262 Sachen Spitze. Das war 1994 der Wert für den schnellsten Kombi der Welt. Und das, obwohl sich die deutschen Autohersteller in den Achtziger­jahren in einer Selbstverpflichtung auf 250 km/h Höchstgeschwindig­keit verständigt hatten. Audi konn­te ja sagen: Wir waren das nicht, das war Porsche. Die haben sich noch nie an die Sache mit 250 ge­halten, warum ausgerechnet hier? Ja, warum ausgerechnet beim RS2? Weil er's will. Und kann.Sie haben ihm permanenten Allrad eingebaut, herausgekom­men ist ein neutrales Fahrverhal­ten, das dir nichts abverlangt. Er fährt einfach wie am Schnürchen gezogen, wie auf Schienen, sicher und gutmütig. Walter Röhrl, der als Rallyefahrer auf dem Monster-Audi namens S1 geholfen hat, den quattro-Antrieb für die breite Mas­se zum Erlebnis werden zu lassen, sagte damals anerkennend: “Der RS2 untersteuert im Grenzbereich leicht. Dann nimmt man einfach das Gas weg, und das Auto kommt wieder auf Kurs.” Überhaupt sei es eine Wucht, dass Audi die Hoch­leistungsbremsen vom 968er eingebaut habe. Motorleistung, Fahrverhalten, Bremse – das war für den Meister damals etwas “ho­mogenes Ganzes, da passt einfach alles zusammen”.audi avant rs2 im test

Dieser Kombi ist eine Gemeinschaftsarbeit von Audi und Porsche, hat einen 315-PS-Fünfzylinder und war einer der Stars der IAA 1993.

Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Apropos zusammenpassen. Hat schon mal jemand gesagt, dass der RS2 wirklich aussehen kann wie aus dem D&W-Katalog der Neunziger, als sich leicht bekleidete Damen auf bunten Sitzen rekelten? Unser Foto­wagen hat zum Glück die zeitlose Nappaleder-Ausstattung in Anthra­zit. Wenn da früher jemand beim Bestellen die Nerven verloren hatte, dann ließ Audi in Zuffenhausen wirklich Sportsitze mit Alcantara in der Mitte in der Farbe “Mutiges Blau” einbauen, Blenden an Arma­turentafel und Türverkleidungen in Carbonfaser stecken.Dann würden wir heute in einem Avant RS2 sitzen, sagen wir in der Lackie­rung RS Blau Perleffekt, guckten auf blaues Alcantara in der Mitte des Dreispeichen-Lenk­rads, auf blaues Alcantara in den Türverkleidungen und in der Mitte des freien Bei­fahrersitzes, und wir wür­den resümieren: Zum Glück hießen schöne Kombis ab 1996 Avant. Die Hamburger Werbe­agentur Jung von Matt dachte sich genau diesen Claim aus. Aber das ist eine an­dere Geschichte, die wir Ihnen in zwei Jahren er­zählen.

Plus/Minus

Einer wie keiner. Der Avant RS2 war schon zu Lebzeiten 1994 und 1995 äußerst selten auf unse­ren Straßen, nur 2891 Exemplare wurden verkauft. Das kann nur am Preis von knapp unter 100.000 Euro ohne Zusatzausstattung (genauer: 98.900 Mark) gelegen haben und deutlich darüber bei Bestellung von Klimaanlage (plus 4435 Mark), elek­trischem Schiebedach (1440) und Kassettenradio Gamma (1445). Denn so einen Fahrspaß wie im RS2 gab es damals in nur wenigen anderen Kombis. Mit 262 km/h Spitze war er außerdem der da­mals schnellste Serienkombi.Und heute? Fährt er immer noch nicht wie einer, der dieses Jahr das H-Kennzeichen bekommen kann. Wenn gewollt, cruist er entspannt im sechsten Gang über die Lande. Wenn verlangt, veranstaltet er dank 400 Nm Drehmoment zwischen 2800 und 4900/min ein Spektakel, das immer noch sportlich und vor allem Musik fürs Ohr ist.audi avant rs2 im test

Schwarz auf weiß: Der Tacho geht bis 300 km/h, bei 262 bleibt die Nadel stehen.

Bild: Fred Roschki / AUTO BILD Wer jetzt ganz tief in die Schatulle greifen und sich einen RS2 zulegen will, sollte auf eine nachvollziehbare Historie schauen und lieber etwas mehr für Typen ohne Reparaturstau investieren. Obwohl der Grauguss-Motorblock für Laufleistungen deutlich jenseits der 200.000 Kilo­meter taugt, ist er nicht ohne Probleme. Undichte Simmerringe der Kurbelwelle machen sich auf der Bühne durch Ölverlust bemerkbar.Und auch die Fahrzeugelektrik ist nicht für die Ewigkeit. So gehört die Lambdasonde zu den regelmäßigen Austauschteilen, zu bemerken an unrundem Motorlauf. Ihr Augen­merk sollten RS2-Interessenten auch auf sämtliche Gelenke der Vorderachse werfen, Dreieckslen­ker, obere Domlager und Koppel­stangen gehören zu den typischen Verschleißkandidaten.Also lieber einen durchreparierten RS2 kaufen – und eines bedenken: Der Typ kam mit Porsche-Geburts­hilfe auf die Welt. Entsprechend teuer ist er auch im Werkstattunter­halt, wenn er lange halten soll.

Marktlage

Die Preise gehen hoch. So ist das mit der Marktwirtschaft: Angebot und Nach­frage. Das Angebot jedenfalls ist bescheiden. Derzeit sind auf den üblichen Marktplät­zen keine zehn Avant RS2 im Angebot. Los geht es nicht mehr ganz original und mit Laufleistun­gen jenseits von 250.000 Kilometern bei 50.000 Euro, al­so ehemaliger Neu­preis. Die vorzeigbaren Exemplare, leider auch mit Lauf­leistungen über 150.000 Kilometer, werden mit bis zu 80.000 Euro an­geboten, teilweise nachlackiert.

Ersatzteile

Achtung, Kleinserie! Vom RS2 wurden keine 3000 Exemplare ge­baut, entsprechend speziell sieht’s bei der Teileversorgung aus. Prinzi­piell gilt: Alles, was an Serienteilen von Porsche eingebaut wurde (Bremsen vom 968, Spiegel und Rä­der vom 964), gibt es bei Porsche. Alles, was speziell für den RS2 her­gestellt wurde, ist schwierig zu bekommen. Zum Beispiel die Innen­ausstattung mit Sportsitzen und Alcantarabezug in der Mitte. Sollte das verschlissen sein, muss der Sattler ran. Viele Teile gibt’s nach­gefertigt, etwa das RS-Logo fürs Lenkrad (38 Euro).

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