Rockstars waren jahrzehntelang eine meist von Rentnern repräsentierte Spezies. Und dann kamen Måneskin. Eine Bande Anfangzwanzigjähriger, die sich dem Rock’n’Roll verschrieben hat und kommerziell dennoch mit den großen Rap- und EDM-Helden unserer Zeit mithalten kann. Trotz brettharter Gitarrenriffs und exaltierter Retro-Attitüde haben es Damiano David, Victoria De Angelis, Ethan Torchio und Thomas Raggi geschafft, international in aller Munde zu sein. Die Erfolgswelle, die Måneskin dieser Tage reiten, lässt sich, so romantisch das wäre, allerdings nicht allein über die Stilistik oder Qualität ihrer Musik herleiten. Vielmehr inszeniert sich das Viergespann stimmiger als andere: Måneskin sind Internetprofis, haben verstanden, wie die Ökonomie der Aufmerksamkeit funktioniert, garnieren ihr Kerngeschäft stets mit der nötigen Portion Rebellion und einer Prise Obszönität — hier ein bisschen zu nackt im Fernsehen, da ein Kraftausdruck zu viel, dort ein bisschen zu breit auf der Pressekonferenz.
Nun, logisch, die erste Welttournee. Aktuell bespielen Måneskin die europäischen Metropolen. Bevor die „Loud Kids Tour“ coronabedingt um einige Monate verschoben wurde, sollte ihr Berlin-Konzert in der Verti Music Hall stattfinden. In der Zwischenzeit gelang es der Band jedoch ohne große Mühen, die mehr als dreimal so große Mercedes-Benz-Arena restlos auszuverkaufen. Am frühen Montagabend tummelt sich ein auffallend durchmischtes Publikum auf dem Vorplatz des Betontempels — Kinder mit Eltern, Teenies mit Pappschildern, Hipster im Berghain-Dresscode, Mittfünfziger in Metallica-Shirts. Als sich die Halle füllt, ist die Bühne mit einem gigantischen roten Tuch abgehängt — das bleibt sie allerdings nicht lange, denn Måneskin sind überpünktlich und ohne Vorband angereist.
Keine zehn Minuten nach regulärem Konzertbeginn blitzen hinter dem Gewebe Silhouetten auf. Die Gitarrenmelodie der Neuerscheinung „Don’t wanna sleep“ ertönt, die Bassdrum donnert in die Szenerie, das Bassspiel setzt ein. Und dann, endlich, rotzt Sänger Damiano David das Credo des Abends ins Mikrofon: „Dance, dance, dance, dance, dance until I die, medicate myself ’till my head is in the sky“. Der Vorhang fällt, Gekreische, und ja: Måneskin sehen mal wieder fantastisch aus. Für ihr extravagantes Erscheinungsbild — die Glamrock-Garderobe, die Eyeliner-Augen, die lackierten Fingernägel, die Stöckelschuhe, die frivolen Tattoos — war die Band gewiss schon vorher bekannt. Und doch scheinen Måneskin in echt noch ein bisschen mehr zu schillern als online. Wer aussieht und sich bewegt wie sie braucht keine aufwändige Produktion. Bühnenbild und Spezialeffekte bleiben über die gesamte Show hinweg auf ein Minimum reduziert, im Fokus stehen Damiano David und seine Angus-Young-like über die Bühne stampfenden Kolleg:innen.
Bevor das Konzert sein Finale erreicht, bauen Damiano David, Bassistin Victoria De Angelis und Gitarrist Thomas Raggi immer intensiveren Nahkontakt zu den vorderen Reihen auf. Erstgenannter taucht einmal gänzlich im Publikum unter. Auf die Hitsingle „Mammamia“ aus 2022 lassen Måneskin „Kool Kids“ folgen und holen zum Abschluss des Konzerts etwa fünfzig exzessiv tanzende Zuschauer auf die Bühne. Der anschließende Zugabenblock fällt knapp aus — vielleicht, weil sich Måneskin für das zweite Deutschland-Konzert am Freitag in Köln schonen wollen. Oder, ganz einfach, weil Måneskin nun mal Rockstars sind.