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Zwischen TikTok und Glamrock: Måneskin in der Mercedes-Benz-Arena

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Rockstars waren jahrzehntelang eine meist von Rentnern repräsentierte Spezies. Und dann kamen Måneskin. Eine Bande Anfangzwanzigjähriger, die sich dem Rock’n’Roll verschrieben hat und kommerziell dennoch mit den großen Rap- und EDM-Helden unserer Zeit mithalten kann. Trotz brettharter Gitarrenriffs und exaltierter Retro-Attitüde haben es Damiano David, Victoria De Angelis, Ethan Torchio und Thomas Raggi geschafft, international in aller Munde zu sein. Die Erfolgswelle, die Måneskin dieser Tage reiten, lässt sich, so romantisch das wäre, allerdings nicht allein über die Stilistik oder Qualität ihrer Musik herleiten. Vielmehr inszeniert sich das Viergespann stimmiger als andere: Måneskin sind Internetprofis, haben verstanden, wie die Ökonomie der Aufmerksamkeit funktioniert, garnieren ihr Kerngeschäft stets mit der nötigen Portion Rebellion und einer Prise Obszönität — hier ein bisschen zu nackt im Fernsehen, da ein Kraftausdruck zu viel, dort ein bisschen zu breit auf der Pressekonferenz.

Måneskin sind Mainstream und Antagonist desselben zugleich, sprengen die Party lieber medienwirksam, statt einfach nicht hinzugehen. Zwischen Ironie, Protest und TikTok-Hits, schroffer Punkrock-Hymne und Schmalzballade ist für jeden was dabei. Reißbrett-Popstars im Rockstar-Kostüm sind Måneskin aber dennoch nicht. Die Band fand 2016 in Rom auf dem Pausenhof zusammen, machte anfangs Straßenmusik, nahm an einem Schulband-Contest teil und erreichte eher unverhofft das Finale der italienischen Casting-Show „X Factor“. Einen Major-Deal und zwei Platz-Eins-Alben in Italien später nahmen Måneskin mit dem Stück „Zitti e buoni“ am Eurovision Song Contest 2021 teil — und siegten triumphal. Nun auch international groß im Geschäft traten sie als Vorband der Rolling Stones auf, spielten auf dem Coachella-Festival und gingen ein paar mal Platin. Erst kürzlich waren sie bei den Grammy-Awards als „Best New Artist“ nominiert, ihre im Januar 2023 erschienene dritte LP „Rush!“ brach neue Rekorde.

Nun, logisch, die erste Welttournee. Aktuell bespielen Måneskin die europäischen Metropolen. Bevor die „Loud Kids Tour“ coronabedingt um einige Monate verschoben wurde, sollte ihr Berlin-Konzert in der Verti Music Hall stattfinden. In der Zwischenzeit gelang es der Band jedoch ohne große Mühen, die mehr als dreimal so große Mercedes-Benz-Arena restlos auszuverkaufen. Am frühen Montagabend tummelt sich ein auffallend durchmischtes Publikum auf dem Vorplatz des Betontempels — Kinder mit Eltern, Teenies mit Pappschildern, Hipster im Berghain-Dresscode, Mittfünfziger in Metallica-Shirts. Als sich die Halle füllt, ist die Bühne mit einem gigantischen roten Tuch abgehängt — das bleibt sie allerdings nicht lange, denn Måneskin sind überpünktlich und ohne Vorband angereist.

Keine zehn Minuten nach regulärem Konzertbeginn blitzen hinter dem Gewebe Silhouetten auf. Die Gitarrenmelodie der Neuerscheinung „Don’t wanna sleep“ ertönt, die Bassdrum donnert in die Szenerie, das Bassspiel setzt ein. Und dann, endlich, rotzt Sänger Damiano David das Credo des Abends ins Mikrofon: „Dance, dance, dance, dance, dance until I die, medicate myself ’till my head is in the sky“. Der Vorhang fällt, Gekreische, und ja: Måneskin sehen mal wieder fantastisch aus. Für ihr extravagantes Erscheinungsbild — die Glamrock-Garderobe, die Eyeliner-Augen, die lackierten Fingernägel, die Stöckelschuhe, die frivolen Tattoos — war die Band gewiss schon vorher bekannt. Und doch scheinen Måneskin in echt noch ein bisschen mehr zu schillern als online. Wer aussieht und sich bewegt wie sie braucht keine aufwändige Produktion. Bühnenbild und Spezialeffekte bleiben über die gesamte Show hinweg auf ein Minimum reduziert, im Fokus stehen Damiano David und seine Angus-Young-like über die Bühne stampfenden Kolleg:innen.

Spätestens als die Band das erste Aufbäumen in „Zitti e buoni“, ihrem ESC-Hit, gipfeln lässt, hat sie ihr Publikum im Griff — etliche Fans sind textsicher, beherrschen sogar die Lyrics der wenigen italienischsprachigen Stücke im Set. Im Mittelteil der Show konzentrieren sich Måneskin auf die Songs vom aktuellen Album „Rush!“. Es wird deutlich, warum die Platte von vielen Kritikern als zerfasert beschrieben wurde: zu sehr klaffen die neuen Stücke stilistisch auseinander. Das eine klingt wie ein aalglatter High-School-Rock-Nachruf, das nächste nach gewollt hartem Dad-Rock-Verschnitt. Ein neuer Stimmungs-Peak wird erst erreicht, als „Beggin’“, die viral gegangene Neuinterpretation des Four-Seasons-Klassikers ertönt — in diesem Moment scheinen mehr Handys als Augenpaare auf die Bühne gerichtet zu sein.

Bevor das Konzert sein Finale erreicht, bauen Damiano David, Bassistin Victoria De Angelis und Gitarrist Thomas Raggi immer intensiveren Nahkontakt zu den vorderen Reihen auf. Erstgenannter taucht einmal gänzlich im Publikum unter. Auf die Hitsingle „Mammamia“ aus 2022 lassen Måneskin „Kool Kids“ folgen und holen zum Abschluss des Konzerts etwa fünfzig exzessiv tanzende Zuschauer auf die Bühne. Der anschließende Zugabenblock fällt knapp aus — vielleicht, weil sich Måneskin für das zweite Deutschland-Konzert am Freitag in Köln schonen wollen. Oder, ganz einfach, weil Måneskin nun mal Rockstars sind.

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