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Sternekoch Max Strohe: Der Käsewagen ist mein Lieblingsauto - Kolumne

Die Stimmung in meinem Gastraum ändert sich merklich, wenn der Käsewagen heranrollt – als würde das Licht gedimmt. Jeder Käseteller folgt einer Dramaturgie. Vorhang auf!

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Sternekoch Max Strohe: Der Käsewagen ist mein Lieblingsauto – Kolumne

Die drei Säulen des Autoquartetts: Hubraum, Pferdestärke, Höchstgeschwindigkeit.

Die drei Säulen des Käsewagens: Hartkäse, Blauschimmel, Ziegenkäse.

Von null auf hundert auf der Skala der Glückseligkeit in fünf oder sieben Sorten. Endspurt sozusagen, denn Käse schließt den Magen, und ein Käsewagen entschädigt für viel, übernimmt die Verantwortung, wie gestandene Spieler bei großen Turnieren, die als Joker von der Bank kommen und den spielentscheidenden »Unterschied« machen können.

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Die Reifen rollen lautlos und behäbig, aber komfortabel Richtung Gast. Schwer gleitet die Limousine unter der Last ihrer fetten Fracht über Böden jeder Art. Sie wirkt wie tiefergelegt. Käsewagen haben immer Vorfahrt: VIP on board.

Wie ein Security-Mitarbeiter oder vielmehr wie Kevin Costner als Bodyguard, flankiert ein befrackter Maître das wertvolle Gut, sichert die Ausgänge und die Route zwischen den einzelnen Tischen, verfolgt von den Blicken der Gäste, die dem Wagen hinterherstarren.

Die Stimmung im Gastraum ändert sich merklich, wenn der Wagen das erste Mal hereingerollt kommt. Es ist, als würde das Licht gedimmt, als wechsele die Musik, als passe sich der Rhythmus des Restaurants der Gemächlichkeit eines dahinscheidenden Abends an.

Ein Käseteller folgt einer Dramaturgie

Edler Gestank macht die Luft zum Schneiden dick. Die Reife der Vergangenheit gebietet dem Trubel im Gastraum Einhalt, das Zeremoniell der Präsentation ist eine Reminiszenz an längst vergangene Tage herrschaftlicher Opulenz. Alter Port wird in kleinen Schlucken serviert.

Der Wagen ist also vorgefahren. Es beginnt. Oft lautet die Frage, wie kräftig es denn sein soll, ob es lieber was Gereiftes sein darf? Ja, gerne, voll aufs Maul, bitte! Ob man das wirklich wolle? Ja, Mann, man will! Motiviert zieht der Käsekellner die Braue hoch und nickt anerkennend. Er wird zeigen, was er kann. Er wird die PS auf die Straße bringen.

Ein Käseteller folgt einer Dramaturgie. Es beginnt subtil und endet dramatisch abrupt, wie ein unvorhersehbarer Cliffhanger einer gut konzipierten Serie mit Suchtfaktor. Die süßen Beigaben dienen dem Kontrastieren und der Verschnaufpausen, die nachsichtige Konsumenten ihrem beanspruchten Gaumen gönnen. Der Feigensenf ist der Sushi-Ingwer der Käsedegustation.

Die Käsewagen-Beauftragten, ja die Chauffeure, sie haben ein fast ehrfürchtig geprägtes Verhältnis zu den Affineuren, denen sie treu verpflichtet sind. Es wird angerichtet. Ein Stück perfekt temperierter, cremiger Selles-sur-Cher räkelt sich da wie ein Pin-up-Girl auf der Karosserie eines senfgelben Porsche Targa. Ein Ziegenkäse aus dem Loire-Tal, in Asche und Salz gereift. Fein und intensiv.

Ein Comté aus dem Gebiet um den Jura herum: Lediglich zwei Kuhrassen dürfen hierfür ihre Milch geben, zwei Jahre gereift, feine Salzbildung durch die Proteine.

Ein absoluter Klassiker, der polarisiert, ist der Époisses, ein unverkennbarer Rotschmier-Käse, gewaschen mit Marc de Bourgogne, einem Tresterbrand aus dem Burgund; sehr kräftig und sehr cremig.

Der Gruyère, der Schweizer Comté, wenn man so möchte, direkt aus den Alpen, 22 Monate auf 2000 Metern Höhe gereift. Die Schweizer reifen ihre Käse bei höheren Temperaturen; sie sind also fortgeschrittener, kräftiger und intensiver. Und zum Finale Fourme d’Ambert aus der Auvergne, täglich mit Sauternes veredelt, zuerst zurückhaltend, dann kraftvoll und sehr lange am Gaumen.

Das Reinigen der Käsemesser durch den Käsewagen-Beauftragten ähnelt den Szenen aus Fantasyserien, in denen ein Oberhaupt einen Abtrünnigen mit einem Schwert enthauptet und dann das Blut an der Klinge ungerührt, aber dennoch theatralisch mit einem Lappen säubert, um sicherzustellen, dass beim nächsten Kampf die Schneidekraft nicht unter den Unebenheiten angetrockneter Reste leidet.

Meanwhile daheim, eine wiederkehrende Situation: Im Zuge der Selbstverbesserung und des diätetischen Wahnsinns hungere ich meinen Leib runter in die Kurvenlosigkeit. Im Kühlschrank Leere. Ein Laib Käse stünde ihm und mir gut zu Gesicht. Ein kleiner Bissen eines gereiften Käses, das wär’s jetzt. Denn Käse ist komplett. Käse befriedigt alles, die edlen Motive und die schmutzigen Triebe.

Übrigens: Einer der eindrücklichsten Käsewagen des Landes dreht seine Runden im Restaurant Aqua in Wolfsburg. Reiner Zufall, das mit der Autostadt? Ich denke nicht. Der Käsewagen ist mein Lieblingsauto.

Pimp my ride.

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