Wie sanft schiere Größe wirken kann, beweist dieses US-amerikanische Fundstück im Neuwagenzustand. Unterwegs im Eldorado Convertible.
Ein leichtes Zittern wandert durch das Auto, das so groß ist, dass dieses Zittern etwas Zeit braucht, um einmal von vorne bis nach hinten zu gelangen. Nichts knistert dabei, es ist nur dieses leichte Zittern, das einmal die stolzen 5,64 Meter zurücklegen muss, die dieser Cadillac Eldorado Convertible von Stoßstange zu Stoßstange misst.So rollt der Wagen über die Straßen bei Karlsdorf im Badischen, und es ist völlig klar, dass er hier fremd ist. Dieser salbeigrüne Riese, die Farbe heißt tatsächlich so: Sage Green, offeriert Platz für sechs Sonnenanbeter, ist dabei über 2,2 Tonnen schwer und lässt einen sanften V8 mit gigantischen 8,2 Liter Hubraum unter der riesigen Motorhaube flüstern.Nein, er passt nicht nach Karlsdorf, in diese deutsche Enge. Wer hier 1973 sehr viel Geld für ein Auto übrig hatte, der kaufte sich einen Mercedes 450 SEL. Der war kompakt gegen den Cadillac, und er nahm das Thema Luxus deutlich ernster als dieser obszön plakative Amerikaner.Wolfgang Bühler, der mit seiner Firma Savex auf US-Importe rarer Klassiker spezialisiert ist, hatte den Cadillac auf einer Auktion in Kissimmee, Florida, ersteigert. Dass Bühlers Beuteschema besonders auf geringe Laufleistungen zielt, beweist er mit diesem offenen Amerikaner nachdrücklich: Es stehen tatsächlich erst 98 Meilen auf dem Tacho. Gekauft hatte er ihn mit zehn weniger, also 88 Meilen. So addierte allein dieser nachmittägliche Fototermin über zehn Prozent auf die Gesamtfahrleistung, die dieses Exemplar zuvor in fünf Jahrzehnten absolviert hatte. Jedes Auto hat seine Geschichte. Aber kann ein Cadillac, der nie irgendwohin gefahren ist, Anekdoten aus seinem Leben erzählen?
Bild: Magali Hauser / AUTO BILD
Auf XXL-Spurensuche
Bild: Magali Hauser / AUTO BILDEinige Hinweise finden sich dann doch auf eine Helen Dodez Newton, Tochter eines wohlhabenden Zahnarztes und Unternehmers in Fort Wayne, 1906 geboren. Eine lokale Familienbiografie berichtet, dass sie noch 1940 als erwachsene Frau ohne Beruf und unverheiratet zu Hause lebte. Helen starb 1983 – ohne ihren zehn Jahre zuvor gekauften Cadillac je richtig gefahren zu haben.Warum sie das nie tat, ist nirgendwo überliefert. Vielleicht ging es ihr wie vielen anderen, die zu dieser Zeit einen offenen Cadillac bestellten: Sie erwarteten alle den Untergang der großen, der wirklich amerikanischen Cabriolets. Es ist vielleicht ein verklärter Akt des Patriotismus, der eine Kundin wie Helen Dodez Newton dazu brachte, einen Kaufvertrag zu unterschreiben.
Luxus trifft Größenwahn
Niemand von ihnen brauchte ein Auto wie dieses, mit Platz für sechs Personen auf weichem, weißem Leder, mit allem erdenklichen Luxus in der Bedienung wie vier elektrischen Fensterhebern, einer elektrischen Sitzverstellung und einem automatischen Verdeck. Es könnte gut sein, dass Helen es nie geöffnet hat. Denn bei aller Automatik und allem Luxus bleibt es ein langwieriges Gefummel, bis die beiden riesigen, sich verwindenden Abdeckungen aus salbeigrünem Kunststoff über das geöffnete Verdeck geklemmt sind.Cadillac drohte damals über Jahre seinen Kunden, den Bau dieses letzten Fanals der Opulenz irgendwann vom Markt zu nehmen. Sie sprachen nicht davon, dass 8,2 Liter Hubraum mit Frontantrieb eine eigenwillige Mischung waren, und von der Größe schon gar nicht. Warum auch? Dort, wo Helen lebte, gab es ja vor allem eines: sehr viel Platz.
On the road again
Die ersten Meter. Im Lenkrad prangt das so adelig aussehende Cadillac-Wappen, dessen Heraldik irgendwie auf Laumet de la Mothe, Sieur de Cadillac, zurückgeht, einen Franzosen, der im Jahr 1701 ein Fort gründete, aus dem sich später Detroit entwickeln sollte. Eine komplizierte Geschichte.Da ist es einfacher, unbelastet in die Ledersessel zu sinken, die Cadillac damals als Option lieferte. Erstaunlich dynamisch zeigt sich das auf den Fahrer hin orientierte Cockpit mit seinem riesigen, horizontalen Bandtacho und den vielen Schaltern, Schiebern und Hebelchen. Eine kleine, rechteckige Uhr mit schnörkeligem Cadillac-Schriftzug misst die Zeit, direkt daneben zeigt sich ins Kunstholz geprägte Floral-Ornamentik. Man muss das nicht im klassischen Sinn schön finden, die Note des Absurden genügt für staunende Bewunderung – insbesondere in diesem Zustand, frei von jeder Spur verstrichener Zeit.
Bild: Magali Hauser / AUTO BILDLeise, sanft und mit jenem leichten Zittern nimmt der V8 seine Arbeit auf. Ein einziger Rochester-Vierfachvergaser genügt ihm, und die (denkbaren) 102 Liter Benzin im Tank sollten ihn bei adäquater Fahrweise 500 Kilometer weit bringen – bei diesem Exemplar eine Distanz, über die vermessen nachzudenken wäre.Kaum wahrnehmbar sortiert die Turbo-Hydra-Matic die drei Gänge, und irgendwo hier muss auch ein schwarzes Loch existieren, das einen nicht allzu geringen Teil der 522 Newtonmeter Drehmoment verschluckt. Dennoch kommt immer noch mehr als genügend an den Vorderrädern an. Gut, dass die Automatik noch funktioniert wie am ersten Tag – denn Ersatz gäbe es kaum.Längst hat unser geheimnisvoller Cadillac seinen Zwischenstopp in Karlsdorf verlassen; er soll via Dubai eine neue Heimat in einer irakischen Sammlung gefunden haben. Ein skurriles Leben, von Beginn an, einzigartig und fernab des Normalen. Aber das passt sehr gut zu ihm, diesem sanften Riesen aus einer anderen Welt.