Fiat traute sich Mitte der 1930er-Jahre, mit diesem kompakten Rennwagen eine Ikone der Aerodynamik für die Mille Miglia zu bauen.
Größe ist nie absolut, das macht dieses so kleine Auto ziemlich klar. Mit den Anekdoten, die es aus seiner Geschichte berichten kann, spielt es eine spannende Rolle in der Historie des italienischen Automobilbaus. Eine Ikone, keine Frage. Doch eine, in deren Inneren es ziemlich knapp zugeht.Mark Geessink weiß das genau. Ihm gehört dieses kleine Juwel. Und weil der 55 Jahre alte Berateraus den Niederlanden nicht nur mit Leidenschaft sammelt, sondern auch fährt, ließ er seinen Fiat-Sportler bei der 2020er Edition der Mille Miglia antreten, die wegen Corona ausnahmsweise im Oktober stattgefunden hatte.
Bild: Marcus Gloger / AUTO BILD Schon ein erster Blick ins Innere des Cockpits beweist mit einer Eigenart seine Enge. Fiat hatte den Beifahrersitz nach hinten versetzt montiert. “Nur so habe ich genug Raum für meinen rechten Arm”, sagt Mark, “ich muss ja schalten können.” So geht es, bequem ist es nicht: Die Nähe zum Co-Piloten bleibt, die Sitze sind hart, der kleine Sport-Vierzylinder ist laut. Aber Spaß macht es! Das beweist uns Mark beim Fototermin in den Niederlanden: 36 PS kommen mit 745 Kilogramm Leergewicht sehr ordentlich zurecht. “Es ist ein tolles Auto”, sagt Mark, “und immer fordert es heraus.” Wie ein junges Rehkitz tänzele der kleine Fiat über die Chaussee, ungestüm und wild, nie brutal. “Auch wenn du einfach nur geradeaus fahren willst”, mahnt Mark, “musst du jeden Meter lenken. Er will deine volle Aufmerksamkeit.”Die hat sich der kleine Fiat vollauf verdient. Denn allein sein Auftritt, seine Wirkung steht diametral zu seinen Abmessungen. Wo er fährt, steht er im Mittelpunkt: Seine aerodynamische Linie macht ihn ausgesprochen charmant. Gerade, weil er so klein ist. Fiat hatte ins Schwarze getroffen.
Die Basis: Der italienische Volkswagen
Bild: Marcus Gloger / AUTO BILD Mit seinen Sport-Versionen machte Fiat alle glücklich. Die leichten Spider zielten eher auf kurze Renndistanzen, die Berlinetta – die kleine Berlina also, oder eben auch: Coupé – schützte gut vor Wind und Wetter, zum Beispiel bei der Mille Miglia. Tausend Meilen an einem langen Tag. Doch auch die technische Ausstattung justierte Fiat. In der Langstreckenversion fand sich ein Vierganggetriebe mit zwei langen oberen Gängen, zudem ein riesiger Tank für 70 Liter Sprit. Das sparte kostbare Zeit beim Auffüllen. Was blieb, waren die pfeffrigen 36 PS, für die Fiat die Verdichtung erhöht, den Vergaser geändert und die Ventile hängend im Zylinderkopf platziert hatte. Simpel zeigte sich die pumpenlose Thermosyphonkühlung, dafür gab es eine für diese Klasse supermoderne hydraulische Vierradbremse plus ein Zwölf-Volt-System.Tatsächlich gingen viele ambitionierte Privatfahrer einst auf Fiat bei der Mille Miglia an den Start. Im Jahr 1936 zum Beispiel, als drei Alfa Romeo 8C 2900 A das Rennen vor einem Alfa Romeo P3 gewannen, gefolgt von Maserati und weiteren Alfa Romeo. Doch auf den Plätzen 12 bis 37 tummelten sich insgesamt 20 Fiat 508 in verschiedenen Versionen – der Klassensieg ging an eine Berlinetta, die das Team Biagini/Periccioli nach16 Stunden, 38 Minuten und 31 Sekunden in Brescia über die Ziellinie dirigierte. Damit legte der schnellste der kleinen, tänzelnden Fiat die 1606 Kilometer lange Italienrunde mit einem Schnitt von 96,5 km/h zurück. Es war ein Ritt am Limit des technisch Möglichen.
Einer der letzten seiner Art
Ganz so wild wollte es Mark Geessink im Herbst 2020 nicht angehen lassen. Für seinen Fiat war es die erste Mille Miglia, vor allem die erste nach einer umfangreichen Restaurierung bei Mike Kastrop, die zudem noch nicht abgeschlossen war.Mutig, doch Mark liebt solche Herausforderungen. Sein Fiat schlug sich tapfer, exzellent sogar. Das Serviceteam, das Restaurierer Mike stellte, hielt der kleine Sportler durchaus auf Trab. Die Mechaniker tauschten die von der Lichtmaschine nicht ausreichend mit Strom versorgte Batterie, stellten die Kupplung nach, fixierten den filigranen Scheibenwischer auf seiner Welle und bekamen eine massive Unwucht im Antrieb in den Griff. Sie rieten zu Geduld, als der steile Anstieg vor San Marino das prinzipiell stoisch zuverlässige Kühlsystem der Balilla an den Rand seiner Kapazitäten brachte. Es war ein wilder Ritt mit glückvollem Ende, bei dem es nicht wie einst um den Sieg ging, sondern um das Dabeisein und ein Beenden ohne Schaden.Wie viele Exemplare Fiat einst in einer Spezialabteilung von dieser heute gerne “Aerodinamica” genannten Version gebaut hatte, ist nicht mehr dokumentiert. Rund 100, sagen manche, andere schätzen die Zahl auf deutlich weniger. Rund ein halbes Dutzend, heißt es, hätten bis heute überlebt. Wie Mark Geessinks kleines blaues Wunder. Er hatte es im Februar 2019 gekauft, und zwar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei einer Versteigerung in Paris. Die Oldtimerspezialisten von Aguttes hatten den ikonischen Aerodynamik-Fiat als Headliner auf ihrer Rétromobile-Auktion ins Rampenlicht geschoben.
Bild: Marcus Gloger / AUTO BILD Rot war er damals noch und seit 49 Jahren in der Hand seines Vorbesitzers, der mit dem sportlichen, wie schicken Fiat in der französischen Oldtimerszene bestens bekannt war. Als Fiat-Club-Chef besuchte er zahllose Veranstaltungen, sogar Comic-Zeichner André Franquin schuf ein Bild mit seiner Figur Gaston und dem kleinen Coupé.Mark Geessink war morgens um vier Uhr mit seiner Tochter zu Hause aufgebrochen, um neun waren sie in Paris. Es war die Zeit vor Corona, allerdings hatten in jenen Tagen im Februar vor fünf Jahren die Gelbwesten-Protestler die Stadt im Griff. “Paris sah aus wie im Bürgerkrieg”, erinnert sich Mark, “die Straßen waren voll, jeder fotografierte.” Auf der Auktion dagegen herrschte Flaute, und Mark erhielt am unteren Ende der Schätzung den Zuschlag. Knapp über 200 000 Euro waren das. Mark hatte eigens dafür seinen Stanguellini verkauft.Inzwischen rollt sein restauriertes Juwel nicht nur zu Rennen, sondern wiederholt auch zum Concours d'Élégance an den Start. Bei der Villa d’Este sicherte es 2021 sich souverän den Pokal für die rücksichtsvollste Restaurierung, im heimischen Wettbewerb am Paleis Soestdijk dagegen gewann der Fiat seine Klasse. Es ist die späte, geballte Ehre für ein kleines Kapitel Automobilgeschichte, das beinahe schon vergessen schien.