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Neuer Hacker-Trick – Sie fangen Funksignale ab und tricksen Alarmanlagen aus

Die Zahl der Autodiebstähle ist stark gestiegen. Das hat mit den digitalen Schlüsseln der Wagen zu tun, die sich leicht austricksen lassen. Auch Jürgen Ritter wurde auf diese Weise sein Fahrzeug geklaut. Doch am Ende standen die Täter mit leeren Händen da.

neuer hacker-trick – sie fangen funksignale ab und tricksen alarmanlagen aus

Das Auto von Jürgen Ritter wurde gestohlen. Er hat es wiedergefunden und zurückgeklaut Jürgen Ritter

Für Jürgen Ritter aus Berlin-Reinickendorf beginnt jeder Morgen mit demselben Ritual. Er steht auf, geht in die Küche, brüht sich einen Kaffee, stellt sich ans Fenster und schaut hinaus auf die Straße in seinem Wohngebiet. Doch dieses Mal ist etwas anders. Dort, wo am Abend zuvor noch sein Auto stand, klafft eine Lücke. Der Wagen ist weg. Geklaut.

So wie Jürgen Ritter erging es im vergangenen Jahr Zehntausenden Menschen. Laut Bundeskriminalamt wurden bundesweit 25.511 Autodiebstähle angezeigt, 3927 mehr als im Vorjahr. Die Berliner Polizei registrierte 5580 Fälle; ein Plus von 1300 Vorgängen. Die Aufklärungsquote lag bei lediglich elf Prozent. Der Anstieg hänge nur zum Teil mit dem Ende der Corona-Pandemie zusammen, sagen Polizisten, denn nach dem Ende der Lockdowns seien in allen Bereichen die Fallzahlen nach oben gegangen. Das heißt: Die Menschen sind wieder mobiler. Dadurch ergeben sich wieder mehr Tatgelegenheiten.

Zudem entwickelten die Diebe im Bereich Autodiebstahl immer neue und technisch ausgefeiltere Methoden, selbst allerneueste Modelle mit modernsten Wegfahrsperren bieten offenbar keine Garantie. Es ist wie ein großes Wettrennen, auch den Autoherstellern bereitet das immense Probleme. Autos werden kaum noch unter roher Gewalt aufgebrochen und kurzgeschlossen, die Diebe von heute fangen Funksignale ab und tricksen Alarmanlagen aus. Eine High-Tech-Spirale mit ständig neuen Kniffen zum Autoklau und teils kuriosen Werkzeugen.

Als Jürgen Ritter aus seinem Fenster auf die Stelle blickte, wo zuvor noch sein Auto stand, habe er im ersten Moment an sich selbst gezweifelt. Er habe überlegt, ob er nicht doch noch irgendwo hingefahren sei. Aber am Tag zuvor waren er und seine Frau erst von einer Flusskreuzfahrt zurückgekehrt. Das Taxi, das sie nach Hause brachte, parkte genau neben seinem Wagen; einem weißen Nissan Qashqai. „Der Schock, dass das Auto weg ist, war natürlich groß“, sagt Ritter.

Diebe nutzen Schwachstelle im System

Was die Diebe allerdings nicht wussten: Der freiberufliche Fotograf hatte in seinem Fahrzeug ein handelsübliches Ortungsgerät in der Größe einer Geldmünze platziert, wie man es etwa auch in Geldbörsen verstecken oder an Schlüsselanhängern befestigen kann. „Mir wurde schon einmal ein Auto gestohlen“, sagt Ritter. Mit diesem Gerät könne er auf seinem Computer nachvollziehen, wo der Wagen stehe. Die Hoffnung, dass das geliebte Auto sich noch in Deutschland befand, war zunächst klein.

Zu seiner Überraschung meldete die Ortung einen Standpunkt in Berlin. Und das nur sieben Kilometer entfernt im Ortsteil Frohnau, kurz vor der Landesgrenze zu Brandenburg, im nordwestlichsten Zipfel der Hauptstadt. Ritter beobachtete also den kleinen Punkt auf seinem Rechner, der sich nicht bewegte. Das bedeutete, dass die Diebe entweder das Ortungsgerät entdeckt und aus dem Fenster geworfen hatten oder sein Wagen tatsächlich noch in Berlin stand.

Ritter und seine Frau riefen kurzerhand ein Taxi, fuhren nach Frohnau und fanden tatsächlich ihr Auto. Es stand ordentlich eingeparkt und ohne sichtbare Schäden in einer Parklücke. „Wir sind erst einmal drum herumgeschlichen“, erinnert sich Ritter. Dann rief er die Polizei. Den Beamten habe er zunächst mit dem Kfz-Schein versichern müssen, dass er auch der rechtmäßige Besitzer des Autos sei.

Die hinzugerufene Kriminalpolizei öffnete den Wagen und sicherte Spuren. Sie fanden: eine Maske, einen verstellten Fahrersitz, ein beschädigtes Türschloss, Fingerabdrücke und einen fast leeren Tank. „Das ist wahrscheinlich der Grund, warum die Diebe das Auto abgestellt hatten“, sagt Ritter. Denn das Benzin hätte nur noch für 70 Kilometer gereicht.

Alles schien darauf hinzuweisen, dass das Auto später abgeholt werden sollte. Nachdem die Beamten das Auto wieder freigegeben hatten, rief Ritter den ADAC, ließ das Auto abschleppen und in die Werkstatt bringen. „Wenn man so will, habe ich das Auto zurückgeklaut. Die Diebe werden nicht schlecht gestaunt haben, als sie eine leere Parklücke vorgefunden haben“, sagt Ritter.

In der Werkstatt musste das Auto aufwendig repariert werden, da die Diebe die Elektronik manipuliert hatten und das Auto die Original-Schlüssel nicht mehr erkannte. Kosten: 750 Euro. „Ich bin froh, dass das Auto wieder da ist, aber auf den Stress hätte ich gern verzichtet“, sagt Ritter.

neuer hacker-trick – sie fangen funksignale ab und tricksen alarmanlagen aus

Das Auto von Jürgen Ritter wurde gestohlen. Er hat es geortet, wiedergefunden und zurückgestohlen. Die Diebe nutzten offenbar einen neuen Hacker-Trick Jürgen Ritter

Was für den einzelnen Autobesitzer ein Schock sein mag, ist für die Berliner Polizei ein Routinevorgang. Die Ermittlungen laufen nun weiter. Doch mit Blick auf die geringen Aufklärungsquoten ist es wahrscheinlich, dass diese bald eingestellt werden. Die Masche, mit der die Diebe offenbar das Fahrzeug knackten, stellt mehrere Autohersteller indes vor einige Schwierigkeiten. Denn alles, was es dazu braucht, ist ein modifiziertes altes Handy und ein USB-Kabel. Auf der Videoplattform YouTube gibt es dazu mehrere Videos und im Darknet einen regen Absatzmarkt. Die modifizierten Handys sind schon ab 3000 Dollar zu haben.

Betroffen sind Autos mit Smart-Key-Technik, also Fahrzeuge, die ohne klassischen Autoschlüssel funktionieren und nur mit einem Sender oder einem digitalen Schlüssel geöffnet und mit einem Startknopf angelassen werden. Auf den Erklär-Videos im Internet wird mit dem alten Nokia 3310 und einem USB-Kabel die Wegfahrsperre überlistet und das Fahrzeug gestartet.

Das funktioniert, weil in dem Nokia-Handy Chips ausgetauscht wurden und eine USB-Buchse verbaut wurde. Mit diesen manipulierten Handys wird dem Auto vorgetäuscht, dass es sich um den echten digitalen Schlüssel handelt. Offenbar ist es schwierig, Autos gegen diese Diebstahlmethode zu sichern. Im Technik-Magazin „Motherboard“, wo zuerst über diese Masche berichtet wurde, heißt es, dass man die Schlüssel lediglich durch Updates der Hersteller schützen könne.

ADAC rät Mitgliedern zur Vorsicht

Burkhard Böttcher, ADAC-Experte für Fahrzeugsicherheit, kritisiert die Autohersteller. „Autos mit Keyless-Schließsystem können sehr wohl sicherer sein als bisher“, sagte Böttcher WELT AM SONNTAG. Das habe man etwa bereits an einem Land Rover Discovery (Modelljahr 2018) gezeigt. Der ließ sich bei einem ADAC-Test weder illegal öffnen noch wegfahren. Bei dem Modell wurde eine neuere Keyless-Technik verbaut, die Computer-Chips mit Ultra-Wide-Band-Technik (UWB) verwendet. Die Funksignale konnten präzise die Entfernung des Schlüssels zum Auto ermitteln – und einen Diebstahl verhindern.

Auch wenn sich gegen den neuesten Handytrick noch schwerer zu erwehren sei, eine Grundregel sollte beachtet werden. „Da die Funkstrecke zwischen Schlüssel und Auto für den normalen Keyless-Vorgang nur über ungefähr zwei Meter Entfernung funktioniert, ist der einzige Schutz, den Schlüssel mindestens zwei Meter entfernt von jeglichem Signalzugang aufzubewahren, also eben nicht am Schlüsselbrett neben der Haustür“, so Böttcher.

Eine Sprecherin von Nissan sagte WELT AM SONNTAG: „Uns ist das Phänomen bekannt, jedoch haben wir derzeit keine Anhaltspunkte, dass davon auch Nissan-Fahrzeuge in Deutschland betroffen sind“.

Mittlerweile ist das Auto von Jürgen Ritter repariert und wieder einsatzbereit. Neben seiner Morgenroutine und dem Blick aus dem Fenster ist nun ein kurzer Blick auf den Computer und den kleinen Ortungspunkt auf der Karte hinzugekommen – immer dann, wenn er keinen Parkplatz direkt vor dem Haus bekommen hat und er sichergehen will, dass das Auto noch dasteht.

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