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„Die Erzählung vom grünen Verbrenner ist nichts als eine gute Story“

E-Fuels sollen herkömmliche Autos klimafreundlich machen. Experten sehen in der Technik jedoch einen Irrweg. Ein Blick hinter Labortüren legt offen, was wirklich dran ist am Versprechen vom grünen Verbrennermotor – und warum die Zukunft dieser Treibstoffe bei Schiffen und Flugzeugen liegt.

„die erzählung vom grünen verbrenner ist nichts als eine gute story“

Auto, Schiff, Flugzeug? In manchen Bereichen könnten E-Fuels den Verkehr klimafreundlicher machen Moritz Frankenberg/picture alliance/dpa; Yaorusheng/Getty Images/Moment RF; Suriyapong Thongsawang/Getty Images/Moment RF

An einem Aprilmorgen geht Ulrike Junghans in Leuna durch eine Sicherheitstür. Blaue Lichter leuchten, die Lüftungsanlage rauscht. Vor einem Gewirr aus silberglänzenden Rohren und Behältern bleibt sie stehen. Gase strömen hier hindurch, die sich erwärmen und abkühlen und unter Druck gesetzt werden. An deren Ende hängt ein schwarzer Kanister, in den eine unscheinbare Flüssigkeit tropft: Methanol. Die Substanz verspricht, die Welt von CO₂ zu befreien, ohne dass sich viel ändern muss. Junghans, Leiterin der Abteilung Regenerative Ressourcen am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse, formuliert es so: „Wir helfen hier, klimaneutrale Kraftstoffe zu entwickeln.“

Leuna im Osten Sachsen-Anhalts mit seinen 14.000 Einwohnern ist seit jeher von der Chemie geprägt. Bereits in den 1920er-Jahren hatte hier die Industrie damit begonnen, das sogenannte Leuna-Benzin herzustellen. Gewonnen aus Kohle statt Erdöl, half es den Nationalsozialisten durch Engpässe bei der Kriegsversorgung. Heute wird in der Stadt wieder an neuen Treibstoffen geforscht, den E-Fuels. Das sind Benzin, Diesel und Kerosin, die allein aus Wasser und Kohlendioxid mithilfe von Strom hergestellt werden, das Methanol ist ihre Vorstufe. Für Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist „der Verbrennungsmotor an sich nicht das Problem“. Es seien „die fossilen Kraftstoffe, mit denen er betrieben wird“. Auch die Präsidentin des deutschen Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, sieht in den E-Fuels eine „klimafreundliche Technologie, um die EU-Klimaziele zu erreichen“. Die Regierung will die Stoffe nun gezielt für den Straßenverkehr fördern.

Ab 2035 sollten in der Europäischen Union eigentlich keine Neuwagen mehr verkauft werden, die mit Benzin oder Diesel fahren. Deutschland setzte eine Ausnahme durch: Zugelassen werden dürfen auch Fahrzeuge, die synthetische Kraftstoffe tanken. Verkehrs- und Energieexperten sprechen von einer „fragwürdigen Umweltbilanz“ und einem „Hindernis für die Verkehrswende“. Martin Wietschel, Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, sagt WELT AM SONNTAG: „Die Erzählung vom grünen Verbrenner ist nichts als eine gute Story.“ Ist Biobenzin also eine echte Alternative oder nur ein malerisches Märchen?

Dass die Treibhausgase im Verkehr hierzulande weniger werden müssen, darüber sind sich fast alle einig. In der Industrie sanken die freigesetzten Mengen gegenüber 1990 um 40 Prozent, bei Gebäuden um die Hälfte, in der Landwirtschaft um mehr als ein Viertel. Auf den Straßen blieb der CO₂-Ausstoß nahezu konstant. 2022 lag er sogar leicht höher als 2021. Fast 20 Prozent aller Emissionen stammen aus Fahrzeugen.

Mit E-Fuels, vom Englischen „electrofuels“, würde sich das auf einen Schlag ändern, so die Idee. Die rund 46 Millionen deutschen Verbrennerautos könnten klimafreundlich fahren, ohne Tankstellen und Fahrzeuge umrüsten zu müssen. Chemisch gesehen, sind die Substanzen zwar wie ihre fossilen Verwandten Kohlenwasserstoffe. Sie basieren jedoch nicht auf Erdöl. Stattdessen stammt der Wasserstoff aus der Elektrolyse von Wasser, das CO₂ aus der Luft oder der Industrie. Im Auto wird somit nicht mehr Treibhausgas freigesetzt, als zur Sprit-Erzeugung benötigt wurde. Kommt bei dem Prozess der Strom allein aus erneuerbaren Energien, ist der Antrieb sogar klimaneutral.

Ulrike Junghans steht stolz vor ihrer Apparatur in Leuna. „Wir haben es geschafft, grünes Methanol so aus einem CO₂-Gasgemisch zu gewinnen, dass es bald im Großmaßstab produziert werden könnte“, erklärt sie. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie die Herstellung so weiterentwickelt, dass möglichst wenig Wärme und damit Energie verloren geht und am Ende viel reines Methanol entsteht. Zwei Kilogramm in der Stunde schaffen sie in ihrer Versuchsanlage mit einer Reinheit von mehr als 99 Prozent. Gelungen ist das mit angepasstem Druck, unterschiedlichen Reaktionsdauern und CO₂-Konzentrationen.

Was auf den ersten Blick einfach klingt, ist es keineswegs. Methanol liefert die Grundstoffe für Farben und Medikamente, Textilien und Lebensmittel – mit 60 Millionen Tonnen weltweit im Jahr ist es eine der meisthergestellten organischen Chemikalien überhaupt. Bislang geschieht das vorrangig aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, die vor allem aus Erdgas stammen. CO₂ als Ausgangsstoff spielte dabei lange keine Rolle. Als ungewünschtes Nebenprodukt entsteht Wasser, das macht den Prozess ineffizienter. Es muss entfernt werden und verbraucht viel wertvollen Wasserstoff. Seit jedoch Industrien klimaneutral werden wollen und müssen, hat man mühsam begonnen, die Prozesse darauf einzustellen. Junghans sagt: „Zu uns kommen Firmen, die ihre CO₂-Freisetzung senken und ein sinnvolles Produkt daraus machen wollen.“ Grünen Kraftstoff zum Beispiel.

„die erzählung vom grünen verbrenner ist nichts als eine gute story“

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KIT-Professor Martin Wietschel hat gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern ein Diskussionspapier veröffentlicht, in dem er die Stoffe als „ökologisch und ökonomisch wenig sinnvoll“ kritisiert. Wietschel sagt: „E-Fuels sind beim Auto extrem ineffizient.“ Mit der gleichen Energie komme man beim Elektrowagen fünfmal so weit. Er rechnet vor: Bei den E-Fuels gehen allein im ersten Schritt bei der Gewinnung von Wasserstoff je nach Elektrolyse-Methode bis zu 30 Prozent der Energie verloren. Extrahiert man das CO₂ und gewinnt den finalen Kraftstoff, sind es weitere knapp 30 Prozent. Zieht man Transport und Verteilung ab, enthält der Sprit noch rund 40 Prozent der eingesetzten Energie. Davon wird wiederum nur ein knappes Drittel in Bewegung umgesetzt.

Im Vergleich: Beim Elektroauto verschwinden lediglich rund 20 Prozent auf dem Weg von der Stromerzeugung über das Laden bis zur Batterie. Knapp 75 Prozent fließen ins Fahren. Wietschel sagt: „E-Fuels verbrauchen viel zu viel erneuerbaren Strom, den wir ohnehin nicht haben.“ Fahre jedes Auto hierzulande ab sofort mit E-Fuels, verdoppele das fast den deutschen Strombedarf. Sattele man hingegen komplett auf Batteriefahrzeuge um, bräuchte es nur knapp 20 Prozent mehr.

„die erzählung vom grünen verbrenner ist nichts als eine gute story“

Der hohe Strombedarf wirkt sich auch auf den E-Fuel-Preis aus. Aktuell macht der etwa die Hälfte der Kosten aus. Berechnungen im Fachmagazin „Nature Climate Change“ gehen daher von bis zu fünf Euro je Liter aus. Hinzu kommt: „Wir haben bislang nahezu null E-Fuels“, sagt Wietschel. „Das ist alles noch in homöopathischen Dosen.“ Die bisher größte E-Fuel-Anlage in Deutschland produziert im niedersächsischen Emsland aktuell 370.000 Liter E-Kerosin im Jahr, etwa 0,003 Prozent des deutschen Bedarfs.

Was aber, wenn grüner Strom im Überfluss vorhanden ist? So wie in Patagonien, im äußersten Süden Chiles. An kaum einem anderen Ort der Welt bläst der Wind so stark, an rund 270 Tagen im Jahr. Drei Mal so viel Energie wie hierzulande lässt sich daraus mit einer vergleichbaren Turbine erzeugen. Ende 2022 eröffneten Siemens und Porsche dort die weltweit erste Anlage zur industriellen Herstellung von E-Fuels. Bis 2026 sollen hier jährlich etwa 550 Millionen Liter produziert werden, rund 1,3 Prozent des deutschen Spritbedarfs. Die Anlage soll auch dazu dienen, die einzelnen Teilbereiche zu verbessern, um sie an anderen Stellen einzusetzen – die Herstellung von Methanol unter realen Bedingungen, die Elektrolyse, die Nutzung von CO₂, den Transport der fertigen Substanzen. Je effizienter und größer man baut, so die Überlegungen, desto günstiger wird es.

Als „energetischen Quatsch“ bezeichnet das Vorhaben Andreas Menne, Leiter der Abteilung Low Carbon Technologies am Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. Natürlich, in der Wüste wehe viel Wind, sagt er. Was dort jedoch fehle, sei das CO₂. Das aus der Luft zu holen, sei zwar für den Klimaschutz sinnvoll. Um daraus Kraftstoffe herzustellen, würden hohe Mengen benötigt und damit so viel Energie, dass das Ganze absurd und unwirtschaftlich werde. „Dafür braucht es ein Stahlwerk oder andere hoch konzentrierte Quellen“, sagt er. Der Verfahrenstechniker arbeitet selbst daran, wie sich die Abgase aus der Stahlindustrie, die besonders klimaschädlich sind, für die Herstellung von Methanol nutzen lassen.

Auch in der chilenischen Einöde sind es daher aktuell die Tanklaster, die das Gas liefern. Und die sind es auch, die das Wasser bringen, an dem es ebenfalls mangelt. Drei Liter davon werden je Liter E-Fuel benötigt. Nutzt man dafür den Ozean, muss das Nass zusätzlich entsalzt werden. Der fertige Kraftstoff wird per Schiff 14.000 Kilometer nach Europa geschippert. Menne sagt: „Das muss man alles mit einrechnen.“ Grüner Strom sei knapp. „Man sollte ihn daher dort einsetzen, wo er die meisten Emissionen verhindert.“ Und das sei eben nicht beim Verbrennerauto.

Anders sieht es bei Lkw, Schiffen und Flugzeugen aus, den noch größeren Kalibern unter den Klimasündern. „Die werden auch auf lange Sicht nicht elektrifiziert sein“, sagt Menne. Die Energiedichte der Batterien ist zu gering, die nötigen Ausführungen wären zu groß, zu schwer. „Flugzeuge und Schiffe zu dekarbonisieren, ist eine Herausforderung für sich“, sagt Menne. Auch er hält es daher für wichtig, sich technologieoffen zu halten und weiter an den Stoffen zu forschen. Trotzdem produziere man „nicht mal ebenso“ ein bisschen mehr Sprit fürs Auto. Klar, beigemischt in Sportwagen wird Methanol schon jetzt, um die Oktanzahl und damit die Leistung zu steigern, in Zukunft womöglich grün. „Das ist aber nur etwas für den teuren Spaß.“

All das weiß man auch in Leuna. Für Junghans spielt das Auto nur eine untergeordnete Rolle, wenn sie von ihrem grünen Weg spricht. Ihr geht es darum, das Massenprodukt Methanol klimafreundlich herzustellen, darunter auch fürs klimafreundliche Fliegen. Eine Vision ihres Teams: den Stoff hierzulande in kleineren Anlagen dort zu produzieren, wo überschüssiger Strom anfällt. Windparks müssten dann im Ernstfall nicht mehr stillstehen, sondern könnten Methanol als Langzeitspeicher gewinnen. Für den Wasserstoff als Gas sei das wesentlich schwieriger. „Und der Alkohol“, so Junghans, „verbaut auch noch das CO₂.“ Aus ihrer Sicht eine echte Win-win-Situation.

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