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Keiner will mehr Autos bauen

keiner will mehr autos bauen

So schön kann die Arbeit in der Autobranche sein.

Die deutschen Autobauer haben schon bessere Zeiten erlebt. Auf den Weltmärkten machen ihnen aufmüpfige Wettbewerber aus den USA und China wie Tesla und BYD das Leben schwer. Das angekündigte Verbrenner-Aus bei Neuwagen ab 2035 setzt die Unternehmen unter Druck, weil sie sich in Zukunft nicht mehr auf ihr Traditionsprodukt verlassen können, den Abschied von diesem aber lange hinausgezögert haben. Und in China ist die Nachfrage nach deutschen Autos im vergangenen Jahr eingebrochen.

Zu all diesen Sorgen kommt in Zukunft noch ein Nachwuchsproblem. Denn Autos bauen wollen in Deutschland immer weniger junge Menschen. BMW, Volkswagen, Mercedes & Co., einst die Top-Attraktionen des deutschen Arbeitsmarktes, haben in den vergangenen Jahren an Prestige eingebüßt. Das werden die Konzerne bald noch stärker an den Bewerberzahlen merken.

Das Analyseunternehmen Revelio Labs hat für die F.A.S. ausgewertet, wie beliebt Automobil-Studiengänge in Deutschland noch sind. Im Ergebnis zeigt sich ein steiler Fall ab Mitte der Zehnerjahre. Während 2015 noch 6 Prozent der Studierenden in den Revelio-Daten ein Fach studierten, das traditionell in die Autoindustrie führt, waren es 2023 nur noch 3,7 Prozent – ein Rückgang um mehr als ein Drittel. Zu diesen Studiengängen zählt Revelio in seiner Analyse Maschinenbau, Elektrotechnik, Physik, Mechatronik und sämtliche Studiengänge mit dem Begriff „Automobil“ beziehungsweise „automotive“ im Namen.

Nicht mitgezählt hat Revelio Ingenieure, weil sich hinter dieser Bezeichnung oft auch Software-Ingenieure verbergen. „Die Talentpipeline von Unternehmen beginnt letztlich schon während der Studienwahl, also noch in der Schulzeit“, sagt Lisa Simon, Chefökonomin von Revelio Labs. „Wenn auf einmal eine ganze Generation an Schülern empfindet, dass die Automobilbranche nicht zukunftstauglich ist, dann werden diese jungen Leute weniger in die dort benötigten Fähigkeiten investieren.“ Genau das lasse sich in den Daten beobachten: „Immer weniger Studierende entscheiden sich für ein Studium, das auf klassische Weise in die Automobilindustrie führt.“

Dass es sich tatsächlich um ein Pro­blem der Autoindustrie handelt und nicht nur um ein allgemeines Phänomen in technischen Fächern, zeigt sich daran, dass es gerade die Hochschulen in der Nähe der Autohochburgen sind, in denen es einen Rückgang gibt. In Stuttgart, in der Nachbarschaft von Mercedes-Benz, fiel der Anteil um sieben Prozentpunkte, in Braunschweig, nahe dem Wolfsburger VW-Stammsitz, um elf. Lediglich am Audi-Standort Ingolstadt sind die Zahlen etwas stabiler.

Niedergang seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts

Auffällig ist, dass der Niedergang um die Mitte des vergangenen Jahrzehnts begann – also zu einer Zeit, als die Autokonzerne, insbesondere Volkswagen, durch den Dieselskandal viel an Vertrauen einbüßten.

Besonders stark getroffen hat es an allen Universitäten den Maschinenbau. An der TU Braunschweig ist die Studierendenzahl im Maschinenbau um „etwas mehr als 40 Prozent zurückgegangen“, sagte eine Sprecherin der F.A.S. Und besonders groß sei der Rückgang eben gerade in der Vertiefung Fahrzeugtechnik.

Und damit nicht genug: Die Probleme in der Talent-Pipeline setzen sich auch am Ende des Studiums fort. Seit Jahren stehen die großen Autobauer unter jungen Menschen an der Spitze von Deutschlands beliebtesten Arbeitgebern. So ist es zwar auch heute noch: Die ersten drei Plätze im Ranking des Marktforschungsunternehmens Universum belegen Porsche, Mercedes und BMW, erst danach folgen Google und Apple, auf Platz 6 steht Audi. Schaut man aber in die Details hinter dem Ranking, findet schon heute eine Verschiebung statt. Im Jahr 2019 waren die großen deutschen Automobilkonzerne noch für 17 Prozent der Absolventen aus dem Ingenieurwesen ein idealer Arbeitgeber. Im vergangenen Jahr war dieser Anteil auf 12 Prozent gefallen. Auch IT-Spezialisten zieht es heute deutlich weniger in die Autobranche als noch vor wenigen Jahren.

„Die Faszination ist nicht mehr so da“

Früher sei die Autobranche das „Zugpferd“ in den technischen Studiengängen gewesen, sagt Aloys Krieg, Prorektor für Lehre an der RWTH Aachen. „Diese Faszination, die es früher gab, ist nicht mehr so da.“ Als einen Faktor dabei macht Krieg das schlechte Image der Branche in Hinblick auf den Klimawandel aus: „Für die Fridays-for-Future-Generation ist die Autobranche nicht mehr so interessant.“ Und das ist längst nicht mehr nur ein Thema für Geisteswissenschaftler. An der RWTH gebe es heute in jedem Fachbereich studentische Klimaschutzgruppen, sagt Krieg. Die Universitäten stünden vor der Aufgabe, den Studenten „klarzumachen, dass der Maschinenbau Teil der Lösung ist“, sagt Krieg. „Das ist uns bisher nicht gelungen.“

Ähnlich klingt auch die Branche selbst, zum Beispiel der Automobilzulieferer Continental. Aus den Bewerbungsgesprächen wisse das Unternehmen, „dass sich das Thema Auto – zumindest auf den ersten Blick – nur schlecht mit dem Nachhaltigkeitsbewusstsein junger Menschen vereinbaren lässt“, sagt eine Sprecherin. Continental kann schon seit Jahren nicht mehr alle Stellen besetzen, die Bewerberzahlen für eine Ausbildung oder ein duales Studium gehen zurück. „Wir merken, dass die Automobilbranche für junge Menschen aktuell weniger attraktiv zu sein scheint“, so die Conti-Sprecherin.

Aber auch die unsichere Zukunft lässt die Bewerber zögern. So heißt es von Continental, „die strukturellen Veränderungen dieser Branche“ stünden „mitunter dem Sicherheitsbedürfnis der sogenannten Generation Z im Wege“. Und Sicherheit konnten gerade die Zulieferer zuletzt eher nicht bieten. Continental hat im Februar die Streichung weiterer 1750 Stellen bekannt gegeben. Auch bei Bosch gehen Tausende Stellen insbesondere in der Antriebssparte verloren, aber auch in der vermeintlich zukunftsorientierten Elektro- und Softwaresparte.

Unsicherheit nimmt zu

Noch ein weiterer Faktor kommt hinzu: Die Unsicherheit in der Autobranche nimmt ausgerechnet in einer Zeit zu, in der junge Bewerber eine starke Verhandlungsposition haben. Früher standen die Autobauer für sichere Jobs und ein solides Einkommen. Heute sorgt der sich verschärfende Arbeitskräftemangel dafür, dass es beides für gut ausgebildete junge Menschen überall gibt. Auch das untergräbt das Image der Autobauer als Traumarbeitgeber. „Das Maschinenbaustudium ist schwer“, sagt Aloys Krieg. In Zeiten, in denen Work-Life-Balance im Mittelpunkt stehe, überlegten es sich Bewerber zweimal, ob es den Aufwand noch wert ist.

Auch der Münchner Autobauer BMW spürt „derzeit bereits die Auswirkungen bei der Fachkräfteverfügbarkeit“. Zwar kann BMW nach eigenen Angaben bisher noch alle Stellen besetzen. Aber in den Revelio-Zahlen zeigt sich: Ob bei BMW, bei Volkswagen oder bei Mercedes, die Zahl der Neubesetzungen von Einstiegspositionen ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen (siehe Grafik) – nicht erst seit der jüngsten Rezession. Wurden etwa bei BMW 2015 noch 34 Prozent der Einstiegsjobs im Jahr neu besetzt, waren es zuletzt nur noch 23 Prozent. Die Daten von Revelio Labs beruhen auf öffentlichen Onlineprofilen von Mitarbeitern.

Statt klassischer Autofächer studieren technisch interessierte junge Menschen heute vor allem ein Fach: Informatik. Dort sind die Immatrikulationszahlen vielerorts auf Rekordniveau, noch einmal verstärkt vom Hype um Künstliche Intelligenz. Darüber hinaus richten sich die Universitäten nach dem Interesse der Studierenden – etwa mit neuen Studiengängen wie Umweltingenieurwesen, die die technischen Inhalte mit für die Studierenden interessanten Themen verbinden. In Braunschweig startet zum Wintersemester ein Studiengang „Batterie- und Wasserstofftechnologie“. Damit reagiere die Uni „auf die sinkende Nachfrage in bisher klassischen fahrzeugtechnischen Themen, insbesondere zur Verbrenner-Antriebstechnik“. Womöglich zwingt also nicht nur die Politik die Autokonzerne zur Abkehr vom Verbrenner. Bald schon könnten sich immer weniger junge Leute finden, die Verbrennungsmotoren bauen wollen.

Die Universitäten versuchen derweil, neue Wege zu finden, um den Arbeitskräftebedarf der Unternehmen doch noch zu stillen. Das bedeutet auch: Wenn die Deutschen keine Autos mehr bauen wollen, findet sich vielleicht anderswo ­jemand. In Aachen bemüht man sich, mit englischsprachigen Masterstudiengängen internationale Bewerber anzu­ziehen – und diese dann ganz gezielt an die deutsche Traditionsbranche heran­zuführen.

Helfen soll dabei, dass im ­Maschinenbau-Master neuerdings zwei Deutschkurse verpflichtend sind. Schließlich ist Deutsch weiterhin die überwiegende Arbeitssprache in den Autokonzernen. Der Mythos der deutschen Autoindustrie ist also vielleicht noch nicht ganz abgeschrieben.

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