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Interview: Baunataler VW-Werk hat Bedarf bei Getrieben und E-Motoren

Betriebsrat im Interview

Interview: Baunataler VW-Werk hat Bedarf bei Getrieben und E-Motoren

interview: baunataler vw-werk hat bedarf bei getrieben und e-motoren

Hier läuft es im Moment rund: Im VW-Werk Kassel in Baunatal werden unterm Strich 900 Stellen neu geschaffen beziehungsweise befristete verlängert. Der Betriebsrat spricht von Personalbedarf aufgrund steigender Stückzahlen. Archivfoto: Andreas Fischer/nh

Im VW-Werk Kassel in Baunatal entstehen 900 neue Stellen. Wir haben mit dem Betriebsratsvorsitzenden und seinem Stellvertreter darüber gesprochen.

Kassel/Baunatal – Die Zahl der Stellen setzt sich aus der Verlängerung von befristeten VW-Verträgen und Leiharbeiter-Jobs sowie der Einstellung neuer Leiharbeiter zusammen.

Wir sprachen mit dem Betriebsratsvorsitzenden Carsten Büchling und Stellvertreter Christian Wetekam über diese für die Region positive Entwicklung.

Herr Büchling, Herr Wetekam, Sie haben kürzlich davon gesprochen, dass im VW-Werk Kassel unterm Strich 900 Stellen geschaffen werden. Wie kommt es zu dieser Entwicklung?

Büchling: Das sind mehrere Faktoren. Auf der einen Seite haben wir unsere erfolgreiche Betriebsratsarbeit umgesetzt, nämlich dass wir für eine Weiterbeschäftigung der Kollegen sorgen, die in befristeten Arbeitsverträgen sind. Das sind allein 428 Stellen. Hinzu kommt die Verlängerung von 164 Leiharbeiter-Jobs. Und es werden 348 neue Leiharbeiter eingestellt. Die Stückzahlen für das Werk zeigen einen positiven Trend, daher besteht dieser Personalbedarf.

Wo werden denn genau Fachkräfte gesucht? Eher im klassischen Getriebebau oder im Bereich Elektromobilität?

Wetekam: Sowohl als auch. Es gibt Bedarf bei den herkömmlichen Getriebetypen, aber auch bei den neuen E-Antrieben und den damit verbundenen Bereichen – etwa bei der Logistik. Wir haben ja ein sehr breites Produktspektrum neben der Getriebe- und Antriebsfertigung, beispielsweise mit Umformtechnik und Gießerei. Durch die sich jetzt wieder schließenden Logistikketten gehen die Stückzahlen hoch. Darauf müssen wir personell reagieren. Dadurch haben wir auch viele Personalverschiebungen innerhalb des Werks. Die Mitarbeiter verteilen sich entsprechend auf die Produkte.

Zurück zu den 348 neuen Leiharbeiter-Stellen. Ihr Vorgänger Carsten Bätzold hatte im Sommer 2022 mehrfach betont, dass der Betriebsrat einer Neuschaffung von Zeitarbeit nicht zustimmen werde. Wie passt das zusammen?

Büchling: Das ist überhaupt kein Widerspruch, es steht in der Linie unserer Politik. Zu der Zeit ging es um die Entlassung von 300 Leiharbeitern. Und dann gab es wieder vermehrt Aufträge. Da haben wir uns gegen eine Drehtürpolitik im Rahmen der Leiharbeit entschieden – also entgegen dem Motto „vorne gehen Leiharbeiter raus, weil ihre Verträge enden, und hinten werden neue wieder eingestellt“. Auch rechtlich gab es zu dieser Zeit nur die Möglichkeit einer befristeten Beschäftigung bei Volkswagen. Das war ein großer Erfolg für uns, zum Wohl der Betroffenen.

Und jetzt ist der Bedarf für Leiharbeit wieder da?

Büchling: Ja, da haben wir als Betriebsrat beim Management sogar dafür geworben, weil wir schnelle Entscheidungen brauchen, damit die Zuführung von Mitarbeitern möglichst zügig geht und um eine Arbeitsverdichtung bei unseren Kollegen möglichst zu vermeiden. Es ist ja für die Leiharbeitsfirma Autovision gar nicht so leicht, mal schnell 350 Leute auf dem Arbeitsmarkt zu finden.

Ihr Vorgänger Carsten Bätzold befürchtete mit der Transformation des Konzerns von der Verbrennertechnik zur E-Mobilität, dass am Standort bis 2030 insgesamt 5000 bis 8000 Stellen wegfallen werden. Die aktuelle Entwicklung steht dieser Prognose ja ein wenig entgegen. Wie bewerten Sie die Situation?

Wetekam: Die neuen Antriebe haben eben nicht mehr eine so hohe Fertigungstiefe. Die Prognose geht davon aus, dass ein E-Antrieb gegenüber einem Doppelkupplungsgetriebe weniger Beschäftigung bindet. Wenn die Zahl der verkauften Fahrzeuge in etwa gleich bleibt, dann gibt es eben diese Langfristprognose. Es gibt aber viele Faktoren, die da reinspielen.

Es hat sich jüngst gezeigt, dass das Werk durch innovative Produkte glänzt und die erwartete negative Entwicklung möglicherweise abfedern kann. Wird es also nicht so schlimm, wie befürchtet?

Wetekam: Die Prognosen haben uns ja auch umgetrieben als Betriebsrat. Wir fordern deshalb vom Unternehmen, dass dieses prüft, wie man Fertigungstiefen erhöhen kann, sprich, wie man zusätzliche Produktgruppen hinzunehmen kann. Zum Beispiel jetzt einen Pulswechselrichter selbst zu bauen, anstatt ihn zuzukaufen. Genau das ist die Strategie, die wir vom Unternehmen fordern, in dem dieses prüft, was geht. Dass wir die Fertigungstiefe erhalten oder sogar ausbauen und damit die Beschäftigung stabilisieren. Das ist hier in Teilen sogar schon gelungen. Es geht um die langfristige Sicht. Portfolio-Veränderungen – die wirken nur langfristig.

In der benachbarten OTLG von VW in Baunatal kocht die Stimmung aufgrund der angekündigten Schließung des Vertriebszentrums Mitte mit 300 Jobs zu Ende 2024 immer mal wieder hoch. Auch wenn es nicht direkt Ihr Bereich ist – die OTLG hat einen eigenen Betriebsrat – können Sie Einfluss nehmen?

Büchling: Da findet diese Woche Donnerstag eine Betriebsversammlung statt. Ich bin da eingeladen und werde meine Einschätzung geben, was eine Unterstützung angeht. Die Sozialplanverhandlung und der Interessenausgleich zu dem Standort, der geschlossen wird, das ist alles schon verhandelt.

Die Betroffenen beklagen, dass sie sich auf die von Ihnen angekündigten neuen Stellen angeblich nicht bewerben dürften. Das wäre doch paradox, oder?

Büchling: Durch den Sozialplan und den Interessenausgleich wird niemand seinen Arbeitsplatz direkt verlieren. Es gibt eine Anschlussbeschäftigung. Es wird Übergänge mit an den Tarifvertrag angelehnten Regelungen geben. Die neuen Stellen aber, das sind befristete Arbeitsverhältnisse, nämlich die Einstellung von 348 befristeten Beschäftigten in Leiharbeit. Natürlich kann sich da jeder bewerben aus dem VZ Mitte. Aber man bewirbt sich dann auf eine befristete Beschäftigung, die zunächst bis zum 31. Januar läuft. Das kann ich niemandem empfehlen. (Sven Kühling)

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