Auto-News

Autos

Motorrad

Freiberufler durchquert Europa mit E-Motorrad: Seine Ladebilanz ist der Knaller

Die Pandemie war für Sebastian Goeß keine einfache Zeit. Als Freiberufler in der IT kämpfte er – wie so viele – mit den wirtschaftlichen Folgen. Als sich die Auftragslage im Laufe von 2020 wieder besserte, hieß es: Verlorene Umsätze erwirtschaften. Im Sommer dieses Jahres war endlich Zeit für eine kleine Auszeit gekommen, zumal Reisen dank Impfung und Impfzertifikat wieder möglich wurden – zumindest in Europa. So fasste der 36jährige einen Entschluss: Es geht mit dem Motorrad quer durch Europa.

An sich keine große Sache. Wenn nicht Goeß statt eines normalen Motorrads als Fortbewegungsmittel ein Elektro-Motorrad gewählt hätte. Denn der Biker besitzt seit Sommer 2020 eine Zero SR/S. Durch Europa mit einem E-Auto zu fahren, ist oft keine Herausforderung mehr. Länder wie Norwegen oder Frankreich bieten eine gute Ladeinfrastruktur an, viele E-Autos schaffen locker 400 Kilometer Reichweite. Und wenn der Akku leer ist und man schnell weiterkommen will, hängt man das E-Auto an einen Schnelllader – nach einer Stunde geht es dann oft frisch aufgefüllt weiter. Beim Elektro-Motorrad verhält es sich aber ganz anders.

Reichweite maximal 200 Kilometer

Die E-Mobilität hinkt bei Motorrädern im Vergleich zu Autos weit hinterher. Insbesondere die Reichweite aber auch die Ladegeschwindigkeiten haben sich in den vergangenen drei Jahren nur wenig weiterentwickelt. Und so sind Elektro-Motorräder hauptsächlich für eine nette Abendrunde geeignet. Selbst Tagestouren von 200 Kilometern aufwärts sind ein Problem: Der Akku bringt das E-Motorrad nicht so weit, das Laden dauert meist zu lange. Es sei denn, man gönnt sich zum ohnehin nicht besonders günstigen E-Motorrad eine Schnellladefunktion. Und genau diese hat unser Protagonist Goeß auch getan: Er fährt eine knapp 27.000 Euro teure Zero SR/S Premium mit einer zusätzlichen 6-kW-Schnellladefunktion. Eine gute Investition bei einer Strecke von knapp 15.000 Kilometern! So werden die Ladestopps etwas erträglicher, sind aber angesichts der Batteriekapazität immer noch zu zäh: Damit die gerade mal 14,4 kWh große Batterie voll ist, dauert es eine Stunde. Und so kam die unglaubliche Zahl von 85 Stunden bei 157 Ladestopps zustande, die Goeß an Ladestationen gewartet hat – das sind 3,5 Tage. Wohlgemerkt: Die Ladezeiten über Nacht sind nicht in dieser Zahl eingerechnet!

Zero SR/S im EFAHRER-Test: So gut ist das E-Motorrad aus Teslas Nachbarschaft

freiberufler durchquert europa mit e-motorrad: seine ladebilanz ist der knaller

Sebastian Goeß

Die Route: Von Würzburg über Skandinavien nach Spanien und zurück

Das Abenteuer beginnt also Ende Juli 2021 in Würzburg: Goeß, der erst vor vier Jahren seinen Motorrad-Führerschein machte, fährt munter los. Erstes Ziel: Norwegen. Reiseplanung: sehr minimalistisch. “Es gab keine vorher fest geplante Route – alles entstand von Tag zu Tag entlang möglicher Ziele.”, gibt der Würzburger unumwunden zu. Die Unterkünfte hat er über das Hotelportal Booking.com geplant und versucht, auf den Fotos Lademöglichkeiten an der Unterkunft zu erkennen. Im Zweifelsfall habe er ein Kabel aus dem Fenster gelegt, gesteht er. Tipp für alle Interessierten: Auf Booking.com gibt es eine Filtermöglichkeit, um zu erfahren, ob es Lademöglichkeiten an der Unterkunft gibt.

Immerhin war der E-Biker mit zehn Ladeapps und sieben Ladekarten ausgerüstet. Allerdings sollte das nicht ausreichen, wie er sehr schnell feststellen musst. Doch dazu später mehr.

Komplett auf dem Landweg ist Goeß nach Norwegen nicht gefahren – von Hirtshals in Dänemark ging es nach Kristiansand (NOR) mit der Fähre. Für ihn war Norwegen und seine Landschaft und Natur auch gleich das Highlight der gesamten Reise. “Durch solche Landschaften nahezu lautlos zu fahren, waren ganz besondere Momente für mich. Besonders, wenn es nahezu windstill ist und nur ein zarter Windhauch den Helm streift. Das hat schon fast etwas Meditatives.”, schwärmt Goeß.

342 Euro Ladekosten

Über das Nordkap, an dem er zwei E-Bike-Radler traf, die aus Düsseldorf (!) dorthin geradelt waren, ging es kurz rüber nach Finnland, dann Schweden, runter bis Dänemark, um über die Beneluxländer nach Frankreich zu gelangen. Von Andorra surrte Goeß weiter bis nach Tarifa in Spanien, dem südlichsten Punkt des europäischen Festlandes. Hier setzte der Zero-Fahrer auf einer Fähre nach Mallorca über. Nach einem Tag auf der Ferieninsel setzte er mit der Fähre aufs französische Festland, um dann über Monaco, Schweiz, Liechtenstein, Österreich zurück nach Würzburg lautlos zu sausen. Dort traf er am 10. September, also 43 Tage nach seinem Start mit 14.759 Kilometern mehr auf dem Zero-Tacho und  342 Euro weniger im Geldbeutel rein für die Ladekosten ein. Die genaue Route sowie beeindruckende Bilder seiner Reise finden Sie auf dem Instagram-Profil von Sebastian Goeß.

freiberufler durchquert europa mit e-motorrad: seine ladebilanz ist der knaller

Frühstück beim ersten Ladestopp 

Seinen Reisealltag richtete Goeß nach den Ladestopps. Im Schnitt fuhr er pro Tag 365 Kilometer – somit war mindestens ein Ladestopp von Nöten, bis er abends das Motorrad an die Steckdose seiner Unterkunft anschloss. Sein maximales Tagespensum waren 585 bzw. 550 Kilometer, einmal in Deutschland, einmal in Norwegen. An diesen Tagen fuhr er bereits gegen 7 Uhr los, das Frühstück musste bis zum ersten Ladestopp warten. Nach 6 bzw. 8 Ladungen erreichte er erst zwischen 21 und 22 Uhr das Ziel. Eine spezielle Ladeplanungs-App, wie etwa A better Route Planner für E-Autos, nutzte der E-Biker übrigens nicht. Er ließ sich lediglich mit Beeline Moto, einer sehr minimalistischen Kombination aus App und kleinem Gadget, navigieren.

Zu 99 Prozent fuhr der Zero-Besitzer im Eco-Modus, der genug Power auf der Langstrecke liefert und stark beim Bremsen und Bergabfahren rekuperiert, also Energie zurückgewinnt. So zeigte das E-Motorrad beispielsweise in Andorra bei einer 35 Kilometer langen Bergabfahrt zwischenzeitlich eine Reichweite von 400 Kilometer an. Zur Erinnerung: In der Ebene sind maximal 200 Kilometer drin.

Seinen Fahrstil auf der Reise würde Goeß, der übrigens seine Masterarbeit über die Reichweite von E-Motorrädern geschrieben hat, als “defensiv, aber nicht schleichend” bezeichnen.

freiberufler durchquert europa mit e-motorrad: seine ladebilanz ist der knaller

Immer wieder die gleichen Fragen

An fast jeder Ladesäule sprach man den Franken an. Denn viele sahen zum ersten Mal in ihrem Leben ein Elektromotorrad. Und es waren immer die gleichen Fragen, die der Biker beantworten musste: “Wie weit kommt man denn damit?” oder “Wie lange lädt das Ding auf?” – schon bald nervten ihn die selben Fragen etwas. Wie es sich damit fährt, wollten – wenn überhaupt – nur Motorradfahrer wissen. Mit ihnen führte Goeß offene Gespräche über die Problematiken bei der Elektrifizierung von Motorrädern, etwa die Reichweite, Ladedauer oder Infrastruktur.

Auch uns EFAHRER.com-Testern begegnet man auf unseren Testfahrten mit Motorrädern wie der Zero SR/S oder der Harley Davidson Lifewire mit großer Neugier. Viele Motorradfahrer sind noch skeptisch eben wegen der oben genannten Problematiken. Oder sie vermissen den Sound, den ein Motorrad “schließlich machen muss”. Doch erfahren sie die unglaubliche Kraft und Agilität dieser E-Motorräder wird man (und frau) offener gegenüber den Stromern auf zwei Rädern.

Und immer wieder Probleme mit den Apps

Insgesamt 157 Ladestopps legte der E-Motorrad-Besitzer während seiner Reise hin. Bereits in Norwegen traf Goeß auf seine erste Lade-Challenge: Im strömenden Regen funktionierten an einer Ladesäule weder seine Apps noch seine Karten. “Da war wohl meine Recherche doch zu minimalistisch.”, gibt er zu.

Überhaupt hat der Biker mit den Ladeapps immer wieder seinen Schmerz: In Spanien benötigt er eine App, die es nur auf Spanisch gibt und nur eine spanische Adresse akzeptiert. In Frankreich schickte die Ladeapp ihn auf einen Privatparkplatz, von dem er schnell wieder heruntergejagt wird.

Mit reduzierter Ladeleistung zurück nach Deutschland

In Mallorca zickte dann die Ladesäule und ging während des Ladevorgangs aus. Einen Tag später musste Goeß feststellen, dass die Zero nur noch mit reduzierter Leistung lädt  und Strom von der Schuko-Dose gar verweigert. Diagnose: Eines der drei Ladegeräte hatte sich verabschiedet. Ob hier die defekte Ladesäule auf Mallorca Schuld daran war, konnte Goeß nicht nachweisen. So musste er die letzte Woche seines Trips mit reduzierter Ladeleistung und ohne Schuko-Option auskommen. Ansonsten hat sich die Zero SR/S als extrem zuverlässig erwiesen. Einziges Manko ist die fehlende Feststellbremse. Bei abschüssigen Flächen wusste sich Goeß mit einer Eigenkonstruktion helfen: Er wickelte ein Klettband um Bremshebel und Gasgriff – fertig war die Handbremse im Eigenbau. Und damit kam er ohne Umfaller auch sicher wieder in Würzburg an.

Sie fahren auch ein E-Motorrad, ein Elektroauto oder einen Plug-In-Hybriden und erleben damit besondere, frustrierende oder faszinierende Geschichten im Urlaub oder im Alltag? Schreiben Sie unseren Redakteuren eine E-Mail! Wir teilen Ihre Geschichte mit Millionen E-Auto-Fans!

Das könnte Sie auch interessieren: Elektro-Motorräder – diese Modelle gibt es 2021

Elektro-Motorräder kommen langsam aber sicher aus der Exoten-Nische heraus, auch wenn hartgesottene Bikerfans von Verbrenner-Mopeds noch viele Vorurteile gegenüber den lautlosen Zweirädern hegen. Dass diese Sichtweise mittlerweile veraltet ist, zeigen die aktuellen Modelle.

E-Motorräder 2021: Von Harley bis Zero

TOP STORIES

Top List in the World