FIAT

Fiat 508 CS Berlinetta: 1933

Fiat traute sich Mitte der 1930er-Jahre, mit diesem kompakten Rennwagen eine Ikone der Aerodyna­mik für die Mille Miglia zu bauen.

Größe ist nie absolut, das macht dieses so kleine Auto ziemlich klar. Mit den Anekdoten, die es aus seiner Geschichte berichten kann, spielt es eine spannende Rolle in der His­torie des italienischen Automobil­baus. Eine Ikone, keine Frage. Doch eine, in deren Inneren es ziemlich knapp zugeht.Mark Geessink weiß das genau. Ihm gehört dieses kleine Juwel. Und weil der 55 Jahre alte Berateraus den Niederlanden nicht nur mit Leidenschaft sammelt, son­dern auch fährt, ließ er seinen Fiat-Sportler bei der 2020er Edi­tion der Mille Miglia antreten, die wegen Corona ausnahmsweise im Oktober stattgefunden hatte.fiat 508 cs berlinetta: 1933

Dass sich Mark Geessink freut, wundert nicht: Sein sympathischer Fiat absolvierte bislang alle Events mit großem Erfolg.

Bild: Marcus Gloger / AUTO BILD Schon ein erster Blick ins Inne­re des Cockpits beweist mit einer Eigenart seine Enge. Fiat hatte den Beifahrersitz nach hinten versetzt montiert. “Nur so habe ich genug Raum für meinen rechten Arm”, sagt Mark, “ich muss ja schalten können.” So geht es, bequem ist es nicht: Die Nähe zum Co-Piloten bleibt, die Sitze sind hart, der klei­ne Sport-Vierzylinder ist laut. Aber Spaß macht es! Das be­weist uns Mark beim Fototermin in den Niederlanden: 36 PS kom­men mit 745 Kilogramm Leerge­wicht sehr ordentlich zurecht. “Es ist ein tolles Auto”, sagt Mark, “und immer fordert es heraus.” Wie ein junges Rehkitz tänzele der kleine Fiat über die Chaussee, ungestüm und wild, nie brutal. “Auch wenn du einfach nur geradeaus fahren willst”, mahnt Mark, “musst du jeden Meter lenken. Er will deine volle Aufmerksamkeit.”Die hat sich der kleine Fiat voll­auf verdient. Denn allein sein Auf­tritt, seine Wirkung steht diametral zu seinen Abmessungen. Wo er fährt, steht er im Mittelpunkt: Sei­ne aerodynamische Linie macht ihn ausgesprochen charmant. Ge­rade, weil er so klein ist. Fiat hatte ins Schwarze getroffen.

Die Basis: Der italienische Volkswagen

Als Basis diente dem Turiner Automobilgiganten das Modell 508, im Volksmund nur “Balilla” genannt, der populäre Rufname eines jugendlichen Volkshelden aus dem 18. Jahrhundert, den Mussolini damals für seine fa­schistische Jugendorganisation vereinnahmte. Der 508, der mit einer konservativen, zweitürigen Karosserie im April 1932 auf der internationalen Mailänder Auto­messe sein Debüt gefeiert hatte, legte als erfolgreicher Vertreter der unteren Mittelklasse eine beacht­liche Karriere hin. Mit rund 110.000 verkauften Exemplaren gilt der Ba­lilla als der erste italienische Volks­wagen. Er bot Platz für vier, einen Liter Hubraum und 20 PS, alles in allem eine solide Leistung für sei­ne Klasse in diesen Jahren.Doch Fiat wollte mehr: Ein Jahr später, 1933, mobilisierte der 508 S zunächst 30 PS, später als 508 CS sogar 36 PS (immerhin ein Plus von 80 Prozent), verpackt in zwei hinreißend schönen, offenen Sportkarosserien, die Ghia entwor­fen hatte. Zugleich kündigte Fiat eine Berlinetta mit der potenten 508-CS-Technik an – also ein klei­nes, richtig flottes Coupé. Um dessen Design kümmerte sich Fiat selbst. Niemand Geringe­rer als Mario Rivelli de Beaumont zeichnete die Linie, die zu einer der ersten Stromlinienkarosserien wer­den sollte, und testete sie im neu­en Aerodynamiklabor der Univer­sität Turin. Moderner ging es nicht – und auch nicht hübscher.Form follows function? Ja, doch in Italien ging das nicht ohne “la bella figura”, einen schönen Auf­tritt. Wer heute präzise auf diese Zeit zurückblickt, wie es Mark Geessink macht, stellt fest: Fiat fällt mit dieser formalen Idee die Rolle eines Pioniers zu. Es gab andere, die begeisterten – doch kein Ent­wurf fiel derart feinsinnig und de­likat aus. Masse und Macht präg­ten sie, zudem folgten die meisten erst einige Jahre später.fiat 508 cs berlinetta: 1933

Bei allem Fokus auf den Sport zeigt der schicke Balilla seine Liebe zum Schönen, wie die Verarbeitung des Holzes beweist.

Bild: Marcus Gloger / AUTO BILD Mit seinen Sport-Versionen machte Fiat alle glücklich. Die leichten Spider zielten eher auf kurze Renndistanzen, die Berlinet­ta – die kleine Berlina also, oder eben auch: Coupé – schützte gut vor Wind und Wetter, zum Beispiel bei der Mille Miglia. Tausend Mei­len an einem langen Tag. Doch auch die technische Ausstattung justierte Fiat. In der Langstreckenversion fand sich ein Vierganggetriebe mit zwei langen oberen Gängen, zudem ein riesiger Tank für 70 Liter Sprit. Das sparte kostbare Zeit beim Auffüllen. Was blieb, waren die pfeffrigen 36 PS, für die Fiat die Verdichtung erhöht, den Vergaser geändert und die Ventile hängend im Zylinderkopf platziert hatte. Simpel zeigte sich die pumpenlose Thermosyphon­kühlung, dafür gab es eine für die­se Klasse supermoderne hydrau­lische Vierradbremse plus ein Zwölf-Volt-System.Tatsächlich gingen viele ambi­tionierte Privatfahrer einst auf Fiat bei der Mille Miglia an den Start. Im Jahr 1936 zum Beispiel, als drei Alfa Romeo 8C 2900 A das Rennen vor einem Alfa Romeo P3 gewan­nen, gefolgt von Maserati und wei­teren Alfa Romeo. Doch auf den Plätzen 12 bis 37 tummelten sich insgesamt 20 Fiat 508 in verschie­denen Versionen – der Klassensieg ging an eine Berlinetta, die das Team Biagini/Periccioli nach16 Stunden, 38 Minuten und 31 Sekunden in Brescia über die Ziel­linie dirigierte. Damit legte der schnellste der kleinen, tänzelnden Fiat die 1606 Kilometer lange Ita­lienrunde mit einem Schnitt von 96,5 km/h zurück. Es war ein Ritt am Limit des technisch Möglichen.

Einer der letzten seiner Art

Ganz so wild wollte es Mark Geessink im Herbst 2020 nicht an­gehen lassen. Für seinen Fiat war es die erste Mille Miglia, vor allem die erste nach einer umfangrei­chen Restaurierung bei Mike Kas­trop, die zu­dem noch nicht abgeschlossen war.Mutig, doch Mark liebt solche Herausforderungen. Sein Fiat schlug sich tapfer, ex­zellent sogar. Das Serviceteam, das Restaurierer Mike stellte, hielt der kleine Sportler durchaus auf Trab. Die Mechaniker tauschten die von der Lichtmaschine nicht ausrei­chend mit Strom versorgte Batte­rie, stellten die Kupplung nach, fixierten den filigranen Scheiben­wischer auf seiner Welle und be­kamen eine massive Unwucht im Antrieb in den Griff. Sie rieten zu Geduld, als der steile Anstieg vor San Marino das prinzipiell sto­isch zuverlässige Kühlsystem der Balilla an den Rand seiner Kapazi­täten brachte. Es war ein wilder Ritt mit glückvollem Ende, bei dem es nicht wie einst um den Sieg ging, sondern um das Dabeisein und ein Beenden ohne Schaden.Wie viele Exemplare Fiat einst in einer Spezialabteilung von die­ser heute gerne “Aerodinamica” genannten Version gebaut hatte, ist nicht mehr dokumentiert. Rund 100, sagen manche, andere schät­zen die Zahl auf deutlich weniger. Rund ein halbes Dutzend, heißt es, hätten bis heute überlebt. Wie Mark Geessinks kleines blaues Wunder. Er hatte es im Februar 2019 gekauft, und zwar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei einer Versteigerung in Paris. Die Oldtimerspezialisten von Aguttes hatten den ikonischen Aerodyna­mik-Fiat als Headliner auf ihrer Rétromobile-Auktion ins Rampen­licht geschoben.fiat 508 cs berlinetta: 1933

Als habe der Wind selbst Hand angelegt: Der Fiat ist ein Denkmal agiler Dynamik.

Bild: Marcus Gloger / AUTO BILD Rot war er damals noch und seit 49 Jahren in der Hand seines Vorbe­sitzers, der mit dem sportlichen, wie schicken Fiat in der französischen Oldtimerszene bestens bekannt war. Als Fiat-Club-Chef besuchte er zahllose Veranstaltungen, sogar Comic-Zeichner André Franquin schuf ein Bild mit seiner Figur Gaston und dem kleinen Coupé.Mark Geessink war morgens um vier Uhr mit seiner Tochter zu Hause aufgebrochen, um neun waren sie in Paris. Es war die Zeit vor Corona, allerdings hatten in jenen Tagen im Februar vor fünf Jahren die Gelbwesten-Protestler die Stadt im Griff. “Paris sah aus wie im Bürgerkrieg”, erinnert sich Mark, “die Straßen waren voll, je­der fotografierte.” Auf der Auktion dagegen herrschte Flaute, und Mark erhielt am unteren Ende der Schätzung den Zuschlag. Knapp über 200 000 Euro waren das. Mark hatte eigens dafür seinen Stanguellini verkauft.Inzwischen rollt sein restaurier­tes Juwel nicht nur zu Rennen, son­dern wiederholt auch zum Con­cours d'Élégance an den Start. Bei der Villa d’Este sicherte es 2021 sich souverän den Pokal für die rück­sichtsvollste Restaurierung, im hei­mischen Wettbewerb am Paleis Soestdijk dagegen gewann der Fiat seine Klasse. Es ist die späte, geballte Ehre für ein kleines Kapi­tel Automobilgeschichte, das bei­nahe schon vergessen schien.

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