Chevrolet

Corvette

Ein 1.600-Kilometer-Roadtrip mit Corvette Z06 und C8 Stingray

Wir fahren nach Le Mans, um eine Corvette siegen zu sehen ... in einem Haufen scharfer, neuer Corvettes

ein 1.600-kilometer-roadtrip mit corvette z06 und c8 stingray

Ganz kurz schießt mir der Gedanke in den Kopf, ob ich tatsächlich steckenbleiben könnte. Wäre natürlich ein stabiler Auftakt für so einen Le Mans-Roadtrip, mein Auto gleich nach nullkommaeinem von gut 1.650 Kilometern in der Tiefgaragenausfahrt hinzurichten. Aber machen wir uns nix vor, so eine Z06 mit ihren 2,03 Meter Breite ist in einem deutschen Parkhaus alles andere als Vergnügungssteuer-pflichtig. Das zerrt schon an den Nerven.

Vor allem, wenn der neongelbe Apparat wie in meinem Fall auch noch das Z07-Performance-Paket (fieser Carbon-Frontsplitter, Bodenfreiheit adé) und die optionalen CARBON-FELGEN (!!!) an der Backe hat.

Es geht dann doch irgendwie. Mit viel Schweißperlen und Millimeterarbeit am Randstein, aber ohne Feindkontakt. Und Junge, Junge bin ich froh, als die Vette und ich den Hotelparkplatz verlassen und uns schadlos über die Mainzer City in Richtung Autobahn schlängeln.

GM hat eine Handvoll Schreiberlinge und Content-Kreateure nach Le Mans geladen. Plus Hin- und Rückfahrt mit einem wunderschönen bunten Haufen Corvette C8 Stingrays und Z06en. Wenn Sie nicht unter einem großen Stein leben, werden Sie mitbekommen haben, dass dort immer Anfang Juni ein nicht ganz unbedeutendes Autorennen stattfindet. Und das – mit ein paar unfreiwilligen Unterbrechungen – seit 1923. Wir reisen also zum hundertjährigen Jubiläum oder dem großen “Centenaire”, wie es einen in Frankreich alle fünf Meter von irgendeinem riesigen Plakat anschreit.

Die Amis haben einige heiße Eisen im Feuer. In der Hypercar-Klasse kämpfen insgesamt drei Cadillacs ums Podium und im letzten Rennen der GTE Am-Gruppe (wird ab 2024 zur reinen GT3-Klasse) ist die Corvette C8.R klarer Favorit auf den Sieg.

Apropos C8.R: Das Rennauto und meine Z06 haben mehr gemeinsam, als man vielleicht denken mag. Und damit meine ich nicht nur die hochgradig brachiale Frontpartie mit der dicken Lippe und all den Flics. Auch die Motoren sind relativ eng miteinander verwandt. Sie werden es mitbekommen haben, in der Vette sitzt die Maschine inzwischen nicht mehr unter einer siebzehn Meter langen Fronthaube, sie wurde hinter die Insassen gepackt.

Das Rennauto C8.R ist auch stilistisch nicht so weit weg …

… von der Straßenvariante Z06. Den 5,5-Liter-flatplane-V8 teilen sie sich

In meinem Rücken also randaliert ein 5,5-Liter-V8-Sauger: Flatplane-Kurbelwelle mit einem Hubzapfenversatz von 180 Grad, Trockensumpfschmierung, 680 PS bei – jetzt kommt’s – 8.400 U/Min (die europäische Version leistet aus Emissionsgründen 645 PS), 623 Nm bei 6.300 U/min und ein Drehzahllimit von 8.600 Touren. Es ist der stärkste Achtzylinder-Sauger, der je seinen Weg in ein Serienauto gefunden hat. Nix Maranello. Detroit, Baby. Da treibt’s nicht nur dem US-Car-Freund sturzbachartig die Tränen der Verzückung ins Antlitz. 

Unter Umständen – es gibt keine Zeugen – läuft auch mir gerade der ein oder andere Tropfen die Wange herunter, als auf der A63 Richtung Kaiserslautern erstmals die 120 aufgehoben werden, der rechte Fußballen mit Nachdruck ins Pedal einsinkt und die Nadel in Begleitung eines recht medusischen Geschreis (Tonlage: unerhört hoch für ein US-Produkt) an den 9.000 Touren entlang züngelt.

In irgendeinem ersten Test zur Z06 las ich, das Auto wäre in der Geräuschentwicklung ein wenig zu zahm. Keine Ahnung, welches Gefährt der Autor fuhr, meines allerdings sicher nicht. Der “Baaaah, is das geil”-Teil meines Gehirns hat ansatzlos die Führung übernommen und befiehlt in weiser Voraussicht so viel Drehzahl, Lärm und Speed wie möglich. Der Anteil deutscher Autobahn an der Gesamtstrecke ist nämlich fürchterlich kurz.

Unter viereinhalb-, fünftausend U/min geht nicht so arg viel zusammen. Also in schöner Regelmäßigkeit an den Carbon-Schaltpaddles zupfen und den Sauger bei Laune halten. Das trockene Klacken der Wippen ohne jeglichen Einrast-Widerstand hab ich so noch bei keinem anderen Hersteller erlebt. Es fühlt sich allerdings absolut fantastisch an. 

Um meinen Traum vom ultimativen Vette-Feeling noch mehr Gestalt zu verleihen, schreien inzwischen abwechselnd Ratt, Foreigner, Mötley Crüe und weitere 80s-Ikonen aus den schicken Bose-Tönern mit dem V8 um die Wette. Bei diesem Sound-Contest gibt es natürlich keine Verlierer. Was allerdings schon ein wenig auffällt …

… nach gut 650 PS fühlt sich die Z06 nicht mit vollster Überzeugung an. Obenrum wird’s ab 240, 250 km/h für Supercar-Verhältnisse ungewohnt zäh. Und beim Durchzug weiter unten fehlt es gegenüber einem Ferrari 488 oder einem McLaren 720S aber himmelweit. Die haben, so fair muss man sein, auch zwei Turbos und gut 150 Nm mehr sowie um die 300 Pfund weniger.

Aber hier merkt man schon: Die Z06 verknüpft Entertainment mit Arbeit, will nicht stumpf alles und jeden mit schierer Power niedertrampeln. Da war die Vorgängerin mit ihrem 6,2-Liter-Kompressor-V8 ja noch auf einer gaaanz anderen Party unterwegs. Gott, was war das ein beängstigendes Biest. Jetzt hat man Furcht durch feine Klinge und Kontrolle ersetzt, ist viel mehr 911 GT3 als US-Muscle.

Was diese Corvette allerdings wesentlich besser beherrscht als jeder GT3 aus Zuffenhausen, ist das Thema Langstreckenkomfort. So exotisch der Kohlefaser-verspoilerte Vogel auch aussieht – und glauben Sie mir, auf jedem Rastplatz wurden mehr Fotos gemacht als am Influencer-Strand von Cala Saladeta – so unprätentiös verhält er sich bei den Dingen des täglichen Lebens. 

Cockpit, Bedienung, Sitze, Ein- und Ausstieg – alles easy, alles logisch, alles ohne Drama und Verrenkung. Und eine große Reisetasche schlupft auch lässig hinter dem Achtzylinder hinein. Die Z06 hat ja bis auf ein paar Carbon-Dekore das Cockpit der C8 Stingray. Das bedeutet: Man sitzt ein wenig zu hoch und aus unerfindlichen Gründen gibt es ein eckiges Lenkrad. Die vielgescholtene Bedien-Trennwand zwischen Fahrer und Beifahrer stört mich derweil gar nicht. Eher gibt sie dem Interieur eine willkommene Dosis Wiedererkennungswert in einer Zeit, in der auch bei exotischen Sportwagen alles immer gleicher wird.

Zum folgenden 130-km/h-Gegondel quer durch die Grand Nation gibt es indes wenig zu sagen, außer dass sich die Reisekasse freut, wenn mal um die 10 bis 11 und nicht, wie eben noch in der BRD, einfach alle Liter in die Brennräume wandern. 

Ein bisschen Nostalgie und Benzinkopf-Wohligkeit darf auf so einem Trip aber natürlich nicht fehlen und die holen wir uns an Frankreichs berühmtester Tribüne, die keine mehr ist. Dass auf dem alten Straßen-Rennkurs von Reims-Gueux nicht mehr für Fotos angehalten werden darf, das macht uns die ortsansässige Gendarmerie sehr schnell und unmissverständlich klar. Die Herren Ordnungshüter sind freundlich, wirken aber von ihren eigenen Apellen ziemlich ermüdet.

Wer kann es Ihnen verdenken? Gerade in der Le Mans-Woche? Alleine in den gut zehn Minuten, die wir auf einem Parkplatz unweit des 1972 geschlossenen Kurses pausieren, rattern zwei bemerkenswert mitgliederstarke Ferrari-Clubs und eine Handvoll knallbunte Lamborghini Huracan Performante die ehemalige Start-Ziel rauf- und runter. Das Ganze unter dem frenetischen Jubel dutzender Jugendlicher, die hauptsächlich ihre Handys und Drohnen im Blick haben und eher gar nicht die Straße.

Da wir nicht stehenbleiben dürfen, macht Fotografin Lena fürs Fotoalbum zwei, drei atmosphärische Mitzieher, wir geben den klanghungrigen Kids noch kurz ein paar amerikanische V8-Beats auf die Lauscher und weiter geht’s Richtung dem Rennen aller Rennen.

Wie erwartet kostet der übliche Paris-Wahnsinn eine gute Stunde und jede Menge Nerven. Schuld sind Unmengen an ganz offensichtlich lebensmüden Rollerfahrern (Kampfpiloten wäre vermutlich der bessere Ausdruck), die sich mit erschreckender Geschwindigkeit und Schräglage durch den stehenden Verkehr wuseln. Gefühlt immer gut 0,5 Zentimeter an der Vette vorbei. CSI Miami hätte sicher keine Schwierigkeiten gehabt, ein paar angesengte Wadenhaare/Hautschuppen/Jeans-Partikel vom Kotflügel zu extrahieren.

Aber auch das geht irgendwann vorbei und nach der Hauptstadt nimmt die Supercar-Dichte auf der Autobahn beträchtlich zu. Lambos, Ferraris, Astons, M BMWs, AMGs und Porsches aus allen erdenklichen Ländern und Baujahren machen die Autoroute zum schnellsten Fanmarsch der Welt. Irgendwann schießt etwas sehr flaches Schwarzes mit unverkennbarem V10-Geschrei an mir vorbei. Der Porsche Carrera GT aus UK hat sicher 200 Sachen drauf. Immer noch jedes Mal Gänsehaut, wenn einer in freier Wildbahn auftaucht. Und wer einen besitzt, kann wohl auch die drakonische Strafe für 70 km/h drüber (bis zu 1.500 Euro) aus dem Ärmel schütteln.

Einfahrt in Le Mans …

Eines der circa 50 Feuerwerke war sicher nur für uns

Chevrolet-Quartier fürs Le Mans-Wochenende am Hippodrome nebst Campingplatz. Nicht nur die Rennmotoren waren also laut.

In Le Mans angekommen, meckern Rücken und Hintern erstaunlich wenig für 700+ Kilometer in der Hardcore-Version eines Mittelmotor-Sportwagens. Es gibt eine wohlverdiente hopfige Erfrischung und ein erstes Shake Hands mit unserem Master of Ceremony an diesem Wochenende, dem dreimaligen Le Mans-Gesamtsieger Marcel Faessler.

Ich erspare Ihnen die Einzelheiten des Rennens, das werden Sie eh mitbekommen haben. Nur so viel: Die Corvette C8.R hat ihre Klasse gewonnen und Cadillac Racing ist im Gesamtklassement aufs Podium gefahren. Es geht wahrlich schlimmer. Außerdem ist Marcel Faessler einer der nettesten Menschen auf diesem Planeten. Und er braut ein absolut  hervorragendes Bier.

Der 3-malige Le Mans-Gesamtsieger Marcel Faessler ist ein ziemlich herausragender Strecken-Erklärer …

… und er braut ein ganz vorzügliches IPA

So überwältigend das Rennwochenende, auch dank der überragenden Betreuung durch GM, war, so ungemütlich ist der Start nach Hause am Montag Morgen 3:11 Uhr. Ein Kollege und ich wollen auf dem Rückweg unbedingt die Vogesen mitnehmen. Mit einer C8 Stingray und einer Z06 ausschließlich Autobahn zu fahren, wäre möglich, aber ziemlich absurd. Wie alkoholfreies Grapefruit-Radler oder Skinny-Jeans an Männern über 40.

Also müssen Kurven her und die kriegen wir auf dem Heimweg über den Col de la Schluch in Hülle und Fülle. Für die Fahrt zurück hat man mich in ein C8 Stingray Cabriolet gesetzt. Auch hier wird frei gesaugt, allerdings mit 6,2 Liter Hubraum, normaler Crossplane-Kurbelwelle, 482 PS und deutlich gemütlicherem Drehzahllevel. Der LT2 ist Oldschool-US-Achtzylinder wie er im Buche steht.

Tonlage eher so zwei Oktaven tiefer und mehr aus dem Bauch heraus, aber ganz sicher nicht weniger fürs Herz. Was schon vorher auf der A11 und A5 Richtung Nordwesten auffiel und auch jetzt, wo die Mittelgebirgs-Karussellfahrt langsam startet: Die normale Corvette geht wirklich sehr sanft und behutsam mit ihren Insassen um.

Die adaptiven Magnetic-Ride-Dämpfer versprühen in den normalen Settings richtige Fliegender-Teppich-Vibes. Vorderachse und Lenkung essen auch nicht super zeitig (die Lenkung an sich fühlt sich allerdings sehr gut an, wenn man sie nicht auf die härteren Stufen stellt) und so kriegt man erst einmal den Eindruck, dass die dicken Muckis dieses Auto eher behäbig als performant machen.

Ein ziemlicher Irrglaube, wie sich dann doch recht schnell zeigt, denn wenn man sie ein bisschen triezt, die gute Stingray, und das Fahrwerk in die sportlicheren Settings klickt, dann hat sie auch Bock. Richtig Bock. Die relativ breiten, lang geschwungenen Kurven sind natürlich reinstes Heimspiel. Hier fließt sie richtig. Nie hibbelig oder nervös, eher die Ruhe selbst, aber präzise. Das Mittelmotor-Layout macht sie sehniger, impulsiver, aber so ganz will sie den Coors-Light-and-Chicken-Wings-on-a-Friday-Night-Charme dann auch nicht aufgeben.

Apropos miserable Nahrungsmittel-Vergleiche: Der grandiose Motor schiebt in seinem Drehzahlbereich gefühlt nicht schlechter als der LT6 in der Z06. Eine Leistungsentfaltung so satt und raumgreifend wie ein 700-Gramm-Ribeye. Und wie dieser heftigsts sägende V8-Bass abwechselnd in den Wald hinein- oder von den Felsen zurückgeschleudert wird, das macht die Sause dann perfekt. Gimme a “Hell Yeah”!

Einen groben Schnitzer erlaubt sich die aktuelle Generation allerdings beim Windschutzscheiben-Armaturenbrett-Arrangement. Keine Frage, die weit herunter gezogene Frontscheibe gibt einem das wunderbare Gefühl, beinahe auf der Straße zu sitzen. Allerdings spiegelt das Armaturenbrett derart stark im Glas, dass man bei Licht-Schatten-Wechseln richtige Probleme mit der Sicht bekommt. Beim hellbraunen Interieur der C8 ist es besonders dramatisch, aber auch der dunkle Bezug der Z06 macht Schwierigkeiten.

Abgesehen davon lässt die Performance-Vette in der bergigen Kurvenlandschaft aber komplett die Sonne aufgehen. Die Unterschiede zur C8 sind exorbitant. Neben anderen Dämpfern, neun Zentimeter (!) mehr Spurbreite und den opulentesten Hinterreifen, die eine Corvette je gesehen hat (345er-Walzen; vorne immerhin 285er-Schlappen) muss man der Z06 irgendwie auch noch drei Espresso und eine große Dose Taurinbrause in die Leitungen gekippt haben. 

Es fließt jetzt nicht mehr, es eskaliert. Richtungsänderungen sind nun eher Pingpong statt Tennis, alles ist straffer, ungeduldiger, aggressiver – und wesentlich schneller. 6.000, 7.000, 8.000 Touren, die Landschaft drückt sich immer wieder verschwommen in einem Mix aus G-Kräften und sägendem Gekreische am eigenen Hirn vorbei. Großartig.

Hätte ich definitiv noch ein paar Stunden weiter exerzieren können, aber die Autos müssen leider heute noch zurück zu unserem Abholort in der Nähe von Frankfurt. Die letzten gut 300 Kilometer Autobahn wird dann abwechselnd gecruist und noch ein paar Mal der V8-Hammer rausgeholt. Beides ist im Repertoire der neuen Corvettes tief verankert.

Beide sind doch sehr verschieden, aber sie sind jeweils auf ihre Art sehr sehr gute und liebenswerte Sportwagen. Wir können uns vermutlich darauf einigen, dass sie nicht die schönsten Corvettes aller Zeiten sind, aber fahrdynamisch und was die Qualität betrifft, sind sie ein Quantensprung. Auch wenn man mit ihnen ziemlich schlecht aus deutschen Parkhäusern rauskommt.  

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