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E-Roller: Die Zukunft auf zwei kleinen Rädern

e-roller: die zukunft auf zwei kleinen rädern

Traurige E-Roller-Realität in deutschen Städten: schnell Schrott, der alle nervt

Haben wir uns verhört? Nein, wir haben uns nicht verhört: Julian Herget wiederholt es noch mal, er sitzt in seinem Büro bei der Kreativagentur Kiska und sagt: „Sechs Wochen“. Länger halten viele der meist in China hergestellten Elek­troroller, die seit ein paar Jahren das Bild unserer Städte prägen, nicht.

Hergets Firma war von dem Motorradhersteller Husqvarna beauftragt worden mit einer Marktforschungsanalyse zum Thema Roller. Im Zuge dieser Recherchen kam die schockierende Wahrheit ans Licht: „Die gehen alle irre schnell kaputt“, sagt Herget.

Nicht umweltfreundlich, sondern eine Umweltsauerei

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Begann als Praktikant bei der Agentur Kiska, ist heute Partner: Julian Herget

Und dann ist es billiger, die Roller zu entsorgen, als sie mühsam zu öffnen und Zeit für die Reparatur aufzuwenden. Was als Start in ein Zeitalter umweltfreundlicher Innenstadtmobilität verkauft wurde und als Transportlösung für die „letzten Kilometer“ die Fahrten mit dem Auto ersetzen kann, ist in der derzeitigen Form eine Umweltsauerei, denn die Roller, die wir bei den großen Anbietern finden, sind letztlich Wegwerfprodukte. Bilder von riesigen Halden verschrotteter Elektroscooter zeigen das Ausmaß des Problems. Und das sei nicht das einzige Problem dieses neuen Transportmittels, sagt Herget in seiner Münchner Dependance: „Wenn man sie fährt, fühlen sie sich oft unsicher an und klobig.“ So kamen er und sein Team auf die Idee, den perfekten Roller für Erwachsene in der Stadt zu bauen.

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Der Skutta will zeigen, dass Roller doch eine Zukunft haben könnten

Das Ergebnis lehnt an einem Pfeiler im lichten Großraumbüro von Kiska. Auf den ersten Blick ähnelt er den klassischen Rollern – zwei kleine Räder, ein Brett, auf dem man steht, eine Stange mit Lenker. Das waren dann aber auch schon die Gemeinsamkeiten: Auffällig ist die Neigung der Lenkereinheit. Sie steht deutlich schräger als die meist fast senkrechten Stangen der Konkurrenz. Das zwingt den Fahrer, sich weiter nach hinten zu stellen auf dem Trittbrett – und das verbessert die Fahrsicherheit enorm. Der Roller ist ganz in Schwarz gehalten, nur ein gelber Neonstreifen markiert wie ein energetischer Lichtstrahl die Batterie. Diese Batterie kann man leicht herausnehmen und zu Hause laden, man muss nicht den ganzen schweren Roller ins Haus schleppen; der 36-Volt-280-Wh-Akku entspricht denen, die der Hersteller für die Gartengeräte weltweit verwendet, ist also ein Standardprodukt: Wer eine Motorsäge hat, kann, während die Rollerbatterie lädt, mit der Motorsägenbatterie weiterfahren.

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Firmensitz in München: Suche nach kreativen Lösungen

Ein Clou ist die Lenkereinheit: Sie besteht aus zwei Streben, die den Lenker halten und dank der Aussparungen in Höhe von Akku und Hinterreifen extrem flach aufs Trittbrett klappen; so kann der Roller platzsparend zusammengefaltet und in jedem Kofferraum verstaut werden. Wer einmal versucht hat, einen Elektroroller zu tragen, weiß, wie unhandlich das normalerweise ist. Diesen kann man geklappt wie einen Rollkoffer hinter sich herziehen.

Der Test: Es ist ungefähr so, wie wenn man von einem alten Skoda auf einen Porsche umsteigt. Die nach hinten verlegte Standposition verändert alles, man steht sicherer, man kann sich besser in die Kurven legen, dank des größeren 10-Zoll-Luftreifens vorn (hinten gibt es ein schaumgefülltes 8-Zoll-Rad) hat man weniger Angst, beim Auftreffen auf einen Gegenstand direkt über den Lenker zu fliegen (was mit den gängigen Rollern eher öfter passiert). Man fetzt um die Ecken, man rumpelt einen Bordstein runter: alles kein Problem. Das Husqvarna-Gerät macht deutlich mehr Spaß als andere Roller (kostet mit rund 900 Euro aber auch mehr); es eiert nicht, die Ingenieure haben dem 17 Kilo schweren Scooter mit dem angenehm skandinavisch und in deutschen Ohren auch etwas lustig klingenden Namen „Skutta“ sogar so etwas wie Handling beigebracht. Vielleicht macht es sich auch bezahlt, dass die Ingenieure sich sonst mit der Frage der Fahrdynamik und des Fahrspaßes von Motorrädern befassen.

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Details machen den Unterschied

Früher Gewehre, jetzt Elektroscooter

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Die machen nicht nur Roller: Skizzen für den KTM X-BOW GT-XR, das Rennauto mit Straßenzulassung

Husqvarna ist ein ehrwürdiger alter Hersteller, dessen Geschichte weiter als die der Motorisierung reicht, die Firma gibt es seit 1689, damals stellte sie in der namensgebenden schwedischden Stadt Vorderladergewehre her; das Logo, das auch auf dem Scooter prangt, zeigt heute noch einen Gewehrlauf von vorn. Im 19. Jahrhundert erweiterte die Firma ihr Portfolio auf friedlichere Geräte wie Nähmaschinen, um die Jahrhundertwende kamen Fahr- und Motorräder dazu, die bei Rennen sehr erfolgreich waren, später stellte die Firma vor allem Gartengeräte und Motorsägen her, bis sie in Schwierigkeiten geriet. Nach dem Zusammenbruch der Firma ging die Lizenz für den Motorradbau erst an BMW, die gaben sie 2013 an KTM ab. Die Motorsägen und die Motorräder kommen also von zwei verschiedenen Firmen und teilen heute nur noch den Namen – und die Akkus.

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Ein höchst moderner Kiska-Entwurf für Opel, der nie realisiert wurde

Wenn Husqvarna jetzt einen Elektroscooter baut, dann ist das sozusagen die neueste Antwort der Firma auf ihre über ein Jahrhundert alte Frage, wie man Menschen so auf zwei Rädern befördert, dass es ihnen auch noch Spaß macht.

Entwickelt wurde der Husqvarna-Scooter von Kiska – und man kann deren Firmengeschichte nicht ohne die von KTM erzählen. Der Aufstieg von KTM zu einem der führenden Motorradbauer, der um 1990 begann, und die Rückverwandlung des angeschlagenen Motorsägenherstellers Husqvarna zu einem betont lässigen Motorradhersteller sind vor allem das Werk von Kiska, das sich selbst als „internationale Marken- und Designagentur“ beschreibt. Das bringt auf den Punkt, was die Firma besonders macht.

Der 1959 geborene Gerald Kiska gründete die Firma 1990, nachdem er als studierter Diplom-Designer unter anderem für Interform-Design, Idea und zuletzt bis 1990 für Porsche Design arbeitete. Dann machte er sich in Salzburg selbständig mit der Idee, seinen Auftraggebern nicht nur ein Design, sondern ein ganzes Narrativ für die Marke zu liefern – und die neuen Produkte auch noch in den Markt zu bringen. Sein wichtigster Kunde wurde der damals schlingernde Hersteller KTM.

Kiska analysierte, was die Stärken des Herstellers sein könnten, entdeckte Marktlücken und entwickelte und vermarktete dann neue Motorräder, mit denen die Firma schnell aus den roten Zahlen in den grünen Bereich beschleunigte; die Duke gilt heute als Klassiker und als maßgeblich verantwortlich für den Aufstieg von KTM. Neben dem Fahrspaß wurde Sicherheit ein Verkaufsargument: Der Hersteller brachte als erster auch in den kostengünstigeren Klassen Kurven-ABS und Traktionskontrolle, brachte Abstandsradar ins Motorrad und machte es damit sicherer. Was wichtig, aber nicht alles sei, sagte Kiska einmal in einem Interview, denn der Grund für den Kauf eines Motorrades bleibe die Fahrdynamik: „Man fährt ja auch nicht Ski, um sich mit dem Lift auf den Berg bringen zu lassen. Man fährt Ski, um den Berg runterzufahren.“

Dass Gerald Kiska nicht nur wusste, wie man etwas designt, sondern auch, wie man Motorrad fährt, und als begeisterter Motorradbastler das technische Know-how mitbrachte, half ihm. Er habe als Student eine Yamaha 350 gefahren, an der es immer etwas zu schrauben gab; als KTM die Designerstelle ausschrieb, war Kiska der einzige Bewerber, der wusste, wie man ein Motorrad auseinander- und wieder zusammenbaut. So konnte er mit den Entwicklern auf Augenhöhe sprechen. Beim Design hatte Kiska immer den Markenauftritt im Sinn. „Wenn du dir überlegen musst, welches Motorrad ist dir gerade entgegengekommen, dann hilft dir das am Markt nichts“, sagte er mal der „Kleinen Zeitung“. „Es musste immer klar sein, welches Motorrad es ist … Das Schlimmste wäre, es kommt eine neue KTM, und keiner merkt es.“ Kiska wuchs mit dem Erfolg von KTM und umgekehrt. Heute gibt es Standorte in Österreich, Deutschland, den USA und China, 250 Menschen aus 35 Nationen arbeiten im 6000 Quadratmeter großen Studio in Salzburg und in den Filialen. Kiska, erzählt auch Herget, kommt vom Produktdesign, hat aber schon zu Beginn entschieden, technische Entwicklungskompetenz, Produktdesign, langfristige Markenentwicklung und Vermarktung in eine Hand zu geben. Herget begann 2003 als Praktikant im Produktdesign, seit 2014 ist er Mitgesellschafter.

Sie machen kein „Signature Design“, wie Philippe Starck oder Marc Newson, wo es vor allem darum geht, die Handschrift des Designers wiederzuerkennen; bei ihnen arbeiten Marktanalytiker, Ingenieure und Marketingexperten unter einem Dach. In der Münchner Dependance, die eine Etage eines großen Büroneubaus füllt, kann man sehen, was das bedeutet: In dem Großraumbüro, zu dessen Durchquerung man am besten einen Scooter nimmt, arbeiten Werber an Kampagnen, zugleich entstehen in einer Werkstatt Prototypen für futuristische Zweiräder.

Seit Gründung hilft die Agentur Marken in Schwierigkeiten, sich neu aufzustellen; bei Husqvarna könnte der neue Roller die Erweiterung des Portfolios von Spaßmaschinen mit Verbrenner fürs Gelände hin zu Produkten für die nachhaltige Stadt einleiten; die Motorsägenmänner mit ihren wilden Maschinen erreichen die Ökozivilisation, ohne dass dabei der Spaß verloren geht. Zu Kiskas Kunden zählen Konzerne und Firmen wie Adidas, Zeiss und Frauscher, Bosch, Audi und Opel. Für den Autohersteller – genauer gesagt für seinen Auftritt auf der Internationalen Autoausstellung 2011 – entwickelte Kiska damals eine imagebildende Studie, die, hätte Opel den Mut gehabt, sie zu bauen, das Image der Marke hätte drehen können: Als von Tesla noch kaum etwas zu hören war, beschloss Kiska, dem Elektroauto eine Form zu geben, die Spaß versprach. Opel, im frühen 20. Jahrhundert Elektroautopionier, bevor der Siegeszug des Verbrenners diese Entwicklung abreißen ließ, überraschte die Welt mit einem von Kiska ersonnenen Zweisitzer namens RAK-e, der kleiner, leichter, klüger und vom Fahrgefühl Klassen besser als ein Smart gewesen wäre – der ideale Autoersatz für die Stadt.

Der batteriebetriebene Zweisitzer war eine Mischung aus modernem Kabinenroller und Velomobil, wie um 1925 die praktischen Kleinstwagen für die Stadt hießen. Er hatte vorn zwei Räder mit breiterer Spur, die hinten schmal montierten Doppelräder wurden von einem Elektromotor angetrieben. Man konnte den RAK-e auch als einen neuen Zwitter aus Motorrad und Sportwagen beschreiben – und als ideale Lösung, um bei Regen in der Stadt zum Einkaufen zu fahren, das Kind zum Sport zu bringen oder andere Dinge zu tun, die heute von den meisten Städtern mit SUVs oder unnötig schweren Elektropanzern erledigt werden. Keines der aktuellen elektrischen Minimalautos vom neuen Citroën Ami bis hin zum Dacia Spring ist auf dem technischen und optischen Niveau, auf dem dieser Opel damals war. Ihn zu bauen trauten sich die Verantwortlichen damals nicht.

Mittlerweile wurde Opel vom Stellantis-Konzern geschluckt und vertreibt den Citroën Ami als Opel. Das ist die Folge von Mutlosigkeit und typisch für viele europäische Konzerne, deren Strukturen so behäbig sind, dass sie kaum noch etwas wirklich Neues wagen und so ihren Entwicklungsvorsprung verspielen. Vielleicht müsste überhaupt auch die Europäische Union einmal zum Rebranding nach Salzburg; es könnte nicht schaden. 

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