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Cariad: Wie Oliver Blume und Peter Bosch Volkswagens-Softwaretochter sanieren

Cariad-Chef Peter Bosch legt einen Sanierungsplan für Volkswagens marode Softwaretochter vor. 2000 Stellen fallen weg. Weitere Verzögerungen bei Modellanläufen werden erwartet. Harte Nachrichten auch für Konzernboss Oliver Blume – aber er stützt den Plan.

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Cariad: Wie Oliver Blume und Peter Bosch Volkswagens-Softwaretochter sanieren

Schon bevor Peter Bosch (49) an diesem Mittwoch im Volkswagen-Konzernvorstand sein Sanierungskonzept für die Softwaretochter Cariad vorlegte, waren die Befürchtungen genauso groß wie die Erwartungen. Würde es wieder Verzögerungen im Anlauf von Modellreihen geben? Welche neuen Hiobsbotschaften aus Volkswagens desaströser Softwarewelt würde der Mann vorlegen, den Volkswagen-Boss Oliver Blume (55) im Juni an die Cariad-Spitze berief?

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Es kam dann noch schlimmer als erwartet. Bosch brachte zwar eine Strategie samt Zukunftsperspektive für die Cariad mit, am Ende stimmten alle zu. Aber seine Anaylsen werden bei Volkswagen noch für massive Unruhe sorgen.

Einige seiner gefährlichsten Erkenntnisse hatte Bosch in der Vorwoche schon Topleuten bei Audi und Porsche erklärt. Es geht, vor allem, um die elektrischen Modelle Audi Q6 e-tron und Porsche Macan. Ein gutes Dutzend Mal sind die Startdaten für die Fahrzeuge in den vergangenen zwölf Monaten bereits verschoben worden, sagt einer der Beteiligten. Die Autos liegen inzwischen drei Jahre hinter dem Zeitplan. Nun bedeutete Bosch den Entwicklern: 16 bis 18 Wochen länger werde es dauern, bis Elektronik und Software zuverlässig funktionierten. Vor dem Frühjahr 2024 geht nichts.

Damit nicht genug: Auch die nächste, verbesserte Version der Software wird sich verzögern, man einigte sich nach viel Hin und Her auf einen ähnlich langen Aufschub. Und die letzten Modelle, für die die Elektronik gedacht ist, könnten gleich bis zu zwei Jahre später kommen.

Die Elektronikarchitektur E3 1.2, um die es hier geht, soll in den künftigen Verbrenner- und Elektromodellen der beiden größten Gewinnbringer des Volkswagen-Konzerns eingesetzt werden. Ohne die Cariad-Software werden mehr als 60 neue Automodelle nicht funktionieren, wenn man die Varianten einrechnet.

Das wäre auch für Konzernchef Blume der größte anzunehmende Unfall.

Peter Bosch, zuletzt Produktionsvorstand bei der Nobelmarke Bentley, hat eine der zentralen Aufgaben im Volkswagen-Imperium übernommen. Oder, wie andere sagen, den schlimmsten Job im ganzen Konzern. Er muss die Softwaregesellschaft Cariad sanieren, vom damaligen Konzernboss Herbert Diess (65) gegründet als Herausforderung an die Techwelt. Aus Volkswagen, zweitgrößter Autohersteller der Welt, sollte ein Softwarekonzern werden. Diess wollte Volkswagen aus der Welt der Blechbieger in die Silicon-Valley-Sphäre katapultieren, wo Amazon und Apple, Nvidia und Tesla zu Hause sind. Autonomes Fahren, Over-the-Air-Updates wie beim Handy, alles wollte man selbst erschaffen.

Diess und seine Cariad-Chefs Christian Senger (49) und Dirk Hilgenberg (58) bauten ein Softwarereich im Volkswagen-Stil auf: 6500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Deutschland, 40 Beteiligungen mit noch einmal Tausenden Beschäftigten, ein Multimilliardenbudget.

Daraus geworden ist: die größte Gefahr für einen Konzern, der auch sonst gerade auf der Rüttelpiste unterwegs ist. Die 2,5 Milliarden Euro Cash, die Cariad in den ersten neun Monaten 2023 verbrannte, verkraftet ein Koloss wie Volkswagen. Aber er braucht wettbewerbsfähige Autos. Und die werden nicht nur bei Audi und Porsche knapp. Auch die nächste Generation VW-Modelle, sie sollte mal mit einem Wundervehikel namens Trinity gestartet werden, ist bereits verschoben von 2025 auf 2028.

Drei Jahre Wartezeit auf eine neue Technik, das sind Welten in einer automobilen Ära, die sich gerade anpasst an das Tempo der Techszene. Um in China den Anschluss zu behalten, lässt Audi bereits komplette Modelle beim Kooperationspartner Saic entwickeln.

Entsprechend gespannt waren die Konzernvorstände, als Peter Bosch ihnen seine Strategie erläuterte, den “Plan to Restructure Cariad”, wie es vorn auf seiner Präsentation stand. Oder, wie er intern sagte, den “Rettungsplan”, endlich basierend auf Fakten und nicht länger auf Hoffnung.

Der Rettungsplan

Boschs Kernaussagen, so berichten Teilnehmer der Sitzung, gehen deutlich über die weiteren Aufschübe für die Audi- und Porsche-Modelle hinaus: Er will 2000 der 6500 deutschen Stellen bei Cariad streichen. Bosch wird die unter seinen Vorgängern angehäuften Beteiligungen prüfen, die Hälfte wieder abgeben. Die Organisation soll neu aufgestellt und klarer geordnet werden; Bosch gelobte, die Ausgaben für Softwaredienstleister deutlich zu reduzieren.

Die Zukunftssoftware E3 2.0, ursprünglich ab 2025 gedacht für alle Modelle der Marken VW, Seat, Cupra und Škoda, später dann für sämtliche Konzernfahrzeuge, wird nicht nur verspätet kommen. Bosch lässt sie komplett neu entwickeln. Diversen Hardwarelieferanten hat Cariad bereits gekündigt. Die bisherigen Entwicklungskosten, rund 1,5 Milliarden Euro: verloren. Auch die Plattform SSP, auf der künftig alle Modelle von VWs kleinem ID.2 bis zu Bentleys geplantem Monster-SUV aufbauen sollen, wird damit noch einmal weitgehend neu gedacht.

Einen Kern der automobilen Zukunft will indes auch Bosch im Haus behalten: das autonome Fahren. Die Software samt passender Sensoren und Kameras soll 2028 für Pkw bereit sein, eingebettet in die neue Softwarearchitektur 2.0. Es werde eine Version für China geben, das im Oktober 2022 angekündigte Joint Venture mit Horizon Robotics soll jetzt endlich die staatliche Zulassung bekommen und auch offiziell starten dürfen. Die zweite Variante will Bosch in der Anfang 2022 angekündigten Allianz mit dem Zulieferer Bosch (nicht verwandt und nicht verschwägert) entwickeln. Anfang 2024 wollen die Cariad-Chefs die ersten Prototypen testen und die Kooperation mit Bosch noch einmal prüfen.

Die diversen konkurrierenden Ansätze für autonome Systeme im Konzern wollen Peter Bosch und seine Leute stoppen, einen dreistelligen Millionenbetrag soll das einsparen. Nur VW Nutzfahrzeuge darf seine Robotaxi-Kooperation mit dem israelischen Techkonzern Mobileye fortsetzen.

Widerstand im Betriebsrat

Volkswagen soll von seiner Größe profitieren. Mit Modellen, aufgesetzt auf breiten Plattformen, die Geld verdienen und Vergleichstests gewinnen. Ein bisschen, wie der langjährige Volkswagen-Chef Martin Winterkorn (76) mit seinen legendär gewordenen Modellarchitekturen MQB und MLB dachte. Nur in der neuen Welt.

Am Ende bekam Bosch das Go, trotz der noch einmal bitteren Folgen. Auch Konzernboss Oliver Blume stützte den Rettungsplan seines Cariad-Manns. Das Unternehmen teilte auf Anfrage des manager magazins mit, Cariad solle “zu einem wettbewerbsfähigen und zuverlässigen Softwarepartner” für die Konzernmarken umgebaut werden, “die Transformationsplanung ist in den finalen Zügen”.

Der erste Härtetest für Peter Bosch und sein Team dürften die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern werden. Zwar heißt es im Cariad-Umfeld, es habe bereits Gespräche mit Betriebsratschefin Daniela Cavallo (48) gegeben. Überzeugt ist sie jedoch scheinbar noch nicht. Ihr Kollege Stefan Henze, für Cariad zuständig, hat sich bereits kämpferisch positioniert. Fast ein Drittel der Stellen zu streichen, das sei völlig unverständlich. “Es geht jetzt darum, die Software für die neuen Modelle möglichst schnell fertig zu bekommen”, kommentierte er die Pläne. “Da brauchen wir jeden Mann und jede Frau.” Wer jetzt Personal abbaue, gefährde auch die Jobs in der Produktion.

Henze beruft sich auf eine Beschäftigungssicherung bis Mitte 2025, will wissen, wer denn überflüssig sein soll in der jetzigen Situation. Bosch aber will den Abbau schon 2024 starten, zunächst in der Verwaltung. Abfindungsangebote, interne Wechsel, vieles sei möglich, heißt es im Unternehmen. Bosch will den Abbau der 2000 Stellen möglichst Ende 2025 abschließen.

Im Lager von Bosch verweist man darauf, dass der damalige MAN-Chef Andreas Tostmann (61) bei Volkswagens Trucktochter 2020 eine Beschäftigungssicherung gekündigt habe. Das sei auch bei Cariad möglich, deuten die Sanierer an und bauen so schon mal eine Drohkulisse auf. Helfen könnte ihnen, dass viele der intern zu Cariad gewechselten Entwickler und Softwareexperten ein Rückkehrrecht zu ihren alten Marken haben. Thomas Schäfer (53) und Gernot Döllner (54), Chefs der Marken VW und Audi und selbst auf der Suche nach möglichst vielen Sparmilliarden, dürften das gewusst haben, als sie Boschs Sanierungsplan im Konzernvorstand stützten.

Ein “Chief Launch Officer”

Doch wann funktionieren die neuen Audis und Porsches endlich? Die mit der Software- und Elektronikarchitektur E3 1.2 ausgestatteten Modelle sollen künftig für deutlich mehr als die Hälfte des Konzerngewinns stehen, sie entscheiden über die Zukunft von Audi und Porsche. Wirklich gefährlich werde es, sagt einer der Mächtigen, wenn die Konkurrenz mit ihren Autos vorbeiziehe. Tatsächlich launchen BMW, Mercedes und auch die Koreaner und Chinesen neue E-Auto-Modelle mit stark überarbeiteter Software.

Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke (57) beschränkte sich bei der Präsentation der Quartalszahlen auf die Aussage, man sei auf dem Weg, den elektrischen Macan 2024 auf den Markt zu bringen; auch Audi muss den Start des Q6 e-tron für dieses Jahr abschreiben. Boschs Analysen sind hier gar nicht gut angekommen. Vor allem Kritiker bei Audi halten seinen neuen Zeitplan für nicht ambitioniert genug. Das müsse schneller gehen. Bosch hält dagegen. Es gehe darum, dass die Autos überhaupt auf die Straße kommen, wird er im Cariad-Umfeld zitiert.

Bosch hat auch deshalb umgeschichtet. Wer für den Reset der Zukunftsarchitektur 2.0 zunächst nicht mehr gebraucht wird, soll Audi und Porsche helfen. Und er hat den ehemaligen Porsche-Entwickler Thomas Günther (47) als “Chief Launch Officer” eingesetzt. Ein Vorstandsressort Modellanläufe, das dürfte es auch noch nicht gegeben haben. Günther ist zuständig für alles, was mit der Software für die neuen Audis und Porsches sowie für VWs ID.-Modelle und ihre Ableger zu tun hat.

Bisher mangele es Cariad an erstklassigen Softwareexperten, sagt ein Insider. Ein wirklich guter Programmierer schaffe 30-mal so viel wie einer, der okay arbeite. Soll heißen: Was Cariad mit 6500 Leuten nicht schafft, gelingt Tesla und anderen mit viel kleineren Teams.

Bosch will deshalb ein neues Niveau in den Konzern holen. Den ersten echten Tech-Guy sehen sie in Wolfsburg jetzt in Sanjay Lal (48). Erst hat er für Tesla-Chef Elon Musk (52) gearbeitet, dann für den Software- und Techgiganten Google und den Elektroneuling Rivian. Um ihn für sich zu gewinnen, sollen Bosch und Blume in den USA gemeinsam mit Lal Porsche gefahren sein. Ab November wird er im Cariad-Vorstand sitzen. Mehr als zehn weitere Topentwickler aus dem Silicon Valley würden folgen, versprechen sie in der Berliner Cariad-Zentrale.

Sanjay Lal soll eine Art Zukunftszentrum führen und das sogenannte Software Defined Vehicle (SDV) entwickeln. Von dem Hub aus werde er die Neuentwicklung der einstigen Software 2.0 leiten, heißt es im Unternehmen. Er wird direkt angebunden an Konzernboss Blume und eine kleine Truppe rund um Peter Bosch, den obersten Konzernentwickler Michael Steiner (59) und die Entwicklungschefs der Marken Audi und VW. Lal soll dort die Basis für das SDV schaffen, das Tesla und einige chinesische Hersteller schon auf der Straße haben – und dessen Vision Volkswagen bislang vergeblich hinterherfährt.

Nur am Rande beteiligt ist dabei allerdings: Porsche. Der Stuttgarter Sportwagenbauer, ebenfalls geführt von Blume, verlässt sich nicht mehr auf Cariad. Er arbeitet gemeinsam mit der amerikanischen Softwarefirma Applied Intuition an einer eigenen Elektronik- und Softwarearchitektur; zuerst eingesetzt werden soll sie 2027 in einem neuen SUV, konzernintern der K1.

Peter Bosch ist kein Tech-Guy, genauso wenig wie Vorgänger Dirk Hilgenberg. Aber er gilt intern als ein selbstbewusster Stratege mit dem nötigen Know-how zu Automobilarchitekturen. Bei seinem letzten Job hat er einen guten Draht zum damals auch für Bentley verantwortlichen Oliver Blume aufgebaut; er gilt inzwischen als gut vernetzt bei Volkswagen. Als Cariads Ableger in China nicht funktionierte, gewann Bosch den China-erfahrenen VW-Multitasker Thomas Ulbrich (57) als Unterstützer. Als ihm die Cariad-Organisation als zu träge erschien und er jemanden für die Transformation suchte, eiste er Yvonne Bettkober (49) los, erst kurz zuvor von Amazon Web Services zu Volkswagen gekommen.

Irgendwann im Frühjahr sollen Oliver Blume, Chefentwickler Michael Steiner und der damals noch als oberster Konzernstratege amtierende Gernot Döllner in Wolfsburg mit Bosch über die dysfunktionale Cariad diskutiert haben. Ob er den Job nicht übernehmen und die Cariad sanieren könne, sei Bosch gefragt worden, erzählen sie an der Konzernspitze.

“Nein”, habe der geantwortet. Und dann habe er eine Serviette genommen und “Cariad” draufgeschrieben. Vielleicht gehe es doch. Wenn die anderen mitspielten. Er habe die Serviette auseinandergefaltet, die Fläche vervierfacht und die Namen der anderen Beteiligten aufgeschrieben: VW, Audi, Porsche.

Vierfache Power für Cariad: Wenn alle mitmachten, könne es gehen. Wenn Cariad für die Marken nicht mehr Feind sei, der ungeliebte Besserwisser, der alles verderbe. Sondern ein Freund, mit dem man zusammenarbeite.

Peter Bosch will Software für Volkswagen zum Wettbewerbsvorteil machen; er hat das ans Ende seiner Präsentation geschrieben. Dass das gelingen kann in der auf Ellenbogen und Markenkonkurrenz trainierten Welt dieses Konzerns, muss er noch beweisen.

Immerhin hat ihm sein Förderer Oliver Blume bereits den nächsten starken Helfer organisiert. Am 1. November beginnt Sajjad Khan (49) als IT-Vorstand bei Porsche. Ein Tech-Guy und Softwareexperte, der Mercedes’ Infotainmentsystem auf Topniveau gebracht hat und gehen musste, als er im Kampf um einen Vorstandsposten im diplomatischen Machtgerangel unterlag.

Sajjad Khan denkt groß, genau wie Peter Bosch. Das sollte passen.

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