Cadillac

Cadillac Eldorado Convertible von 1973 im Test

Wie sanft schiere Größe wirken kann, beweist dieses US-amerikanische Fundstück im Neuwagenzustand. Unterwegs im Eldorado Convertible.

Ein leichtes Zittern wandert durch das Auto, das so groß ist, dass dieses Zittern etwas Zeit braucht, um ein­mal von vorne bis nach hinten zu gelangen. Nichts knistert dabei, es ist nur dieses leichte Zittern, das einmal die stolzen 5,64 Meter zu­rücklegen muss, die dieser Cadillac Eldorado Convertible von Stoß­stange zu Stoßstange misst.So rollt der Wagen über die Straßen bei Karlsdorf im Badi­schen, und es ist völlig klar, dass er hier fremd ist. Dieser salbeigrü­ne Riese, die Farbe heißt tatsäch­lich so: Sage Green, offeriert Platz für sechs Sonnenanbeter, ist dabei über 2,2 Tonnen schwer und lässt einen sanften V8 mit gigantischen 8,2 Liter Hubraum unter der riesi­gen Motorhaube flüstern.Nein, er passt nicht nach Karls­dorf, in diese deutsche Enge. Wer hier 1973 sehr viel Geld für ein Auto übrig hatte, der kaufte sich einen Mercedes 450 SEL. Der war kompakt gegen den Cadillac, und er nahm das Thema Luxus deut­lich ernster als dieser obszön pla­kative Amerikaner.Wolfgang Bühler, der mit seiner Firma Savex auf US-Importe rarer Klassiker spezialisiert ist, hatte den Cadillac auf einer Auktion in Kis­simmee, Florida, ersteigert. Dass Bühlers Beu­teschema besonders auf geringe Laufleistungen zielt, beweist er mit diesem offenen Amerikaner nach­drücklich: Es stehen tatsächlich erst 98 Meilen auf dem Tacho. Gekauft hatte er ihn mit zehn we­niger, also 88 Meilen. So addierte allein dieser nachmittägliche Foto­termin über zehn Prozent auf die Gesamtfahrleistung, die dieses Ex­emplar zuvor in fünf Jahrzehnten absolviert hatte. Jedes Auto hat seine Geschich­te. Aber kann ein Cadillac, der nie irgendwohin gefahren ist, Anek­doten aus seinem Leben erzählen?cadillac eldorado convertible von 1973 im test

Der Eldorado mit seinem 8,2-Liter-V8 stammt aus einer Zeit, in der das Wort Downsizing nach einer absurden Idee klang.

Bild: Magali Hauser / AUTO BILD

Auf XXL-Spurensuche

Die Recherche beginnt bei den Dokumenten, die beim Auto ge­blieben sind. Dort finden sich zwei Inspektionsbelege. Der erste ist ausgestellt am 2. Juli 1973, vier Tage vor der Auslieferung. Er belegt an diesem Tag 12 Meilen Gesamtlauf­leistung – und die Tatsache, dass zur Übergabe kein Fehler zu doku­mentieren war.Spannender ist zu lesen, wer 1973 diesen noblen Neuwagen einst gekauft hatte. Es war, wenig überraschend, eine Dame: Helen D. Newton, 3011 Swift Drive, Fort Wayne, Indiana. Eine Schriftstel­lerin, hatte Wolfgang Bühler ge­hört, doch im Netz findet sich nichts zu einer Autorin dieses Na­mens. Der Swift Drive, so zeigen es Satellitenfotos, zieht sich durch eine weitläufige, grüne und länd­liche Vorstadtidylle, in der sehr weit verstreut recht einfache Häu­ser stehen. Sollte hier der Cadillac über Jahrzehnte im Ver­borgenen geschlummert haben?cadillac eldorado convertible von 1973 im test

Bei so viel Distanz, die der Cadillac zur Technik gewährt, zeigt sich das Cockpit erstaunlich funktional.

Bild: Magali Hauser / AUTO BILDEinige Hinweise finden sich dann doch auf eine Helen Dodez Newton, Tochter eines wohlha­benden Zahnarztes und Unterneh­mers in Fort Wayne, 1906 geboren. Eine lokale Familienbiografie be­richtet, dass sie noch 1940 als er­wachsene Frau ohne Beruf und unverheiratet zu Hause lebte. Helen starb 1983 – ohne ihren zehn Jahre zuvor gekauften Cadillac je richtig gefahren zu haben.Warum sie das nie tat, ist nir­gendwo überliefert. Vielleicht ging es ihr wie vielen anderen, die zu dieser Zeit einen offenen Cadillac bestellten: Sie erwarteten alle den Untergang der großen, der wirk­lich amerikanischen Cabriolets. Es ist vielleicht ein verklärter Akt des Patriotismus, der eine Kundin wie Helen Dodez Newton dazu brachte, einen Kaufvertrag zu un­terschreiben.

Luxus trifft Größenwahn

Niemand von ihnen brauchte ein Auto wie dieses, mit Platz für sechs Personen auf weichem, weißem Leder, mit allem erdenklichen Luxus in der Bedienung wie vier elektri­schen Fensterhebern, einer elektrischen Sitzverstellung und einem automatischen Verdeck. Es könnte gut sein, dass Helen es nie geöffnet hat. Denn bei aller Automatik und allem Luxus bleibt es ein langwie­riges Gefummel, bis die beiden riesigen, sich verwindenden Ab­deckungen aus salbeigrünem Kunststoff über das geöffnete Ver­deck geklemmt sind.Cadillac drohte damals über Jahre seinen Kunden, den Bau die­ses letzten Fanals der Opulenz ir­gendwann vom Markt zu nehmen. Sie sprachen nicht davon, dass 8,2 Liter Hubraum mit Frontantrieb eine eigenwillige Mischung wa­ren, und von der Größe schon gar nicht. Warum auch? Dort, wo Helen lebte, gab es ja vor allem eines: sehr viel Platz.cadillac eldorado convertible von 1973 im test

Opulenz vom Feinsten: In jedem Vordersitz stecken unendlich viel Liebe und Aufwand. Cadillac vermarktete das Luxus-Interieur unter dem Label Fleetwood.

Bild: Magali Hauser / AUTO BILDHätte sie ihr Cabriolet so ge­nutzt, wie es eigentlich gedacht gewesen wäre, wäre Patina heu­te vermutlich der zu milde Begriff für die Schäden, die es erlitten hät­te. Der Kunststoff jener Jahre al­terte schnell mit Rissen, mit Ver­zug, der zu klaffenden Spalten führt, und mit dem Ausbleichen von Oberflächen. Helens Cadillac hat von alledem: nichts. Er steht so makellos in der Sonne Karls­dorfs, als sei immer noch Juli 1973.Nicht einmal grundlegende Standschäden werden beim Star­ten offenbar. Gut, die Reifen zei­gen feine Risse, doch alle Leitun­gen sind dicht, er springt sauber an und läuft leise vor sich hin, und nur, wer aufmerksam hinhört, ahnt sein riesiges Volumen.

On the road again

Die ersten Meter. Im Lenkrad prangt das so adelig aussehende Cadillac-Wappen, dessen Heraldik irgendwie auf Laumet de la Mothe, Sieur de Cadillac, zurückgeht, ei­nen Franzosen, der im Jahr 1701 ein Fort gründete, aus dem sich später Detroit entwickeln sollte. Eine komplizierte Geschichte.Da ist es einfacher, unbelastet in die Ledersessel zu sinken, die Cadillac damals als Option liefer­te. Erstaunlich dynamisch zeigt sich das auf den Fahrer hin orien­tierte Cockpit mit seinem riesigen, horizontalen Bandtacho und den vielen Schaltern, Schiebern und Hebelchen. Eine kleine, rechtecki­ge Uhr mit schnörkeligem Cadil­lac-Schriftzug misst die Zeit, direkt daneben zeigt sich ins Kunstholz geprägte Floral-Ornamentik. Man muss das nicht im klassischen Sinn schön finden, die Note des Absurden genügt für staunende Bewunderung – insbesondere in diesem Zustand, frei von jeder Spur verstrichener Zeit. cadillac eldorado convertible von 1973 im test

Wolfgang Bühler: Der Händler aus dem badischen Karlsdorf hat viel Erfahrung mit dem Kauf auf amerikanischen Auktionen.

Bild: Magali Hauser / AUTO BILDLeise, sanft und mit jenem leichten Zittern nimmt der V8 sei­ne Arbeit auf. Ein einziger Ro­chester-Vierfachvergaser genügt ihm, und die (denkbaren) 102 Liter Benzin im Tank sollten ihn bei ad­äquater Fahrweise 500 Kilometer weit bringen – bei diesem Exem­plar eine Distanz, über die vermes­sen nachzudenken wäre.Kaum wahrnehmbar sortiert die Turbo-Hydra-Matic die drei Gänge, und irgendwo hier muss auch ein schwarzes Loch existie­ren, das einen nicht allzu geringen Teil der 522 Newtonmeter Dreh­moment verschluckt. Dennoch kommt immer noch mehr als ge­nügend an den Vorderrädern an. Gut, dass die Automatik noch funktioniert wie am ersten Tag – denn Ersatz gäbe es kaum.Längst hat unser geheimnisvol­ler Cadillac seinen Zwischenstopp in Karlsdorf verlassen; er soll via Dubai eine neue Heimat in einer irakischen Sammlung gefunden haben. Ein skurriles Leben, von Beginn an, einzigartig und fernab des Normalen. Aber das passt sehr gut zu ihm, diesem sanften Riesen aus einer anderen Welt.

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