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«Zulassungssteuer von 2000 Euro für Verbrenner wünschenswert»

«zulassungssteuer von 2000 euro für verbrenner wünschenswert»

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sieht in der Erhöhung des Deutschlandtickets einen Fehler. Im Interview spricht der Kommunalpolitiker über Tempolimits, Fallbeilbeschlüsse der EU und Ideen, was man gegen die Nachfrageschwäche bei der E-Mobilität tun könnte.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer sieht in der Erhöhung des Deutschlandtickets von 49 auf 58 Euro im kommenden Jahr mit Bezug auf die Marktforschungen einen Fehler. «Sie besagen, dass der optimale Preis zwischen 30 und 35 Euro liegt. Sich also in der Preisspanne bewegt, die wir mit 34 Euro gewählt haben. Damit erreicht man die größte Zahl an Nutzern», sagte Palmer in einem Interview mit dem Magazin electrified und der Autogazette.

Wie der Kommunalpolitiker hinzufügte, hätte sich die Zahl der Abonnenten durch das Deutschlandtickte verdoppelt, bundesweit läge diese Steigerung bei gerade einmal zehn Prozent. «Von daher sind schon 49 Euro zu hoch. Wenn der Preis jetzt nochmals ansteigt, verliert man sicher Kunden.»

Zulassungssteuer für Verbrenner erheben

Mit Blick auf die Nachfrageschwäche bei der E-Mobilität hat Palmer den zurückliegenden Autogipfel bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck begrüßt, die von der SPD geforderte Abwrackprämie aber kritisiert. «Man muss die Vorgaben des Verfassungsgerichts akzeptieren. Entsprechend kann momentan kein Geld für eine Neuauflage der Kaufprämie mobilisiert werden. Das gilt auch, wenn man das Kind Abwrackprämie nennt.»

Auch er habe sich Gedanken gemacht, wie man den Kauf von E-Autos wieder fördern könne, so Palmer. «Hier fände ich eine Zulassungssteuer von 2000 Euro für jeden Verbrenner wünschenswert, damit könnte dann eine Prämie von 6000 Euro für E-Autos finanziert werden, um die Preisdifferenz zwischen Verbrenner und E-Auto auszugleichen. Mit einer solchen Prämie würden viele sicherlich ihre Entscheidung für einen Verbrenner überdenken. »

«Gäbe es Bus nicht, hätten wir doppelt so viel Autoverkehr»

electrified: Herr Palmer, ist eine lebenswerte Stadt vor allem eine Stadt ohne Autos?

Boris Palmer: Nein, es würde die Lebensqualität von Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, verschlechtern. Es gibt viele Menschen, die am sozialen Leben ohne Auto gar nicht mehr teilhaben könnten. Doch der Satz, dass weniger Autos in den Städten die Lebensqualität verbessern, gilt schon.

electrified: Auf der städtischen Webseite werben Sie damit, dass Tübingen die Stadt der kurzen Wege ist und viele Dinge ohne Auto zu erledigen seien. Verfängt dieser Hinweis bei Ihren Bürgerinnen und Bürgern?

Palmer: Das kann man am besten mit Zahlen beantworten. Wenn man für die Bürger ein Angebot schafft, dann entsteht auch eine Nachfrage. Wir haben auf der Hauptverkehrsachse in Tübingen täglich an die 10.000 Fahrradfahrer. Wir haben einen Autoverkehrsanteil, der unter einem Viertel aller Wege im Binnenverkehr liegt. Wenn ein Tübinger vor die Tür tritt, dann gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er nicht ins Auto einsteigt, sondern den Bus oder das Fahrrad nutzt.

electrified: Sie sprechen Angebote an, die die Stadt ihren Bürgern offeriert. Dazu gehört am Samstag die kostenlose Nutzung des TÜBUS. Hat sich dadurch der Autoverkehr reduziert?

Palmer: Wir haben rund 20 Millionen Fahrgäste im Jahr und ungefähr genauso viele Fahrten wie mit dem Auto in Tübingen. Gäbe es den Bus nicht, hätten wir doppelt so viel Autoverkehr.

«Kostenfreier Samstag seit 2018 »

electrified: Wie lange gibt es den Bus jetzt schon?

Palmer: Als TÜBUS seit Mitte der 80er Jahre. Es geht auf die erste rot-grüne Gemeinderatsmehrheit zurück.

electrified: Ist der TÜBUS für Sie ein Indiz dafür, dass Bürger bei einem attraktiven Angebot auf den ÖPNV umsteigen?

Palmer: Den kostenfreien Samstag gibt es bei uns nun seit 2018. Das hat dazu geführt, dass wir samstags 40.000 statt zuvor 30.000 Fahrgäste zählen. Darunter sind auch viele, die ein Auto besitzen. Wer sonst zu zweit mit dem ÖPNV in die Stadt fährt, zahlt für den Einzelfahrschein für Hin- und Rückfahrt zehn Euro. Das ist zu teuer, da fahren die Leute wegen des Geldes Auto. Ist der Bus umsonst, sieht es ganz anders aus.

electrified: Es wird viel diskutiert, wie der Autoverkehr in den Städten reduziert werden kann. Dazu gehören u.a. erhöhte Parkgebühren. Was kostet in Tübingen innerstädtisches Parken?

Palmer: Im Vergleich zu anderen Städten sind wir da noch moderat unterwegs: Auf der Straße kostet in der Innenstadt die Stunde 3 Euro, im Parkhaus 2 Euro. Da gibt es teurere Orte in Deutschland. Aber man muss auch die umliegenden Gebiete im Blick haben: da gibt es teils gar keine Parkgebühren. Wir setzen gerade ein Projekt in einem Kernwohngebiet von Tübingen mit etwa 60.000 Menschen um. Dort sind wir dabei, es mit Parkgebühren zu belegen.

electrified: Planen Sie abseits dieses Kerngebietes eine weitere Erhöhung der Parkgebühren?

Palmer: Die letzte Erhöhung von zwei auf drei Euro ist gerade erst erfolgt. Deshalb wollen wir in absehbarer Zeit nicht weiter an der Preisschraube drehen. Vielmehr wollen wir die Einnahmen durch die Ausweitung beim Anwohnerparken dafür verwenden, dass wir das Deutschlandticket auf 34 Euro verbilligen. Entsprechend erhoffen wir uns, dass sich Bürgerinnen und Bürger die Frage stellen, ob sie nicht eher auf den Zweitwagen verzichten, wenn sie fürs Anwohnerparken bezahlen müssen.

„Wenn Preis nochmals ansteigt, verliert man Kunden“

electrified: Das Deutschlandticket soll bald 58 Euro kosten. Ist einer solche Preiserhöhung kontraproduktiv, um die Menschen zum Umstieg zu bewegen?

Palmer: Dazu gibt es ausreichend Marktforschungen. Sie besagen, dass der optimale Preis zwischen 30 und 35 Euro liegt. Sich also in der Preisspanne bewegt, die wir mit 34 Euro gewählt haben. Damit erreicht man die größte Zahl an Nutzern. In Tübingen hat sich die Zahl der Abonnenten durch das Deutschlandticket verdoppelt, bundesweit liegt die Steigerung bei gerade einmal zehn Prozent. Von daher sind schon 49 Euro zu hoch. Wenn der Preis jetzt nochmals ansteigt, verliert man sicher Kunden.

«Wenn ich Flatrate-Parken erlaube, bleiben Kunden weg»

electrified: Die FDP hat im August bei der Vorstellung ihres Beschlusses „Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto“ Städte und Gemeinden aufgefordert, kostenloses Kurzzeitparken zu ermöglichen bzw. ein günstiges Flatrate-Parken gefordert. Wie stehen Sie dazu?

Palmer: Die Konsequenz aus diesem Flatrate-Parken wäre, dass der Handel in den Innenstädten viele Kunden verlieren würde. Der Grund für die Einführung von Parkgebühren in den Innenstädten ist doch, dass man einen hohen Umschlag an Kunden haben möchte. Wenn ich ein Flatrate-Parken erlaube, bleiben schlicht Kunden weg, weil Dauerparker den Platz belegen. Von daher kann ich eine solche Forderung nicht befürworten.

electrified: Überrascht Sie eine solche Forderung?

Palmer: Solche Forderungen sind häufig nicht durchdacht, zielen auf den medialen Effekt, den schnellen Beifall ab. Entsprechend schnell hat man so etwas aufs Papier gebracht. Hätte man vorher Kommunalpolitiker gefragt, wäre ein solcher Vorschlag nicht zustande gekommen.

«SUVs nehmen mehr öffentlichen Raum in Anspruch»

«zulassungssteuer von 2000 euro für verbrenner wünschenswert»

Für Boris Palmer muss der Ausbau der Ladeinfrastruktur noch schneller vorangehen. Foto: EnBW

electrified: Tübingen hat zum Januar 2022 das Anwohnerparken verteuert. So müssen Halter eines Pkws statt jährlich 30 Euro mindestens 120 Euro zahlen, für schwere SUVs werden 180 Euro fällig. Werden jetzt weniger SUVs zugelassen?

Palmer: Nein, doch darum ging es auch nicht. Die paar Euro mehr kann sich der Fahrer eines schweren SUVs leisten. Es hatte etwas mit Gebühren-Gerechtigkeit zu tun, denn SUVs nehmen mehr öffentlichen Raum in Anspruch. Aus Kindersicht ist die Stadt nicht mehr sichtbar, wenn alles mit SUVs zugeparkt ist. Der Fahrer eines SUVs tauscht wegen der Erhöhung der Parkgebühren sein Auto sicher nicht aus.

electrified: Wir erleben in Deutschland eine Nachfrageschwäche bei der E-Mobilität. Können Städte etwas dagegen tun?

Palmer: Ein Anreiz wäre z.B. ein kostenfreies Anwohnerparken. Das wäre wünschenswert, ist aber leider aufgrund der Rechtslage ausgeschlossen. Man darf indes Busspuren öffnen, davon halte ich aber nichts, denn bei einer relevanten Zahl von E-Autos blockieren diese den Busverkehr. Es könnten auch regionale Förderprogramme helfen und das Schaffen von mehr Ladestationen.

electrified: Wie gut ist denn die Ladeinfrastruktur in Tübingen?

Palmer: Wie haben derzeit 250 öffentliche Ladepunkte. Das ist eine Zahl, die derzeit reicht, da nicht so viele neue E-Autos hinzukommen.

«Wegfall der Kaufprämie war wesentlicher Punkt»

«zulassungssteuer von 2000 euro für verbrenner wünschenswert»

Boris Palmer ist für eine Zulassungssteuer für Verbrenner, um damit eine Prämie für E-Autos zu finanzieren. Foto: Gudrun de Maddalena

electrified: Wie erklären Sie sich die Nachfrageschwäche? Insbesondere mit dem Wegfall der Kaufprämie?

Palmer: Der Wegfall der Kaufprämie war ein ganz wesentlicher Punkt, wie man am Einbruch der Verkäufe feststellen kann. Die Nachfrage nach Verbrennern hängt sicher auch mit der Modellpalette der Hersteller zusammen. Das ein erfolgreicher elektrischer Kleinwagen wie die Renault Zoe nicht weitergeführt wird, verstehe ich wirklich nicht.

electrified: Herr Habeck hatte die Autoindustrie gerade zum Autogipfel geladen und staatliche Unterstützung in Aussicht gestellt, ohne genauer zu werden. Braucht es Autogipfel und staatliche Unterstützung für die Branche?

Palmer: Ich finde es richtig, dass es einen solchen Autogipfel gab und die Politik im Dialog mit einer so wichtigen Industrie bleibt, auch wenn die zurückliegenden Gipfel nicht viel gebracht haben.

electrified: Hätte es trotz der angespannten Haushaltslage eine Rückkehr zur Kaufprämie oder die von der SPD geforderte Abwrackprämie geben sollen?

Palmer: Man muss die Vorgaben des Verfassungsgerichts akzeptieren. Entsprechend kann momentan kein Geld für eine Neuauflage der Kaufprämie mobilisiert werden. Das gilt auch, wenn man das Kind Abwrackprämie nennt.

Ich habe mir zuletzt auch Gedanken gemacht, wie man den Kauf von E-Autos fördern könnte: hier fände ich eine Zulassungssteuer von 2000 Euro für jeden Verbrenner wünschenswert, damit könnte dann eine Prämie von 6000 Euro für E-Autos finanziert werden, um die Preisdifferenz zwischen Verbrenner und E-Auto auszugleichen. Mit einer solchen Prämie würden viele sicherlich ihre Entscheidung für einen Verbrenner überdenken.

«Habe meine Zweifel an diesem Fallbeilbeschluss»

electrified: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will sich für eine Technologieoffenheit einsetzen. Zudem gibt es Forderungen, dass Verbrenner-Verbot 2035 in der EU verschoben wird. Wie beurteilen Sie diese Diskussionen?

Palmer: Ich habe meine Zweifel an diesem Fallbeilbeschluss, ab 2035 keine Verbrenner mehr zuzulassen. Die Folge dieses Beschlusses könnte sein, dass die Autoindustrie bis 2035 nur Verbrenner verkauft, weil die Kunden nichts anderes kaufen. Man sieht dies auch am Run auf Öl- und Gasheizungen, bevor diese verboten werden.

Statt eines Verbrenner-Aus hätte man einen vernünftigen Aus- und Einstiegspfad definieren müssen, wie dies durch die CO2-Bemessung versucht wurde. Der hätte so aussehen können, dass man Jahr für Jahr eine bestimmte Zahl von E-Autos neu zulassen muss und dies über die Zulassungssteuer und Prämien reguliert. So könnte man Jahr für Jahr nachsteuern. Dann käme es auch nicht darauf an, ob 2035 noch fünf, acht oder elf Prozent Verbrenner verkauft würden. Die Industrie könnte sich so besser auf den Umstieg vorbereiten.

electrified: Bundesverkehrsminister Volker Wissing und der VDA haben gefordert, dass die ab 2025 schärferen CO2-Flottenziele überprüft würden. Braucht es solche ambitionierten Ziele aber nicht für die Erreichung der Klimaziele?

Palmer: Die sind ganz bestimmt notwendig. Wenn sie denn wirken würden, könnten sie auch helfen, den eben skizzierten Weg zu beschreiten. Ich glaube indes nicht, dass diese Flottenregulierung wirklich hilft. Was soll denn beispielsweise Mercedes machen, wenn die Kunden streiken und keine E-Autos kaufen? Entsprechend ist es nicht der richtige Regulierungsansatz, da hier nicht das Verhalten des Kunden mitgedacht wurde.

«Es ist unverständlich, warum wir ein Tempolimit nicht einführen»

electrified: Wenn wir beim Verkehr und Klima bleiben: Muss das Thema Tempolimit 120 wieder auf die Agenda kommen?

Palmer: Es ist unverständlich, warum wir ein Tempolimit nicht einführen. Es sollte endlich kommen. Wenn ich mit dem Auto auf der Autobahn unterwegs bin, denke ich mir: Was für ein unnötiger Stress. Darüber diskutieren wir seit Jahrzehnten, doch geschehen ist nichts.

electrified: Tübingen ist Partner der Initiative «Lebenswerte Städte und Gemeinden», die sich für Tempo 30 einsetzen. Wie weit ist man bei Ihnen da bereits?

Palmer: Wir haben gerade eine größere Zahl von Tempo 30-Schildern aufgehängt, allerdings auf einem äußerst bürokratischen Umweg. Auf den Hauptstraßen in der Innenstadt hatten wir nach dem Luftreinhalteplan Tempo 40, weil die Berechnungen gezeigt haben, dass Tempo 30 mehr Emissionen verursacht hat. Jetzt ist die Luft sauberer, sodass der Luftreinhalteplan beendet wurde – und Tempo 30 eingeführt werden konnte. Ich würde mir wünschen, dass wir Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der Stadt hätten und nicht als Ausnahme.

electrified: Bietet Ihnen die Novelle der StVO hierfür eigentlich genug Handlungsspielraum?

Palmer: Die kommunalen Entscheidungsspielräume sind dadurch größer geworden. Doch es ist höchst bürokratisch und müsste viel, viel einfacher sein. Man müsste Tempo 50 begründen müssen und nicht Tempo 30, dann wäre die Welt einfacher.

electrified: Sie haben die starke Nutzung des Radverkehrs in Tübingen angesprochen. Haben Sie mit Blick auf andere Städte den Eindruck, dass ausreichend für den Radverkehr getan wird?

Palmer: Es gibt gute Radverkehrskonzepte wie in Münster, auch für Tübingen würde ich das beanspruchen. Aber es stimmt: viele Städte haben noch Nachholbedarf und trauen sich nicht so richtig an diesen Konflikt ran, Parkplätze oder Fahrspuren für Autos zu beseitigen, um diese dem Radverkehr zukommen zu lassen. Ich war gerade in unserer us-amerikanischen Partnerstadt Ann Arbor. Da war so etwas vor zehn Jahren nicht denkbar, doch dort hat man in kürzester Zeit einen Innenstadtring mit einer Protected Bike-Lane versehen. Wenn so etwas in Amerika gelingt, dann sollten wir da noch einen Zahn zulegen.

Das Interview mit Boris Palmer führte Frank Mertens

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