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Joanna Buttler bringt Lastwagen das autonome Fahren bei

joanna buttler bringt lastwagen das autonome fahren bei

DaimlerTruck-Managerin Joanna Buttler mit dem Prototypen eines autonomen Lastwagens

Zielsicher geht Joanna Buttler um die silberfarbene Sattelzugmaschine herum. Es ist ein amerikanischer Lastwagen, zu erkennen an der langen Nase, unter der sich der Motor verbirgt. Die Haube ist geöffnet, und Buttler zeigt auf zwei oberarmdicke Zylinder aus Aluminium. „Das sind die Aktuatoren für die Lenkung“, erläutert Buttler. Dass der Lastwagen zwei davon braucht und auch vieles andere doppelt vorhanden ist, liegt daran, dass dieses Fahrzeug auf den Trucker verzichten kann. Buttler ist dafür verantwortlich, sie leitet seit einem halben Jahr die „Autonomous Technology Group“ der Daimler Truck AG. Ein klassischer Nerd ist sie nicht, nicht einmal Ingenieurin, sondern eher eine strategisch denkende Managerin.

Vielleicht ist das gut so, denn das autonome Fahren ist eines der wichtigsten Zukunftsprojekte des Ende 2021 vom Autohersteller Mercedes-Benz abgespaltenen Nutzfahrzeugherstellers. An der „Dual Track“-Strategie, mit der das ehrgeizige Ziel erreicht werden soll, hat Buttler schon vorher gearbeitet. Zweigleisig ist der Ansatz, weil Daimler Trucks einerseits mit dem Tochterunternehmen Torc Robotics selbst ­autonom fahrende Lastwagen anbietet, andererseits aber auch Fahrzeuge an Waymo liefert, das Unternehmen, das aus den Google-Projekten zum selbstfahrenden Auto hervorgegangen ist.

Waymo rüstet die Lastwagen dann mit der eigenen Elektronik aus, Daimler liefert lediglich die Fahrzeuge, die aber entsprechend vorbereitet sind, etwa mit einer Stromversorgung, die ausreichend Energie für die Hochleistungsrechner an Bord bereitstellt. Dass eine solche Konstellation ziemlich viel Kommunikation nach innen und außen erfordert, ist offensichtlich, zumal Torc, schon vor dem Einstieg der Deutschen mit ersten Erfolgen glänzend, ein Start-up mit hohem Selbstbewusstsein ist. „Unabhängiges Tochterunternehmen“ heißt das in der offiziellen Konzernsprache.

„Mich hat es immer in die Ferne gezogen“

Buttler, 1979 in Spanien geboren und aufgewachsen in Mainz, ist ein mehrsprachiges Kommunikationstalent. Dass sie seit 18 Jahren fast ununterbrochen in Amerika lebt, merkt man kaum, wenn sie Deutsch mit einem fröhlichen Pfälzer Tonfall spricht. „Mich hat es immer in die Ferne gezogen“, begründet sie den ungewöhnlichen Schritt, sich nach dem Studium der Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing direkt bei Daimler Truck in den Vereinigten Staaten zu bewerben.

Anfangs beobachtet sie den Markt für Achsen, dann kommt Schritt für Schritt mehr Verantwortung hinzu. Die Aufmerksamkeit von Martin Daum gewinnt sie erstmals, als sie das Produktmanagement für eine neue Ge­triebegeneration übernimmt. Daum ist zu diesem Zeitpunkt für das Nordamerika-Geschäft verantwortlich und steigert den Marktanteil der zum Konzern gehörenden US-Marken erheblich. Als Daum nach Stuttgart zurückkehrt, um den Posten des Technikvorstands anzutreten, nimmt er Buttler als Leiterin seines Stabs mit.

Ein Drittel der Gesamtkosten entfallen auf den Fahrerlohn

Als das Vorstandsteam an einer neuen Strategie arbeitet, macht es irgendwann „Klick“, so berichtet Buttler. „Wir hatten erkannt, dass wir durch autonomes Fahren nicht nur unsere Straßen sicherer machen, sondern unseren Kunden auch einen ökonomischen Mehrwert bieten können.“ Das Zauberwort in der Logistikbranche lautet „Total Cost of Ownership“, Lebenszykluskosten also, es ist das wesentliche Kriterium, anhand dessen Kaufentscheidungen gefällt werden. Durchschnittlich 33 Prozent der Gesamtkosten entfallen schon in Deutschland auf den Fahrerlohn, in den Vereinigten Staaten ist der relative Anteil aufgrund der geringeren Kraftstoffkosten noch höher. Hinzu kommt der Fahrermangel, in den USA sollen bis Ende der Dekade 160.000 Fahrer fehlen, so eine Studie der Unternehmensberatung Berylls – und das bei steigendem Frachtvolumen.

Die Konzernforschung von Mercedes-Benz arbeitete schon in den 1980er-Jahren gemeinsam mit deutschen Universitäten am Roboterauto. Spätestens seit sich der Konzernvorstand 2015 zur IAA von einer autonomen S-Klasse auf die Bühne chauffieren ließ, wurde die Entwicklung im damals noch integrierten Unternehmen forciert. Doch den Truckexperten war schnell klar: Für den Lastwagen braucht es andere Technik, zumal der nicht in der Stadt, sondern lediglich auf der Autobahn zwischen zwei Logistikzentren automatisch verkehren soll.

So kommt es 2019 zum Einstieg bei Torc Robotics, die Integration leitet Buttler. „Die Technik, die Kultur, die Philosophie, das passte gut zu uns“, sagt sie. „Und der Businessplan stimmte auch.“ Dennoch geht Buttler mit Bedacht vor, denn als Konzern alles zu vereinnahmen, hätte das Start-up ausbremsen können. „Man muss da bescheiden vorgehen, viele Fragen stellen, versuchen zu verstehen.“ Aber sie muss auch erklären, Verständnis schaffen für den Konzern und gewisse Regeln. Es scheint zu gelingen. Der Gründer Michael Fleming tritt zwar drei Jahre nach dem Einstieg zurück, bleibt Torc jedoch als Aufsichtsrat verbunden.

Vorerst nur für den amerikanischen Markt

Auf einer Pilotstrecke im Mittleren Westen sind mittlerweile drei Dutzend autonome Trucks mit der Technik des Tochterunternehmens unterwegs, und auch die Versuche mit den Waymo-Lastwagen sind schon gestartet. „Allerspätestens im Jahr 2030“, so Buttler, soll die Serienproduktion anlaufen, „wir werden das schaffen.“ Doch vorerst gilt das ausschließlich für den amerikanischen Markt. Deutschland, Europa, all das werde man erst anschließend angehen, man evaluiere das zwar, momentan läge der Fokus vollständig auf Amerika, auch Initiativen des deutschen Verkehrsministeriums könnten daran nichts ändern. Das läge schlicht an den weiten Strecken, die amerikanische Fernfahrer zurücklegen, sie erlauben es Fuhrunternehmern, die relativ hohen Anschaffungskosten für autonome Fahrzeuge auf die Frachtraten umzulegen. „Doch das ist nur der Anfang einer großen Transformation“, zeigt sich Buttler überzeugt.

Für die Weite des Landes schwärmt die Managerin aber nicht nur, weil es ihr Geschäftsmodell erleichtert. Die nordamerikanische Daimler Truck-Zentrale liegt in Portland, Oregon. Ab und an bricht sie von dort auf zu ihrem rund 1300 Meilen entfernten Zweitwohnsitz in Arizona. Dort greift sie zu Farbe und Pinsel, es entstehen abstrakte Bilder, die sie nicht ausstellt. „Ich will auch die andere Seite meines Gehirns nutzen und einen Ausgleich zu den sehr analytischen Aufgaben im Beruf schaffen“, so Buttler. Wenn sie mit ihrer Mission Erfolg hat, könnten die Auszeiten noch weniger werden. Im achtköpfigen Vorstand von Daimler Trucks ist bislang nur eine Frau.

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