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Hunderte „Geisterautos“ in San Francisco – die Grenzen des Autonomen Fahrens

Immer mehr selbstfahrende Autos sind in der Tech-Metropole San Francisco unterwegs. WELT hat kuriose Szenen beobachtet, wenn sie auf Menschen treffen. Gegner formieren sich bereits. Ist das Versuchslabor in der Realität auch ein Vorbild für Deutschland?

hunderte „geisterautos“ in san francisco – die grenzen des autonomen fahrens

Autonom fahrendes Fahrzeuge von Waymo Waymo

Eine lauwarme Aprilnacht auf der Filmore Street, einem der Ausgehbezirke von San Francisco. Gegen halb zwei haben sich Menschentrauben vor den Bars auf den Bürgersteigen gesammelt, Teile des Feierpublikums drängen immer weiter auf die Straßen. Was dann passiert, ist ein unfreiwilliger Praxistest für eines der wichtigsten Zukunftsprojekte des Tech-Giganten Google, dessen Ziel nichts weniger ist, als den Straßenverkehr für immer zu verändern.

Als ein autonom fahrender Wagen des Anbieters „Waymo“ in die Straße einbiegt, machen sich drei junge Frauen einen Spaß daraus, plötzlich auf die Straße zu springen – wieder rückwärtszugehen und abermals ruckartig auf die Straße zu springen. Das Spiel wiederholt die sichtlich angetrunkene Gruppe insgesamt fünfmal, begleitet von johlenden Zuschauern.

Vorn am Steuer des Wagens sitzt niemand, hinten auf der Rückbank hingegen zwei genervt dreinblickende Männer. Bei jeder Bewegung der Frauen hin zur Straße stoppt das Auto abrupt – nur um kurz darauf wieder anzufahren und erneut zu stoppen.

Es sind Szenen wie diese, die WELT in San Francisco zufällig beobachten konnte, die für die große Zukunftsvision der selbstfahrenden Autos so bemerkenswert wie aufschlussreich sind.

Städte wie die kalifornische Tech-Metropole San Francisco sind seit einigen Monaten zur Spielwiese für die „Geisterautos“ geworden. Die große Frage nach der Sicherheit wird entscheidend dabei sein, ob sich der fahrerlose Verkehr eines Tages durchsetzen wird, oder eine Gedankenspinnerei einiger weniger Unternehmer bleiben wird. Denn trotz großer Begeisterung und hoher Nachfrage ernten diese auch scharfe Kritik für ihre Pläne.

An der amerikanischen Westküste jedenfalls meinen sie es ernst mit der Revolution des Straßenverkehrs. Eine dreistellige Anzahl an Fahrzeugen hat die 2016 gegründete Google-Tochter Waymo bereits in den USA auf die Straße gebracht. Mitentwickelt wurde die Technik von dem Deutschen Sebastian Thrun, der auch Google Street View mit erfand.

300 GM „Cruise“ fahren in den USA

Die Konkurrenz von General Motors – „Cruise“ – bringt es auf aktuell rund 300 Wagen. Noch steckt die Technologie in den Kinderschuhen. Fahrgäste dürfen die Autos in San Francisco nur nachts zwischen 22:00 und 5:30 Uhr morgens transportieren. Zwar fahren die Wagen auch tagsüber, um Daten zu sammeln, dann aber ohne Fahrgast und oft mit einem Firmenmitarbeiter am Steuer, der eingreifen kann.

Weil bisher wichtige Lizenzen fehlen, ist der Fahrservice in den weißen Elektro-Jaguars von Waymo kostenlos. Eine Fahrt mit Cruise hingegen kostet pro Kilometer etwa so viel wie bei der Konkurrenz von Uber. Und die Nachfrage ist groß, zumindest in San Francisco.

hunderte „geisterautos“ in san francisco – die grenzen des autonomen fahrens

Ein autonom fahrender Pkw von „Cruise“ BAX/MediaValet

Exakte Zahlen kommunizieren die Unternehmen nicht. Doch bei beiden Anbietern wird man nach Download einer App zunächst auf die Warteliste gesetzt, um irgendwann als Fahrgast „ausgewählt“ zu werden. Bis das passiert, vergehen mitunter Wochen.

Noch sind die Geisterautos ein Randphänomen, das für viel Aufsehen sorgt. Doch schon in der Frühphase stoßen die Anbieter auf Widerstände. So schrieb im Januar die San Francisco County Transportation Authority – vergleichbar mit einer städtischen Verkehrsbehörde – einen 23-seitigen Brief an den Bundesstaat, in dem die Bedenken der Stadt in Bezug auf autonome Fahrzeuge dargelegt werden.

hunderte „geisterautos“ in san francisco – die grenzen des autonomen fahrens

Dieser “Cruise” kann auch Fahrstühle transportieren MediaValet

Der Ton ist darin klar gesetzt. Zwar heißt es zunächst, die Stadt sei „begeistert von dem Potenzial des automatisierten Fahrens“. Doch dann wird schnell klargemacht, dass sich die Stadt bei jetzigem Stand der Technik gegen die Expansionspläne von Google und General Motors stemmt.

Der Bericht kommt nicht von ungefähr. Denn wirklich glücklich scheint die demokratische Stadtregierung von San Francisco unter Bürgermeisterin London Breed mit den autonom fahrenden Autos nicht zu sein. Wie die „Washington Post“ berichtet, erhielten die Unternehmen grünes Licht von staatlichen Stellen, darunter dem kalifornischen Ministerium für Kraftfahrzeuge. Die Stadt selbst habe nur begrenzte Möglichkeiten, die Testprogramme auf ihren Straßen zu regulieren.

San Francisco: 37 Verkehrstote in einem Jahr, keine durch autonom fahrende Autos

Aaron Peskin, Chef der Stadtverwaltung in San Francisco, bezeichnet die Unternehmen als wenig kooperativ und entgegenkommend gegenüber lokalen Beamten, heißt es im Bericht der „Washington Post“. Man habe Bedenken hinsichtlich Sicherheit, Transparenz und Datenschutz angemeldet.

Cruise hingegen verweist der Zeitung gegenüber auf den Vergleich zu den Verletzungen und Todesfällen, die durch von Menschen gefahrene Autos verursacht wurden. Waymo wiederum betont, dass Zwischenfälle im Verhältnis zu der Anzahl der Meilen, die die Wagen fahren, selten sind. Und tatsächlich: Allein 2021 gab es in San Francisco 37 Verkehrstote, autonom fahrende Autos haben hingegen noch keinen Unfall mit Todesfolge verursacht.

Dennoch lassen sich die Probleme rund um die Geisterautos nicht wegreden. So verhaken sich die Fahrzeuge bemerkenswert oft im Verkehr. Allein innerhalb eines Monats konnte WELT durch Zufall zwei Situationen beobachten in denen zwei, genauer gesagt drei Waymo-Autos weder vor noch zurück wussten. In beiden Fällen waren kleinere Baustellen auf der Straße. Die Autos standen mit laufendem Motor und Warnblinker auf der Straße herum.

Dabei handelt es sich keinesfalls um Einzelfälle. Laut Verkehrsbehörde wurde in San Francisco zwischen Mai 2022 und März 2023 mehr als 100 Zwischenfälle registriert, darunter einige Auffahrunfälle.

Auf Twitter machen derzeit Videos die Runde von Staus, die durch selbstfahrende Autos verursacht wurden. Nun mögen die Anbieter argumentieren, dass eine Technologie, die weniger riskant fährt als ein von Menschen gesteuertes Auto weniger Unfälle und damit Staus verursacht. Doch offensichtlich sind die Fahrzeuge schon in simplen Situationen, die vom Status quo im Straßenverkehr abweichen, häufig überfordert.

Mit einem einfachen Zurücksetzen hätten viele der Situationen, die auf den Videos zu sehen sind, wohl gelöst werden können. Dazu kommt: Aus programmierter Übervorsichtigkeit scheinen die Fahrzeuge extrem sensibel zu reagieren. Nicht nur überschreiten sie die Höchstgeschwindigkeit niemals und treten beim kleinsten Hindernis ruckartig auf die Bremse.

Fahrfähigkeiten der Autos verbessern sich mit jeder Softwareversion

Die Lokalpresse in San Francisco berichtete über die Kollision eines Cruise-Autos mit dem Heck eines Busses und darüber, dass ein Feuerwehrmann das Fenster des Cruise-Autos aufbrechen musste, um zu verhindern, dass es über einen Schlauch fuhr. An einer anderen Stelle blockiert eines der Fahrzeuge einen Löschzug.

Und erst kürzlich bestätigte Waymo, dass mehrere Autos mitten auf der Straße in San Francisco „aus Sicherheitsgründen“ angehalten hätten, was mehrere Staus verursachte. Der Grund: „Dichter Nebel“ – ein Wetterphänomen, das in der Stadt am Pazifik beinahe zum Alltag gehört.

Gut möglich, dass derlei Vorfälle in Zukunft weniger werden. Die Fahrfähigkeiten der Autos verbessere sich mit jeder neuen Softwareversion, beteuert Waymo. Neben San Francisco ist die Google-Tochter mittlerweile auch in Phoenix, Austin und Teile von Los Angeles unterwegs. Und das Unternehmen plant, im kommenden Jahr auf weitere Standorte zu expandieren. Bis es hingegen in Deutschland so weit ist, dürfte noch einige Zeit vergehen.

Volkswagen plant, ab 2025 in Hamburg mit autonomen Shuttles seines Fahrdienstes Moia zu starten. Doch seit dem Ende der Kooperation des Konzerns mit dem US-Start-up Argo AI im vergangenen Jahr gab es von diesem Projekt keine Neuigkeiten mehr.

Die Automobilhersteller BMW und Mercedes-Benz haben sich indes ganz aus dem Geschäft mit Mobilitätsdiensten zurückgezogen und konzentrieren sich darauf, automatisiertes Fahren als Extra in ihren Fahrzeugen zu verkaufen.

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